Fahrbericht Viseon C10: Neue Marke mit Midibus

Viseon C10 Foto: Viseon 11 Bilder

Eine neue Marke, viele bekannte Gesichter und mit dem C10 ein rundum neuer Midibus als Erstlingswerk. Viseon geht schwungvoll an den Start.

Wenn gestandene Männer leuchtende Augen bekommen, muss dies nicht unbedingt mit dem Anblick weiblicher Kurven zu tun haben. Auch die sanft geschwungenen Formen von Omnibussen haben eine gewisse emotionale Komponente. Zumindest bei eingefleischten
Busleuten wie die beiden Viseon-Chefs Joachim Reinmuth und Ernö Bartha. Die zwei geschäftsführenden Gesellschafter der jungen Marke blicken zusammen auf mehr als ein halbes Jahrhundert Omnibuserfahrung zurück – beide waren einst Chefs von Neoplan. Und etwas vom früheren Geist der einst so dynamischen und innovativen Marke weht durch die Halle des ehemaligen Neoplan- und heutigen Viseon-Werks in Pilsting, während der Premierenbus seine eigene Taufe mit scharf geschnittenem Gesicht, leicht zusammengekniffenen Augen und einem gespitzten Kussmund beäugt. Das V für Viseon prägt seine Figur, seitlich als Dekor-element, vorne und hinten in Form der gepfeilten Lampen mit vielen LED-Leuchten, drinnen im Gehäuse der Servicesets. V für Viseon oder V für Victory? Oder ist’s gar ein umgekehrtes A für Auwärter analog zum ersten Starliner? So mancher Türgriff im Viseon-Werk hat durch einfaches Umdrehen seine Gestalt vom A zum V gewandelt. Gleiches gilt für viele Mitstreiter in der jungen Firma. Und die Omnibuswelt umdrehen, das möchten die Viseon-Chefs schon, ihren Ehrgeiz zeigen sie offen. Ihr Erstling namens Viseon C10 – die Bezeichnung steht für Coach, gerundet zehn Meter lang – hat schließlich einiges zu bieten. 

Da wäre die gedrungene und trotzdem dynamische Gestalt, trotz 2,54 Meter Breite und gut 3,5 Meter Höhe. Hier fährt ein 10,4 Meter kurzer Midi-Hochdecker vor, der aber nicht allzu pummelig auftritt. Die Handschrift von Michael Streicher, Designer von Star- und Cityliner, prägt den C10. Man erkennt die Verwandtschaft, etwa am ausgeprägt sportlichen Rücken in angedeuteter V-Form – V wie Viseon? Auch ein wenig Chrom gönnt Streicher dem Midi, er kommt beileibe nicht ärmlich daher, strebt schnurstracks nach oben in die Premiumklasse. Wer will, kann ihm gar Bi-Xenon-Scheinwerfer wie einer Luxuslimousine spendieren.  „Das ist eigentlich ein Großer“, stellt auch Ernö Bartha fest. Der C10 ist ein Vollwert-Omnibus, einerseits modular und günstig konstruiert, andererseits geprägt von zahlreichen Einfällen. Günstig sind die ringsum einheitlichen Radläufe. Sind die vielen identischen Seitenscheiben, denn das auffallende V auf der Flanke ist nur geschickt aufgeklebter Zierrat und kein konstruktives Element. Die Modulbauweise ermöglicht mit identischen Komponenten für Bug und Heck unterschiedliche Längen – aus dem Solitär wird Viseon in Windeseile eine komplette Busfamilie entwickeln. Ernö Bartha spricht es offen an: „Wir haben die Möglichkeit für andere Fahrzeuglängen und wir werden sie auch nutzen.“ Im hinteren Überhang steckt der kompakte und hoch drehende MAN D08 mit 6,9 Liter Hubraum, 213 kW (290 PS) und eher spärlichen 1.100 Newtonmeter Drehmoment. Vom Modebegriff Downsizing ist angesichts der etwas schmalbrüstigen Maschine die Rede, von Gewichtseinsparung und Verbrauchsreduzierung.

Aber auch vom fehlenden Mumm. Zum Herbst will Viseon deshalb eine kräftigere Variante mit 240 kW (326 PS) und 1.250 Newtonmetern nachlegen, alles in Verbindung mit einem Sechsgang-Schaltgetriebe. Aber ins lange Heck passt auch der größere MAN D20. Und wer dann den Radstand um einen Meter streckt und den vorderen Überhang um einen halben Meter verlängert, erhält einen klassischen zwölf Meter langen Hochdecker – Zukunftsmusik, auch wenn sie gut klingt. Die beiden Viseonäre Reinmuth und Bartha scharren mit den Hufen, zerren ungeduldig an der MAN-Leine, das Verhältnis kühlt sich zusehends ab, zu unterschiedlich ist das Tempo. In der Gegenwart balgt sich der neue Viseon C10 mit Clubbussen vom Schlage Mercedes Tourino und Setra 411 HD. Er setzt dabei auf eigene Akzente, etwa einen beeindruckenden Stauraum. Der schluckt in Ausführung mit Heckeinstieg und versteckten Zusatzstaufächern über den Radkästen bis zu acht Kubikmeter Gepäck. Beim Mitteleinstieg sind’s immer noch sieben Kubik. Dank Mehrgelenkscharnieren öffnen die Gepäckraumklappen besonders weit. Im Tank lagern 480 Liter Diesel, die Zuladung soll sich auf fünf Tonnen bei 16 Tonnen Gesamtgewicht belaufen, Respekt. Die Fahrgäste betreten den Viseon durch üppige, 900 Millimeter breite Türen. Angesichts von großer Breite und Höhe des Midis kommt drinnen keine Enge auf. So schafft eine lichtdurchflutete Kuppel über dem Heck viel Raum vor der üppigen Küche des Busses und weitet das Fahrzeug im hinteren Bereich optisch. Auch ein paar andere Tricks haben sich die Entwickler unter Ernö Bartha einfallen lassen. Da wären Servicesets, die sich bei einer späteren Änderung der Bestuhlung verschieben lassen. Die seitliche Dacherhöhung verbirgt nicht nur die Aufbauten vor Blicken, sie nimmt auch Kabel und Leitungen auf. Auf eine herkömmliche Düsenbelüftung verzichtet Viseon, leitet die Frischluft oberhalb der Gepäckablagen und über das Multifunktionsprofil der Servicesets mit zwei Öffnungsrichtungen unterhalb der Luftkanäle in den Fahrgastraum.

