Autobahnkanzlei im Kampf gegen Punkte Gute Argumente ziehen

Kanzlei FF 5/2019, Abbiegeskizze, Fall. Foto: Autobahnkanzlei

Autobahnanwalt Silvio Lange und Mandant Ronny gehen mit drei guten Argumenten bewaffnet in die Gerichtsverhandlung. Das Ziel: einen weiteren Punkt unbedingt vermeiden.

Ich sitze in meinem kleinen Arbeitszimmer zu Hause. Den Posteingang habe ich mir aus meiner Autobahnkanzlei mit nach Hause genommen. Ich bin ein wenig groggy. Die letzte Verhandlung in Berlin hat lange gedauert. Um 17.30 Uhr bin ich aus dem Amtsgericht gegangen. Ich befürchte, dass die Gerichtswachtmeister etwas sauer auf mich waren. Immerhin müssen sie warten, bis der letzte "Gast" das Gerichtsgebäude verlassen hat. Wahrscheinlich waren Überstunden wegen meiner etwas zähen Verteidigungsstrategie angefallen. Aber ich habe mich nun einmal festgebissen, und am Ende sprach der Erfolg dafür.

Aufgepasst bei Zeitumstellung

Ich blättere den Posteingang durch, plötzlich fällt mir ein Anhörungsbogen mit einer Geschwindigkeitsüberschreitung von 22 km/h in die Augen. Handgeschrieben steht oben drauf: "Ich habe mich in der Uhr vertan. Bitte helfen Sie mir! Ronny". Offen gesagt sagt mir das wenig. Ich probiere deswegen sofort, Ronny* anzurufen, um ihn zu fragen, was das denn heißen soll. Ronny bekomme ich nicht an die Strippe. Ich probiere es noch zwei-, dreimal an diesem Abend. Die nächsten Tage ebenfalls. Irgendwann kommt eine SMS zurück: "Wer ruft?" Ich antworte kurz und knackig: "Rechtsanwalt Silvio Lange vom Autohof Mecklenburg wegen Ihres Anhörungsbogens." Jetzt meldet er sich und erklärt mir, er sei auf einer Tempo-30-Straße gefahren. Die 30 km/h gelten aber erst ab 22 Uhr zwecks Lärmschutz. Da gebe es ein Zusatzschild. Er habe nach einer anstrengenden Woche einfach nicht aufgepasst und sich an seiner Uhr im Auto orientiert. Das Ding sei aber noch nicht auf Sommerzeit umgestellt gewesen. Deswegen sei es aus seiner Sicht 21.35 Uhr, tatsächlich aber 22.35 Uhr gewesen. Das würde bedeuten, dass er nur hätte 30 km/h fahren dürfen. Er ist aber knapp über 50 km/h gefahren. Das bringt einen Punkt. Den will Ronny jedoch vermeiden.

Ein paar Wochen später kommt der Bußgeldbescheid. Mittlerweile liegt mir die Zuarbeit von Ralf Grunert, dem Messstellenüberprüfer aus der Zentrale, vor. Ralf hat sich viel Mühe gegeben und hat eine Skizze gemacht. Tatsächlich gibt es eine zeitliche Beschränkung für Tempo 30. Ich erkundige mich bei VW und lasse mir die Zulassungsdaten des Golfs IV, mit dem Ronny unterwegs war, schicken. Die Antwort von VW lässt nicht lange auf sich warten. Tatsächlich war das Fahrzeug von Ronny nicht mit einer automatischen, funkgesteuerten Zeiteinstellung versehen. Er hätte per Hand auf Sommerzeit umstellen müssen. Das hat er nicht getan. Wenigstens dieses Argument haben wir. Als ich mir die Skizze von MÜP Ralf Grunert anschaue, fällt mir plötzlich etwas Spannendes auf: Ronny war auf der Linksabbiegerspur und bereits dabei, nach links abzubiegen. Er war im Fahrtrichtungswechsel. Mitten auf der Kreuzung wurde er nun geblitzt. Der Querverkehr, der von rechts kommt, darf allerdings 50 km/h fahren. Wenn Ronny also gerade im Linksabbiegen ist, stellt sich die Frage: Wie schnell darf er denn da fahren? 30 km/h oder 50 km/h? Was gilt mitten auf der Kreuzung? Ich muss selber ein bisschen grinsen. Das Argument gefällt mir. Ich bin gespannt, was der Richter in ein paar Wochen dazu sagen wird. Ich treffe mich noch einmal mit Ronny in der Autobahnkanzlei. Wir gehen die Geschichte mit der Uhrzeit noch mal durch. Außerdem erzähle ich ihm etwas ironisch, wahrscheinlich würde der Durchschnittswert gelten, vielleicht 40 km/h. Dass das nicht so geht, ist mir klar. Aber die Situation, dass zwei verschiedene Geschwindigkeitsbeschränkungen aufeinanderprallen, habe ich noch nicht gehabt, und ich finde sie ein wenig skurril.

