Medizinischer Notfall Herzinfarkt am Steuer

Medizinischer Notfall Foto: Alexander Hald 7 Bilder

Hinter Meldungen in den lokalen Medien über Lkw-Fahrer, die während der Fahrt plötzlich am Steuer kollabiert sind, verbirgt sich nicht selten ein Herzinfarkt. Dem lässt sich unter Umständen vorbeugen.

Der Herzinfarkt kam im Nahverkehr. Mitten in der Nacht, am 25. März, wacht Thomas „Tom“ Limmer (60) aus Sonnefeld mit Atemnot im Bett auf. Seit 40 Jahren fährt er Lkw, seit acht Jahren bei SFT Transport aus Küps. Europaweit. Er ist Mitbegründer der Franken-Strolche und gehört zum Organisationsteam des Truck Festivals in Lichtenfels. Viele Kollegen kennen ihn als „Tom Straight“ bei Facebook. Geradlinig.

Als er sich aufsetzt, merkt er, dass er besser Luft bekommt. „Wenn ich sitzen kann, dann kann ich auch fahren“, erzählt er. „Also dachte ich, ich mache eben noch die Tour nach Schweinfurt, bevor ich zum Hausarzt gehe.“ Der überweist Tom nach dessen Rückkehr gegen acht Uhr zum Kardiologen, dieser schickt ihn ins Krankenhaus. Dort bekommt er per Katheter drei Stents. Glück gehabt.

Längst weiß Tom, dass er gut und gerne stattdessen eine Schlagzeile in der lokalen Zeitung hätte bekommen können. So wie am 16. September in den „Stuttgarter Nachrichten“, mit dem Bild eines roten Einsatzwagens und einem gelb-blauen Sattelzug mitten im Feld. „Ein medizinischer Notfall eines Lkw-Fahrers hat auf der A 81 kurz vor der Ausfahrt Stuttgart-Zuffenhausen zu einem Unfall geführt“, heißt es da. „Der Fahrer fuhr mit seinem Fahrzeug gegen die Leitplanke und landete in einem Acker, wie ein Sprecher der Polizei am Montagabend sagte. Der Unfall ereignete sich demnach kurz nach 17 Uhr. Rettungskräfte brachten den Fahrer in ein Krankenhaus. Die Einsatzkräfte der Feuerwehren sicherten die Autobahn ab und sperrten kurzfristig zwei Fahrstreifen.“

Heldentat im Steinbruch

Oder gleich als „Heldentat im Steinbruch“, wie es am 19. August in der „Thüringer Allgemeinen“ heißt: „Durch sein beherztes Eingreifen hat ein Lkw-Fahrer am Montag im Steinbruch Steudnitz im Saale-Holzland-Kreis offenbar Schlimmeres verhindert, indem er geistesgegenwärtig einen anderen Lkw-Fahrer mit seinem Lkw stoppte. Laut Polizei hatte der 64-jährige Fahrer des außer Kon­trolle geratenen Lkw offenbar eine Herzattacke erlitten und war hinterm Steuer bewusstlos geworden.“

Manchmal ist es ein einsamer Tod. So wie erst am 3. Oktober bei infranken.de: „Aufgrund einer medizinischen Ursache kam es am Montagvormittag in Würzburg zu einem Unfall auf einem Parkplatz, bei dem ein Lkw einen Baum rammte. Wie die Polizei am Tag darauf mitteilte, starb der 55-jährige Fahrer im Krankenhaus.“ Für Tom gibt es dazu den Versuch einer Erklärung: „Viele Fahrer in meinem Alter haben jahrelang Raubbau am eigenen Körper betrieben, das rächt sich nun. Der Beruf ist nicht unbedingt stressfreier geworden. Zudem müssen viele ältere Fahrer bis ins hohe Alter weiterfahren, weil die Rente nicht zum Leben reicht.“

Tom wurde von einem auf den anderen Tag aus dem Beruf gerissen. Mittlerweile hat er einen Defibrillator implantiert bekommen. Ein wie ein Herzschrittmacher eingebauter Defibrillator erkennt schwere Herzrhythmusstörungen, die zum Herzstillstand führen können. Er beendet selbstständig nach Erkennen dieser Rhythmusstörungen mit einem Stromstoß innerhalb des Herzens diese Symptome. Danach sollte das Herz wieder im normalen Rhythmus schlagen.

Zurück ans Steuer?

