Lkw-Unfall auf der A 2 Die Klarstellung

Foto: Michael Seelen
Meinung

Über ein halbes Jahr musste Michael Seelen mit dem falschen Vorwurf einiger Medien leben, er habe mutmaßlich durch Ablenkung am Steuer einen schweren Unfall verursacht.

Dies ist die Geschichte eines furchtbaren falschen Verdachts, den deutsche Medien gegenüber einem Lkw-Fahrer Ende Juni 2021 veröffentlichen. „Zwei Tote bei Horror Unfall auf der A2. Handy beschlagnahmt! War der Lkw-Fahrer abgelenkt? So titelte etwa die BILD-Zeitung am Morgen des 26. Juni 2021 um 9 Uhr 45 den Unfall, der sich am Freitag zuvor gegen 15.40 Uhr auf der A 2 kurz hinter dem Autobahnkreuz Dortmund-Nordwest zugetragen hat. Im ersten Foto zu sehen ist der Scania R 450 der Kühlspedition Raeth aus Straelen mit dem Kühlauflieger von Schmitz Cargobull, der die Mittelleitplanke durchbrochen hat und mitten auf der Gegenfahrbahn Richtung Hannover stehengeblieben ist. Zu sehen ist dort ebenfalls der schwarze Range Rover, der in der Mittelleitplanke stecken geblieben ist. Ebenfalls zu erkennen sind die beiden Pkw, die in den querstehenden Lkw hineingefahren sind. Keines der Fahrzeuge wurde, wie die BILD es hier darstellt, vom Lkw „zerquetscht.“

Das zweite Foto zeigt die Spuren auf der Fahrbahn in Richtung Oberhausen. Sie beginnen auf der linken Seite der rechten Fahrbahn. Hier war der Berufskraftfahrer Michael Seelen aus Kamp-Lintfort mit seinem unbeladenen Sattelzug auf dem Rückweg von Bad Bückeburg zur Firma. Er ist heute 36 Jahre alt, verheiratet, hat zwei Kinder und ist Lkw-Fahrer seit vierzehn Jahren. Unmittelbar nach dem Unfall hatte das Polizeipräsidium Dortmund eine neutrale Meldung veröffentlicht: „Ein SUV, der in Fahrtrichtung Oberhausen unterwegs war, kollidierte aus bislang unbekannten Gründen mit einem in gleicher Richtung fahrenden Lkw. Als Folge des Zusammenstoßes durchbrach der Lkw die Mittelleitplanke und kollidierte auf der Gegenfahrbahn mit einem in Fahrtrichtung Hannover fahrenden Kleinbus und einem Pkw.“

Mitteilung der Spedition

Dass der Lkw nicht unkenntlich gemacht wurde, traf auch die Geschäftsleitung der Spedition Raeth. Auf ihrer Homepage veröffentlichte sie folgende Mitteilung. „Obwohl die Anzahl schwerer Verkehrsunfälle sinkt, passieren sie immer wieder – leider auch uns. So war einer unsere Lkw am 25.06.2021 auf der A2 in einen schweren Unfall mit Toten und Verletzten verwickelt. Unser tiefes Mitgefühl gilt in erster Linie den Angehörigen und Familien der Toten. Allen Verletzten wünschen wir eine rasche Genesung. Unser Fahrer, der ebenfalls verletzt wurde, konnte das Krankenhaus glücklicherweise bereits wieder verlassen. Wir bedanken uns bei allen Ersthelfern und Notfallsanitätern sowie Feuerwehr, Polizei und Bergediensten für ihren schnellen Einsatz am Unfallort. Und wir wünschen ihnen, dass sie die schrecklichen Bilder, die sich ihnen boten, bald verarbeiten können. Wie es zu diesem tragischen Unfall kam, das wird derzeit noch von Polizei und Staatsanwaltschaft ermittelt. Was wir zur Klärung beitragen können, wollen wir gerne tun.“

