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BG Verkehr setzt Anreize Fördergeld für Konzepte zur Verkehrssicherheit

Foto: Horst Pöppel Spedition

Bis zu 30.000 Euro winken Flottenbetreibern, die Maßnahmen zur Qualifizierung ihrer Mitarbeiter mit Blick auf die Verkehrssicherheit planen. Warum entsprechende Schulungen unabdingbar sind, erläutern Martin Küppers, Leiter des Kompetenzfelds Regelwerk und Arbeitssicherheit im Geschäftsbereich der BG Verkehr, und Ralph Feldbauer, Geschäftsführer der Unternehmensberatung Riskguard, im Gespräch mit der Fachzeitschrift trans aktuell.

trans aktuell: Herr Feldbauer, Herr Küppers, nie seit der Wiedervereinigung ging es auf Deutschlands Straßen sicherer zu, sagen die Zahlen des Statistischen Bundesamts. Schaut man sich die hohe Zahl an Lkw-Auffahr- oder -Abbiegeunfällen an, kann man aber keine Entwarnung geben, oder?

Küppers: Gerade bei den tödlichen und besonders schweren Arbeitsunfällen sind die Verkehrsunfälle leider immer noch Spitzenreiter in der Unfallstatistik des Güterkraftverkehrs.

Feldbauer: Ein Signal der Entwarnung würde ich eindeutig als Fehlinterpretation einstufen.

Was sind die Gründe dafür, dass es trotz Technik – Notbremsassistenten und Abbiegesysteme halten langsam Einzug – beim Unfallgeschehen mit Lkw keine spürbaren Erfolge gibt?

Küppers: Die Erfolge zeichnen sich nur sehr langsam und bislang unzureichend ab. Das liegt auch daran, dass die Lkw-Flotten sich nur sukzessive verjüngen, sodass längst nicht alle unfallbeteiligten Fahrzeuge mit den erforderlichen Assistenzsystemen ausgestattet sind – und erst recht nicht mit der neuesten Generation der Systeme.

Feldbauer: Zudem sehen wir, dass die vorhandenen Systeme nicht immer optimal genutzt werden. Die Gründe hierfür sind aus der Erfahrungssicht im Riskmanagement vielfältig, und es gibt ebenso viele Lösungsansätze. Zudem kommt es immer noch vor, dass vorhandene Assistenzsysteme fahrerseitig deaktiviert werden.

Welche Rolle spielt hierbei der Faktor Mensch, der auf solche Situationen vielleicht nicht hinreichend vorbereitet wurde?

Küppers: Der Faktor Mensch ist der Dreh- und Angelpunkt bei der Verkehrssicherheit. Bislang können Menschen Fahrzeuge sicherer durch den Verkehr lenken als elektronische Steuerungen. Aber Menschen haben ganz spezifische Schwächen.

Foto: BG Verkehr
Martin Küppers, BG Verkehr: Der Fahrer von heute muss ein extrem stresstoleranter Universalist sein.

So lässt in monotonen Arbeitsphasen unweigerlich unsere Konzentration nach. Wir schaffen es dann nicht, schlagartig eine wirklich komplexe Handlung abzurufen. Das kennen wir alle. Genau dazu brauchen wir Assistenzsysteme. Der Umgang mit den Systemen muss aber trainiert werden.

Feldbauer: Und das Verständnis der Funktions- und Wirkungsweise ist aus meiner Wahrnehmung heraus bei vielen Fahrern noch nicht fundiert vorhanden. Aus einer Vielzahl von spezifischen Schadenspräventionsschulungen, aber auch aus Unfallanalysegesprächen mit Fahrern wissen wir leider, dass hier teils noch elementare Wissenslücken vorhanden sind. Neben dem fahrerischen Können ist es heute erforderlich, auch die technischen Bedienelemente – und dazu gehören ebenso die Fahrerassistenzsysteme – inhaltlich und anwendungsseitig im Fahralltag wirklich zu verstehen und sicher anzuwenden.

Lässt sich ein unzureichend geschulter Mitarbeiter auf den Fahrermangel zurückführen und darauf, dass Unternehmen eben nicht mehr ihren Wunschkandidaten bekommen?

Küppers: Ich glaube nicht, dass es früher nur bessere Fahrer gab. Tatsächlich haben sich die Verhältnisse auf den Straßen und die gesamten Anforderungen des Berufsbildes stark gewandelt. Es gibt einen wachsenden Anteil an komplexen Transportdienstleistungen, die zum Teil bis in die Produktionsabläufe der Kunden hineinreichen. Der Fahrer von heute muss ein extrem stresstoleranter Universalist sein. Schulung und Kommunikation sind wichtiger denn je, weil die Anforderungen an den Job sich rasant verändern, und nicht, weil die Fahrer nichts draufhaben.