Dennoch ist für Tom nach 40 Jahren Schluss mit seinem Traumberuf. „Nach Einsetzen eines Herzschrittmachers besteht in vielen Fällen nach Ablauf einer erkrankungsabhängigen Übergangsfrist wieder eine Fahreignung“, sagt die Bonner Intensivmedizinerin Christine Mühler. „Demgegenüber steht der Einsatz eines implantierbaren Kardioverter-Defibrillators, der in der Regel bei schwereren strukturellen Herzerkrankungen zur Anwendung kommt. Hier sehen die aktuellen Bestimmungen aufgrund des erhöhten Risikos übereinstimmend eine Fahruntauglichkeit für Lkw-Fahrer.“

Tom muss nun regelmäßig zur Kontrolluntersuchung ins Krankenhaus. Die letzte Ende September war ohne Befund. „Hauptsache, ich lebe“, sagt er sich. Die beiden Kinder sind erwachsen, mit seiner Frau muss er sich allerdings neu arrangieren. „Es ist schon eine ziemliche Umstellung, wenn du 40 Jahre praktisch nur am Wochenende zu Hause bist und nun jeden Tag. Ich kann daher nur jedem Kollegen raten, sich regelmäßig beim Hausarzt checken zu lassen.“

Im Interview beschreibt Christine Mühler, wie sich Fahrer trotz ihrer unregelmäßigen und oft ungesunden Arbeit gegen einen Herz­infarkt wappnen können. Und sie betont: „Es gilt, mögliche Warnsignale nicht zu ignorieren. Keinesfalls sollte der Fahrer versuchen, ein bestimmtes Ziel, die nächste Autobahnabfahrt oder Raststätte noch zu erreichen. Im Zweifelsfall ist es besser, kontrolliert auf dem Seitenstreifen zum Stillstand zu kommen. Hilfe durch einen Notarzt ist auch auf der Autobahn verfügbar.“ So wie es Christian Rumpf (43) aus Meschede gemacht hat.

Christian reagiert pragmatisch

Seit 24 Jahren fährt Christian Lkw. Am 20. September 2017 stand er mit seinem Containerzug nachts auf einem Rastplatz an der B 516 zwischen Belecke und Rüthen. „Ich bin plötzlich durch einen merkwürdigen Druck in den Ellbogen wach geworden, bin aus meinem Actros ausgestiegen und habe erst mal die Arme ausgeschüttelt.“ Zurück im Lkw spürte er plötzlich die Schmerzen in der Brust. Auch er handelt pragmatisch. „Ich habe meiner Frau Bescheid gesagt, sie solle bitte ein paar Sachen für mich einpacken, dann habe ich die 112 gewählt. Ich wusste, dass der nächste Rettungswagen nur zwei Minuten entfernt stationiert ist.“

Im Krankenhaus wird ein Hinterwandinfarkt festgestellt. Auch Christian bekommt Stents gesetzt, röhrenförmige Gefäßstützen in Gitterform, die aus Metall oder Kunstfasern gefertigt werden. Stents werden in Gefäße oder Hohlorgane eingesetzt, um diese zu stützen oder offen zu halten. Nach Klinik und Reha darf er sechs Wochen später schon wieder fahren. „Das war für mich allerdings ein Schuss vor den Bug.“

Auch Christian muss alle drei Monate zur Untersuchung, bekommt Medikamente und versucht immerhin, seinen Lebensstil etwas zu ändern. Mittlerweile fährt er im Sauerland Holztransporte. „Ich bin jeden Tag im Wald und an der frischen Luft“, lacht er. „Und wenn ich auf den Kran steige, dann habe ich immerhin etwas Bewegung.“

Christine Mühler, Intensivmedizinerin, im Interview

Woran kann man einen drohenden Herzinfarkt erkennen?

Der Herzinfarkt ist das Resultat einer Verengung der Herzkranzgefäße (koronare Herzkrankheit, KHK). In knapp der Hälfte der Fälle tritt als erstes Symptom die Angina Pectoris mit Brustschmerzen und Atemnot auf. In anderen Fällen ist der Infarkt oder der plötzliche Herztod die Erstmanifestation der KHK. Bei einer allmählich fortschreitenden Durchblutungsstörung des Herzmuskels können Herzrhythmusstörungen oder eine eingeschränkte Herzleistung mit verminderter körperlicher Belastbarkeit die ersten Anzeichen sein, die der Betroffene bemerkt.

Was kann man als Lkw-Fahrer machen, sollten diese Symptome während der Fahrt auftreten?

In vielen Fällen treten die typischen Symptome der Angina Pectoris mit (ausstrahlendem) Brustschmerz nicht auf oder stehen im Hintergrund. Zum Beispiel kann bei Diabetikern, Frauen oder Personen mit eingeschränkter Nierenfunktion das Schmerzereignis fehlen, stattdessen treten Symptome wie Übelkeit, Schwindel, Atemnot oder Schmerzen im Oberbauch auf. Gerade Fahrer, bei denen Risikofaktoren für eine KHK vorliegen, sollten auch bei diesen untypischen Symptomen hellhörig werden und keine Angst vor einem „falschen Alarm“ haben. Es gilt, mögliche Warnsignale nicht zu ignorieren. Keinesfalls sollte der Fahrer versuchen, ein bestimmtes Ziel, die nächste Autobahnabfahrt oder Raststätte noch zu erreichen. Im Zweifelsfall ist es besser, kontrolliert auf dem Seitenstreifen zum Stillstand zu kommen. Hilfe durch einen Notarzt ist auch auf der Autobahn verfügbar.

