Jacobs HPD-Motorbremse Fahrer testen Jake Brake

Fahrertest Jacobs Motorbremse Foto: Thomas Küppers 15 Bilder

Die Jake Brake hat in der Welt des Lkw seit einem halben Jahrhundert ihren festen Platz. Hersteller Jacobs Vehicle Systems plant nun den nächsten großen Entwicklungsschritt. Acht Kollegen gingen vorab auf Probefahrt.

Rund 60 Jahre ist es her, dass der US-Amerikaner Clessie Lyle Cummins ein Patent für die erste Lkw-Dekompressionsbremse erhielt. In Produktion ging das System schließlich Anfang der 1960er beim Unternehmen Jacobs Vehicle Systems, der landläufige Name steht bis heute: Jake Brake. Über die Jahrzehnte folgten zahlreiche Entwicklungsschritte, die aktuellen Jake-Brake-Generationen finden sich bei Motoren- und Lkw-Herstellern auf der ganzen Welt. So zum Beispiel in den globalen Daimler-Marken, den Paccar-Motoren von DAF, bei Cummins oder auch bei Hino und Hyundai in Asien. Noch Zukunftsmusik ist die Version HPD (High Power Density), für die Jacobs den Serieneinsatz – in Kooperation mit den jeweiligen Herstellern, da vollständig in die Motoren integriert – ab circa 2020 anpeilt.

Acht Kollegen konnten das System aber bereits jetzt ausprobieren: in einem Versuchsträger auf Basis Mercedes Actros 1845 Streamspace.

Warum ausgerechnet ein solcher Actros?

Ganz einfach: Die 450-PS-Version des 12,8 Liter großen Sechszylinders OM 471 in Verbindung mit dem aerodynamischen Streamspace-Fahrerhaus hält unter den europäischen Fernverkehrs-Sattelzugmaschinen einen satten Marktanteil, ist im Sinne einer Feldstudie also "repräsentativ". Im Triebstrang arbeitet serienmäßig das automatisierte Powershift-Getriebe mit zwölf Gängen, die Achsübersetzung lautet meistens 2,533 oder 2,611 zu 1. Jacobs entschied sich für die etwas kürzere Variante, die bei Autobahntempo 85 mit 315/70er-Reifen eine Motordrehzahl von exakt 1.200 U/min diktiert.

Auch mit Blick auf die derzeitige "High Performance Engine Brake" im Actros (letztlich eine dreistufige Jake Brake) ist die Übersetzung sinnvoll: Auf Autobahn und Landstraße liegen bei 90 km/h im zehnten beziehungsweise 70 km/h im neunten Gang jeweils rund 2.030 Umdrehungen an, das passt gut. Aber, und das ist die für die Testteilnehmer vom Start weg die erste Erfahrung mit dem neuen HPD-System: Solche hohen Drehzahlen braucht es künftig gar nicht mehr. Vorab aber noch kurz zum "Versuchsaufbau": Im Demofahrzeug überwacht ein Steuerungskasten hinter dem Beifahrersitz die Prozessabläufe, inklusive einer Kontrollleuchte, die im Motorbremsbetrieb von Weiß auf Grün wechselt.

Meinungen durch die Bank positiv

Über einen improvisierten Drehschalter vorn in der Armatur lassen sich fünf Stufen einstellen – ein Vorgriff auf die spätere Serie, denn laut Jacobs bevorzugen die OEMs einen entsprechend abgestuften Lenksäulenhebel. Auf den Probefahrten war Stufe zwei angesagt. Heißt: Wenn das Gaspedal gelöst wird, setzt sofort Bremswirkung ein. Beim mit 40 Tonnen voll ausgeladenen Sattelzug nötigt das den Testern schon an der ersten Autobahnabfahrt Respekt ab: "Der bremst bereits bei niedriger Drehzahl sehr stark", staunt nicht nur Marco den Hartogh. Bergab setzt sich das Szenario fort: Leistungsstark bei niedrigen Drehzahlen zwischen 1.000 und 1.500 Touren und leise sowie vibrationsarm noch dazu – die Meinungen sind durch die Bank positiv.

