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Peter Fischer/Stefan Gerwens im Gespräch "Lkw nicht zur Melkkuh machen"

Baustelle Foto: Matthias Rathmann

Die versprochenen fünf Milliarden Euro zusätzlich für den Verkehr sind willkommen, aber nicht ausreichend. Dr. Peter Fischer und Stefan Gerwens vom Verband Pro Mobilität erläutern, warum sie für deutlich mehr Geld kämpfen.

Die Pkw-Maut soll kommen. Der Verband Pro Mobilität befürchtet jedoch, dass die Vorarbeiten langwierig und die Ergebnisse dürftig ausfallen werden. Pro Mobilität-Präsident Dr. Peter Fischer und Geschäftsführer Stefan Gerwens würden sich wünschen, dass man zunächst den Bedarf definiert und erst im zweiten Schritt die Instrumente zur Finanzierung sucht. Welche Erwartungen sie in dem Zusammenhang auch an den neuen Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) ­haben, sagen sie im Gespräch mit trans aktuell-Redakteur Matthias Rathmann.

trans aktuell: Herr Dr. Fischer, welche Botschaften werden Sie dem neuen Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt bei Ihrem Antritts­besuch überbringen?

Dr. Fischer: Drei Dinge liegen uns besonders am Herzen. Zum einen müssen wir darauf hinweisen, wie dringlich der Erhalt der Verkehrswege ist. Die vorübergehende Sperrung der Rheinbrücke bei Leverkusen oder der Rader Hochbrücke für den Schwerverkehr hat zu erheblichen Einschränkungen für den Wirtschaftsverkehr geführt. Das sind alarmierende Vorfälle, die uns vor Augen führen, was es heißt, die Infrastruktur auf Verschleiß zu fahren.

Punkt zwei bezieht sich wahrscheinlich auf höhere Investitionsmittel, richtig?

Fischer: Die sind unbedingt erforderlich. Alle Expertenkommissionen – von Pällmann bis Bodewig – haben die dramatischen Finanzierungs­lücken bei den Verkehrswegen aufgezeigt. Der Koalitionsvertrag liest sich aber so, dass wir weiterhin mit zu wenig Mitteln wirtschaften müssen. Umso erforderlicher ist es, einen Dringlichkeitsplan für Vorhaben im Bereich der Infrastruktur zu entwickeln. Das angedachte nationale Prioritätenkonzept ist ein Schritt in die richtige Richtung. Die klare Leitlinie muss lauten: Investitionen dort tätigen, wo der höchste Nutzen für den Verkehr zu erwarten ist. Das bedeutet die Abkehr vom Prinzip des Länderproporzes. Und als Drittes interessiert uns die Frage der Zukunft der Lkw-Maut, denn im August nächsten Jahres läuft der Vertrag mit Toll Collect aus. Es gibt mehrere Optionen zur Fortführung der Erhebung – jetzt muss dringend Klarheit her, wie es weitergeht.

Wie schlimm ist es um den Zustand der deutschen Verkehrswege bereits bestellt?

Gerwens: Deutschland ist bei den Investitionen in die Infrastruktur im Vergleich zu anderen Ländern deutlich zurückgefallen. Das ist für uns ein alarmierendes Zeichen. Beim Standort-Ranking des Weltwirtschaftsforums lagen wir bei der Qualität der Straßen im Jahr 2008 noch auf Platz vier, aktuell stehen wir nur noch auf Platz elf. Marode Verkehrswege behindern die wirtschaftliche Entwicklung. Wir setzen nicht weniger als unsere Wettbewerbsfähigkeit aufs Spiel.

Denken Sie, dass es Verkehrsminister Dobrindt gelingen wird, entsprechend gegenzusteuern?

Fischer: Ich bin mir sicher, dass er das kann. Er war ja früher wirtschaftspolitischer Sprecher der CSU-Landesgruppe im Bundestag und kennt damit die wirtschaftspolitische Relevanz der Verkehrsinfrastruktur. Er ist mit der Pkw-Maut für Ausländer, die ihm auf den Weg mitgegeben wurde, allerdings erheblich belastet. Dieses Thema wird nicht ganz so leicht umzusetzen sein.

Sehen Sie die Gefahr, dass die Pkw-Maut viele Kapazitäten im Verkehrsministerium lahmlegt, die an anderer Stelle vielleicht dringender gebraucht würden?

Gerwens: Die Sorge kann man haben, dass so viel politische Kraft in die Lösung dieses Themas gelegt werden muss, dass andere wichtige Dinge in den Hintergrund rücken. Es wird schwierig sein, einen Weg zu finden, der EU-konform ist und zugleich die Kosten für die Inländer kompensiert. Wenn auch die einzuschließen sind, die keine Vignette kaufen, wäre der Einnahmeeffekt relativ gering. Das trägt nicht zur Lösung des Kernproblems der Infrastruktur bei: der völlig unzureichenden Finanzierung.

Fischer: Wir sind schon deswegen skeptisch, weil ein Gesamtkonzept nicht sichtbar wird. Uns ist noch allen die Einführung der Lkw-Maut in Erinnerung: Statt zusätzliche Mittel für die Verkehrsinfrastruktur zu generieren, hat sie lediglich klassische Haushaltsmittel ersetzt. Es wäre deutlich sinnvoller, zunächst den Bedarf zu definieren und erst dann zu überlegen, wie man ihn finanzieren kann – ob aus Maut oder aus Haushaltsmitteln.

