Truck-Grand-Prix 2014 Auslegungssache bei der Podiumsdiskussion

Foto: Markus Bauer

Beim Truck-Grand-Prix am Nürburgring führten Experten auf dem FERNFAHRER-Stand eine spannende Diskussion mit Fahrern und Kontrolleuren zur wöchentlichen Ruhezeit.

"Stellen Sie sich vor, Sie gehen ins Freibad und dort steht ein Schild: "Schwimmen von 7.00 bis 17.00 Uhr erlaubt."  Dürfen Sie nach 17.00 Uhr noch ins Wasser?" Mit dieser Frage – einer Anspielung an den Wortlaut der EU-Verordnung zur wöchentlichen Ruhezeit – läutet FERNFAHRER-Autor Jan Bergrath die Podiumsdiskussion zum Thema "Dumping oder Kontrolle?" ein.

"Ja klar, meiner Meinung nach schon", lautet die ebenso spontane wie wohlüberlegte Antwort von Stefan Schimming, Referatsleiter im Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur. Konkret geht es um die seit längerem diskutierte Problematik, dass Lkw-Fahrer ihre regelmäßige wöchentliche Ruhezeit eigentlich nicht in der Kabine verbringen dürfen. Eigentlich. Denn die Verordnung ist schwammig formuliert. Und das BAG kontrolliert die unzähligen, meist osteuropäischen Fahrer, die ihre Wochenenden im Lkw auf deutschen Rastanlagen verbringen, nicht. Schimming erklärt, warum: "Das BAG kontrolliert keine Fahrzeuge, bei denen man von außen annehmen muss, dass die Fahrer gerade eine Ruhezeit einlegen. Weil das wär’s dann mit der Ruhezeit." Eine Begründung, die nicht nur im Publikum Kopfschütteln auslöst. Unter Verkehrsminister Ramsauer sei die Haltung des BMVI noch eindeutiger gewesen – die nicht regelmäßige wöchentliche Ruhezeit müsse außerhalb des Lkw verbracht werden, kontert die Europaabgeordnete Jutta Steinruck. Unter Dobrindt habe das Ministerium eine Kehrtwende vollzogen. "Auch Ramsauer konnte das Problem nicht lösen", merkt Schimming an, "wir haben keine eindeutige Verbotsvorschrift."

Kontrollmöglichkeiten konsequent ausschöpfen

Dass die Kontrollbehörden trotzdem Handlungsspielraum haben, beweist Raymond Lausberg. Der berühmt-berüchtigte belgische Hauptinspektor kommt seiner Kontrollpflicht nach – und darf seit Mitte Juni Bußgelder bis zu 1.800 Euro verhängen. "Nicht für die Fahrer, die mal nicht anders können, sondern für diejenigen, die hier monatelang unterwegs sind." Die konsequente Ausschöpfung der Kontrollmöglichkeiten erwartet auch Udo Skoppek von der Actie in de Transport Deutschland. "Das Fahrerhaus wurde gesetzlich noch nie als Ruheort vorgesehen und ist daher kein Ort für die 45-Stunden-Pause", argumentiert der Lkw-Fahrer. "Sollen wir gleich mal vereinbaren, dass Lausberg das BAG schult?", fragt Bergrath provokant in die Runde. Tosender Applaus im Publikum.

Der Belgier rettet dann aber die Ehre des BAG, indem er erzählt: "Ich kenne die deutschen Kollegen als gute Kontrolleure." Dass er mit seinen Kontrollen die Fahrer zu sehr aufs Korn nehme, wie ihm Schimming vorwirft, bestreitet Lausberg. Der jeweilige Transportunternehmer sei dafür verantwortlich, wie er seine Leute einsetzt. Und entsprechend werde er auch zur Verantwortung gezogen.

Mindestlohn als Hoffnungsträger

"Kann es von deutscher Seite keine Initiative zur Verbesserung der immer dramatischeren Situation auf unseren Autobahnen geben?", fragt Bergrath. "Nur zu gerne", bekennt Schimming. Alles, was illegal ist, muss unnachgiebig bekämpft werden. "Aber so weit sind wir in Europa nicht." Die Kontrollen würden sich je nach Land stark unterscheiden. Und entsprechende Gesetzesinitiativen auf EU-Ebene könnten nur von der EU-Kommission kommen. Leider gebe es Länder, die kein Interesse daran hätten, an der Situation etwas zu ändern, ergänzt Steinruck. Und sie betont: "Es sind nicht die osteuropäischen Fahrer, es sind die Unternehmen, die den Hals nicht voll genug bekommen."

Viele Hoffnungen ruhen daher auf dem Mindestlohn, wie auch Prof. Jochen Bayer von der Hochschule Furtwangen berichtet. Allerdings gilt der, wie Steinruck einschränkt, nur für abhängig Beschäftigte. Selbstfahrende Unternehmer oder Scheinselbständige wären also vom Mindestlohn ausgenommen. Schlussfrage von Jan Bergrath: Werden wir es noch erleben, dass das Bundesamt für Güterverkehr die regelmäßige wöchentliche Ruhezeit an einem Sonntagabend an einer deutschen Autobahn kontrolliert? "Kann ich mir nicht vorstellen", antwortet Schimming freimütig. Die Regelung sei einfach zu "dünn". Er sieht aber eine Chance darin, mit der Sicherheit zu argumentieren – und so politische Entscheidungen herbeizuführen. Die Unfallzahlen sprechen dafür. Leider.

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