Die ersten Eindrücke scheinen also eines der Versprechen, die Jacobs dem HPD-System mit auf den Weg gibt, zu bestätigen: Eine Verdoppelung der Bremsleistung bei niedrigen Drehzahlen. Konkret sprechen die Amerikaner davon, dass das HPD-System bei 1.400 Umdrehungen die gleiche Bremsleistung liefert wie bisherige Motorbremsen bei 2.100 Umdrehungen. Im Durchschnitt, also über den gesamten Betriebsbereich des Motors betrachtet, soll die Bremsleistung um 50 Prozent höher liegen als bei herkömmlichen Dekompressionsbremsen. Bei der Präsentation auf der IAA 2016 gab Jacobs für einen 12,8-Liter-Motor eine maximale Verzögerungsleistung von 611 kW (831 PS) bei 2.500 U/min an – das reicht in der Tat in Retarder-Dimensionen hinein.

HPD-System hat keinerlei Einfluss auf Verbrauch

Etwas hoch gegriffen sind allerdings die genannten 175 Kilogramm Mindergewicht im Vergleich zu einem Retarder. Etwa 100 Kilogramm dürften es besser treffen, aber immerhin. Ein spruchreifer Aufpreis für das System ist in diesem frühen Stadium noch offen, als Orientierung spricht Jacobs von einer Amortisation der Anschaffung binnen sechs Monaten. Wie alle Testteilnehmer findet auch MAN-Fahrerin Ina Plate, dass das HPD-System leistungsmäßig in die Nähe eines Retarders kommt. "Aber ist das auch spritsparender?", hakt sie nach.

Die Jacobs-Mitarbeiter bejahen das: Das HPD-System habe keinen Einfluss auf den Verbrauch, da es im Gegensatz zum Retarder weder gekühlt werden muss noch irgendwelche Schleppverluste verursacht. Zwar gibt es inzwischen bereits auskuppelbare Retarder, aber das Kühlargument mit längeren Lüfterlaufzeiten bleibt. Was die Funktionsweise anbelangt, wandelt das HPD-System den Motor quasi in einen Zweitakt-Kompressor um: Statt eines Bremsvorgangs pro Vierttakt-Zyklus gibt es deren zwei, am Ende des Verdichtungs- und des Auslasstakts.

Volle Integration in Fahrzeugarchtiketur bis Serienreife

Das System ist in die Ventilsteuerung integriert, basiert auf Standardkomponenten und besteht im Wesentlichen aus zwei speziellen Kipphebeln und zwei Ventilbrücken pro Zylinder. Das Mehrgewicht gegenüber einer konventionellen Jake Brake beziffert Jacobs mit "ein paar Kilogramm". Geregelt wird die HPD-Bremse über die Motorsteuerung und Schnittstellen mit weiteren Systemen, einschließlich Getriebefunktionen wie dem GPS-Tempomaten, Geschwindigkeitsbegrenzer (Limiter), ABS, ESP und Abstandsregler mit Notbremsfunktion (für die meisten Fahrer und auch die Testteilnehmer heute die wichtigste Sicherheitseinrichtung überhaupt).

Kurz: Bis zur Serienreife soll das System voll in die jeweilige Fahrzeugarchitektur integriert sein. Es heißt jetzt erst einmal abwarten, wie sich die Situation in drei, vier Jahren darstellt – der FERNFAHRER bleibt jedenfalls am Ball.

Meinungen der Fahrer

Josef Spieker, 56, aus Haminkeln

Der 56-Jährige hat seinen Lkw-Führerschein ganz klassisch bei der Bundeswehr gemacht, heute arbeitet er als Fahrlehrer und -trainer. Sein Fahrschulauto ist ein Actros mit
Voith-Wasserretarder und vorausschauendem PPC-Tempomaten. "Ich erzähle den Leuten immer, dass sie für möglichst effizientes Fahren viel mit den Dauerbremsen fahren sollen. Ein Problem bei vielen Fahrschulen finde ich, dass es erst mal nur um das reine Fahren geht. Auf Feinheiten wie zum Beispiel den richtigen Motorbremseinsatz wird nicht viel Wert gelegt, das ist schade." Wie war das noch: Was Hänschen nicht lernt ... Aber zurück zum Thema. Bei seinen Fahrschülern ("gerade bei den Jüngeren") registriert er eine ausgesprochen positive Resonanz auf Assistenzsysteme wie Abstandswarner und Notbremsassistent, wobei wiederum starke Dauerbremsen das Rückgrat bilden. "Hier hat man schon bei 1.000 Umdrehungen eine starke Leistung und es wird nicht mal laut. Die Bremswirkung ist super, ich bin angenehm überrascht. Das kommt allemal an die Leistung von Retardern ran." Er nimmt sich die Zeit, die Runde ein zweites Mal mit einem ähnlich konfigurierten Serien-Actros mit normaler Motorbremse abzufahren: "In Gefällen, die HPD locker hält, geht’s jetzt auf über 1.900 Umdrehungen und ich muss teilweise noch beibremsen. Ein Riesenunterschied! Das System ist gut, auf alle Fälle."