Die Abschlussmeldung der Polizei

Viele Medien haben über diesen Unfall berichtet. So etwa, sachlicher und mit dem nur noch für Insider erkennbaren verpixelten Foto, der WDR am 28. Juni: „Nach dem schweren Lkw-Unfall auf der A2 am Freitag prüft die Polizei, ob der 35-jährige Fahrer sich während der Fahrt mit dem Handy abgelenkt hat. Das Mobiltelefon wurde beschlagnahmt.“ Erst am 27. Juni veröffentlichte das Polizeipräsidium Dortmund die Abschlussmeldung. Die ersten beiden Sätze sind, wie es heute feststeht, eine vollkommen falsche Interpretation: „Ersten Erkenntnissen zufolge war ein 35-Jähriger aus Kamp-Lintfort gegen 15.40 Uhr mit seinem Sattelzug auf dem rechten Fahrstreifen in Richtung Oberhausen unterwegs. Kurz hinter dem Kreuz Dortmund-Nordwest geriet er aus bislang ungeklärter Ursache offenbar auf den mittleren Fahrstreifen. Ein dort fahrender 59-Jähriger aus Herten konnte nicht mehr ausweichen und prallte mit seinem Range Rover seitlich gegen den Auflieger des Gespanns.“ Allerdings: Von einer mutmaßlichen Ablenkung ist dort nichts zu lesen.

Verfahren wegen fahrlässiger Tötung eingestellt

Um es vorwegzunehmen: An der Meldung der BILD ist so ziemlich alles falsch geschildert, was denkbar ist. Das geht auch aus einem Sachverständigengutachten hervor, das Michael über seinen Rechtsanwalt mittlerweile einsehen konnte. Entgegen der Ausführungen der aufnehmenden Polizeibeamten sei ein Abkommen des Lkw von seiner Fahrspur technisch nicht nachweisbar. Doch erst Anfang Januar dieses Jahres bekam Michael das offizielle Schreiben der Staatsanwaltschaft Dortmund, das mir vorliegt, dass das bis dahin gegen ihn laufende Verfahren des Vorwurfs der fahrlässigen Tötung eingestellt wurde. Für ihn ist damit zunächst eine schwere Bürde genommen. Letzten Endes, so steht mittlerweile fest, war es der Fahrer des schwarzen SUV, der den Sattelzug auf dessen rechter Fahrbahn erst hinten links an der Stoßstange traf, was auf den Fotos zu erkennen ist, und kurz danach außer Kontrolle dem Scania hinten links in die Hinterachse fuhr. Diese Spuren waren nach dem Unfall deutlich im Asphalt dokumentiert. Man muss sie verstehen.

Erste Zweifel – und ein langes Telefonat

Ich hatte über den Unfall am Schreibtisch im Radio gehört und am Abend die ersten Bilder im WDR gesehen. Und so nahm ich Kontakt auf zu Christian Brüggemann, ebenfalls ein langjähriger Fahrer von Raeth, mit dem ich über Facebook befreundet bin und den ich bei einem der letzten Truck-Grand-Prix am Nürburgring auch persönlich getroffen hatte. Ich wollte mich bei ihm über den Zustand des Lkw-Fahrers aus seiner Firma erkundigen. Es war natürlich der pure Zufall, was der sichtlich getroffene Christian - ohne verständlicherweise zunächst den Namen seines Kollegen zu nennen – sagte: Sein Kollege habe gerade mit ihm telefoniert. Dann hätte er noch gesagt, ihm sei wohl gerade ein Pkw reingefahren. Er solle das mit dem Pkw klären und sich dann wieder melden, hatte Christian ihm gesagt. Erst über dessen Frau habe er das Ausmaß des späteren Unfalls erfahren. Wenig später habe er sich telefonisch bei der Polizei gemeldet und seine Aussage gemacht. Auch die nächsten Tage haben wir uns zu dem Unfall ausgetaucht.

