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Marktöffnung Preisdruck nimmt zu

Lkw und Pkw auf einer Autobahn Foto: Alev Atas/ETM

Die große EU-Osterweiterung jährt sich zum zehnten Mal. Die Bilanz fällt zwiespältig aus. Es gibt viele Klagen über Preisverfall und Sozialdumping. Aber hinter der Konkurrenz aus den Beitrittsstaaten stehen nicht selten deutsche Unternehmen.

Für die deutsche Wirtschaft insgesamt war die EU-Osterweiterung am 1. Mai 2004 eine Erfolgsgeschichte. Mit zehn neuen Staaten, darunter acht aus den östlichen Nachbarstaaten, vergrößerte sich der Binnenmarkt schlagartig und ist mit inzwischen 28 Staaten und fast 500 Millionen Bürgern der größte gemeinsame Markt der Welt. Viele Ängste deutscher Unternehmen in Bezug auf Wettbewerbs- und Rationalisierungsdruck waren unbegründet. Sie profitierten von neuen Absatzmärkten.

Zahl osteuropäischer Lkw auf deutschen Autobahnen nimmt zu

Im Straßentransport aber ist die Lage keineswegs so eindeutig. Hier ist der Mittelstand zum Teil gehörig unter Druck geraten. Die Zahl der osteuropäischen Lkw auf deutschen Autobahnen nimmt zu, die der deutschen Fahrzeuge nimmt ab. Besonders der grenzüberschreitende Verkehr mit deutschen Lkw geht weiter zurück. Nach Angaben des Bundesamts für Güterverkehr (BAG) ging bei der Mautstatistik im 1. Quartal dieses Jahres ein Fünftel der gesamten Fahrleistung auf das Konto der neuen EU-Mitglieder. Spitzenreiter waren polnische Fahrzeuge mit einem Anteil von 12,4 Prozent. Der BAG-Herbstbericht 2013 macht für diese Entwicklung die fortschreitende Internationalisierung und einen hohen Wettbewerb verantwortlich, "dem deutsche Unternehmen besonders durch vergleichsweise kostengünstigere Unternehmen aus Mittel-, Ost- und Südosteuropa ausgesetzt sind".

"Wir erleben einen massiven Verdrängungswettbewerb"

Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Sebastian Lechner, Hauptgeschäftsführer des Landesverbands Bayerischer Transport- und Logistikunternehmen (LBT), hält mit seiner Einschätzung nicht hinterm Berg: "Wir erleben hier einen massiven Verdrängungswettbewerb", sagt er gegenüber trans aktuell. "Vieles, was über die Grenze kommt, kommt aus Niederlassungen deutscher Unternehmen in Osteuropa."

Ausgeflaggte Fahrzeuge sind schwer zu erkennen

Gemeint sind deutsche Wettbewerber in osteuropäischem Gewand. Zahlen gibt es hierzu nicht, die Statistiken des BAG sind wenig hilfreich, denn sie werten nur aus, mit welchem Kennzeichen die Lkw unterwegs sind. "Man weiß nicht, welcher Auftraggeber oder welche Muttergesellschaft dahinter steht", sagt ein Mitarbeiter der Behörde. "Ausgeflaggte Fahrzeuge sind nur sehr schwer zu erkennen." Eine BAG-Fahrerbefragung gibt etwas Aufschluss über die Verhältnisse, zeigt sie doch auf, dass 72 Prozent der Kabotagefahrten in Deutschland im Auftrag deutscher Unternehmen unternommen wurden.

"Handel und Industrie sparen so Hunderte Millionen an Logistikkosten", sagt LBT-Mann Lechner. "Die Wirtschaft will den billigsten Transport." Dabei werde keineswegs hinterfragt, zu welchen Bedingungen der niedrige Preis erkauft wird. Für originär deutsche mittelständische Transportunternehmen führe diese Praxis häufig in eine Existenzkrise.

Graue und illegale Kabotage werde nicht verfolgt

Die Probleme verschärfen sich, je kleiner die Unternehmen sind und je näher man an die Grenze zu einem der neuen Mitgliedstaaten kommt. Eine positive Sicht der Osterweiterung ist dort selten zu finden. "Wir verlieren nach wie vor Auftraggeber, schließlich liegt das Lohnniveau in Polen 20 Prozent unter dem unsrigen", sagt Norbert Voigt von der Fachvereinigung Güterverkehr des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Graue und illegale Kabotage werde nicht verfolgt, kritisiert er. Täglich führen ganze Kolonnen polnischer Lkw zum Rostocker Hafen. BAG, Zoll und Polizei seien mit Kontrollen restlos überfordert, betont auch Thilo Müller, Geschäftsführer des Landesverbands Thüringen des Verkehrsgewerbes (LTV). "Die deutsche Industrie aber ist der Auftraggeber, und das drückt uns als fahrendes Gewerbe an die Wand", sagt er.