Fünf Milliarden Euro zusätzlich soll es für die Verkehrsfinanzierung in den nächsten vier Jahren geben. Das ist doch wahrscheinlich mehr, als Sie zu hoffen gewagt hätten, oder?

Fischer: Wir sind sehr froh darüber, wir wollen die zugesagten fünf Milliarden Euro auch keinesfalls schlecht reden. Doch auch diese Summe reicht nicht aus. Das bedeutet: 1,25 Milliarden Euro zusätzlich pro Jahr – und das wohlgemerkt für alle Verkehrswege. Wenn wir allein den Nachholbedarf auf der Straße sehen, ist das weit weg von dem, was Daehre oder Bodewig festgestellt haben.

Gerwens: Die Koalition würde nur den Wegfall der Investitionsmittel kompensieren, der nach Auslaufen der Sonderprogramme laut alter Finanzplanung ab 2014 drohen würde. Es steht durch die fünf Milliarden Euro also nicht wesentlich mehr Geld zur Verfügung. Berücksichtigt man darüber hinaus die Kostensteigerungen im Bau, kann von einem Anwachsen der Mittel keine Rede mehr sein. Wir bräuchten deutlich mehr für den Erhalt. Auch der Bundesverkehrswegeplan ist völlig unterfinanziert.

Sie haben die Daehre- und die Bodewig-Kommission angesprochen. Bei beiden spielt der Lkw mit Blick auf die Nutzerfinanzierung eine wichtige Rolle. Welchen Beitrag muss der Lkw Ihrer Ansicht nach leisten?

Fischer: Der Lkw wird eine wichtige Rolle spielen, das ergibt sich schon aus der Koalitionsvereinbarung. Fakt ist, dass die Maut auf alle Bundesstraßen ausgedehnt werden soll, eine Absenkung auf niedrigere Gewichtsklassen steht auch im Raum. Wir plädieren für Fairness bei der Umsetzung und dürfen den Lkw nicht zur Melkkuh machen. Denn der Lkw kann nicht allein das kompensieren, was über 20 Jahre hinweg in der Verkehrspolitik versäumt wurde.

Gerwens: Die Einnahmeerwartung an die Lkw-Maut auf Bundesstraßen, die bei Daehre und Bodewig geweckt wurde, scheint uns zu hoch. Diese 2,3 Milliarden Euro beruhen auf der alten Wegekostenrechnung, wonach auf der Bundesstraße deutlich höhere Mautsätze erhoben werden als auf der Autobahn. Die strukturpolitischen Auswirkungen, also wo sich in der Zukunft Unternehmen ansiedeln, hätte man in den Kommissionen eingehender beraten müssen. Es wäre realistischer, nicht mit erheblich divergierenden Werten zu kalkulieren.

Wie geht es mit Blick auf Euro-6-Lkw mit der Maut weiter? Seit Jahresbeginn hat man bei den Investitionen keine Wahl mehr, den versprochenen Mautbonus gibt es aber nicht.

Gerwens: Die Branche braucht Klarheit. Das Ministerium macht die Ausgestaltung der Mautsätze vom neuen Wegekostengutachten abhängig, das unseres Wissens nach im Kern vorliegt. Möglicherweise hat sich deshalb noch nichts getan, weil eine Gesamtkonzeption zur Maut und zur Finanzierung noch Gestalt annehmen muss.

Wäre manches leichter zu beantworten, wenn der Bund den Mautbetreiber Toll Collect übernehmen würde?

Fischer: Der Druck, hier voranzukommen, ist jedenfalls groß. Rückt Toll Collect nicht unter das Dach des Bundes, müsste bald neu ausgeschrieben werden, denn 2018 wären alle Verlängerungsoptionen ausgereizt. Prinzipiell spricht nichts gegen eine Übernahme von Toll Collect durch den Bund. Die Prozesse haben sich eingespielt, und der Betrieb läuft reibungslos. Für den Bund scheint vor allem interessant zu sein, Einnahmerisiken durch Umstellungen zu einem festen Stichtag zu vermeiden.

Zu den Personen

Dr. Peter Fischer ist Präsident von Pro Mobilität, einer vor zwölf Jahren gegründeten Initiative für Verkehrsinfrastruktur, die sich für den Erhalt der Mobilität in Deutschland einsetzt. Fischer, geboren 1941, war zuvor niedersächsischer Minister für Wirtschaft, Technologie und Verkehr. Nach Abi und Studium der Volkswirtschaft war er zunächst Ministerialbeamter in Hannover und Bonn und anschließend Wirtschaftsdezernent in Hannover.

Stefan Gerwens ist seit 2003 Geschäftsführer von Pro Mobilität. Verbandsarbeit und Verkehrsgeschehen waren für ihn kein Neuland: Zuvor war er bis 2002 Referent für Verkehrspolitik beim Bundesverband der Deutschen Industrie in Köln und Berlin. Gerwens machte zunächst eine Ausbildung zur Nachwuchs-Führungskraft bei C&A und studierte danach Volkswirtschaft in Münster sowie im walisischen Aberystwyth.

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