Jens Gomoll, 43, aus Höxter

Der 460er Stralis des 43-Jährigen hat Automatik und Retarder – Abstandsregler und sonstige Assistenzsysteme aber nicht. "Wir haben in unserer Firma Iveco, DAF und Mercedes, zu 95 Prozent mit Retarder." Er ist häufig voll ausgeladen unterwegs und schätzt das verschleißfreie Bremsen. "Der Retarder ist für mich ein Muss, ich fahre viel damit. Der Chef beschwert sich schon, dass die Scheiben Flugrost drauf haben", erklärt er schmunzelnd. Im Versuchs-Actros gerät er auf der Autobahn zunächst in den Stop-and-go-Verkehr, bevor es flüssig weitergeht. "Der bremst beim Gas­wegnehmen sehr stark ab, das ist erst mal gewöhnungsbedürftig. Aber wenn er schneller ist, wird’s etwas weicher, das ist nicht schlecht." Im fünfprozentigen Autobahngefälle kann der zwölfte Gang drin bleiben ("hält der ganz locker"), bei sechs bis sieben Prozent die Landstraße bergab probiert er am Drehschalter Stufe vier und nickt anerkennend: "Zehnter Gang, konstant 62 km/h bei 1.400 Umdrehungen. Man muss praktisch nur vor engen Kurven einbremsen." Als er dann noch vom begleitenden Jacobs-Mit­arbei­ter erfährt, dass der Preis nur rund ein Viertel eines Retarders betragen soll, wird er hellhörig: "Das ist natürlich schon interessant. Wäre schön, wenn das gesparte Geld woanders reingesteckt wird, zum Beispiel in Sicherheitssysteme." Einen Tipp gibt er dem Prototyp dann noch mit auf den Weg: "Die Brems­leis­tung ist sehr gut, aber in der Ebene ist mir das beim Gaswegnehmen etwas zu ruppig – vielleicht erst weicher anbremsen und dann härter, wenn man zusätzlich die Bremse antippt. Aber auf jeden Fall kommt das System schon sehr in die Nähe vom Retarder."

Marco Den Harthogh, 46, aus Waardenburg, Niederlande

Als Selbstständiger hat sich der 46-Jährige für einen der letzten gebauten Renault Magnum entschieden, mit 480-PS-Motor und Optibrake-Motorbremse (bis 563 PS bei 2.300 U/min; basierend auf der Volvo VEB). "40 Tonnen sind mit meinem Tieflader Alltag. Ich bin mit der Motorbremse zufrieden. Die bremst gut, bei entsprechender Drehzahl natürlich." Dass beim Lösen des Gaspedals die Motorbremse einsetzt, kennt er von der entsprechenden Einstellung im Magnum her, allerdings nicht in HPD-Manier: "Die bremst schon bei niedriger Drehzahl sehr stark." Die kurvige Landstraße mit circa 55 km/h bergab verfestigt das Bild: "Das ­würde mein Magnum genauso halten – aber bei 2.100 Touren, hier sind wir bei 1.200!" Die Geräuschkulisse findet er okay: "Nicht zu laut und nicht zu leise, genau richtig. Man sollte schon noch hören können, dass die Motorbremse arbeitet." Wie die HPD-Bedienung im Serienzustand aussehen wird, ist ihm ziemlich egal (er mag schließlich auch die Ex-Renault-Marotte mit dem Bremshebel oben links hinterm Lenkrad). Für ihn als Selbstständigen zählt letztendlich, dass das Preis-Leistungs-Verhältnis stimmt: "Ein gutes System mit sehr guter Bremswirkung, ohne dass man über 1.500 Touren kommt. Ein echter Mehrwert für den Kunden."