Sozialdumping begegnet das Unternehmen mit dem "Supplier Code of Conduct"

Bei Branchenriesen wie der Deutschen Post erscheint die Ost-Erweiterung in einem anderen Licht. Sie habe dazu geführt, dass Handelsschranken abgebaut oder ganz zurückgenommen wurden und der grenzüberschreitenden Austausch von Waren ganz erheblich vereinfacht wurde, hält Sprecher Claus Korfmacher fest. "Davon profitieren aber nicht nur die Logistikunternehmen, sondern sie sind maßgeblich daran beteiligt, dass wir ein kontinuierliches Zusammenwachsen dieser Gemeinschaft erleben können", sagt er.  Dem Thema Sozialdumping begegne das Unternehmen mit seinem "Supplier Code of Conduct", in dem ethische und ökologische Standards festgelegt sind. Die Frage, wie viele Dienstleister aus dem europäischen Ausland für DHL in Deutschland aktiv sind, kann Korfmacher nicht beantworten.

Ausweitung des Marktes wird auch positiv gesehen

Einige in der Branche hätten von der Erweiterung profitiert, stellt Helmut Große fest, beim Deutschen Speditions- und Logistikverband (DSLV) zuständig für den internationalen Straßengüterverkehr. Für den Spediteur sei die Ausweitung des Marktes in jedem Fall positiv zu sehen. Ein Transportunternehmer, der im Wettbewerb zu Konkurrenten aus Osteuropa stehe, müsse zum Teil negative Entwicklungen hinnehmen. Dagegen habe der Spediteur mehr Möglichkeiten, was den Einsatz von ausländischen Unternehmen und die Märkte angehe.

Osteuropäische Frachtführer sind nicht mehr wegzudenken

Vielfach sind osteuropäische Frachtführer gar nicht mehr wegzudenken. "Wir sind auf diese Unternehmen angewiesen, weil sie einen erheblichen Anteil am Laderaum stellen", heißt es aus der Geschäftsführung eines mittelständischen Transportunternehmens in Baden-Württemberg, das den Fahrern aus dem Osten Duschen und Sozialräume zur Verfügung stellt. Auf die Einhaltung der Lenk- und Ruhezeiten werde geachtet, aber für die Bezahlung der Fahrer sei das beauftragte Unternehmen und für die Einhaltung der Sozialvorschriften die deutschen Behörden zuständig. Grundsätzlich bringe der Binnenmarkt eben einen verschärften Wettbewerb mit sich. "Ob das dann immer fair ist, ist eine andere Frage."

"Es muss auch eine soziale Nachhaltigkeit geben."

Prof. Dr. Karlheinz Schmidt, geschäftsführendes Präsidialmitglied des Bundesverbands Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL), hat die nomadisierenden und oft unterbezahlten Lkw-Fahrer aus dem Osten vor Augen. Allein um ihretwillen darf es bei der Debatte um Nachhaltigkeit nicht nur um CO2-Einsparungen und die Auslastung der Fahrzeuge gehen, ist er überzeugt. "Es muss auch eine soziale Nachhaltigkeit geben. Da haben viele ein Riesendefizit", sagt er gegenüber trans aktuell. Aber das sei eine moralische Kategorie, die ins Wirtschaftssystem eingepasst und erst mal werbewirksam aufbereitet werden müsste.





Deutsche Wirtschaft profitiert

Für deutsche Unternehmen ist die EU-Osterweiterung weitgehend problemlos verlaufen. Das zeigt ein Vergleich von zwei repräsentativen Befragungen des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln (IW) aus den Jahren 2004 und 2014. Viele Firmen hätten einen erhöhten Wettbewerbs- und Rationalisierungsdruck durch Konkurrenten aus den neuen Mitgliedsstaaten erwartet. "Doch zehn Jahre später ist klar: Von den damaligen Befürchtungen ist kaum eine Realität geworden", schreibt das IW. Nur noch ein Zehntel der Befragten sähen hier Probleme. 2004 hätten mehr als ein Drittel der west- und ein Viertel der ostdeutschen Firmen aufgrund der niedrigeren Arbeitskosten in den Beitrittsländern mit einem hohen Rationalisierungsdruck gerechnet. Eine Erklärung für diese Entwicklung sei, dass sich Deutschland und die neuen Beitrittsländer schon vor der Erweiterung wirtschaftlich integriert hatten.

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