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Thomas Zernechel von VW im Gespräch Volkswagen entwickelt Ideen für City-Logistik

Thomas Zernechel Leiter Konzernlogistik Volkswagen Foto: Volkswagen

Thomas Zernechel, Leiter der VW-Konzernlogistik, über Bahntransporte, Digitalisierung und Ansätze zur City-Logistik.

trans aktuell: Herr Zernechel, dem Volkswagen-Konzern ist natürlich daran gelegen, die Nachfrage nach Lkw weiter hoch zu halten. Dennoch haben Sie viele Verkehre auf die Schiene verlegt. Wie hoch ist inzwischen der Intermodal-Anteil?

Zernechel: Wir bewältigen den Zwischenwerksverkehr größtenteils mit der Bahn. Diese nimmt in unserer Materiallogistik einen hohen Anteil ein, ebenso wie bei den Fertigfahrzeugen, von denen wir zwischen 50 und 70 Prozent auf der Schiene abwickeln – das ist abhängig vom Werk und von der zu fahrenden Relation. Beispielsweise wickeln wir alle Transporte für unser Werk Emden mit der Bahn ab, auch aus der Türkei holen wir einiges im kombinierten Verkehr. Im Kaufteilsektor sind wir aufgrund gebrochener Verkehre und weniger Entladestellen noch in starkem Maß vom Lkw abhängig. Wir scannen den Markt ständig und probieren vieles aus. Eine Technologie, die wir einsetzen, ist etwa das Umschlagsystem Cargobeamer. Dafür benötigen wir keine spezielle Infrastruktur im Verladebahnhof.

Die automobile Lieferkette ist eng getaktet. Wie gehen Sie mit Verzögerungen um?

Vor dem Hintergrund des weiter zunehmenden Verkehrs ist es immer schwieriger, alle Transporte abzusichern. Wir haben immer den notwendigen Sicherheitsbestand im Haus. Dieser deckt mindestens den Zeitraum ab, den wir benötigen, um neues Material vom Lieferanten an die Linie zu bringen. Im Engpassfall weichen wir dabei auf den schnelleren Lkw aus. Aber generell ist der Bahntransport unser bevorzugtes Transportmittel und spart außerdem CO2-Emissionen.

Gibt es eine Zielsetzung der Volkswagen-Logistik zur Reduzierung der CO2-Emissionen?

Wir treiben unsere Initiative Green Logistics voran, in der wir in der Konzernlogistik und zusammen mit meinen Kollegen der Markenlogistiken sehr vernetzt arbeiten. Wir Logistiker haben Glück, weil wir die nachhaltigste Möglichkeit haben, CO2 einzusparen: indem wir Verkehre vermeiden. Das heißt, die Materialien so gut zu verpacken, dass nur ein geringes Verpackungsvolumen entsteht, und die Transporte immer top auszulasten, um möglichst wenig Verkehrsleistung zu generieren. Das ist unser Bestreben.

Was sind weitere Maßnahmen?

Weniger Verpackungsaufwand erreichen wir etwa mit unseren Mehrwegbehältersystemen nach dem Quelle-Senke-Prinzip, was uns viele Rücksendeverkehre auf der langen Strecke erspart. Und als weiteres Beispiel setzen wir für unsere Nordamerikaverkehre künftig auf zwei LNG-Schiffe. Auch arbeiten wir eng mit unseren Kollegen aus der Marke Scania zusammen, um das Thema LNG-Lkw mit großem Antrieb zu pushen. Unser Ziel ist, dass wir LNG-Lkw künftig auf vielen Strecken fahren können und dafür das entsprechende Tankstellennetz haben. So wird demnächst schon eine weitere LNG-Tankstelle in Hamburg eröffnen, und wir wollen in Norddeutschland bald mehr als 100 LNG-Lkw auf die Straße bringen. Dafür sind wir in ständigem Gespräch mit unseren Spediteuren. Darunter sind Unternehmer, die bereit sind, mitzuinvestieren. Wenn die Infrastruktur steht, bekommen wir auch die Spediteure schneller dazu, die Technologie zu nutzen.

Welchen Antrieb halten Sie neben LNG für zukunftsfähig für den Güterverkehr – die Brennstoffzelle?

