Feuerwehr im Einsatz auf der Autobahn Kein Job für schwache Nerven

Report Autobahnlebensretter Freiwillige Feuerwehr Königswinter, FF 4/2019, Lkw-Unfall, Rettung, Bergung, Autobahn. Foto: Ralf Klodt 9 Bilder

Der Löschzug Ittenbach der Freiwilligen Feuerwehr Königswinter ist mit seiner Spezialausrüstung auf die Rettung kompliziert verunfallter Lkw-Fahrer spezialisiert. Einsatzgebiet ist die Autobahn A3.

Der Lkw-Unfall mit drei beteiligten Fahrzeugen am 1. Februar 2019 auf der A3 kurz hinter dem Autobahnkreuz Siegburg/Bonn, Fahrtrichtung Köln, ist heftig. Und er platzt mitten in die Recherche für diese Reportage über die Autobahnlebensretter des Löschzugs Ittenbach von der Freiwilligen Feuerwehr Königswinter. Ein Gliederzug hatte ein Stauende übersehen und war ins Heck eines Sattelzugs gerast. So heftig, dass das Fahrerhaus zurück in den leeren Kofferaufbau gedrückt wurde. Die drei Fahrzeuge standen quer zur Fahrbahn, die Fahrspur Richtung Köln war bis in den frühen Abend gesperrt. Nachrückende Kräfte konnten zunächst aufgrund einer nicht gebildeten Rettungsgasse nicht zum Unfallort gelangen und mussten zum Teil 500 Meter weit laufen. "Dort haben wir gekämpft wie die Löwen", erzählt Michael Klingmüller, stellvertretender Leiter der Feuerwehr Königswinter. Zum Glück waren der Sattelzug wie auch der Gliederzug nur mit wenigen Paletten beladen. So gelang den Einsatzkräften ein Zugang über die Ladefläche des Lkw.

Täglich rast ein Lkw in ein Stauende

Zwei Notärzte und mehrere Notfallsanitäter versorgten den Fahrer noch im Lkw. Nach rund 1,5 Stunden konnte der Mann mit schwerem Gerät befreit und dem Rettungsdienst übergeben werden. "Ich hätte nicht gedacht, dass es so schnell wieder in unserem Einsatzbereich passiert", sagt Klingmüller. Tags zuvor hatte er bereits eine Vorahnung. Eine Baustelle mit Verengung der Fahrstreifen hatte dort auf der A 3 zu einem Rückstau geführt. Und der ist immer eine potenzielle Gefahr für einen schweren Auffahrunfall. Auf den überlasteten deutschen Autobahnen rast praktisch jeden Tag ein Lkw in ein Stauende – was kürzlich sogar den Verkehrsgerichtstag in Goslar auf den Plan gerufen hat. Jeder Unfall mit einer schwer eingeklemmten Person ist ein Fall für die Feuerwehr mit ihrem Spezialgerät. Diese Reportage gilt daher stellvertretend für alle Autobahnretter, die rund um die Uhr bereit sind, unter anderem den verunfallten Lkw-Fahrern zu helfen. Im FERNFAHRER 1/2019 hatten wir bereits über einen anderen dramatischen Unfall auf der A3 berichtet. Ein junger Lkw-Fahrer aus Rumänien hatte am 22. Oktober 2018 auf der mittleren Spur der Autobahn abrupt gebremst, um noch die Ausfahrt zu erwischen. Ein weiterer junger Kraftfahrer, ebenfalls aus Rumänien, konnte als letzter von vier direkt nachfolgenden Sattelzügen seinen Kühlzug nicht mehr rechtzeitig abbremsen und raste mit der linken Hälfte seines Scania R 450 ins Heck des Vordermanns.

