Auf Tour mit Mercedes eActros und GenH2 Mit Wasserstoff über die Alpen

Mercedes GenH2 Brennstoffzellen-Lkw Wasserstoff Fuel Cell 2023 Foto: Daimler Truck 11 Bilder

Auf und rund um den Brenner präsentiert Daimler Truck, wie die Zukunft des Schwerlastverkehrs ausschauen könnte: im Verteilerverkehr batterieelektrisch, für die grenzüberschreitende Langstrecke mit Wasserstoff-Brennstoffzelle. Auf Tour mit der eActros-Vorserien-Sattelzugmaschine und den GenH2-Prototypen.

Der Vergleich ist abgedroschen, ja. Aber er ist nunmal das Erste, was einem beim Anblick des Mercedes GenH2 in den Sinn kommt: Der schaut aus wie eine Dampflok! Der Prototyp ist bis auf seinen Antrieb samt Technik-Turm hinter dem Fahrerhaus zwar original ein Actros. Wie die doppelte Wasserstoff-Brennstoffzelle aber bei voller Leistung eine riesige Dampffahne aus dem Endrohr links oberhalb der Big-Space-Kabine ablässt, das steht einer historischen Eisenbahn kaum nach. Wer sich richtig platziert, meint gar, er steht im Nieselregen. Bei Sonnenschein fährt der GenH2 seinen eigenen kleinen Regenbogen hinter sich her, wie romantisch! Aber im Ernst: Wem bei leise surrenden E-Lkw die Leidenschaft fehlt, der wird sie im GenH2 finden. Dieser Truck strahlt Faszination aus, ohne Frage.

Strenggenommen ein E-Lkw

Strenggenommen ist der GenH2 dabei auch nur ein E-Lkw. Das Antriebslayout soll in der Serie in weiten Teilen dem Langstrecken-Batterie-Lkw eActros Long Haul entsprechen, der 2024 dank seines LFP-Akkus mit 500 Kilometer Reichweite in die Serie starten wird. Hier und da also wird eine elektrifizierte Achse samt Vier-Gang-Getriebe zum Einsatz kommen, die auf der Serien-Hypoidachse basieren wird und das Prinzip des aktuellen eActros-Verteiler aufnimmt.

In den Prototypen ist dagegen noch ein Aggregat installiert, das auf einer Außenplanetenachse basiert, auf deren Differenzial über ein Zwei-Gang-Getriebe zwei E-Motoren wirken. Die System-Dauerleistung liegt aktuell bei 460 kW (umgerechnet 625 PS), in Sachen Drehmoment stehen pro Seite 8.500 Nm an. Gespeist wird diese Kombi von der doppelten Brennstoffzelle als Dauerläufer und einer Pufferbatterie als Sprinter für Leistungsspitzen. Der Akku misst in der Länge 1,20 Meter und ist mittig im Rahmen zwischen Vorder- und Hinterachse montiert. Von seinen installierten 70 kWh sind 55 wirklich nutzbar, die allein würden den GenH2 selbst als Solo-Sattelzugmaschine keine 100 Kilometer weit bringen. Für die 1.000 Kilometer, die Daimler Truck im Maximum verspricht (und laut eigener Angaben selbst auch schon erfahren hat), kommt entsprechend nicht die Batterie, sondern der Wasserstoff auf. Oder besser gesagt die Flüssig-Wasserstoff-Tanks des komplett silbernen Versuchsträgers, mit denen der Hersteller einen echten Sonderweg geht.

Der Vorteil von Flüssig-Wasserstoff

Diese Tanks – im Aufbau ähnlich zu LNG-Reservoirs – ermöglichen es, viele Kilogramm des Kraftstoffs unter sechs bis zehn bar Druck auf nur kleinem Raum unterzubringen. Der Hintergrund: Die Energiedichte, die bei verflüssigtem und auf rund 250 Grad Celsius tiefgekühltem Wasserstoff in Bezug auf das Volumen eben viel größer ist als beim aktuell gängigen Wasserstoff-Gas. Ganz konkret: Während der GenH2-Prototyp mit mattschwarzer Frontschürze und 350-bar-Gastanks links und rechts in insgesamt vier Flaschen 18 Kilo bunkert, ist der Flüssig-Wasserstoff-Kollege mit seinen zwei Edelstahl-Thermoskannen mit 80 Kilogramm unterwegs. Bei einem Verbrauch irgendwo zwischen acht und zehn Kilo H2 pro 100 Kilometer resultieren daraus Reichweiten von rund 200 und 1.000 Kilometer.

