Lkw-Hauptuntersuchungen Die nächste Hürde fällt

Foto: Jan Bergrath

Der Dumpingwettbewerb im europäischen Straßengütertransport schreitet voran. Durch eine EU-Richtlinie zur regelmäßigen technischen Überwachung von Kraftfahrzeugen wird nun das Ausflaggen ganzer Flotten nach Osteuropa weiter erleichtert. 

Immer, wenn ich auf der Autobahn unterwegs bin, schaue ich mir berufsbedingt die Lkw an. Gefühlt alle fünf Minuten kommt mir ein Lkw von Waberers aus Ungarn entgegen, das Logo mit der lachenden Sonne fällt einfach auf. Kein Wunder bei mittlerweile 3.500 Lkw, die nach Angaben des Unternehmens zu 80 Prozent in Westeuropa unterwegs sind. Aber dann sind da auch die vielen Lastzüge von bekannten Transportunternehmen aus Dänemark, Deutschland, Belgien und den Niederlanden, deren Zugmaschinen mittlerweile ein Kennzeichen aus einem der mittel- und osteuropäischen Länder haben. Es sind die Firmen, die einen Teil ihrer Flotte nach Osteuropa ausgeflaggt haben. Dort gibt es dann eine Niederlassung, bei der die Lkw gemeldet sind, manchmal auch nur einen Briefkasten. Im "Heimatland" sind diese Lkw aber eher selten anzutreffen. Im slowakischen Bratislava etwa sollen allein in einem Hochhaus zehn belgische Transportfirmen gemeldet sein, berichtet Hauptinspektor Raymond Lausberg, dem bei seinen Kontrollen an der E 40 zwischen Aachen und Lüttich immer wieder diese Fahrzeuge bei legalen oder oft auch illegalen Kabotagetransporten in Benelux auffallen. 

Dienstleistungsfreiheit und Niederlassungspflicht

Auch der Bundesverband Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung, BGL, ist über diese Entwicklung in Europa – und zunehmend auch in Deutschland – besorgt. "Dabei geht es vor allem um komplette Fuhrparks, die zwar im Ausland zugelassen sind, jedoch dauerhaft in Deutschland stationiert und von Deutschland aus disponiert werden", warnt der Verband immer wieder. Steuern, Arbeits- und Sozialkosten für diese Lkw befänden sich tatsächlich auf osteuropäischem Niedriglohn- und Sozialstandard, obwohl in Deutschland der Mindestlohn, Sozialabgaben und auch Steuern fällig wären. De facto handele es sich um legalisierte Schwarzarbeit, die getarnt als Dienstleistungsfreiheit die Märkte geradezu flute. Hier würde die in der Europäischen Union grundsätzlich erlaubte Dienstleistungsfreiheit und Niederlassungsfreiheit für Sozialdumping missbraucht. Deshalb fordert der BGL immer wieder eine Niederlassungspflicht für Unternehmen – und zwar in dem Land, in dem sie dauerhaft und überwiegend Dienstleistungen anbieten.

Lohnvorteil in Osteuropa

Doch die Realität sieht anders aus. So setzt etwa ein internationaler Logistikkonzern am Standort Köln in Rumänien zugelassene Sattelzugmaschinen mit rumänischen Fahrern im Kombinierten Verkehr ein. Das ist erlaubt und nach Rückfrage antwortet der Firmenanwalt, man hätte vor dieser Entscheidung 25 vakante Stellen nicht mit deutschen Fahrern besetzen können. Die rumänischen Fahrer bekämen natürlich den deutschen Mindestlohn. Dafür würde sich allerdings kein Fahrer aus Köln hinters Lenkrad setzen. So machen es mittlerweile viele deutsche Speditionen: wenn ihre Kraftfahrer mit den in Osteuropa zugelassenen Lkw überwiegend in Westeuropa unterwegs sind, bekommen sie in der Regel auch nur den Mindestlohn des Heimatlandes zuzüglich der üblichen Auslandspesen. 

Ein Beispiel: Ein Bekannter von mir hat eine mittelständische Spedition, ihn kostet ein Fahrer (Mitte 30, Steuerklasse 1) im nationalen Fernverkehr mit allen Sozialabgaben 4.500 Euro im Monat, dazu kommen rund 500 Euro Spesen netto. Einen rumänischen Unternehmer kostet ein Fahrer im internationalen Fernverkehr den Mindestlohn, etwa 230 Euro. Sozialversicherungskosten gibt es keine. Dazu kommen, je nach Aufenthalt in Westeuropa, Nettospesen, die eigentlich dafür gedacht sind, dass sich der Fahrer unterwegs verpflegen kann. Alles in allem kostet ein Fahrer also rund 1.400 bis 1700 Euro, die der Fahrer komplett netto ausbezahlt bekommt. Mein Bekannter hat jetzt einen Auftrag eines großen Konzerns an einen Spediteur verloren, der für diese nationalen Touren in Deutschland Zugmaschinen aus Rumänien einsetzt. Aber eben auch deutsche Unternehmer setzen auf diesen Trumpf im Wettbewerb. Der Zoll hat das in einem mir gut bekannten Fall sogar gebilligt. An Weihnachten traf ich einen rumänischen Kraftfahrer des Unternehmens auf der Raststätte Aachener Land – er arbeitete immer noch zu denselben Konditionen wie ich sie seinerzeit beschrieben hatte. Auch nach einer umfangreichen Betriebsprüfung durch die Behörden. 