Lärm ist keine Beeinträchtigung der Verkehrssicherheit

Das Amtsgericht terminiert zwei Monate im Voraus. Auch das gibt es. Wir gehen zusammen zum Termin. Ich lege meine Skizze vor. Der Richter muss auch ein wenig in sich hineingrinsen. Man hat den Eindruck, als habe er auch Spaß an dieser Argumentationsfigur. Auf jeden Fall ist er uns wohlgesinnt. Ein wenig hakt jedoch seine Bereitschaft, uns entgegenzukommen, weil Ronny eben schon reichlich Punkte hat. Das steht generell im Wege. Ich muss mit Engelszungen reden. Das Argument mit der Uhrzeit, das hat er gefressen. Das hat ihn ein wenig beeindruckt. Das mit den zwei Geschwindigkeiten scheint er eher lustig zu finden und weiß nicht so recht, in welche Schublade er das stecken soll, obwohl der anwesende Messbeamte die zwei verschiedenen Geschwindigkeiten ebenfalls bestätigt hat. Der Richter ist noch souverän, aber etwas irritiert. Ein letztes Argument habe ich noch, um zum gewünschten Ziel zu kommen. Wir wollen doch nichts anderes als nur keinen Punkt haben. Ich habe am Abend vor der Verhandlung noch einmal die Drucksache BT 17/12613 herausgezogen. Den Gesetzesentwurf, der der Verkehrsrechtsreform von 2014 zugrunde liegt. Außerdem finden sich hierbei die Beratungsprotokolle und die Grundlagen. Bei der Auslegung eines Gesetzes sind solche Drucksachen Gold wert. So meine ich auch hier. Ich erhebe mich im Gerichtssaal und rezitiere. Dort heißt es unter Paragraf 4, "dass für Verkehrssicherheit beeinträchtigende Ordnungswidrigkeiten ein Punkt erteilt wird". Der Gesetzestext spricht zwar später von Verkehrssicherheit beeinträchtigenden oder gleichgestellten Ordnungswidrigkeiten. Klar ist jedoch, es soll nur noch Punkte geben, wenn die Verkehrssicherheit beeinträchtigt wird. So argumentiere ich und meine, dass deswegen vornehmlich gar keine Verurteilung mit einem Punkt in Betracht kommt.

Wer das Gesetz richtig auslegt, muss erkennen: Lärm ist keine Beeinträchtigung der Verkehrssicherheit – vielleicht schlecht für die Ohren, aber die Verkehrssicherheit wird dadurch weder gefährdet noch beeinträchtigt. Der Richter nickt und zieht sich zurück. Drei Argumente hat er auf dem Tisch. Die will er sondieren. Nach zehn Minuten setzt er die Verhandlung fort. Er sinniert, spricht langsam, ruhig, wohlüberlegt. Wenn wir eine Einstellung wollen, dann müsse er unterbrechen und die Argumente sorgfältig prüfen. 55 Euro, das würde er heute tun. Ich schaue Ronny an, der nickt. Das war unser Ziel, und übers Ziel hinausschießen müssen wir jetzt auch nicht. Also nehmen wir an. Danach gehen wir noch ins Café Mama direkt neben dem Gericht. Hier gibt es leckeren Kuchen und einen sagenhaften Cappuccino. Ich bringe Ronny noch zum Lkw. Wir verabschieden uns, Ronny winkt und meint: "Auf ein Neues!" Ich sage: "Lieber nicht so schnell. Den Punkt haben wir vermeiden können, aber jetzt müssen die anderen abgebaut werden. Fahr vorsichtig!"

Kleine Fälle

87 km/h ist Sepp* gefahren. Dabei durfte er nur 70 km/h fahren. Das ist deutlich ausgeschildert, klar erkennbar. Sepp auf dem Tatfoto übrigens auch. Kein einfacher Job für Autobahnanwältin Heike Herzog. Die zieht in der Verhandlung aber ein Ass aus dem Ärmel: Helle Lampen sind am Lkw zu sehen. Dabei handelt es sich um LED-Licht. "Das, Herr Richter, ist gepulstes Licht." Gepulstes Licht könne bei diesem Messgerät zu Messirritationen führen. Der Messbeamte bestätigt, dass es sogar aus diesem Grund schon zu Annullierungen von Messungen gekommen ist. Der Richter wird hellhörig. Aus Opportunitätsgründen, meint er, gehe er auf 55 Euro runter. Ob wir damit einverstanden sind, fragt er. Na klar, punktefrei sind wir. Das war das Ziel!