Tankstelleninfrastruktur fehlt noch

Wohlgemerkt in einer Zukunft, in der die Tankstellen-Infrastruktur mithalten kann. Noch nämlich gibt es kaum 350-bar-Stationen und keine einzige zum Betanken des Flüssig-H2-Trucks, der dafür aktuell jedes Mal zurück ins Basislager ins Entwicklungs- und Versuchszentrum in Wörth transportiert werden muss. GenH2 Proto Nr.1 und GenH2 Proto Nr. 2 trennen im Einsatz also Welten, obwohl sie bis auf ihre Tanksysteme eineiige Zwillinge sind. Damit zurück zu den Brennstoffzellen: Diese werden von Cellcentric zugeliefert, dem noch jungen Wasserstoff-Gemeinschaftsunternehmen von Daimler Truck und der Volvo Group. Zu zweit sitzen die Kraftwerke hintereinander genau da, wo sonst der Dieselmotor werkelt. Mit zusammengenommen 240 kW jetzt in den Prototypen und rund 300 kW später in der Serie produzieren sie den Strom, den der Lkw zur Fortbewegung braucht. Dafür wird der Wasserstoff aus den Tanks und der Sauerstoff aus der Umgebungsluft zu Wasserdampf umgewandelt – eine chemische Reaktion, mithilfe derer Strom erzeugt wird. Und gleichzeitig als "Abfallstoff" sonst eben nur Wasser überbleibt.

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Wasser und Dampf als Abgase

Dieses Wasser wird im Übrigen nicht nur als Dampf über das Dach abgelassen. Auf dem circa drei Meter langen Weg von der Brennstoffzelle bis zum Endrohr nämlich kondensiert bereits eine nicht unerhebliche Menge und läuft in einen 30-Liter-Auffangbehälter mit einer kleinen Öffnung, die bei niedrigen Geschwindigkeiten und im Stand geschlossen wird, um Glatteisbildung im Winter vorzubeugen. Das Ziel der Entwickler: diese Kondensation noch verstärken und so in der Serie weniger Dampf in die Umwelt pusten.

Und wie klingt und fährt der GenH2 jetzt? Die Soundkulisse ist dem eines batterieelektrischen Lkw nicht unähnlich. Der GenH2 surrt ein wenig und pfeift ein bisschen aus seinen Technik-Untiefen. Die Brennstoffzellen brummeln und brabbeln aber nicht, das Verbrenner-Konzert ist Geschichte – obwohl im GenH2 immerhin ein Turbo verbaut ist, um den Wasserstoff in ausreichenden Mengen zu den Brennstoffzellen zu transportieren. So manchen Diesel übertrumpft man dafür ganz lässig im Fahrleistungs-Kapitel. Der Antrieb nämlich schiebt aus dem Stand kräftig an, Leistung und Drehmoment müssen nicht erst über die Motordrehzahl hochgefahren werden. Zugkraftunterbrechungen sind mit Ausnahme des kurzweiligen Wechsels in den zweiten Gang auch kein Thema. Linear bahnt sich die Nadel ihren Weg über die digitale Tacho-Uhr, der auf 40 Tonnen ausgeladene Flüssig-Proto huscht mühelos vom Beschleunigungsstreifen auf den Brenner. Easy, wenngleich die Entwickler keinem aberwitzigen Leistungswahn erlegen sind.

Mehr Kühlungsbedarf als beim Diesel

Im weiteren Verlauf bergauf in Richtung Italien überrascht der GenH2 dann nur einmal noch: als plötzlich doch ein kräftiges Brummen einsetzt. Das stammt vom großen Lüfter vorn, der im lauteren Diesel kaum zu hören ist und mit weiteren Kühlsystemen die Hitze der Brennstoffzellen, der Pufferbatterie und der E-Achse abführt. Summa summarum drei Quadratmeter an Kühlfläche sind dafür rund um den GenH2 angebracht, immerhin dreimal so viel wie beim Diesel-Actros. Hitze, Kühlungsbedarf? Das sind für Verfechter des rein batterieelektrischen Antriebs die Stichworte, auf denen ihre Argumentation basiert: Wo unnütze Abwärme entsteht, da leidet nämlich die Effizienz.