Was aus seiner Sicht an diesem 25. Juni 2021 geschah, hat mir Michael auf Vermittlung von Christian nun am vorvergangenen Wochenende in einem langen Telefonat geschildert. „Ich war mitten auf meiner Spur unterwegs. Den ersten Kontakt des SUV habe ich nur als eine Art Ruck bemerkt, wie bei einer Bodenwelle. Dann kam der zweite Ruck, mehr ein Knall, bei dem es den leeren Lkw brutal nach links gerissen hat. Ich habe mit aller Kraft versucht, noch nach rechts gegenzusteuern, aber das war nicht mehr möglich. Ich konnte nur das Lenkrad noch festgehalten. Natürlich war ich angeschnallt. Der Lkw ist durch die Mittelleitplanke gebrochen. Ich habe gedacht, jetzt ist es vorbei. Dann kam ich auf der Gegenfahrbahn zum Stehen.“

Die potenzielle Gefahr der Ablenkung

Doch wie konnte es zu diesen späteren falschen Darstellungen kommen? Dazu will ich etwas ausholen. Wie meine Leser wissen, befasse ich mich seit vielen Jahren mit Lkw-Unfällen, vor allem am Stauende. Ich bin auch immer wieder mit der Pressestelle des Polizeipräsidiums Dortmund in Kontakt. Ich weiß, dass deren Autobahnpolizei im Bereich der A 1 / A2 immer wieder Lkw-Fahrer fotografiert, die mit dem Smarthone in der Hand auf eine Baustelle zufahren. Es ist ein leider durchaus berechtigter Vorwurf, dass Lkw-Fahrer immer wieder am Steuer abgelenkt sind, wie ich zuletzt in meinem Blog-Artikel „Gefahr durch Ablenkung“ zusammen mit der Autobahnpolizei Ahlhorn beschrieben habe. Mittlerweile kommen allerdings vermehrt schwere Unfälle dazu, bei denen auch Pkw auf der Autobahn in voller Fahrt hinten in einen Lkw rasen. Der in diesem Blogartikel verlinkte Podcast „Lenken statt Ablenken“ der BG-Verkehr in Schrift und Ton gilt also für alle Verkehrsteilnehmer. Aus dem Gespräch mit einem Lkw-Fahrer, einem Unfallforscher und einer Verkehrspsychologin geht eindeutig hervor, dass die größte Gefahr der Ablenkung entsteht, wenn Fahrer etwas in der Hand halten. Das Telefonieren über eine Freisprechanlage wird daher als deutlich geringere Möglichkeit der Ablenkung angesehen. Es ist erlaubt. Dutzende Fahrer, die ich gut kenne, unterhalten sich auf ihren Touren über die Freisprechanlage, etwa um gemeinsam durch die Nacht zu kommen.

Und so hatte Michael, wie er mir schilderte, im ersten Kontakt mit der Autobahnpolizei noch an der Unfallstelle gegenüber dem jungen Polizeiteam, einer Frau und einem Mann, seine Aussage gemacht, immer noch unter dem Schock, dass er als selbst Betroffener in einem Unfall verwickelt war: „Ich habe weit vor dem Unfall einen Schluck Kaffee getrunken und die Tasse wieder abgestellt. Dass ich erst später über meinen Bluetooth-Kopfhörer mit meinem Kollegen auf freier Strecke und mitten auf meiner Fahrspur telefoniert habe, wie wir unsere Trailer an diesem Freitag tauschen wollten, habe ich auch ausgesagt. Ebenso, dass ich den SUV von hinten kommend noch gesehen habe. Und dieser mir reingefahren sein muss.“

Erster Kontakt mit der Pressestelle der Polizei Dortmund

Ich habe an den Folgetagen natürlich die Medien verfolgt. Und so schrieb ich, angeregt durch den ersten Kontakt mit Christian am Montag, dem 28. Juni, eine Mail an die Pressestelle des Polizeipräsidiums Dortmund mit dem dabei verlinkten Artikel der BILD: „Eben kam im WDR ebenfalls die Vermutung, dass der Lkw-Fahrer abgelenkt gewesen sein soll und auf die mittlere Fahrspur geraten ist. Ich habe mich am Sonntag sehr intensiv mit einem Unfallanalytiker aus Berlin über diesen Unfall ausgetauscht. Nach dessen (Fern)Auswertung der Spuren und der finalen Lage der Fahrzeuge ist er fest (und für mich logisch) davon überzeugt, dass der SUV dem Lkw auf der rechten Spur in die Seite gefahren sein muss. Wird hier ebenfalls in diese Richtung ermittelt? Und wurde auch das Handy der SUV-Fahrers sichergestellt?“