Was sind die bekanntesten Risikofaktoren insbesondere für Lkw-Fahrer, die sich wenig bis gar nicht bewegen?

Es gibt sogenannte klassische Risikofaktoren. Das sind einerseits unbeeinflussbare Faktoren, so wie das männliche Geschlecht. Ein Herzinfarkt tritt bei Männern doppelt so häufig auf wie bei Frauen. Dazu kommt das Alter oder eine familiäre Vorgeschichte von Herzkreislauferkrankungen. Wichtiger aber sind diejenigen Faktoren, die der Einzelne beeinflussen kann: Fettstoffwechselstörungen, ein unzureichend eingestellter Bluthochdruck oder Diabetes können das Risiko für einen Herzinfarkt deutlich erhöhen. Entscheidend ist es, diese Vorerkrankungen frühzeitig, etwa beim zweijährlichen Check-up beim Hausarzt, zu erkennen und konsequent zu behandeln, um schwerwiegende Folgen wie den Herzinfarkt, aber auch Durchblutungsstörungen durch Gefäßverschlüsse in anderen Körperregionen zu vermeiden. Andere Risikofaktoren wie das Rauchen, Übergewicht, mangelnde körperliche Aktivität und eine ungünstige Ernährung müssen durch anhaltende Lebensstiländerungen angegangen werden.

Welche Altersgruppe ist am meisten gefährdet?

Eine Durchblutungsstörung des Herz­muskels tritt bei Männern häufig nach dem 45. Lebensjahr, bei Frauen nach dem 55. Lebensjahr auf. Größere Bedeutung als das kalendarische hat aber das sogenannte biologische Alter. Dies lässt sich vom Einzelnen durch einen gesunden Lebensstil und die Vermeidung schädlicher Einflüsse positiv beeinflussen.

Lkw-Fahrer sind sehr viel unterwegs, sie arbeiten oft gegen den Biorhythmus und ernähren sich schlecht. Wie können sie trotzdem vorbeugen?

Wie gesagt, eine regelmäßige Kontrolle auf und die Behandlung von begünstigenden Erkrankungen und ein gesünderer Lebensstil beugen vor. Gerade radikale Lebensstiländerungen sind jedoch schwer durchzuhalten. Die wenigsten Leute schaffen es, von einem auf den anderen Tag ausreichend körperliche Aktivität in ihren Alltag einzubauen, sich nach der empfohlenen mediterranen Diät zu ernähren und dann auch noch mit dem Rauchen aufzuhören und weitgehend auf Alkohol zu verzichten. Hier kann es erfolgversprechender sein, sich erreichbare Zwischenziele zu setzen. Und auch vermeintlich kleine Verbesserungen des Lebensstils können sich positiv bemerkbar machen.

Es ist bekannt, dass Lkw-Fahrer zur Selbstmedikation neigen. Was sind dabei die Gefahren?

Wenn unspezifische Symptome ignoriert oder als „Befindlichkeitsstörung“ fehlgedeutet werden, ist es möglich, dass eine Selbstmedikation mit Schmerzmitteln, Asthmaspray oder Magensäureblockern versucht wird und so wertvolle Zeit verloren geht. Der Griff zu chemischen Helfern, die vermeintlich über Müdigkeit oder Leistungstiefs hinweghelfen sollen, kann fatal sein. Die Einnahme von Stimulanzien wie Amphetamin, Metamphetamin oder Kokain kann sogar schon bei herzgesunden Personen Angina-Pectoris-Anfälle, Herzinfarkte und Herzrhythmusstörungen auslösen.

Unter welchen Bedingungen kann ein Lkw-Fahrer nach einem Herzinfarkt wieder in seinen Beruf zurück?

Die Fahreignung nach einem Herzinfarkt hängt wesentlich von den Auswirkungen dieses Ereignisses ab. Die Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) stuft Fahrerinnen und Fahrer für die Fahrerlaubnisklassen C, C1, CE, C1E, D, D1, DE, D1E und FzF sechs Wochen nach einem Herzinfarkt nur unter bestimmten Bedingungen als fahrgeeignet ein. Die Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt), mit Stand vom 24. Mai 2018, spezifizieren dies als zutreffend. Ist die Herzfunktion jedoch bereits zu stark und dauerhaft eingeschränkt, liegt keine Fahreignung mehr vor. Der Einzelfall, so heißt es in den Leitlinien ausdrücklich, ist nur unter Berücksichtigung eventueller Auflagen zu beurteilen. In jedem Fall ist eine kardiologische Untersuchung erforderlich, um die Fahreignung festzustellen.

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