Und so stecken die Transportfirmen, die mit deutschen Fahrern vor allem im Bereich der Komplettladungen unterwegs sind, in einem Konkurrenzkampf, der zunehmend schwerer wird. Nun sagte mir gerade ein Beamter der Autobahnpolizei in Rheinland-Pfalz, dass sich der technische Zustand vieler deutscher Lkw, so das Ergebnis aktueller Kontrollen, auch noch langsam verschlechtern würde – weil die Lkw kaum mehr Zeit hätten für die Wartung. Rollen, Rollen, Rollen scheint gerade bei den kleineren Frachtführern in diesem Segment des Frachtmarktes die einzige Möglichkeit zu sein, überhaupt noch zu überleben.

Einmal im Jahr zur Hauptuntersuchung

Und gerade in dieser schwierigen Phase, bevor die EU-Kommission vielleicht im für Ende des Jahres angekündigten Road Package neue Regeln für einen fairen Wettbewerb aufstellen könnte, was aber noch lange nicht gesichert ist, fällt die nächste Hürde, die das Ausflaggen kompletter Flotten bislang wenigstens etwas eingedämmt hat. Denn die Lkw, die dauerhaft in Westeuropa unterwegs sind, müssen eigentlich einmal im Jahr zurück an ihren Standort, um dort die jährliche Hauptuntersuchung (HU) abnehmen zu lassen. Ob das so auch wirklich passiert? Es geht aus den Kontrollen von Raymond Lausberg hervor, dass Zweifel daran berechtigt sind. 

Seit mehr als zwei Jahren entdecken Lausberg und sein Team immer wieder Lkw, die eine oft simpel gefälschte Bescheinigung der HU aus dem Land ihres offiziell angenommenen Standorts mit sich führen, obwohl sie zu diesem Zeitpunkt laut den Daten des digitalen Tachos in Westeuropa unterwegs waren. "Mittlerweile sind es weit über hundert Fälle", berichtet Lausberg, "und dank der mobilen Prüfstation der belgischen Autosécurité finden wir bei jeder Kontrolle mindestens einen Lkw mit komplett defekten Bremsen, den wir dann sofort stilllegen." Lausbergs Kollege Guido Bodem hat sich längst eine Sammlung der 28 verschiedenen Prüfberichte in der EU angelegt. Doch diese konsequente Wachsamkeit ist eher die Ausnahme. Dem deutschen Bundesamt für Güterverkehr (BAG) etwa sind nach meiner Rückfrage solche Betrugsfälle mit Prüfdokumenten gar nicht erst bekannt; dem für die Autobahnpolizei in Nordrhein-Westfalen zuständigen Innenministerium auch nicht. 

Neue EU-Richtlinie erleichtert die Verlagerung von Flotten nach Osteuropa

Doch nun könnte es sein, dass diese betrügerischen Maßnahmen bald der Vergangenheit angehören und die Kuriere, die diese gefälschten Dokumente vornehmlich aus Rumänien und Bulgarien zu den Lkw in Westeuropa bringen, ihre kleine "Nebenbeschäftigung" verlieren. Der Grund dafür ist die EU-Richtlinie 2014/45 aus dem April 2014 "über die regelmäßige technische Überwachung von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern und zur Aufhebung der Richtlinie 2009/40/EG". Denn unter Punkt 16 heißt es im komplexen Gesetzestext: "Die Mitgliedstaaten sollten befugt sein, Prüfstellen, die sich außerhalb ihres Hoheitsgebiets befinden, zur Durchführung von Prüfungen im Rahmen der technischen Überwachung für in ihrem Hoheitsgebiet zugelassene Fahrzeuge zu benennen, wenn diese Prüfstellen bereits von dem Mitgliedstaat, in dem sie sich befinden, zur Durchführung der Prüfungen für Fahrzeuge ermächtigt worden sind." Wirklich ernst genommen hat das in der deutschen Transportwelt bislang offenbar niemand. 