Der Aufprall war so heftig, dass ein Teil der geladenen Schweinehälften die Wand des Kühlaufbaus durchbrach. Der junge Mann starb noch am Unfallort, der Verursacher beging Fahrerflucht. Zwei deutsche Fahrer gaben der Polizei kurz darauf den entscheidenden Tipp, dass der Unfallverursacher über die Ausfahrt auf den Aral-Autohof Bad Honnef geflüchtet war. FERNFAHRER beschloss nach diesem tragischen Geschehen, dem für diesen Autobahnabschnitt zuständigen Löschzug Ittenbach einen Besuch abzustatten. Die Einheit ist nun genau so alt, wie die bekannte Notrufnummer lautet: 112 Jahre. Am Tisch im Gerätehaus sitzen vier der 43 aktiven Mitglieder (darunter zwei Frauen) und erzählen über diesen Einsatz: Michael Klingmüller, der seinen neunjährigen, feuerwehrbegeisterten Sohn Michel mitgebracht hat, Marc Neunkirchen, der stellvertretende Pressesprecher, Unterbrandmeister Mario Grineisen sowie Manuel Nagel, stellvertretender Einheitsführer. Es sind, wie alle Ehrenamtlichen, Männer, die normalen Berufen nachgehen: technischer Angestellter, Baumpfleger, Dachdecker und Industriemeister. Die dann von einer Minute auf die andere aus ihrem Alltag gerissen werden, wenn der Notruf kommt. "Jeder von uns hat einen Funkmeldeempfänger", erklärt Neunkirchen. "Jeder, der den Notruf bekommt, lässt sofort alles stehen und liegen und kommt zum Gerätehaus. Die ersten rücken sofort aus. Dadurch können wir eine so schnelle Einsatzzeit garantieren."

Report Autobahnlebensretter FF 4/2019, Freiwillige Feuerwehr Königswinter. Foto: Jan Bergrath
Die Bildung einer Rettungsgasse bei Stau ist mittlerweile Pflicht. Leider halten sich nicht alle Verkehrsteilnehmer daran.

Fehlende Rettungsgasse behindert Rettung

Acht Löschzüge hat die Freiwillige Feuerwehr Königswinter, das Einsatzgebiet umfasst neben dem reinen Stadtgebiet und den umliegenden Ortschaften auch ein Teilstück des Rheins, der ICE-Strecke und eben der A3. Geht der Notruf ein, entscheidet in diesem Fall die Leitstelle im Kreishaus in Siegburg, welcher Löschzug zum Einsatz kommt. Das Teilstück des für die A3 zuständigen Löschzugs Ittenbach reicht vom Autobahnkreuz Bonn/Siegburg bis Bad Honnef/Linz. "Jeder Löschzug ist auf seine Weise spezialisiert", erläutert Neunkirchen, "wir haben ein Tanklöschfahrzeug, ein Löschgruppenfahrzeug und einen Mannschaftstransporter. Aber für unseren Einsatzbereich entscheidend ist unser Rüstwagen." Der Rüstwagen, ein MAN 10.224, hat weder Wasser noch Ausstattung zur Brandbekämpfung an Bord, sondern liefert nur Werkzeug und Gerät zur sogenannten technischen Hilfeleistung an die Einsatzstelle. Er verfügt über einen größeren hydraulischen Rettungssatz mit Schere, Spreizer und Rettungszylindern. Damit können verformte Karosserieteile aufgestemmt oder abgetrennt werden. Pneumatische und hydraulische Hebemittel dienen zum Anheben von Fahrzeugen. Der Rüstwagen besitzt einen fest eingebauten Stromerzeuger und eine Seilwinde mit fünf Tonnen Zugkraft. Durch eine lose Rolle lässt sich die Zugkraft auf zehn Tonnen verdoppeln.