Markus Bewernick, 52, aus st. Ingbert

Der Actros 2541 des 52-Jährigen hat noch den V6-Motor OM 501, ausgestattet nur mit Motorbremse (bis 367 PS bei 2.300 U/min; Auspuffklappe und Kon­s­tantdrossel). Er fährt mit Tandemanhänger im Geträn­ke-Verteilerverkehr und ist abends daheim. "Die Fahrzeuge werden bei uns ohne Retarder angeschafft. Unsere neuen Antos haben aber ansonsten alles drin, Abstandswarner, Spurwächter et cetera. Meiner hat so was nicht. Manche empfinden solche Systeme als Bevormundung, ich finde die dagegen voll in Ordnung." Ein höherer Bremsenverschleiß ist im Lieferverkehr unvermeidlich. "Wir haben viel Stop-and-go, teilweise bis zu 17, 18 Kunden am Tag. Ich fahre zwar sehr viel mit Motorbremse, aber voll beladen ist die ein bisschen mager und ich muss immer wieder beibremsen. Dabei schaltet die Automatik bereits bis kurz vor den roten Bereich, das tut mir schon von der Drehzahl her weh." Kein Wunder, dass ihm das HPD-System spontan zusagt. "Die hohe Leistung bereis bei niedriger Drehzahl ist klasse, das ist schon ein großer Unterschied. Dabei spricht die Motorbremse sehr gut an, fast wie ein Retarder. Und das bei einem Viertel der Kosten? Das sollte für Unternehmer auf jeden Fall interessant sein." Er fährt seit fast 30 Jahren und erinnert sich an Zeiten, als auf manchen Touren selbst der Retarder zu heiß wurde. "Da finde ich auf jeden Fall besser, dass das System hier nichts mit der Kühlung zu tun hat. Eine schöne Sache."

Bruno Dam’ico, 44, aus Blochingen

Der Actros 1845 des 44-Jährigen ist rund fünf Jahre alt und mit Retarder ausgestattet. "Ich fahre viel damit und hab’ noch die ersten Bremsen drauf. Das kann man mit früher gar nicht vergleichen. In meiner Lehrzeit ’89 bis ’91 war noch das Unglück von Herborn ein großes Thema. Man war auf manchen Touren froh, wenn es geregnet hatte und die Trommelbremsen abgekühlt waren. Den San Bernadino runter zum Beispiel ..." Im HPD-Versuchsfahrzeug erkundigt er sich nach der für später geplanten Bedienung ("Mit Hebel am Lenkrad? Ist gut, hat sich ja auch durchgesetzt") und checkt bergab die Leistung. "Zieht gut bei niedrigen Drehzahlen! Kommt nicht ganz an den Retarder ran, aber fast. Ich sag mal so 80, 90 Prozent. Dafür hat man weniger Gewicht, das ist gut. Und das gesparte Geld kann der Chef für den Fahrer ausgeben", meint er lachend. In Sachen Assistenzsysteme schätzt er vor allem den Abstandsregler, dafür sieht er auch die HPD-Bremse gerüstet. Kurzum: "Ich sehe auf jeden Fall Potenzial für das System. Die Motorbremse zieht jetzt schon gut, von 1.000 Umdrehungen an, und wird vermutlich weiter optimiert. Der Feinschliff kommt ja bestimmt noch."

Alexander Denk, 34, aus Dillingen

Der 34-Jährige kümmert sich im Fuhrpark eines Kieswerks um die gesamte Technik und fährt hin und wieder selbst. "Wir fahren im Nahverkehr überwiegend Landstraße. Zwar haben auch die Kipper inzwischen Automatik, aber Retarder kaufen wir nicht, es sei denn bei Fahrzeugen mit Hydrodrive. Das hat natürlich auch eine Kostenseite, die Fahrer wollen zuallererst eine Klimaanlage. Eine starke, günstige Motorbremse könnte allerdings ein Kompromiss sein. Gibt es da einen Ansatz?" Seitens Jacobs tut man sich mit verbindlichen Auskünften verständlicherweise noch schwer, nur so viel: Daimler soll später ebenso zu den Kunden zählen wie weitere Motorenhersteller. Und der Aufpreis dürfte sich irgendwo zwischen 1.500 und 2.000 Euro einpendeln. Er empfindet das dumpfe Brummen der Motorbremse als recht angenehm, wobei ihm auch auffällt, dass HPD nicht mit Auspuffklappe arbeitet ("das Geräusch ist weg"). Die Leistung in den Autobahn- und Landstraßengefällen tut ihr Übriges: "Bei derart niedrigen Drehzahlen, 1.300 und weniger, hält das bei uns kein Auto. Es ist leise und du hast noch Reserven, falls er dir doch mal wegläuft." Das niedrige Zusatzgewicht sagt ihm ebenfalls zu ("brauchen mit Schüttgut ja hohe Nutzlast"), was ihn für die Zukunft des Systems positiv stimmt: "Das ist auf jeden Fall mal was Innovatives."

Dieser Artikel stammt aus diesem Heft
FF 02 2017 Titel
FERNFAHRER 02 / 2017
9. Januar 2017
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