Das ist meiner Ansicht nach eine Frage dessen, wie man die Erzeugung wirtschaftlich organisieren kann. Wir setzen in Chattanooga zu 100 Prozent Flurförderzeuge ein, die mit Brennstoffzellen betrieben werden. Das rechnet sich aber noch nicht überall, weil der Prozess der Wasserstoffgewinnung sehr aufwendig ist. Die Erkenntnis aus der Vergangenheit ist, sich nicht auf eine Richtung festzulegen. Kurzfristig machbar und gut für die Umwelt sind meiner Meinung nach deshalb ein verstärkter Bahn- und kombinierter Verkehr, der Einsatz von LNG, aber auch weitere Schiffsverkehre. Als Beispiel: Wir versenden unsere CKD-Materialien inzwischen per Binnenschiff statt per Lkw vom GVZ Wolfsburg nach Hamburg.

Mehr Effizienz in der Lieferkette soll auch die Digitalisierung der Logistik bringen. Welche Eisen hat VW hier im Feuer?

Die Digitalisierung ist ein strategisches Element bei uns. Wir glauben, dass die Prozesse dadurch noch transparenter werden und die Zusammenarbeit zwischen Dienstleistern, Lieferanten und den jeweiligen Logistiken in unseren Werken noch enger wird, weil jeder weiß, wo der andere im Prozess steht. Dabei hilft uns unsere vernetzte Plattform Discovery, die wir noch immer ausrollen und in Kürze in Gesamteuropa einsetzen werden.

Da sammeln Sie ja eine Menge Daten. Was stellen Sie mit denen an?

Volkswagen liefert pro Jahr rund elf Millionen Fahrzeuge aus – allein bei den weltweiten Materialströmen entstehen natürlich viele Daten. Zentral ist gerade das Thema, eine Datenhaltung für das gesamte Unternehmen zu haben. Uns helfen die gemeinsamen Daten bei der Optimierung unserer Geschäftsmodelle. Zudem diskutieren wir mit unseren Truckherstellern MAN und Scania, wie man die vielen Informationen nutzen kann. Vielleicht können unsere Daten im nächsten Schritt die Plattform RIO unterstützen.

Wie sieht es mit dem Thema Automatisierung aus? Steht in zehn Jahren noch ein VW-Mitarbeiter im Wareneingang?

Ob noch einer an der Rampe steht, kann ich nicht sagen. Im Werk Kassel werden Lkw schon heute automatisch be- und entladen, da braucht es faktisch keinen Menschen mit seinem Gabelstapler mehr. Die große Chance in der Automatisierung liegt aber noch im Kommissionieren und Bereitstellen von Material. Ich glaube, dass dort modernste Greifertechnologie und Bild-Erkennung die künftigen Top-Technologien sein werden. Mit den Kollegen aus der Werklogistik Wolfsburg probieren wir gerade eine Technologie aus, mit der per Bild-Erkennung die Ware "gelesen" wird, also ohne händisches Scannen.

In der Halle B im Güterverkehrszentrum (GVZ) Ingolstadt sind Logistik und Produktion unter einem Dach – ein Idealfall, um effizienten und nachhaltigen Prozessen gerecht zu werden. Rund 500 Audi-Mitarbeiter sind in den Vormontagecentern Hinterachsen- und Cockpitmodul-Fertigung und den zugehörigen Logistikbereichen tätig. Die Halle B ist ein Gemeinschaftsprojekt der AUDI AG und der IFG Ingolstadt.
Im Bild: Automatisiertes Fahrerloses Flurförderzeug holt Material im sogenannten Supermarkt ab, um es zur Vormontagelinie zu transportieren Foto: Audi AG
Mehr Effizienz durch Automatisierung: Ein fahrerloses Flurförderzeug holt im Güterverkehrszentrum Ingolstadt Material im sogenannten Supermarkt ab, um es zur Vormontagelinie von Audi zu transportieren.
Ist die Automatisierung auch eine Lösung für den Transport, etwa in Form von Platooning bei Shuttleverkehren?

