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Über die Tiroler Verkehrspläne Bayerns Spediteure wollen Dampf machen

Foto: Thomas Küppers

Die Tiroler Landesregierung wirbt für eine Korridormaut und regt ein Slotsystem über den Brenner an. Das hat Folgen für die bayerischen Spediteure - wie auch die weiter praktizierte Blockabfertigung. Wie LBS-Geschäftsführerin Sabine Lehmann dazu steht, erläutert sie der Fachzeitschrift trans aktuell.

trans aktuell: Frau Lehmann, die Tiroler Landesregierung wirbt weiter für eine Korridormaut auf der Achse München–Verona. Würden Sie unter bestimmten Voraussetzungen zustimmen? Und denken Sie, dass die Korridormaut Teil des für 2024 in Deutschland geplanten großen Mautpakets wird?

Lehmann: Natürlich ist es denkbar, dass der Bund eine Korridormaut aufgreift und zu einem Teil eines Gesamtpakets macht. Dabei steht allerdings zu befürchten, dass das Schule machen könnte und nach Belieben „Sondermauten“ erfunden werden, um den Wirtschaftsverkehr zu erschweren. Eine Korridormaut wird das Problem des hohen Transitverkehr selbst nicht lösen. Denn auch wenn mit der neuen Wegekostenrichtlinie vieles eingepreist werden kann, so kann die Maut trotzdem nicht prohibitiv so hoch gesetzt werden, dass alle mautpflichtigen Fahrzeuge die Brenner-Route deswegen meiden.

Das heißt, die angestrebte Lenkungswirkung würde nicht eintreten? Die Lkw würden weder auf die Schweiz ausweichen noch auf die Schiene?

Eine Korridormaut würde den Verkehr hier sicher teurer machen, aber nicht verhindern. Und einen objektiven Nachweis eines massiven Anteils an Umwegverkehren, die nur wegen der günstigen Brenner-Maut diese Route nehmen, ist Tirol bislang schuldig geblieben.

Foto: LBS
LBS-Geschäftsführerin Sabine Lehmann: Für die Unternehmen ist der alpenquerende Verkehr in den Wochen mit täglichen Blockabfertigungen mittlerweile absolut unberechenbar geworden. Fahrerinnen und Fahrer wollen zum Teil solche Touren nicht mehr fahren.

Um keine Zweifel aufkommen zu lassen: Wir haben volles Verständnis für die Belange der Anwohner und für dringende Antworten auf die schon so lange anhaltenden Belastungen. Die gibt es allerdings nicht nur in Tirol, sondern auch in Oberbayern und Italien.

Im Gespräch ist nun auch ein Slotsystem, bei dem die Fahrt über den Brenner im Voraus über eine Plattform zu buchen wäre. Wie bewerten Sie diese Pläne?

Ein Slot-Buchungssystem ist ein weiterer Versuch Tirols, den europäischen Warenverkehr, der über die Brenner-Route läuft, weiter zu reglementieren und einzuschränken, obwohl Tirol durch seine Ansiedlungspolitik davon immer auch profitiert hat.

Was würde ein solches Instrument für Ihre Unternehmen bedeuten?

So ein System wirft mehr Fragen auf, als es löst, und bedeutet letztlich ein enormes Maß an Verwaltung und damit Bürokratismus für alle Beteiligten. Wer verwaltet solche Slots regional, landesweit, bundesweit, europaweit? Wo bleiben Fahrzeuge, die zwar kapazitativ keinen Slot buchen können, aber für dringende Warenlieferungen benötigen? Was passiert mit Slots, die verfallen werden, weil das gebuchte Fahrzeug in einem Stau steht? Ich sehe eine Parallele zur Sitzplatzreservierung im ICE, wenn der Anschluss verpasst wird. Oder: Alles, was nicht in ein Slot passt, bleibt irgendwo stehen oder staut sich zurück.

Das sind viele Fragen ….

Und längst nicht alle: Haben regionale beziehungsweise grenznahe Beförderungen Vorrang? Wer bekommt welche Quoten? Wie hoch soll die Gesamtzahl der Fahrzeuge sein, die fahren dürfen?

Lesen Sie auch Slot-System über den Brenner „Blockabfertigung menschenverachtend“

Gibt es weitere Beschränkungen? Wie geht man mit fehlenden Kapazitäten im Schienenverkehr um? Der alpenquerende Straßengüterverkehr läuft aus allen Richtungen auf die Alpenpässe zu. Der Brenner ist nun mal der zentrale Übergang für viele, vor allem für wirtschaftlich starke Relationen zum Beispiel in Norditalien. Wir hatten vor vielen Jahren mit den Ökopunkten so etwas wie ein „Slotsystem“, aber das hat Österreich am Ende selbst „beerdigt“.

