Novelle der StVO Existenzbedrohend

Foto: Jan Bergrath
Meinung

Zu Beginn der Coronakrise waren die Fahrer von Lkw und Transportern für die Versorgung der Bevölkerung noch systemrelevant, doch längst ist klar, dass sie in den Städten hinter dem Schutz der Radfahrer zurückstecken müssen. Mit der Novelle der Straßenverkehrsordnung ist nun die Gefahr, den Führerschein zu verlieren, stark gestiegen.

Ende Mai hat es Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) gleich mehrfach in TV-Satiresendungen geschafft. Nicht wegen der verkorksten Pkw-Maut - dazu gibt es längst einen Untersuchungsausschuss. Sondern wegen seiner eher hilflosen Aussage zur Novelle der Straßenverkehrsordnung (StVO), die Ende April in Kraft getreten ist und in erster Linie die schwächeren Verkehrsteilnehmer wie die Radfahrer schützen soll. Das ist im Prinzip richtig.

Den Spott hat sich Scheuer hauptsächlich wegen seiner bei einer Pressekonferenz Ende Mai missglückten Entschuldigung zugezogen, als er von Hunderttausend kritisierender Zuschriften von Pkw-Fahrern sprach und vor laufender Kamera sagte, so ein 70er Schild am Rande der Straße könne man ja schon einmal übersehen. Darauf, dass diese ministerielle Ausrede auch bei eigenem Verschulden vor Gericht zählen könne, sollte sich allerdings niemand verlassen, warnt der Fachanwalt für Verkehrsrecht, Matthias Pfitzenmaier. Stand heute sind die beiden für Scheuer und seine rasende Fangemeinde nicht tragbaren Punkte, je ein einmonatiges Fahrverbot ab 21 km/h über der erlaubten Geschwindigkeit innerorts und ab 26 km/h auf den Straßen außerhalb der Städte und Gemeinden, weiterhin gültig. Allerdings steht nun offenbar eine weitere Novellierungsrunde an.

Logistikverbände mit Positionspapier

Nun haben die Logistikverbände AMÖ, BGL, BIEK, BWVL, BSK, DSLV und TD in einem gemeinsamen Positionspapier eine Korrektur der Novelle angemahnt, da sie fürchten, dass die beruflichen Existenzen der Fahrer, die regelmäßig innerorts ausliefern müssen, in Gefahr sind. Insbesondere die City-Logistik mit den Fahrern der Paketdienste ist massiv betroffen. „Die StVO-Novelle sieht erhöhte Geldbußen insbesondere für das verbotswidrige Parken auf Geh- und Radwegen sowie das nunmehr unerlaubte Halten auf Schutzstreifen und das Parken und Halten in zweiter Reihe vor“, heißt es. „Für diese Verkehrsverstöße wurden die Geldbußen auf bis zu 110 Euro erhöht. Bei schwereren Verstößen ist darüber hinaus jetzt der Eintrag eines Punktes in das Fahreignungsregister vorgesehen, wenn durch das verbotswidrige Parken oder Halten in zweiter Reihe und auf Fahrradschutzstreifen oder Parken auf Geh- und Radwegen andere Verkehrsteilnehmer behindert oder gefährdet werden.“

Lieferverkehr vor unlösbaren Problemen

In meinem Blog „Rücksichtnahme ist keine Einbahnstraße“ hatte ich bereits über eine kontroverse Diskussion angesichts des letzten Verkehrsgerichtstages in Goslar „vom Ringen um den städtischen Raum“ geschrieben. „Das größte Dilemma: Während die Menschen zwar immer mehr Pakete online bestellen, beklagen sie sich zunehmend darüber, dass die Zahl der Transporter, die diese Pakete natürlich bislang frei Haus liefern, zunehmen und auch in den städtischen Vororten mangels vorhandener und deutlich ausgewiesener Ladezonen in der zweiten Reihe parken müssen – was wiederum, etwa durch plötzliches Türöffnen, die Radfahrer gefährdet. Ein Versuch von Paketlogistikern, die eingehenden Pakete nicht mit jeweils unterschiedlichen Fahrzeugen der Unternehmen zu transportieren, sondern zu bündeln, habe letzten Endes auch nicht zu weniger Verkehren geführt. Weil es einfach zu viele Pakete sind – und jedes Jahr mehr werden.“

Kaum lösbare Probleme

Das steht nun in etwa auch im Positionspapier der Verbände. „Diese Neuregelung stellt den Lieferverkehr und die urbane Logistik vor in aller Regel kaum lösbare Probleme, wenn die Anlieferung im innerstädtischen Bereich vorgenommen werden soll. Dies gilt grundsätzlich für die Versorgung der Innenstädte, sei es bei der Versorgung des Lebensmitteleinzelhandels, der Gastronomie, des Handels mit Waren, bei der Paket- und Warenzustellung für einzelne Haushalte, die Belieferung von Baustellen, die oftmals mit einer geänderten Verkehrsführung einhergehen, die der Fahrer vorher nicht kennen kann, wie auch die Belieferung von Haushalten oder Unternehmen und Behörden mit Heizöl oder Flüssiggas, wo wegen der begrenzten Länge der Füllschläuche ein Parken auf Fahrradschutzstreifen und Gehwegen im städtischen Raum und eine damit einhergehende Behinderung anderer Verkehrsteilnehmer vielfach unvermeidbar ist und für Umzüge“.