Feldbauer: Die Anforderungen an den Fahrer sind in den vergangenen Jahren so gestiegen, dass auch hier der einfache Vergleich nicht zieht, sondern immer in Relation zu setzen ist. Umso wichtiger ist es, den Fokus auf fundierte und zielgerichtete Schulung sowie laufende Weiterbildung als Unternehmen zu forcieren.

Wie überzeugen Sie Fuhrparkleiter, dass es neben den Pflichtschulungen weitere bedarfsgerechte Trainings braucht?

Feldbauer: Eine Überzeugung ist meist dann nicht mehr vonnöten, wenn ich mich mit der Geschäfts- und Fuhrparkleitung unter anderem über die Folgen von schadensbedingten Ereignissen im Fuhrpark intensiver austausche.

Foto: Riskguard
Ralph Feldbauer, Riskguard: Neben dem fahrerischen Können ist es heute erforderlich, auch die technischen Bedienelemente – und dazu gehören ebenso die Fahrerassistenzsysteme – im Fahralltag zu verstehen und sicher anzuwenden.

Neben dem wichtigsten Aspekt, dem Personenschaden, kommen verstärkt die Haftungsfragen aus den gesetzlichen Vorgaben für die Geschäftsführung sowie die Verantwortlichen, ebenso aber auch die fatalen betriebswirtschaftlichen Folgen ins Gespräch. Das vorangegangene Schadensereignis hätte sich in einer Vielzahl von Fällen eindeutig vermeiden lassen, wäre im Vorfeld angesichts der durch eine Präventivanalyse erkennbaren spezifischen Defizite mit bedarfsgerechten Schulungsinhalten gehandelt anstatt erst danach reagiert worden. Das ist nicht nur überzeugend, sondern wird schnell auch als richtig anerkannt.

Küppers: Am Ende sind Schulungen und Trainings Führungsinstrumente, die in den seltensten Fällen durch Pflichtmodule abgegolten werden. Das gilt für Fahrerinnen und Fahrer genauso wie für Bürokaufleute und Disponenten. Fuhrparkleiter erkennen zunehmend ihre Aufgabe darin, diesen Bedarf möglichst trennscharf zu definieren. Sie analysieren dazu Schadens- und Unfallkosten, bewerten die potenzielle Wirkung von schockierenden Unfallbildern in der Presse und sie wissen, dass man mit guten Qualifizierungsangeboten Fachkräfte bindet.

Welche wirtschaftlichen Auswirkungen sind das, im Regelfall ist man ja versichert?

Feldbauer: Die wirtschaftlichen Auswirkungen – auch nur aus einem „kleineren Standard-Kfz-Schaden“ wie dem Anfahrschaden beim Rangieren auf dem Kundenhof – kann ich kurz verdeutlichen. Übrigens: Jeder Unternehmer, der mit mir diese Analyse angeht, was konkret diese „kleine Betriebsstörung“ real für sein Unternehmen kostet, bewertet ab sofort jeden Euro, den er in die Schadensprävention steckt, nicht mehr als Kosten, sondern als wertvolle Investition, die sich nachweislich und oft nachhaltiger als Spritspartrainings auszahlt. Zu diesen Kosten zählen die Abwicklungszeiten von Fahrer- und Fuhrparkleiter, die Ausfallzeiten des Lkw, Dispositionskosten und der fehlende Umsatz genauso wie die Selbstbeteiligung und viele weitere von Dritten nicht erstattungsfähige Kostenpositionen.

Und über welche Kosten reden wir nun ganz konkret?

Feldbauer: Diese sogenannten Opportunitätskosten liegen im Nutzfahrzeugbereich zwischenzeitlich bei 3.500 Euro durchschnittlich, so meine persönliche Erfahrung aus einer Vielzahl von Riskmanagement-Projekten. Die Schlüsselfrage beantwortet der Verantwortliche dann meist selbst mit Erschrecken: Wie viele solcher Bagatellschäden hatten Sie im Fuhrpark vergangenes Jahr? Und die davon unabhängig eventuell steigenden Versicherungsprämien sind hier keineswegs inkludiert.

Küppers: Das Gleiche gilt für die Kosten, die durch den Gesundheitsschaden verursacht werden. Natürlich übernimmt die BG die Kosten für erforderliche Heilbehandlungen, Rehamaßnahmen und im schlimmsten Fall Entschädigungsleistungen. Aber die gesetzliche Lohnfortzahlung, Kosten für Ersatzpersonal, Kosten, die sich aus Verspätungen ergeben, und mehr – das trägt das Unternehmen. Außerdem schlägt sich jeder Unfall im Beitrag nieder, denn die BG ist ebenfalls eine Versicherung.

Die BG Verkehr hat ein eigenes Programm zur Verkehrssicherheit aufgelegt, das sich an Unternehmen mit mehr als 250 Mitarbeitern wendet. Was ist der Hintergrund beziehungsweise Ihre Erwartungshaltung?