Die Antwort aus Dortmund kam prompt: „In welcher Weise es genau zum Zusammenstoß zwischen dem Sattelzug und dem Range Rover gekommen ist, ist Gegenstand der aktuellen Ermittlungen. Gerne verweisen wir in dem Zuge auf unsere gestern veröffentlichte Abschlussmeldung (siehe oben) zu dem Unfall, welche auf den ersten Erkenntnissen beruht. Ansonsten stehen die Ermittlungen in diesem Fall ganz am Anfang. Unter Einbeziehung aller objektiven und subjektiven Erkenntnisse wird dabei natürlich in verschiedene Richtungen ermittelt, um den Unfallhergang sowie die Unfallursache(n) zu klären. Einzelne Details aus diesen nun laufenden Ermittlungen können wir grundsätzlich nicht nennen. Und ja: Das Handy des Range Rover-Fahrers wurde durch unsere Kollegen sichergestellt.“

Erste These durch Unfallanalytiker Andreas Wendt

Mittlerweile hatte sich der Unfallanalytiker Andreas Wendt die gesammelten Meldungen der Presse zum „Horrorunfall auf der A 2“ genau angesehen sowie aus den Spuren, die auf den vielfach veröffentlichen Fotos zu sehen waren, seine These erweitert und als Video online eingestellt. Der tatsächlich später ermittelte Hergang ist zwar nicht ganz getroffen. Doch Wendt ging es in erster Linie darum, dazustellen, dass es für einen Pkw oder hier einen SUV möglich ist, einen Sattelzug so zu treffen, dass dieser außer Kontrolle gerät. Dieses Video hatte ich über Christian weitergeleitet, was, wie ich heute weiß, Michael etwas Hoffnung gab, dass es eine andere Darstellung gibt. In der Zwischenzeit erlebte Michael mehr oder weniger hilflos, was es heißt, wenn manche Medien einen Fahrer praktisch vorverurteilen. Doch der Schlüssel dazu, die große Unbekannte in einem ganz normalen Vorgang der Berichterstattung, bei dem wir Journalisten gebeten werden, weitere Rückfragen direkt an die Pressestelle zu richten, lässt sich leider nicht mehr nachvollziehen.

Erst ins Krankenhaus, dann nach Hause

Doch zuerst zum Unfallhergang: Vor Ort, so hat es mir Michael nun geschildert, hatte er mit schmerzenden Händen erstmal versucht, überhaupt aus dem Scania zu kommen, sich „voll unter Adrenalin“ auf die Leitplanke gesetzt und die Ersthelfer vor Ort gebeten, sich zunächst lieber um die Insassen der Pkw zu kümmern. Auf Grund der sofortigen Vollsperrung hatte es sehr lange gedauert, „eine halbe Ewigkeit“, so Michael, bis die ersten Rettungskräfte eintrafen. „In der Zwischenzeit“, daran erinnert er sich genau, „kam der Fahrer des SUV auf mich zu, Mitte 50, Anfang 60, Typ Geschäftsmann, und hat mich direkt beschuldigt, auf die mittlere Spur gekommen zu sein.“ Danach machte Michael seine Aussage gegenüber der Polizei. Schließlich brachte ihn ein Rettungswagen gegen 17 Uhr zur Untersuchung ins Krankenaus nach Castrop-Rauxel, wo zum Glück beim Röntgen „nur“ eine Rippenprellung diagnostiziert wurde. Zuvor hatte er seine Frau angerufen: „Schatz, es wird etwas später heute.“

Schnell einen Rechtsanwalt eingeschaltet

Auch die Spedition war natürlich informiert. Man hätte Michael selbstverständlich abgeholt, wie er sagt. Das übernahm dann in Absprache seine Frau Kerstin. „Als ich um 19.45 Uhr entlassen worden bin, sind wir direkt nach Hause gefahren“, sagt Michael. „Um den Lkw habe ich mich gar nicht mehr gekümmert. Ich hatte nur meine Schlüssel und mein Handy dabei. Um 20.30 Uhr kam dann eine Polizeistreife aus Kamp-Lintfort bei uns vorbei, sehr freundlich, hat erst dort mein Handy beschlagnahmt und einen Alcotest veranlasst, der natürlich negativ war. Ich habe lange mit meiner Frau geredet.“ Am nächsten Tag schlugen dann die Meldungen der Medien ein und trafen Michael ins Mark. „Ich habe mir plötzlich eingeredet, ob ich nicht doch die Schuld an dem Unfall habe. Am schlimmsten war für mich dabei die Darstellung in der BILD.“ Am Montag setzte sich Michael mit seinen Chefs zusammen, schaltete danach einen Rechtanwalt ein und wurde für acht Wochen krankgeschrieben. Auch nahm er professionelle Hilfe in Anspruch, um die Ereignisse zu verarbeiten.