Zur Automatisierung von Transporten sind wir stark mit unseren Kollegen von MAN in Kontakt und testen diese neuen Lösungen gemeinsam in der Logistik im Volkswagen-Konzern. Platooning und autonomes Fahren sind grundsätzlich eine große Chance und technisch auch machbar – in den Häfen werden ja Container schon autonom bewegt, und auch unsere Flurförderzeuge in den Fabriken fahren schon teilweise autonom. Auf der Straße wird es allerdings aufgrund der Gesetzgebung noch ein paar Jahre dauern. Und in der Gesellschaft muss erst die Akzeptanz für solche Fahrzeuge ohne Fahrer geschaffen werden.

Welche Auswirkungen hat die Digitalisierung auf die Mitarbeiter in der Logistik?

Wir brauchen immer mehr IT-Experten. Und das nicht aus der IT-Abteilung, sondern aus der Logistik. Das sind Mitarbeiter, die beispielsweise programmieren oder optimieren können und damit Werkzeuge für die digitale Unterstützung unserer Prozesse herstellen. Da werden wir also zusätzliche Kompetenzen brauchen.

Logistik ist für viele immer nur die Trittleiter. Wie ist das Bild in der Industrie?

Zum Teil gibt es in der Industrie vielleicht noch diese Ansichten – aber nicht bei Volkswagen. Ferner haben wir eine konzerneigene Wertschöpfung von rund 30 Prozent, etwa 70 Prozent unserer Wertschöpfung kommt von extern. Wer organisiert das? Wir Logistiker. Wer sorgt dafür, dass das fertige Produkt in den Handel kommt? Wir Logistiker. Wir halten den Kundenauftrag in der Hand und steuern ihn durch den gesamten Fertigungsprozess, damit das Fahrzeug pünktlich beim Kunden ist. Wir haben also einen sehr hohen Anteil an der Wertschöpfung. Nicht monetär, aber durch unsere Steuerung. Wenn die Logistik nicht funktioniert, merkt man das sofort.

Das wissen aber nicht alle zu schätzen.

Klar, wer an Logistik denkt, sieht den Lkw draußen auf der Straße oder auf der Autobahn vor sich und ist nicht begeistert. Gleichzeitig will aber jeder sein Paket am besten noch heute erhalten. Nicht dass ich gegen Onlinehandel wäre – aber muss jedes Ding separat verschickt und mit einer Verpackung versehen werden, die das Fünffache des eigentlichen Materials mit sich bringt? Das ist eine Katastrophe. Der Einzelhandel könnte von uns lernen, wie man mit der Ressource Transport und Verpackung umgehen kann.

Könnte da in der City-Logistik ein neues Volkswagen-Geschäftsmodell entstehen?

Darüber denken wir tatsächlich nach – schließlich haben wir die besten Kompetenzen bei der Bündelung von Transporten. Unser klassisches Geschäft sind die Versorgung der Werke mit Material und die Entsorgung mit den Fahrzeugen. Vielleicht gibt es aber tatsächlich eine Möglichkeit, bei der Städtelogistik etwas mitzugestalten. Man kann sich einiges vorstellen.

Können Sie dazu mehr erzählen?

Wir haben dazu Ideen – mehr kann ich jetzt dazu noch nicht sagen. Als hundertprozentige Tochter des Konzerns sind wir selbstständig und können unsere Dienste auch an Dritte verkaufen. Wir haben eine gute Basis in den logistischen Prozessen, ein riesiges Netzwerk und alle Mittel zur digitalen Steuerung – diese Bereiche können wir auch bei einer City-Logistik zusammenbringen. Wenn man sich das Werk Wolfsburg anschaut, welche Mengen an Material da täglich rein- und rausgehen: Das ist wie eine kleine Stadt. Wir glauben, dass wir da etwas übertragen können.

Zur Person

  • Thomas Zernechel hat seit 2004 die Leitung der Volkswagen-Konzern­logistik inne. Dazu gehören die Steuerung des markenübergreifenden Produktionsnetzwerks und die konzernweite Material- und Fahrzeuglogistik

  • Bei Volkswagen ist Zernechel seit 1992, als er die Leitung der Disposition in Wolfsburg übernahm. Nach Stationen unter anderem in Pamplona und Bratislava arbeitete er ab 2004 an der Neugründung und Konsolidierung der Konzernlogistik und der Volkswagen Logistics mit
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