Entzug der Fahrerlaubnis droht

Weiter heißt es: „Durch diese Neuregelung sind die Lkw-Fahrer, deren Job es ist, uns tagtäglich eine Ver- und Entsorgung für die Gesellschaft sicherzustellen, ständig der Gefahr ausgesetzt, möglicherweise binnen kurzer Zeit die den Entzug der Fahrerlaubnis auslösenden acht Punkte im Fahreignungsregister akkumuliert zu haben – und damit die Grundlage für die berufliche Existenz zu verlieren.“ In der Sendung 17 von FERNFAHRER live haben wir Ende April bereits mit dem Verkehrspsychologen Thomas Pirke darüber gesprochen, dass man bis spätestens fünf angesammelten Punkten mit dem freiwilligen Punkteabbau beginnen kann.

Schon der Versuch kann strafbar sein

In der Tat: Besonders die Fahrer von Paketdiensten sehen sich nun einem massiven Problem gegenüber. So finden sie bei der Auslieferung so gut wie nie gesonderte Ladezonen vor, schon gar nicht in den innerstädtischen Wohnvierteln, in denen gleichzeitig die Zahl der Anwohnerparkplätze zunimmt. Eine typische Auslieferung mit etwa 31 Stopps wird so zum Glücksspiel, ob an dem Tag kontrolliert wird. Nicht selten bringen Paketfahrer bis zu vier Knöllchen pro Woche zurück, die sie aus eigener Tasche zahlen müssen. „Der Arbeitgeber wird dem Fahrer schon aufgeben, dass er sich an die Regeln im Straßenverkehr zu halten hat“, beschreibt der Fachanwalt für Arbeitsrecht Harry Binhammer das Dilemma. „Ist der Bereich für die Auslieferung absolut nicht zugänglich, so muss der Fahrer zumindest einen Versuch der Zustellung machen und dann seinen Arbeitgeber informieren, dass es keine Möglichkeit gibt zu halten.“ Das führe, so ein Insider eines Paketdienstes aus Würzburg, in letzter Konsequenz dazu, dass die Paketfahrer einen Teil der Pakete gleich wieder mitnehmen. Was wiederum eine große Unzufriedenheit der Kunden, die ihre Pakete selber abholen müssen, mit sich häufenden Beschwerden nach sich zieht.

Halten mitten auf der Straße

Und so fallen im Stadtbild, wie hier in Köln-Sülz, immer öfter Transporter auf, die mit eingeschalteter Warnblinkanlage jetzt quasi mitten auf der Straße parken. „Die Novelle der StVO hat das Halten und Parken in zweiter Reihe und/oder auf Schutzstreifen für Radfahrer und auf Radwegen mit einem Grundbußgeld von 55 Euro belegt“, erläutert Pfitzenmaier. „Das gibt noch keinen Punkt. Erst wenn eine Behinderung dazu kommt, gibt es mit 70 Euro einen Punkt, bei Gefährdung 80 Euro und einen Punkt und mit Sachbeschädigung 100 Euro und einen Punkt.“ Der Transporter im Bild hält also grundsätzlich so weit rechts, wie es für ihn geht. Und als Autofahrer kann man ihn mit Vorsicht überholen.

„Aber es liegt trotzdem ein unzulässiges Halten in zweiter Reihe vor“, warnt Pfitzenmaier, „jedenfalls nach dem jetzigen Wortlaut des Verordnungstextes, was ebenfalls zu einem Bußgeld von 55 Euro, mit Behinderung von 70 Euro plus einem Punkt führen würde. Es ist das gleiche Bußgeld, wie wenn der Transporter direkt auf dem Schutzstreifen stehen würde.“ Eine für Fahrer derzeit ausweglose und kaum tragbare Situation. Sie wird, das ist kein großes Geheimnis, über kurz oder lang dazu führen, dass sich kaum noch Menschen für den systemrelevanten Beruf des Fahrers von Lkw oder Transportern entscheiden werden. Das wiederum interessiert aber die Anwohner nicht. Und die Politik, so sieht es aus, beugt sich offenbar deren Druck.

Terminhinweis: Am Donnerstag, dem 4. Juni, diskutieren wir ab 17 Uhr bei FERNFAHRER live mit dem Fachanwalt für Verkehrsrecht, Matthias Pfitzenmaier, das Für und Wider der aktuellen Novelle der StVO und die neuen Probleme betroffener Fahrer.

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