Danach bekam er zunächst einen baugleichen Scania für sein ursprüngliches Fahrzeug, das ein wirtschaftlicher Totalschaden ist. „Die erste Fahrt war schon sehr komisch für mich“, erinnert er sich. „Ich hatte ein mulmiges Gefühl, das erst am dritten Tag verschwunden ist. Erst nach gut zwei Monaten war es für mich wieder ganz normal. Ich telefoniere auch wieder mit den Kollegen, natürlich nur über Headset. Und sich schaue viel öfter in den Rückspiegel.“

Erneuter Kontakt mit der Pressestelle

Am Montag dem 10. Januar habe ich nach dem Gespräch mit Michael die Pressestelle des Polizeipräsidiums Dortmund mit den Schilderungen von Michael konfrontiert und die Frage gestellt, warum sich die Polizei sehr früh festgelegt habe, dass der Fahrer auf die mittlere Spur gekommen sein muss? Die Antwort aus Dortmund kam kurz nach Ablauf der von mir gesetzten Frist am Donnerstag: „Unsere Pressemitteilungen entstehen am Tag des Unfalls bzw. am Folgetag oder -wochenende. Sie können sich daher nur auf die ersten Erkenntnisse aus der ersten Schriftlage stützen - sprich z.B. auf allerersten Aussagen von Zeugen am Unfallort, die möglicherweise unter dem Einfluss des Geschehenen stehen sowie erste Spuren. Aus diesem Grund finden Sie in unseren Veröffentlichungen - wie auch in dieser - häufig Formulierungen wie „nach ersten Erkenntnissen“ oder „aus bislang ungeklärter Ursache“.

Am Ende war es doch ganz anders

Natürlich habe ich gefragt, ob einerseits eine mutmaßliche Aussage des SUV-Fahrers höher gewertet wurde und andererseits die Erkenntnisse der Autobahnpolizei zur oft festgestellten Handynutzung eine Rolle gespielt hätten? Das weist die Pressestelle von sich. „Unsere Pressemitteilungen dienen weder als Grundlage für die Verkehrsunfallsachbearbeitung in unseren zuständigen Verkehrskommissariaten noch für die weitere Bearbeitung/Entwicklung des Verfahrens bei der Staatsanwaltschaft. Die Unfallermittlungen liegen in der Zuständigkeit einer gänzlich anderen Dienststelle als der Pressestelle. Nach der eigentlichen Unfallaufnahme vor Ort folgen ausführliche und gerade bei tödlichen Unfällen teils sehr langwierige Ermittlungen der erfahrenen Kolleginnen und Kollegen in den Verkehrskommissariaten. Erst hier werden alle vorliegenden Spuren und Aussagen aus- und bewertet oder zum Beispiel auch erneute Befragungen oder Befragungen, die vor Ort noch nicht möglich waren, durchgeführt. Nebenbei bemerkt sind es für die Sachbearbeitung - und auch bei einer späteren Bewertung durch die Staatsanwaltschaft - die Ergebnisse dieser Ermittlungen, die von Bedeutung sind und sicherlich nicht etwaige Vorurteile oder andere Unfallhergänge, so wie Sie es in Ihrer letzten Frage unterstellen.“