Also ist das Slotsystem keine wirkliche Alternative zur Blockabfertigung, auch nicht das vielleicht das „kleinere Übel“?

Weder ein Slotsystem noch das „Blockabfertigungsregime“ ist aus unserer Sicht akzeptabel. In ganz Europa haben wir sensible Strecken, ein hohes Güterverkehrsaufkommen und Menschen, die in diesen hochbelasteten Regionen leben und keine Geduld mehr haben – nicht nur in Tirol. In anderen österreichischen Bundesländern gibt es mittlerweile vergleichbare Bestrebungen, den (Wirtschafts-)Verkehr massiv auszubremsen. Gleiches gilt für andere Regionen in Deutschland und Europa. Wie soll die Zukunft des Warenverkehrs aussehen, wenn wir zwar alle immer alles zur Verfügung haben wollen, aber die Grundlagen des freien Warenverkehrs immer weiter einschränken?

Fürs erste Halbjahr 2023 sind 24 Termine zur Blockabfertigung geplant. Was bedeuten Tage mit Blockabfertigung für Ihre Unternehmen beziehungsweise den Güterverkehr allgemein?

Tirol behindert den freien Warenverkehr im alpenquerenden Verkehr und verlagert die durch die Blockabfertigungen entstehenden Probleme wie Rückstaus, Gefährdung der Straßenverkehrssicherheit, Lahmlegen ganzer Regionen auf ihre Nachbarn. Auf bayerischer Seite kommt es zu Megastaus, die sich stundenlang nicht auflösen, und auf der Tiroler Seite der Inntalautobahn sind zur gleichen Zeit teilweise kaum Fahrzeuge unterwegs. Denn die „Dosierungen“ werden nicht sofort beendet, wenn man feststellt, dass es zu keinem erhöhten Verkehrsaufkommen zum Beispiel um Innsbruck herum kommt.

Wie lauten in dem Zusammenhang Ihre Forderungen?

Wir brauchen mittelfristige Lösungen, bis größere Kapazitäten auf der Schiene zur Verfügung stehen. Wir müssen auf bayerischer Seite endlich mehr „Dampf“ machen beim Nordzulauf – zusammen mit allen Beteiligten. Wir dürfen uns nicht damit abfinden, dass es halt noch lange dauert, bis die Zulaufstrecke endlich da ist. Für die Unternehmen ist der alpenquerende Verkehr in den Wochen mit täglichen Blockabfertigungen mittlerweile absolut unberechenbar geworden. Fahrerinnen und Fahrer wollen zum Teil solche Touren nicht mehr fahren. Die Unternehmerinnen und Unternehmer können Termine nicht mehr zusagen und einhalten. Wo früher drei oder vier Umläufe möglich waren, sind es an solchen Tagen meist nur noch zwei Umläufe. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an Unternehmensstandorten in dieser Region erreichen ihre Arbeitsplätze nicht mehr.

Welche Chancen sehen Sie konkret beim geforderten schnelleren Ausbau der Kapazitäten auf der Schiene – auch mit Blick auf den Brenner-Basistunnel?

Hier muss viel mehr passieren und wir müssen mehr Tempo machen – sowohl hinsichtlich des Infrastrukturausbaus, vor allem aber auch bei der Digitalisierung und der technischen „Aufrüstung“. Aktuell können aufgrund der im Einsatz befindlichen Technik wesentliche Kapazitätserweiterungen, die noch möglich wären, nicht realisiert werden. Wir dürfen die Öffentlichkeitsbeteiligung nicht vernachlässigen, aber sie darf auch den Projektfortschritt nicht endlos verzögern – zumal es auch eine durch Nicht-Handeln oder Verzögerungen betroffene Öffentlichkeit gibt, deren Interessen nicht minder gerechtfertigt sind. Wir brauchen ein klares Signal der Politik in der Region, auf Landes- und auch auf Bundesebene, dass dieses Projekt gewollt ist und mit Nachdruck begleitet wird: Wir können nicht weniger Straßenverkehr wollen, aber gleichzeitig Schienenverkehr nicht ausbauen, inklusive der nötigen Infrastruktur!

Zur Person

  • Sabine Lehmann ist seit Oktober 2017 Geschäftsführerin des Landesverbands Bayerischer Spediteure (LBS)
  • Zuvor leitete die Volljuristin das Referat Verkehr und nachhaltige Mobilität bei der IHK für München und Oberbayern
  • Lehmann studierte Rechtswissenschaften an der Universität Osnabrück, ebenfalls in Osnabrück arbeitete sie zuvor mehrere Jahre in einem Logistikunternehmen, inklusive Ausbildung
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