trans aktuell-Expertengespräch Abbiegeunfälle Die Gefahr im Blick behalten

Auf Einladung von trans aktuell diskutierten Experten das Thema "Sicherheit geht vor: Lkw-Abbiegeunfällen einen Riegel vorschieben".

Als der Fahrer einer befreundeten Spedition in einen Abbiegeunfall mit Todesfolge verwickelt wurde, war für Anton Klott klar: "Da muss ich aktiv werden." Der Technische Leiter von Edeka Südbayern entwickelte daraufhin einen Abbiegeassistenten, der sogar mit dem Dekra Award ausgezeichnet wurde. 

Bei einem trans aktuell-Expertengespräch mit dem Titel "Sicherheit geht vor: Lkw-Abbiegeunfällen einen Riegel vorschieben" in Stuttgart stellte er seine Entwicklung vor und stieß damit auf breite Zustimmung. Kein Wunder: Alle Gesprächsteilnehmer haben sich dem Thema Abbiegeunfälle verschrieben.

Zu Recht, denn die Unfallzahlen sind nach wie vor hoch: ­Ralph Feldbauer, Leiter des Bereichs Riskmanagement für Flottenkunden bei der Allianz Versicherung, stellte die Zahlen der Unfalldatenbank der Versicherer (UDV) aus dem Jahr 2015 vor. 3.226 Kollisionen zwischen Lkw und Radfahrer, davon 72 mit Todesfolge und 665 Schwerverletzte registrierten die Versicherer. "Die Dunkelziffer liegt aber viel höher", ergänzte Michael Fischer, Wissenschaftlicher Assistent der Geschäftsbereichsleitung Prävention bei der BG Verkehr.

Aufklärung und Schulung der Lkw-Fahrer

Neben technischen Entwicklungen von Spiegelsystemen für Neufahrzeuge oder technischen Nachrüstlösungen sowie Schablonen zur richtigen Spiegeleinstellung fordert Ralph Feldbauer vor allem die Aufklärung und Schulung der Lkw-Fahrer.

"Anfangen muss man schon beim Fahrlehrer", erklärte Siegfried Serrahn, Geschäftsführer der gleichnamigen Spedition mit Sitz in Osnabrück. Seit Jahren hat er sich dem Thema Abbiegeunfälle verschrieben und eigens dafür einen Aktionstag Logistik ins Leben gerufen. 70 Konvexspiegel spendete er gemeinsam mit befreundeten Logistikern aus der Region der Stadt Osnabrück. "Osnabrück ist ein speditioneller Hotspot, daher ist das Thema dort so präsent", erklärt Michael Fischer.

Der BG-Experte stellt die Teilziele der Berufsgenossenschaft im Kampf gegen Abbiegeunfälle vor. Das erste Ziel: Die Menschen für das Thema sensibilisieren und um gegenseitiges Verständnis werben. Nummer zwei sei das Anregen, Begleiten und Bewerten von technischen Lösungen wie dem Abbiegeassistenten. Als dritten Schritt schlägt er die Einbeziehung der Politik vor: "Es gibt auf politischer Ebene keine Bündelung der Expertise zu diesem Thema."

Plastikplane zur Spiegeleinstellung ist voller Erfolg

Eine konkrete Maßnahme der BG Verkehr ist die Entwicklung einer Plastikplane, mit der sich die Lkw-Außenspiegel richtig einstellen lassen, um das Unfallrisiko zu minimieren. "Die Nachfrage war so groß, dass der für die Produktion zuständige Dienstleister zunächst überfordert war", sagte Fischer. Auch die 300 befragten Fahrerinnen und Fahrer seien von der Plane überzeugt. Fischer fordert ebenfalls mehr Unterstützung für Lkw-Fahrer – nicht nur als Präventionsmaßnahme, sondern vor allem nach dem Unfall. Sie seien nach Abbiegeunfällen zwar selten verletzt, hätten aber oft jahrelang mit psychischen Problemen zu kämpfen.

"Die Arbeitgeber sollten psychologische Beratungsangebote anbieten", forderte er. Eine solches Angebot hilft laut Dr. Tom Petrick, Fachanwalt für Verkehrsrecht bei der Kanzlei Fels in Bayreuth, auch bei der Wiedereingliederung des Fahrers in den Arbeitsalltag und der Einschätzung, wann der betroffene Fahrer wieder hinters Steuer darf.