Schnelle Befriedigung des Informationsbedürfnisses

Alles muss heute allerdings sehr schnell gehen - denn die Öffentlichkeit giert nach einer sofortigen Befriedigung des Informationsbedürfnisses. „Diesen Prozess abzuwarten würde aber das aktuelle Informationsbedürfnis von Journalistinnen und Journalisten bei einem Unfall, dem wir mit unseren Pressemitteilungen nachkommen müssen, nicht befriedigen“, so die Pressestelle weiter. „Aufgrund dieser Tatsachen ist es nicht ausgeschlossen, dass sich der am Ende der Ermittlungen stehende Unfallhergang von dem in unseren Pressemitteilungen geschilderten durchaus unterscheidet. Dies betonen wir auch in Anfragen von Journalistinnen und Journalisten immer wieder. Die genaue Entstehung der Pressemitteilung und des angesprochenen Artikels (Anmerkung: der BILD) ist für uns nicht mehr nachvollziehbar. Allerdings kann es vorkommen, dass der Pressestelle zum Zeitpunkt der Erstellung einer Pressemitteilung noch kein kompletter Überblick über alle getroffenen Maßnahmen vorliegt. Mögliche Maßnahmen bei uns zu erfragen steht Journalistinnen und Journalisten jeglicher Medien jedoch frei. So wird es auch der Autor oder die Autorin des Artikels getan haben. Wenn dies andere nicht tun, ist das nicht von uns zu beeinflussen.“

Ohne Überblick eine falsche Vermutung

Das ist schon krass: Was die Medien am Ende aus einer Pressemeldung machen, die bereits eine falsche Interpretation ist, liegt demzufolge außerhalb des Einflusses der Pressestelle. Hier liegt für mich leider auch der Schlüssel zur Spekulation über die ursächliche Ablenkung des Fahrers in der BILD. „Eine mögliche Unfallursache: Der Lkw-Fahrer könnte abgelenkt gewesen sein. Die Polizei stellte noch an der Unfallstelle sein Handy sicher.“ Diese falsche Behauptung geht aus der offiziellen Abschlussmeldung der Polizei nicht hervor. Woher die Reporter der BILD bei deren mutmaßlicher Nachrecherche diese Info hatten, bleibt vorerst deren Geheimnis. Und die Pressestelle kann es nicht mehr nachvollziehen. Die Folge: in den meisten Berichten war immer nur der Fahrer des Lkw der potenzielle Verursacher. Gibt es also tatsächlich eine gewisse Voreingenommenheit gegenüber Lkw?

BGL beklagt Automatismus bei Schuldzuweisung

Denn durch solche einseitigen Berichte wird nicht nur der Ruf einer tadellosen Spedition geschädigt, auch das eh schon schlechte Image der Branche leidet darunter. So sieht es auch der Bundesverband Güterverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL): „Wir erleben es immer wieder, dass Lkw-Fahrer gerade bei schweren Unfällen fast schon automatisch als Unfallverursacher dargestellt und damit ungerechterweise vorverurteilt werden. Lkw-Fahrer sind jedoch in der Regel Profis am Steuer mit hohem Verantwortungsbewusstsein für ihr tonnenschweres Arbeitsgerät und enorm viel Berufserfahrung im wörtlichen Sinne. Dies wird auch durch die amtliche Unfallstatistik bestätigt: trotz des größeren Gefahrenpotenzials, das von den massigen Lkw, Last- und Sattelzügen ausgeht, waren die Lkw-Fahrer im Jahre 2020 zu lediglich 34,2 Prozent Hauptverursacher bei tödlich verlaufenen Autobahnunfällen. Unabhängig davon lautet unser Credo: Jeder Unfall ist einer zu viel – lasst uns alles tun, sie zu vermeiden!“

Warten auf das Verfahren

Michael Seelen jedenfalls ist nun über ein halbes Jahr nach dem Unfall erleichtert, dass die Wahrheit über diesen fürchterlichen Unfall auf der A 2, bei dem er als Betroffener mit seinem Sattelzug auf die Gegenfahrbahn geriet und bei dem zwei Menschen ums Leben kamen, nach und nach ans Licht kommt. Die entscheidende Frage, ob am Ende vielleicht doch der Fahrer des SUV abgelenkt war, wird sich mit letzter Sicherheit beim Verfahren vor dem zuständigen Gericht in Dortmund klären. Ich werde darüber berichten. Wahrscheinlich wird Michael dort nun als Zeuge aussagen – auf alle Fälle nicht mehr als Beklagter. Und natürlich hofft er jetzt darauf, dass dort die falschen Vorwürfe gegen ihn endlich offiziell richtiggestellt werden – und die Presse es nicht nur als Randnotiz veröffentlicht.

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