Lkw aus Litauen mit deutscher Tüv-Bescheinigung

Doch nun ist just bei einer Kontrolle in Belgien zum ersten Mal überhaupt ein in Litauen zugelassener Lkw einer süddeutschen Spedition aufgefallen, dessen HU offiziell bei einer Prüforganisation in Deutschland, dem Tüv Süd, durchgeführt wurde. Lausbergs Kollege wollte ihn festsetzen – doch die Spedition schickte ihm eine interne Arbeitsanweisung des Tüv Süd aus dem August 2015.  Eine knappe Formulierung machte Lausberg stutzig: "Das Verkehrsministerium in Litauen hat verfügt, dass Fahrzeuge, die in Litauen zugelassen, jedoch überwiegend in Deutschland im Einsatz sind, sich in Deutschland einer Prüfung im Umfang einer HU zu unterziehen." Und er bat mich, beim Tüv nachzufragen, ob das so in Ordnung sei. 

Die Pressestelle in München wusste zunächst von nichts, was auf alle Fälle heißt, dass sie es nicht offiziell bekanntgegeben hat. Kurz stand die Frage im Raum, ob das Schreiben vielleicht die nächste Stufe der Fälschung sein könnte. Doch dann kam die schriftliche Bestätigung. "Tüv Süd kann eine technische Überprüfung im Umfang und mit gleichen Maßstäben einer deutschen Hauptuntersuchung nach §29 StVZO bei litauischen Fahrzeugen vornehmen, die sich vorwiegend im Deutschland aufhalten. Der Prüfbericht dieser Überprüfung muss von Tüv Süd innerhalb von drei Tagen an die litauischen Behörden übermittelt werden."

Der Druck auf die deutschen Frachtführer wird weiter steigen

Warum ausgerechnet Litauen als erstes EU-Land diese Möglichkeit ergriffen hat, wie der Tüv ebenfalls bestätigt, bleibt vorerst Spekulation. Dort gibt es zwar nur zwei Millionen Einwohner, allerdings sitzt dort auch ein großer Logistikkonzern, der europaweit unterwegs ist und dessen Flotte nahezu 3.000 Lkw zählt. Litauen ist jedenfalls auch für westdeutsche Frachtführer längst ein beliebtes Land, um dorthin seine Lkw auszuflaggen. Die Tüv-Abmachung macht es nun noch attraktiver. Dass das dortige Verkehrsministerium alleine auf die Idee kommt, die Hauptuntersuchung nach Deutschland "outzusourcen", halte ich persönlich für wenig plausibel. Befürworter sagen nun, es bürge doch den Vorteil, dass die Lkw aus Litauen nun in Deutschland beim Tüv immerhin ordentlich gecheckt würden, Kritiker, darunter Dekra, sähen es indes viel lieber, wenn die dortigen Prüforganisationen dem deutschen Standard angepasst würden. 

Das Bundesverkehrsministerium schweigt

Auf meine Nachfrage schweigt das Bundesverkehrsministerium in der gegebenen Frist. Etwa warum so eine folgenschwere Ermächtigung durch das litauische Verkehrsministerium ohne eine Zustimmung des Verkehrsministeriums des Landes, in dem die HU erfolgen soll, erfolgen kann? Dafür antwortet der besorgte SPD-Bundestagsabgeordnete Udo Schiefner, Berichterstatter für Güterverkehr, Transport und Logistik in der Arbeitsgruppe Verkehr und digitale Infrastruktur (AG VdI) der SPD-Bundestagsfraktion. "Das Verfahren ist nach EU-Recht zulässig und somit lässt sich die hier praktizierte Vorgehensweise nicht unterbinden. Ich bedaure das sehr. Umso wichtiger ist es, eine weitere Aufweichung der Kabotage zu verhindern und dafür zu sorgen,  dass wir feinmaschige Kontrollen der Kabotage beispielsweise durch die Einführung eines elektronischen Frachtbriefes erreichen."

Sorge vor dem Domino-Effekt

Ein Freibrief für die grundsätzliche Möglichkeit, in Zukunft überall in einem westlichen Land den Lkw zur Hauptuntersuchung zu schicken, ist diese Richtlinie allerdings nicht. Jedes Land müsste mühsam in jedem anderen Land jeweils eine andere Organisation ermächtigen. Es ist, so fürchte ich, wohl nicht ausgeschlossen, dass genau das nach und nach passieren könnte. Es ist der sogenannte Dominoeffekt. Und nachdem sich nun zudem die Anzeichen mehren, dass das Projekt Mindestlohn für osteuropäische Fahrer in Deutschland wohl in den Mühlen der Brüsseler Institutionen zerrieben wird, zerschlägt sich für die deutschen Frachtführer die Hoffnung auf einen fairen Wettbewerb wieder ein wenig mehr. 

Unsere Experten
Harry Binhammer, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Harry Binhammer Fachanwalt für Arbeitsrecht
Rechtsanwalt Matthias Pfitzenmaier Matthias Pfitzenmaier Fachanwalt für Verkehrsrecht
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