Renault AE Magnum Quadratisch, praktisch, revolutionär

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Als Renault Mitte 1990 die AE-Baureihe präsentierte, stellte das die Lkw-Welt mit einem Schlag auf den Kopf. Antriebseinheit und Fahrerhaus sind plötzlich strikt getrennt. Und mit einem V8 aus den USA fällt dazu die 500-PS-Marke. Ein Supertruck, auch heute noch.

Wer ein Gefühl dafür bekommen will, was die Premiere des Renault AE 500 im Jahre 1990 wirklich bedeutete, der muss nur die ersten Zeilen des Fahrberichts zum "Super-Renault" im FERNFAHRER 7/1990 lesen. Ausgerechnet der Artikel 1 des Grundgesetzes wird da zitiert, der da lautet: Die Würde des Menschen ist unantastbar. "Wer aber sieht, wie sich erwachsene Männer heute noch in manche Lkw-Kojen quetschen müssen, bekommt manchmal Zweifel an der Gültigkeit dieses Verfassungsgrundsatzes", schreibt Autor Gerlach Fronemann. Und weiter: "Im Renault der neuen AE-Baureihe kann der Fahrer nun aufrecht zu seiner 75 Zentimeter breiten Liege gehen und sich sozusagen wie zu Hause zur Ruhe begeben." Was da vor ihm stehe, sprenge die Grenzen dessen, was er bisher von europäischen Lkw gewöhnt sei.

Erstmals serienmäßig über 500 PS

Was muss das also für eine Revolution gewesen sein Anfang der 90er! Ausgerechnet von Renault, der kleinen französischen Marke, die heute neben den übermächtigen deutschen Konzernen so schmächtig wirkt. Sofort wird da die Assoziation geweckt zum gallischen Dorf, das den römischen Streitkräften trotzt. Wem geht da nicht das Herz auf? Zumal auch das Diesel-Herz des Renault AE 500 ein Sahnestück ist. Ach was, vielmehr ein aus den USA importierter Pancake-Turm mit satt Ahornsirup und einem kräftigen Stück Butter. Die Rede ist natürlich vom V8 der damaligen amerikanischen Renault-Tochter Mack, die heute noch zur Volvo Group gehört. Ein 16,4-Liter-Aggregat mit 503 PS und einem Drehmoment-Bestwert von genau 2.000 Nm. Der laut Fronemann erste Dieselmotor über der 500-PS-Marke "in einem europäischen Serienfernlaster".

Schaltfaul zu sein, wird im Renault AE mit Mack-V8 für Fronemann zur Tugend. Er bezweifelt, dass für diese PS-Klasse noch das 16-Gang-Schaltgetriebe vom Typ B 18 nötig ist. Die direkte Lenkung von ZF bekommt Bestnoten, ebenso wie die kräftigen Bremsen und die gute Schallisolierung zwischen Kippkabine und Motormodul. "Die strenge konstruktive Trennung des Fahrer- und Lebensraums von den Bereichen des Antriebsstrangs ist eindeutig der richtige Weg", gibt sich Fronemann überzeugt.

Und damit zurück zu den inneren Werten des Renault AE, der später nur noch Magnum heißen sollte: Für Fronemann fühlt sich der Fahrer in der Kabine "wie in ein Raumschiff versetzt". Die Vorderachse sei weit vorgezogen und ermögliche dadurch US-Radstände von 3,90 und 4,12 Metern. Windleiteinrichtungen, Bugspoiler und abgerundete Kanten hätten einen besseren cw-Wert zur Folge, der Dieseleinsparungen zwischen einem und anderthalb Litern pro 100 Kilometer bringe.

"Mit beiden Händen hält man sich beim Aufstieg an den beiden Haltegriffen fest, nachdem das Gepäck vorher auf den etwa 1,70 Meter über dem Boden befindlichen Kabinenboden gestellt wurde", schreibt Fronemann. Der Boden sei wie beim Unterflur "topfeben". Der Autor attestiert dem völlig vom Antriebsteil gelösten Fahrerhaus ein "eindrucksvolles" Innenvolumen von 8,8 Kubikmetern, den Staufächern insgesamt einen Kubikmeter Raum. Die innere Tiefe sei mit 2,02 Metern "erstaunlich". Außerdem würden Fahrerkollegen in ihren kleineren Lkw etwa 50 Zentimeter tiefer sitzen.

Am Ende stellt Fronemann den AE "nur ungern ab". Die mutig konzipierte Fernfahrerkabine und die weit vorgezogene Vorderachse würden dem Renault-Truck nicht nur ein neues Gesicht geben. Der große Radstand erhöhe auch den Fahrkomfort. Den mutigen Fahrzeugbauern aus Frankreich sei zu wünschen, "daß ihr Serien-Zukunftsauto die Anerkennung der Fuhrleute und Spediteure Europas finden wird."

Ein Wunsch, der zweifellos in Erfüllung ging. Heute – 33 Jahre nach der Premiere des Renault AE – ist dieser zu einer wahren Lkw-Ikone gereift. Für mich persönlich ist er der Truck der 90er schlechthin. Zum 1. April dieses Jahres hat Renault Trucks die Spaßmeldung gestreut, man lege den AE mit E-Antrieb neu auf. Und ich frage mich: Warum eigentlich nicht? Etwas mehr Mut, etwas mehr Liebe zum Produkt, etwas mehr an Emotionen würden der Industrie hierzulande allgemein gut zu Gesicht stehen. Ich sehe keinen Grund, warum man sich wegen des Dieselmotors (mittlerweile scheinbar ein böses Wort!) nur noch verstecken sollte hinter immer besseren Effizienzwerten. Lkw sollten weiter Spaß machen dürfen, das würde sicher auch dem Fahrermangel entgegenwirken.

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