AG Göppingen Az.: 21 OWi 16 Js 13784/18

Robert* versteht die Welt nicht mehr. Er fuhr ein BF3-Fahrzeug und musste einen Schwertransport absichern. Es gab eine Ausnahmegenehmigung für den Schwertransport. Nach der muss er aber ständig in Funkkontakt mit dem Schwertransporter stehen. Aber kurz nach Fahrtantritt habe es Schwierigkeiten in der Funkverbindung gegeben. Was ist ihm denn übrig geblieben? Er habe das Handy genommen und damit den Funkkontakt ersetzt. Die Polizeibeamten, die ihn anhielten, interessierte das nicht. Ein Punkt und 100 Euro, erklärten sie, damit müsse er leben. Das sieht Autobahnanwältin Heike Herzog anders. Sie erklärt der Richterin, dass der Schwertransport nicht einfach hätte stehen bleiben können. "Mit so einem riesigen Teil, Frau Richterin, können Sie nicht einfach die Autobahn blockieren!" Der Mandant hatte gar keine Wahl. Entweder hätte er sich geweigert, das Fahrzeug weiter zu begleiten, dann wäre der Transport zum Stillstand gekommen. Oder er hätte den Kontakt zum Fahrer der Schwerlastzugmaschine abbrechen können. Dann hätte er sich illegal verhalten, nämlich gegen die Genehmigung verstoßen. Also war das geringste Übel, das Problem mittels Handy selbst in die Hand zu nehmen. "Eine Art rechtfertigender Notstand war das, Frau Richterin." Die hat am Ende ein Einsehen und reduziert das Bußgeld in den punktefreien Bereich.

AG Stuttgart Az.: 9 OWi 72 Js 128503/18

Als Autobahnanwältin Heike Herzog die Tatfotos sieht, zuckt sie ein wenig zusammen: ein riesiger Haufen Klärschlamm auf der Straße, davor der Kipper des Mandanten. Keine Frage, der Klärschlamm kam von dem Kipper. Offensichtlich war die Ladung nicht ganz richtig gesichert. Aber wie kann das passieren? Die Klappe war doch zu. Anwältin Heike Herzog muss einsteigen in die Technik der Kipperhydraulik. Am Ende, nachdem sie noch mit Kollegen von Bert* gesprochen hat, steht für sie fest, dass es hier nur einen technischen Defekt gegeben haben kann. Von fehlender Ladungssicherung keine Spur. Das können übrigens auch die Aussagen der Polizeibeamten nicht beweisen. Der Richter hat keine große Wahl: Er stellt das Verfahren ein.

AG Göppingen Az.: 21 OWi 16 Js 9881/18

Klemens Bruch, Rechtsanwalt Autobahnkanzlei Wilnsdorf, FF 5/2019. Foto: Autobahnkanzlei
Rechtsanwalt Klemens Bruch.

Fernfahrertelefon

Rechtsanwalt Klemens Bruch sitzt am Fernfahrertelefon und steht euch mit Rat und Tat zur Seite. Hier ein Auszug von individuellen Fragen der Kollegen – und die Antworten des Juristen.

Stephan*: „Ich fühle mich doppelt bestraft. Vor über einem Jahr wurde ich mit 1,74 Promille am Steuer erwischt. Jetzt ist die Sperrfrist von 14 Monaten um, aber die Fahrerlaubnis­behörde gibt mir meinen Lappen nicht zurück. Ich soll erst eine MPU machen und dafür ein Jahr Abstinenz nachweisen, hieß es. Also dauert es noch ein weiteres Jahr, bis ich meinen Führerschein wiederhabe. Das kann doch nicht rechtens sein!“

Bruch: "Doch, mein Lieber, da ist bei dir ganz schön etwas gegen den Baum gegangen. Ab 1,6 Promille ist generell eine MPU zu machen. Die hättest du bei der Sperrfrist parallel vorbereiten können. Hättest du gleich mit der Abstinenz begonnen, dann hättest du mit Ablauf der Sperrfrist ziemlich punktgenau deine MPU machen können und keine Doppelbestrafung bekommen. Im Übrigen ist für Abstinenz und MPU die Fahrerlaubnisbehörde zuständig und nicht das Amtsgericht. Das eine ist eine verwaltungsrechtliche Maßnahme, das andere eine strafrechtliche Maßnahme. Dass du dich doppelt bestraft fühlst, verstehe ich natürlich. Aber das ist einfach organisatorisch ziemlich blöd bei dir gelaufen."

Josie*: „Ab wann muss man eigentlich generell eine MPU machen?“

Bruch: "So generalisierend lässt sich das schwer beantworten. Der Regelwert, ab wann du eine MPU machen musst, sind zum Beispiel bei Alkohol am Steuer 1,6 Promille. Alles, was darunterfällt und was zur MPU führt, sind Einzelfallentscheidungen. Wer ganz sicher sein will, sollte sich einfach an 0,0 halten."

Jubiläumsparty AK Mellingen, 10 Jahre, Kanzlei FF 5/2019. Foto: Autobahnkanzlei
Jubiläum: Zehn Jahre Autobahnkanzlei Mellingen.

Neues aus der Autobahnkanzlei

Zehn Jahre Autobahnkanzlei Mellingen waren ein bewegendes Fest. Bei bestem Wetter durften wir viele nette Gäste begrüßen und unzählige interessante Gespräche führen. Die Feier dauerte bis in die späten Abendstunden. Auf dem Asphalt vor der Autobahnkanzlei wurde gefeiert, getanzt und gesungen. Es hat unendlich viel Spaß gemacht. Mehr über das rauschende Jubiläumsfest und viele Fotos findet ihr auf der Facebook-Seite der Autobahnkanzlei.

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