TRATON-Talk zur Zukunft des Lkw-Fahrers Eine riesige Herausforderung

Joachim Mottl Foto: Joachim Mottl
Meinung

Während der IAA-Nutzfahrzeuge gab es auf der Bühne der TRATON-Gruppe eine informative Expertendiskussion zu Situation und Zukunft des Kraftfahrerberufs. Fazit: Es wird endlich Zeit, zu handeln.

Die Nutzfahrzeug-IAA des Jahres 2018 in Hannover ist erfolgreich verlaufen. Über die vielen technischen Innovationen und die neuen Konzepte der Digitalisierung haben meine Kollegen von eurotransport.de bereits ausgiebig berichtet. Doch erstmals drängte sich ein sorgenvoller Gedanke in die sehr gut besuchten Hallen: Wer wird diese Fahrzeuge eines Tages überhaupt noch steuern, wenn sich der bereits akute Fahrermangel der Gegenwart in der Zukunft noch stärker ausweitet? So war es einer Runde von gut ausgesuchten Experten auf der Bühne der TRATON Group in Halle 12 überlassen, unter der Moderation von Werner Bicker, dem Mitbegründer der Fachzeitschrift trans aktuell und heutigem Vorsitzenden des Verbandes der Motorjournalisten, über die „Zukunft des Fahrers“ zu diskutieren und nach möglichen Lösungen zu suchen, wie dieser Beruf vielleicht wieder an Attraktivität gewinnen kann. Der komplette TRATON-Talk wurde aufgezeichnet und ist in bester Fernsehqualität hier zu finden.

Bis 2025 sollen europaweit 200.000 Fahrer fehlen

Gastgeber Holger Mandel, Vorsitzender der Geschäftsführung von MAN Truck & Bus Deutschland, brachte zu Beginn das Problem auf den Punkt: 45.000 Berufskraftfahrer fehlen bereits heute, 30.000 scheiden nach Berechnungen jedes Jahr aus, nur 16.000 rücken im Rahmen der dreijährigen Ausbildung oder der sechsmonatigen Umschulung zum EU-Berufskraftfahrer nach. Die Konsequenz laut Mandel: Bis 2025 werden europaweit in der innerstädtischen Distribution 100.000 Fahrer, im Fernverkehr 200.000 Fahrer fehlen. "Das ist eine riesige gesellschaftliche Herausforderung, die zu lösen sein wird, wenn es in den kommenden Jahren an Weihnachten noch Geschenke geben soll", erklärte Mandel. Und er forderte gleich zu Beginn dazu auf, nicht nur einmal mehr zu reden, sondern baldmöglichst nun auch zu handeln.

Um diesen drängendsten Probleme von Gegenwart und Zukunft zusammen mit ihm abzustecken, saßen ebenfalls auf dem Podium: Udo Schiefner, stellvertretender Sprecher Verkehrspolitik der SPD-Bundestagsfraktion, Spediteur Hubertus Kobernuss, unter anderem auch Vorsitzender der Fachvereinigung Güterkraftverkehr und Entsorgung im Gesamtverband Verkehrsgewerbe Niedersachsen (GVN), Thomas Zernechel, Leiter der VW Konzernlogistik, Jörg Mannsperger, Leiter der Dekra Akademie sowie der Lkw-Fahrer Axel Flaake. Dazu als besondere Talk-Gäste: Matthias Maedge, der Generalbevollmächtigte der Internationalen Straßentransportunion (IRU) in Brüssel, Lkw-Fahrer Maik Erdmann als Blogger und Kenner der Fahrerszene auf Facebook, sowie last but noch least, ich als Autor des ETM Verlages, der diese Veranstaltung mit konzipiert hat. Eine über weite Strecken kurzweilige und teils erfrischend kontroverse Runde mit manchmal oft nur angeschnittenen Themen, die sich lohnt, im Nachgang noch einmal genauer anzusehen. Es geht im Wesentlichen um fünf Themengebiete, die ich hier gleichzeitig kommentiere.