Damit es gar nicht erst zu einem Unfall kommt, hat Daimler als erster Lkw-Hersteller einen Abbiegeassistenten auf den Markt gebracht. Premiere feierte die Entwicklung auf der IAA Nutzfahrzeuge im September. Carsten Barth, Teamleiter Entwicklung Fahrerassistenzsysteme der Daimler-Lkw-Sparte, berichtete von positiven Rückmeldungen und gutem Verkaufsstart. "Die deutschen Spediteure sparen nicht an Sicherheitsausstattung", so sein Eindruck.

Der Abbiegeassistent warnt den Fahrer per gelbem LED-Licht in Form eines Dreiecks, sobald sich ein bewegliches Objekt in der seitlichen Überwachungs­zone befindet. Der Blick des Fahrers soll auf diese Weise auf die Situation rechts neben dem Lkw und den rechten Außenspiegel gelenkt werden. Droht eine Kollision, blinkt das LED-Licht mehrfach rot auf, nach zwei Sekunden leuchtet es dauerhaft rot. Zusätzlich ertönt ein Warnton über den Lautsprecher der Radioanlage.

Notbremsassistent wurde weiterentwickelt

Neben dem Abbiegeassistenten haben die Daimler-Ingenieure auch den Notbremsassistenten weiterentwickelt. Die Radarsensorik des Active Brake Assist 4 erfasst Fahrzeuge und Hindernisse auf bis zu 250 Meter Entfernung und Fußgänger auf bis zu 70 Meter Entfernung in direkter Linie und seitlich vor dem Lkw. Das System warnt den Fahrer vor einer Kollision mit Fußgängern und leitet gleichzeitig automatisch eine Teilbremsung ein.

Ein Unfall oder auch eine brenzlige Situation kommen aber nicht von ungefähr: "Schäden passieren nicht, sie werden verursacht" – so lautet das Mantra von Andreas Lüer, Leiter Credit- und Versicherungsmanagement des Baustoffhändlers Bauking, Hannover. Für die Flotte aus 168 Lkw und 351 Staplern an 130 Standorten bedeutet das, dass Lüer auch nach der Ursache eines Unfalls oder Beinaheunfalls forscht. Im Rahmen eines strategischen Riskmanagements konnte Lüer so in der gesamten Bauking-Flotte die Zahl der Schäden und die Höhe der schadensbedingten Kosten reduzieren. In Zahlen: Bei der gleichen Anzahl von Fahrzeugen sank die Zahl der Schäden von 270 im Jahr 2010 auf 75 im Jahr 2016. Und laut Lüer sind unter den 75 Schadenfällen vor allem viele Rangierschäden zu finden.

Aber nicht nur betriebswirtschaftlich rechnet sich das Engagement für mehr Sicherheit. "Wir empfinden es auch als eine strategische Verpflichtung der Unternehmensführung, sich mit dem Thema Riskmanagement zu beschäftigen." Aus diesem Grund werden seit 1. Januar diesen Jahres alle Neufahrzeuge mit der kompletten Sicherheitsausstattung bestellt, um auch die Zahl der tödlichen Unfälle so weit es geht zu reduzieren oder gar auszuschließen. "Das ist ein ganzheitlicher Ansatz, der sowohl die Geschäftsführung als auch die Leute betrifft, die den Fuhrpark betreuen", sagt Lüer. Der Versicherer werde ebenfalls nicht aus der Pflicht gelassen.

Plastikplane im Onlineshop erhältlich

Weil der komplette Fuhrpark vermutlich erst ab 2030 mit allen erhältlichen Sicherheitsfeatures ausgestattet sein wird, setzt Lüer derweil etwa auf die Spiegeleinstellplane, um bei den eigenen Fahrzeugen den toten Winkel zu eliminieren. Lüer hat die von der BG Verkehr entwickelte Plane – "eine geniale Idee und eine sehr gute Lösung" – nach eigenen Angaben handlicher gemacht und vertreibt sie über einen Onlineshop.

Gelegenheiten, die Spiegeleinstellung zu optimieren, gebe es viele – schon allein nach der Auslieferung eines Neufahrzeugs oder nach einem Werk­statt­besuch sieht der Fuhr­park­profi für den Fahrer die Notwendigkeit, die Spiegeleinstellungen erneut zu überprüfen. Und mit der Plane sei dies überdies in zwei Minuten erledigt. "Meine Zu­kunfts­vision: Dass es am Freitagnachmittag für jeden Fahrer Gewohnheit ist, am Betriebsstandort und vielleicht zusammen mit einem Kollegen vom Lager die Spiegeleinstellung zu prüfen."

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