Der Bushersteller achtet aufs Gewicht. Die Heizungsrohre bestehen aus einem Mehrschicht-Verbundmaterial, einer Kombination aus Kunststoff mit Aluminiumeinlage. Das spart manches Gramm, ebenso ihre Verbindungen aus Kunststoff. Gleiches gilt für die schalenförmigen Gepäckablagen. Viseon befestigt sie über Konsolen im Meterabstand an der Decke. Eine Etage tiefer nehmen die Passagiere wahlweise auf Sitzen von Kiel oder Vogel Platz. Über Farbe und Formen mancher Verkleidungsteile der Umgebung wird noch diskutiert, das etwas speckig wirkende Dunkelbraun an manchen Stellen des ersten C10 behagt nicht jedem. Vorn über dem Cockpit dagegen schwebt eine geschmackvolle Dachkuppel. Sie ist im gleichen Beige gehalten wie die Mitteldecke. Das Material ist hinterschäumt und isoliert gleichzeitig. Drunter sitzt der Fahrer in einem elegant geschwungenen Cockpit. Die Schalter rechter Hand wirken zunächst etwas willkürlich verteilt, das wird man sich nochmals in Ruhe anschauen müssen. Die bestens ablesbaren Instrumente sind bekannte Größen, stammen wie das Fahrerplatzmodul und die Achsen von MAN. Dank des knappen Radstands wendet der Kurze fast auf der Hinterhand. Für den oder die Begleiter sieht Viseon serienmäßig zwei Einzelsitze vor. Alternativ gibt es eine Ausführung mit einem Solositz plus Ablageschrank. Gespart haben die Entwickler an dieser Stelle nur am Knieraum, da gilt es nachzubessern. Der Kühlschrank vorn im Cockpit ist dagegen mit 55 Liter Volumen von der ausgewachsenen Sorte. Speziell bei einem Neuling beruhigend: Viseon legt Wert auf eine lange Partnerschaft. So ist das Gerippe per KTL-Tauchbad gegen Korrosion geschützt, wird zu diesem Zweck extra durch die halbe Republik nach Norddeutschland transportiert. 18 Servicepartner in Deutschland betreuen den Midibus zu Beginn seiner Karriere, in Europa sollen es im ersten Schritt 35 Betriebe sein. Für eventuelle Pannen hat Viseon eine zentrale Notrufnummer eingerichtet. Doch zunächst geht der Viseon C10 an den Start. Der Rollout des Prototyps erfolgte nach 15 Monaten Entwicklungszeit. „Das hat uns emotional sehr bewegt“, sagt Joachim Reinmuth. Da glänzen dann auch bei gestandenen Omnibusleuten wieder die Augen.

Erst ein Midi und schon bald viel mehr Der 10,4 Meter lange Midibus Viseon C10 ist nur der Anfang: Sollen sich die Investitionen rechnen, müssen mehr Modelle her, und
das schnell. Bereits auf der IAA wird als zweiter Bus der Viseon C13 stehen, ein knapp 13 Meter langer Hochdecker auf zwei Achsen. Auch an einem C12 führt kein Weg vorbei, doch gegen dieses Modell wird sich MAN bis zur absehbaren Trennung der Marken sträuben – es wäre ein direkter Wettbewerber zu MAN und Neoplan. Zweites Standbein sind Trolleybusse, weltweit ein kleines, aber feines Geschäft. Viseon erwirbt hierfür komplette Gerippe von MAN, sie werden in Pilsting komplettiert und unter der Marke Neoplan verkauft. Bereits als Viseon firmiert ein spektakulärer Gelenktrolleybus, den Viseon im kommenden Jahr in einer Auflage von zwölf Stück nach Saudi-Arabien liefert (im Bild). Dritte Säule von Viseon sind Flughafenbusse, eine frühere Neoplan-Spezialität. Einst in Stuttgart und später im Lohnauftrag in Slowenien gefertigt, produziert Viseon die Flachmänner nun in eigener Regie und ist laut Joachim Reinmuth weltweit Anbieter Nummer zwei. Dann wären da noch Um- und Einbauten, so genannte customized Busse. Ob VIP-Busse oder andere Spezialitäten, Viseon schreckt auch vor tiefgreifenden Umbauten aller Marken nicht zurück.Auf der IAA im Herbst wird Viseon in Halle 11 präsent sein. Man hat sich unmittelbar neben Solaris angesiedelt, der ersten erfolgreichen Abspaltung von Neoplan.

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