Diskussion um automatisiertes Fahren schreckt Fahrernachwuchs ab

Vor der eigentlichen Diskussion gab Claudia Ball von der Dekra Akademie in einem Vortrag Einblicke, wie sich der Beruf des Fahrers aus Sicht externer Experten bis 2030 entwickeln könnte. Eins ist klar, die bereits beginnende Phase des teilautomatisierten Fahrens in Kombination mit den fortschreitenden Prozessen der Digitalisierung und der Konnektivität, also der Verbindung des Fahrzeuges mit seiner Umwelt und der Disposition, wird einen anderen Typus Fahrer verlangen. Nämlich einen, der den Lkw vor allem über längere Strecken fortan mit reichlich technischer Unterstützung zum Ziel bringt und im Lkw mehr zum Aufseher über das Fahrzeug und zum Verwalter der dort einlaufenden unterschiedlichen Daten wird. Uneins ist man sich, inwieweit der Fahrer dann noch selber be- und entladen wird oder dies nur noch überwacht. Auch der Spediteur Kobernuss sieht den Fahrerjob nicht gänzlich verloren. Für ihn bekommt der Fahrer künftig andere Aufgaben – eben auch das Be- und Entladen. Nur eins scheint unstrittig: Der Fahrer der Zukunft wird im Lkw nicht disponieren, wie es die Nutzfahrzeug-Industrie schon vorgestellt hat. Eher werden Disponenten demnächst Lkw fahren.

Der große Haken: Alle bisherigen Fahrer wählen den Beruf gerade, weil sie Lkw mit möglichst hoher Leistung und komfortabler Ausstattung selber fahren wollen – wenn auch nicht unter den aktuellen Straßenverhältnissen und Arbeitsbedingungen. Die nun propagierte Aussicht, bis zur noch fernen Vollendung des autonomen Fahrens immer mehr Aktivitäten im Cockpit an Algorithmen abzugeben, könnte genau diese Zielgruppe womöglich ganz vom Beruf abbringen. Wer nur Lkw entladen möchte, der ist als Fachkraft für Lagerlogistik besser aufgehoben. Schon allein die derzeitige Diskussion darüber, ob es in Zukunft Fahrer überhaupt noch braucht, da war sich das Podium einig, verschärft das Fahrerproblem. Wenn sich junge Menschen und besonders ihre Eltern fragen, ob es sich unter dieser Prämisse noch lohnt, den Fahrerberuf zu erlernen, scheint die Antwort klar. Dazu werden – und das in allen Ländern Europas – derzeit über staatliche Maßnahmen aus purer Not Menschen in den Beruf gedrängt, die bis vor kurzem noch nicht einmal zu einem Bewerbungsgespräch geladen worden wären.

Auch weil Transport zu billig ist, leidet das Image

Immer wieder taucht, nicht nur in dieser Runde, der Satz auf: Wir brauchen ein besseres Image. Image kann man in einer Kampagne erzeugen, beispielsweise dadurch, indem man Lkw mit geistreichen Sprüchen über die Bedeutung der Logistik auf die Straße schickt und putzige Symbolfiguren wie den Brummi des BGL neu erweckt. Doch die Verbraucher kaufen weiter gedankenlos zehn Paar Schuhe im Internet und schicken neun Paar davon wieder zurück, weil der Transport zu billig ist und sich halt doch überwiegend in der Parallelwelt der restlos überfüllten Autobahnen abspielt, wo der Lkw zum Gegner der Pkw-Fahrer geworden ist im Kampf um Zeit und Parkraum. Und jeder schwere Lkw-Unfall, der heute sofort in den Medien veröffentlicht wird, sorgt für ein weiter zunehmend schlechtes Image. Hier beißt sich die Katze in den Schwanz: Das Geld für den Ausbau der Infrastruktur ist da, es wird auch eingesetzt. Die Folge sind Baustellen, die zu ellenlangen Staus führen und daher zu Unfällen. Und damit letzten Endes zu Stress für den Fahrer, die sich alleine gelassen fühlen. Wie das aktuell auf der A 2 aussieht, habe ich in der Ausgabe 11 des Magazins FERNFAHRER beschrieben, die am 6. Oktober erscheint.