Küppers: Wir sehen, dass unfallbedingte Kosten und Ausfallzeiten zunehmend als betriebliche Kennzahlen erkannt werden. Bislang hatten wir mit der Bezuschussung von Fahrsicherheitstrainings überwiegend kleinere Betriebe im Blick. Die Konzeptförderung honoriert als Anreizsystem die proaktive Verkehrssicherheitsarbeit der größeren Betriebe. Größere Speditionen analysieren systematisch ihre Potenziale beziehungsweise Risiken, um dynamisch darauf einzuwirken. Diese Unternehmen können selbst am besten einschätzen, wie ihr Konzept zur Verkehrssicherheit aussehen soll. Sind diese Ansätze ausgereift, fördern wir sie, weil wir die Berufsgenossenschaft der Verkehrswirtschaft sind.

Was sind die Voraussetzungen für eine Förderung, was muss ein Antrag alles umfassen?

Küppers: Ein Konzept ist eben die planvolle Herangehensweise zum Erreichen eines Ziels. Der Antrag muss das zum Ausdruck bringen – nicht in epischer Breite, aber plausibel! Das Ziel unserer Konzeptförderung ist die Sicherheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei der Teilnahme am Verkehr. Genauer gesagt sind es drei Teilziele, die wir unterstützen: Sicherheit bei beruflicher Teilnahme am Straßenverkehr, Sicherheit auf dem Weg zur Arbeit und Sicherheit im innerbetrieblichen Verkehr – der ja bei Ladearbeiten direkt an den Lkw heranreicht. Dem Konzept muss eine Gefährdungsbeurteilung zugrunde liegen, aus der die geplanten Maßnahmen abgeleitet werden. Alle drei Teilziele sollten berücksichtigt werden.

Können Sie Beispiele nennen, welche Art von Qualifizierungen hier sinnvoll sein können – abseits der Pflichtmodule?

Küppers: Das richtige Einstellen der Spiegel, um ein einfaches Beispiel zu nennen. Dem wir uns als BG Verkehr ja bereits mit den Spiegeleinstellplanen gewidmet haben. Aber es gibt natürlich eine Fülle möglicher Themen, sei es das Rangieren, das Verhalten auf fremden Betriebshöfen oder das Rückwärtsfahren. Wir sind da sehr offen für Themen, die die Betriebe identifizieren. Allerdings fördern wir keine technischen Maßnahmen, wie Ausstattungen von Fahrzeugen. Die Anträge werden intern von einem Expertengremium bewertet und an den Zielen der Konzeptförderung beziehungsweise an den auf unserer Homepage veröffentlichten Bedingungen gemessen.

Feldbauer: Nach meiner Erfahrung lassen sich hier – im Rahmen des Verkehrskonzepts – genau die spezifischen Zieltrainings aus dem Riskmanagement optimal einbinden. So können aus der Schadensanalyse einzelne Schulungsmodule erarbeitet werden, die zielgenau auf den im einzelnen Fuhrpark vorhandenen Defiziten aufsetzen und diese langfristig beheben können. Bestimmte Stationen zur Reduktion der Schäden im Langsamfahrbereich sind ebenso zielführend wie die moderierte und geführte Diskussion über die Vermeidbarkeit von tatsächlichen, echt eingetreten internen Unfallschäden. Über einen Profi gesteuert, der mit den Fahrern auf Augenhöhe kommuniziert und Lösungsansätze erarbeitet, die aus meiner Erfahrung extrem hilfreich, weil fundiert und gesamtheitlich betrachtet sind.

Welche Fördermittel winken hier konkret und wann können die Schulungen starten?

Küppers: Die maximale Fördersumme entspricht einem Promille der aus dem Vorjahr der BG Verkehr gemeldeten Lohnsumme, maximal aber 30.000 Euro. Um eine Förderung im Jahr 2022 zu erlangen, müssen interessierte Speditionen ihre Anträge bis zum 18. Juni 2021 bei der BG Verkehr einreichen.

Zu den Personen

  • Martin Küppers leitet das Kompetenzfeld Regelwerk und Arbeitssicherheit im Geschäftsbereich der BG Verkehr und ist dort unter anderem für die Konzeptförderung zur Verkehrssicherheit zuständig. Außerdem leitet er den Fachbereich Verkehr und Landschaft der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV)
  • Ralph Feldbauer ist geschäftsführender Gesellschafter von Risk­guard und berät Erst- und Rückversicherer, Institutionen, Verbände sowie namhafte Fuhrparks. Der 50-Jährige war zuletzt seit 2015 Chef-Riskmanager bei der Allianz Deutschland und dort Leiter des Fachbereichs Riskmanagement Flotte. Zuvor Fach- und Führungspositionen bei Erstversicherern und einem Industriemakler.
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