Die Faustregel bei der Rettung eingeklemmter Fahrer lautet: Binnen einer Stunde sollte die eingeklemmte Person im nächstgelegenen Krankenhaus sein. Umso schlimmer, wenn durch das Fehlverhalten der übrigen Verkehrsteilnehmer wertvolle Zeit verloren geht. "Es ist für uns als Einsatzkräfte, die wissen, dass sie einen schwer eingeklemmten Lkw-Fahrer aus einem zusammengedrückten Haufen Blech befreien müssen, schier unerträglich, wenn wir nicht so schnell zur Unfallstelle kommen, wie wir es könnten – nur weil Pkw und Lkw keine Rettungsgasse gebildet haben", sagt Mario Grineisen im Gespräch. Um 17.38 Uhr ging der heutige Notruf ein, kurz danach waren alle verfügbaren Kräfte auf dem Weg. "Auch hier mussten wir im Blaulichteinsatz wieder erst einige Lkw-Fahrer bitten, Platz zu machen." Doch was der Löschzug Ittenbach, der noch von zwei weiteren Einheiten aus Königswinter mit dann insgesamt 50 Einsatzkräften unterstützt wird, am 22. Oktober 2018 erlebte, hat sich bis heute tief ins Gedächtnis eingegraben. "Die Lkw waren derart ineinander verkeilt, dass wir zuerst gar nicht an den Fahrer herankamen", erklärt Manuel Nagel. "Auch die anderen Lkw konnten aufgrund zerstörter Bremsleitungen nicht bewegt werden. Mithilfe eines ADAC-Bergefahrzeugs mit Seilwinde, das am Aral-Autohof steht und daher sofort vor Ort war, mussten wir gemeinsam die Lkw regelrecht wegruckeln, um überhaupt eine Chance zu haben, unser Spezialgerät einzusetzen. Die beiden anderen Fahrer haben dabei, so gut es ging, geholfen."

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Wöchentlich findet eine Einsatzbesprechung statt

Schwere Unfälle mit Lkw sind grausam, der Anblick zerquetschter Körper zwischen bis zur Unkenntlichkeit zerdrücktem Blech, Stahl und Kunststoff ist selbst für erfahrene Feuerwehrleute schwer zu ertragen. "Die Notärztin konnte schließlich den linken Arm des eingeklemmten Fahrers erreichen", beschreibt Neunkirchen den Kampf um das Leben des jungen Rumänen, dessen Vater auch mit an Bord war und der sich aber aus eigener Kraft aus der weniger stark demolierten Beifahrerseite befreien konnte. "Sie hat sehr bald festgestellt, dass der Fahrer bereits tot war. Das hat auch uns etwas den Druck genommen. Wir mussten uns nun darauf konzentrieren, einen leblosen Körper zu bergen. Das hat alles in allem drei Stunden gedauert, vier Stunden waren wir im Einsatz." Zurück im Gerätehaus, werden die Fahrzeuge nach jedem Einsatz wieder für den nächsten Notruf vorbereitet. "Erst dann kommen auch wir zur Ruhe und reden über den Einsatz", erzählt Klingmüller. Eine ausführliche Einsatzbesprechung erfolgt eine Woche später. Was den Autobahnrettern des Löschzugs Ittenbach hilft, diese Situationen auch mental immer wieder zu überstehen, ist die über Jahre gewachsene Gemeinschaft. Und dass der Nachwuchs in der Kinder- und Jugendfeuerwehr schon bereitsteht.

Blaulicht-Reporter Ralf Klodt, Report Autobahnlebensretter FF 4/2019, Freiwillige Feuerwehr Königswinter. Foto: Jan Bergrath
Ralf Klodt begleitet als Fotograf viele Einsätze der freiwilligen Feuerwehr.

Blaulichtreporter mit Grundsätzen

Ralf Klodt begleitet als Fotograf für die Lokalpresse auch die Feuerwehr zu ihren Einsätzen. Für ihn gilt eine Grundregel: „Man muss keine Opfer eines Unfalls im Bild zeigen, um die Zerstörung zu demonstrieren.“ Hat er in der Hektik vor Ort doch so ein Motiv aufgenommen, entscheidet er am PC bewusst, dies nicht an die Redaktion zu senden. Klodt beklagt, dass diese Ethik bei den vielen Unfall-„Gaffern“ nicht mehr existiert.

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