Uneinigkeit über die Höhe von Fahrerlöhnen

Längst bemühen sich vor allem die mittelständischen Unternehmen, ihre Arbeitsbedingungen zu verbessern. Frachtführer mit modernen, attraktiven Flotten verzeichnen weniger Fahrermangel. Uneins sind sich hier Fahrer und Unternehmer über die Höhe eines angemessenen Fahrergehaltes – vor allem in den östlichen Bundesländern. Das machte der Eingangsdialog zwischen Axel Flaake und Hubertus Kobernuss klar. Während Kobernuss behauptet, dass sich der Markt derzeit auf Fahrerlöhne Richtung 3.000 Euro und mehr hin bewegt, zeigt eine Studie der digitalen Fahrerbörse Truck Jobs (ebenfalls in FERNFAHRER 11 zu finden), dass die Mehrheit der Firmen in Deutschland immer noch Löhne um 2.250 Euro zahlt, die Spitzenreiter liegen im Mittel bei 2.600 Euro. Da ist also noch Luft nach oben.

Gerade der Automobilwirtschaft wird vorgeworfen, die Logistikkosten um jeden Preis zu senken. Dem sei natürlich nicht so, entgegnete VW-Cheflogistiker Zermechel. Die garantierte Versorgung der Werke mit Teilen aus ganz Europa sei vielmehr das erklärte Ziel. Ausschreibungen berücksichtigten vor allem die Qualität der Dienstleistungen. Im Nachgespräch sagte mir Zermechel, dass derzeit die Transportpreise im teils zweistelligen Prozentbereich steigen. Auch auf Grund der am Markt fehlenden Ladekapazitäten, die derzeit die Warenströme beeinträchtigen, fordern die Frachtführer höhere Margen – zumindest wenn sie sich trauen. Das soll sogar für die Flotten aus Osteuropa gelten. Ob allerdings im Zuge der Steigerung der Betriebskosten wie der Maut die Fahrerlöhne berücksichtigt werden, konnte in der Talk-Runde nicht ermittelt werden. Das von Axel Flaake angesprochene Thema der hohen Arbeitszeiten, deren korrekte Einhaltung Kobernuss besonders betont hat, wurde leider nicht zu Ende diskutiert. Würden sich alle Fahrer in allen Unternehmen wirklich an die Gesetze halten, der Fahrermangel stieße schnell in neue Dimensionen vor. Vermisst habe ich deshalb die Vereinbarung nötiger konkreter Maßnahmen von Politik und Verbänden, zusammen mit den Verladern, um für eine Entlastung der Fahrer an den Rampen zu sorgen.

Eine Lösung für fehlende Parkplätze muss her

Als Einspieler durfte IRU-Mann Maedge einen Film zeigen, in dem der EU-Parlamentarier Wim van de Camp eine Nacht in einem Scania auf einem Parkplatz bei Brüssel verbrachte und kurz danach seine Idee der Sonderparkparkflächen im Verkehrsausschuss vorbrachte. Die Zeit dränge, so Maedge, denn nachdem das Europäische Parlament im Juli vor allem auf Grund der umstrittenen Aufnahme der Transport in die Entsenderichtlinie die Entscheidung über das Mobilitätspaket verwarf und an die Ausschüsse zurückverwies, appellierte Maedge für einen dringend notwendigen Kompromiss, um bei den nun neu beginnenden Gesprächen der Berichterstatter unter Leitung der Ratspräsidentschaft Österreichs überhaupt ein Ergebnis vorzuweisen, bevor es 2019 zu den nächsten Europawahlen kommt.

Im Rennen ist nach wie vor der Vorschlag der EU-Kommission, dass die Fahrer vor allem aus Osteuropa spätestens nach drei Wochen auf Tour wieder nach Hause sollen. Aufmerksame Beobachter des kurzen Seitendialogs zwischen Bicker und Maedge werden erkennen, dass sich die IRU dabei den Forderungen der Länder Mittel- und Osteuropas angeschlossen hat, wenn er von einer vierwöchigen Grundlage bei drei reduzierten Ruhezeiten am Stück ausgeht. Da musste ich heftig widersprechen.

