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Onboard-Wiegesystem Überladung soll eingedämmt werden

Foto: industrieblick - Fotolia

Die EU will die Lkw-Gewichte besser kontrollieren lassen, die Kommission plädiert daher für Onboard-Wiegesysteme. BMVI und BGL haben aus diversen Gründen Bedenken.

Sollte Deutschland die im EU-Recht vorgesehene Option wahrnehmen, für neu zugelassene Lkw ab 2021 die Ausrüstung mit Onboard-Wiegesystemen (OBW) zu fordern? An dieser Frage scheiden sich derzeit die Geister. Anlass dafür ist die im Juli von der EU-Kommission erlassene Durchführungsverordnung 2019/1213, die einheitliche technische Anforderungen an solche Wiegesysteme beschreibt.

Straßen sollen vor überladenen Lkw geschützt werden

Im Mittelpunkt stehen die Schnittstellen: Jeder Sattelauflieger oder Anhänger muss mit jeder Zugmaschine oder jedem Motorwagen kommunizieren können. Außerdem wird die Nahbereichsfunkschnittstelle (DSRC) beschrieben, mit der die Kontrollbehörden ab 2024 „im Vorbeifahren“ Gesamtgewicht und Achslast abfragen können sollen. Grundlage ist die Richtlinie 96/53/EG über Maße und Gewichte von Lkw, in die 2015 eingefügt wurde, dass die EU-Mitgliedstaaten ab dem 27. Mai 2021 engmaschiger als bisher die Gewichte kontrollieren sollen. Ziel ist, die Straßen vor überladenen Lkw zu schützen und Wettbewerbsverzerrungen durch Überladung einzudämmen. Als eine Option wurde den Mitgliedstaaten eingeräumt, für die bei ihnen ab diesem Datum neu zugelassenen Lkw bordeigene Wiegesysteme vorzuschreiben. Drei Jahre später müssen die Geräte den Kontrollbehörden auch eine Fernabfrage im Vorbeifahren ermöglichen. Die EU bewirbt die Option damit, dass so die „weißen Schafe“ nicht mehr zeitaufwendigen Anhaltekontrollen ausgesetzt werden müssen, sondern nur noch die „schwarzen Schafe“. Alternativ zu OBW können die Mitgliedstaaten auch verstärkt automatische Wiegeeinrichtungen im Straßennetz installieren.

Während der Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL) und auch das BMVI eine solche Einbaupflicht für Deutschland zumindest derzeit ablehnen, gibt es auch Stimmen im Gewerbe, die für eine Einbaupflicht plädieren. „Heute hat der Fahrer in vielen Fällen realistisch betrachtet keine Chance, festzustellen, ob seine Fahrzeugkombination zulässiges Gesamtgewicht oder maximale Achslasten einhält“, erläuterte ein Spediteur aus Nordwestniedersachsen gegenüber trans aktuell. „Der Sattelauflieger wird im Regel­fall vom Verlader bereitgestellt. Wenn der Schwerpunkt der Ladung nicht sauber kalkuliert ist, wird ganz leicht die maximale Achslast auf der Antriebsachse überschritten.“ Er schilderte einen Fall aus der Praxis, wo ein Fahrer an der auto­matischen Wiegestelle vor der A 40-Rheinbrücke in Duisburg wegen überhöhter Last auf der Antriebsachse herausgewunken worden war und dem nun zwei Punkte in Flensburg drohen. Grund: Der Verlader hatte die Ladung falsch positioniert. Mit einem OBW wäre das nicht passiert, zeigt sich der Spediteur überzeugt. Die Annahme, ein Fahrer könne im täglichen Geschäft einen Lastenverteilplan erstellen, wie es die Vorschrift verlangt, sei unrealistisch. „Der Fahrer ist das schwächste Glied in der Kette.“ Das sieht auch der BGL im Grundsatz so, hält aber OBW in der von der EU verlangten Form für eine ungeeignete Lösung. Da ist etwa die Frage der Genauigkeit.

Zu große Wiegetoleranz

Die aktuelle EU-VO unterscheidet derzeit zwischen dynamischen und statischen Systemen. Bei dynamischen Systemen werden Gewicht und Achslasten im Laufe der ersten 15 Minuten einer Fahrt ermittelt. Damit soll der systembedingte Nachteil der statischen Systeme (Verwiegung im Stand) ausgeglichen werden. Neigung, Unebenheiten in der Stellfläche oder auch flüssige Ladung können das Ergebnis massiv verfälschen. Bei anfangs zehn Prozent, später – ab 2024 – fünf Prozent erlaubter Wiegetoleranz seien die Systeme in der Praxis unbrauchbar, argumentiert der BGL weiter, da in Deutschland zum Beispiel bereits ab zwei Prozent Überschreitung sanktioniert werde. Damit der Fahrer auf der sicheren Seite sei und sich nicht eventuell dem Vorwurf ausgesetzt sehe, fahrlässig überladen zu haben, dürfe ein 40-Tonnen-Lkw maximal rund 36 Tonnen wiegen (plus zehn Prozent Systemtoleranz). Noch absurder werde es bei dynamischen Systemen. Hier muss der Fahrer streng genommen spätestens nach 15 Minuten anhalten und teilentladen lassen, falls ihm das System eine Überladung signalisiert. Diese Verantwortung könne nicht dem Fahrer aufgebürdet werden.Der BGL hält die Onboard-Wiegesysteme auch nicht für geeignet, Anhaltekontrollen vollständig zu ersetzen. Eine gerichtsfeste Verwiegung sei nur auf geeichten Waagen möglich. Die Übermittlung von Gewichtsdaten „im Vorbeifahren“ dürfe höchstens der Vorselektion dienen.

Für unpraktikabel hält der BGL schließlich die Regeln für die vorgeschriebene Überprüfung der OBW-Systeme. Laut Verordnung müssen die Fahrzeuge nämlich regelmäßig einer Ein- beziehungsweise Dreilastprüfung unterzogen werden. Dazu müssen sie in den unterschiedlichen Belade­zuständen in dafür zugelassenen OBW-Werkstätten geprüft werden. Selbst wenn eine Werkstatt Kalibriergewichte vorhielte, fielen die Fahrzeuge unvertretbar lange aus. Bei dynamischen OBW käme noch der Aufwand für die Prüffahrten hinzu.Onboard-Wiegesysteme gibt es schon seit einigen Jahren auf dem Markt, doch bisher ist nicht sichergestellt, dass die einzelnen Teile einer Fahrzeugkombination auch miteinander kommunizieren können. Unbekannt ist auch, wie weit sie verbreitet sind. Anekdotisch wird auch berichtet, dass Wiegesysteme von den Fuhr­unternehmen verdeckt nachgerüstet werden – aus Angst davor, im Falle einer versehentlichen Überladung oder Achslastüberschreitung auch noch mit dem Vorwurf des Vorsatzes konfrontiert zu werden.

Dieser Artikel stammt aus diesem Heft
trans aktuell, Ausgabe 18/2019
trans aktuell 18 / 2019
13. September 2019
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