Vor allem hinsichtlich der Verbringung der regelmäßigen wöchentlichen Ruhezeiten im Lkw oder in den nicht ausreichend vorhandenen Hotels am Rande der Autobahnen bedarf es einer Lösung. Für die Übernachtung unter der Woche, so waren sich alle Teilnehmer einig, sind die modernen Lkw bestens ausgestattet. Für das Verbringen mehrerer Wochen am Stück mit allen seinen sozialen Problemen auf den real existierenden Rastplätzen aber nicht. Währenddessen verschärft sich das vor allem im Transitland Deutschland das generelle Parkplatzproblem, neue kreative Lösungen sind hier gefragt. Ob der Parkraum nicht genutzter Stadien der Fußballvereine hier der Königsweg ist, wie Udo Schiefner vorschlug, halte ich eher für nicht praktikabel. Andere neue Konzepte werden dazu am 6.11. bei einer Konferenz in Brüssel vorgestellt.

Ausbildung benötigt einen höheren Praxisanteil

Die bessere Ausbildung der Fahrer muss bereits heute beginnen. Dazu muss die Schulung besser werden und demzufolge die Qualität der Schulungsanbieter steigen. Dass hier die Fahrer von heute teilweise gar nicht an Schulungen interessiert sind, weil diese ihrer Meinung nach eh nichts bringen und vor allem Freizeit kosten, machte Blogger und Lkw-Fahrer Maik Erdmann anhand der laufenden Diskussionen in den unterschiedlichen Foren in den sozialen Medien deutlich. Die Bereitschaft, Freizeit zu opfern, um sich freiwillig weiterzubilden, sei vor allem bei den älteren Fahrern wenig vorhanden. Sie würden lieber darüber klagen, wieviel Geld sie ausgeben müssten, um ihre Fahrerlaubnis zu erhalten. Dabei steigen in einigen Segmenten wie Kühl- und Tanktransport die Anforderungen in der nahen Zukunft sowieso. Schon heute übernehmen, so Kobernuss, die meisten Firmen die Kosten, und der allgemeine Schulungstag der Module laut Berufskraftfahrer-Qualifikations-Gesetz, der Samstag, sei nun einmal ein Werktag. Einen höheren Praxisanteil forderten daher Jörg Mannsperger und fachkundige Zuschauer als Wortmeldung.

Das betrifft vor allem das Thema Sicherheit und Schulung der Assistenzsysteme, hob Holger Mandel hervor, die immer stärker Einzug in die Fahrzeuge finden. Die aber, so wiederum Maik Erdmann mit ernüchternder Deutlichkeit, bis heute von erschreckend vielen Fahrern teilweise nicht verstanden oder aus Unwissen verteufelt würden. Weshalb sich MAN entschlossen hatte, als erster Hersteller den mutigen Schritt der dringend nötigen Aufklärung zu gehen, und anhand des Films „Nerven behalten“, der bei der TRATON-Runde in einer Kurzfassung gezeigt wurde, und einer bereits vergriffenen Broschüre, dem Safety Guide, für ebendiese Aufklärung zu sorgen. Nun fehlt ein wirklich guter Plan, die Hersteller, die Politik, die Schulungsinstitute und die Verbände an einen Tisch zu bringen, um gerade beim Thema Sicherheit möglichst schnell vom Reden zum Handeln zu kommen. Hier laufen in der Tat erste konkrete Gespräche.

Fahrer-Vertreter freuen sich über ausgewogene Diskussion

„Die Diskussion bei TRATON zwischen hochrangigen Vertretern aus Wirtschaft und Politik war interessant, wenn auch nicht alle Themen die man sich vorgenommen hatte, angesprochen worden sind“, so Axel Flaake, der auf der Bühne einen souveränen Eindruck hinterließ. Bei derartigen Diskussionen ist es leider so, dass halt vom eigentlichen Thema immer mal wieder abgekommen wird. Trotz allem war es für mich eine ausgewogene und sachliche Diskussion.“ Und Maik Erdmann, der Blogger am Rande, fasst es so zusammen: „Es war eine gute, ausgewogene Diskussionsrunde, auch teilweise mit wirklich kontroversen Meinungen. Der Aussage von Axel Flaake, dass die "Freizeit" vieler europäischer Kraftfahrer auf deutschen Rasthöfen teilweise unmenschlich oder unwürdig ist, kann ich nur zustimmen. Aber auch die teilweise zermürbende Parkplatzsuche am Abend ist einfach nur nervig. Die Aussagen von Herrn Kobernuss kann man durchaus kontrovers sehen. Wer behauptet, dass es in der Transportbranche kaum noch Lohnunterschiede zwischen Ost und West gibt, verkennt die Situation.“

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