Und auch bei der Rückgewinnung der Bremsenergie sind dem GenH2 Grenzen gesetzt. Seine kleine Pufferbatterie kann nicht endlos beispielsweise bei Talfahrt gewonnenen Strom einspeichern. Auf 40 Tonnen ausgeladen ist nach rund 500 Höhenmetern Schluss. Für viele Transporte kein wirklich alltägliches Szenario, aber für Daimler Truck doch Grund genug, den Voith Wasser-Retarder aus dem Serien-Actros im Fahrzeug zu belassen. Ein weiterer Energievernichter also, der auf unserer Solo-Tour mit der GenH2-Zugmaschine mit gasförmigem Wasserstoff auf dem Rückweg vom 1.560 Metern hoch gelegenen Skigebiet "Axamer Lizum" zum Einsatz kommt.

Die im Herbst in die Serie startende eActros-Sattelzugmaschine für den Verteilerverkehr kann wiederum auf einen Retarder verzichten. Aber auch sie ist mit dicken Kühlern hinter dem Fahrerhaus ausgestattet, die dann zum Einsatz kommen, wenn der eActros mit voller Batterie eine Talfahrt meistern muss und die Akkus nicht weiter füllen kann. In diesem Fall wird der Strom über eine Art Tauchsieder verfeuert, der Wasser erhitzt – Wasser, das über das Kühlsystem wieder erkaltet. In Kombi mit dem Kühlsystem hinter dem M-Fahrerhaus baut die eActros-Zugmaschine ziemlich genau so lang wie der Diesel-Actros mit langer Kabine, trotz ihres üppigen Radstands von vier Metern darf sie damit dank des angepassten Sattelvormaßes alle gängigen Auflieger ziehen. Ihre drei unterflur zwischen Vorder- und Hinterachse montierten Batterien kommen auf eine nutzbare Gesamtkapazität von 291 kWh. Das soll laut Hersteller reichen für bis zu 220 Kilometer.

eActros wirkt ausgereift

Anschließend fließen an der DC-Ladesäule maximal 160 kW, was in der Theorie reicht, um innerhalb einer guten Stunde von 20 auf 80 Prozent Ladestand zu kommen. Auf einer typischen Verteiler-Tour in und um Innsbruck rollt der leer 8,8 Tonnen schwere eActros mit einem City-Kühlkoffer samt E-Kühlmaschine von Schmitz Cargobull entspannt über den Asphalt. Die E-Achse mit einer Dauerleistung von 330 kW (umgerechnet rund 450 PS) hat mit dem auf 34 Tonnen ausgeladenen Zug keine Mühe, zumal die Power auch hier aus dem Stand ansteht und dann bis auf den Sprung von Gang eins auf Gang zwei ohne Pause abgerufen werden kann. Der E-Antrieb surrt nur leise vor sich hin, verzögert wird über die Rekuperation wie gewohnt mit dem rechten Lenkstockhebel. Ausgereift erscheint die Technologie, selbsterklärend die Bedienung der wenigen Eigenheiten. Ein Gefühl, dass sich so in den ersten GenH2-Prototypen mit ihrer Messtechnik an Bord noch nicht einstellen mag. Bis zur Serie müssen sich Dampf-Truck-Fans aber auch noch etwas gedulden – peilt Daimler Truck hierfür doch die zweite Hälfte des Jahrzehnts an. Genug Zeit also, um an den Feinheiten zu feilen. Das dafür nötige Engagement der Entwicklungsingenieure ist jedenfalls auf jedem Meter spürbar.

Kommentar: Das Stromnetz wird nicht reichen

Die Verfechter der reinen Lehre – des Batterie-Trucks ohne Wasserstoff-Einsatz – machen es sich mitunter ganz schön leicht. Sie führen einfach die höhere Effizienz der Akku-Lkw im Vergleich zu denen mit Brennstoffzelle an, schon ist die Messe für sie gelesen. Damit vergleichen sie aber nur die Schwäche des H2-Konzepts mit der Stärke des Batterie-Ansatzes, der wiederum Abstriche machen muss in Bezug auf das Eigengewicht und das langwierige Nachtanken von Energie. Dazu bleibt die Frage, ob genügend Ladesäulen aufgebaut werden können und ausreichend Strom verfügbar ist im Netz. Wasserstoff könnte da leichter importiert und auf Tankstellen verteilt werden. Das ist im Übrigen auch der Grund, weshalb Daimler Truck bei der Strategie bleibt, Batterie-Lkw ebenso zu entwickeln wie Wasserstoff-Zugmaschinen.

„Vor ein paar Jahren noch haben wir vor allen Dingen in Bezug auf höhere Reichweiten von Wasserstoff gesprochen“, erklärt Karin Rådström, Chefin von Mercedes-Benz Trucks, im Gespräch mit dem FERNFAHRER. Das sei bis zu einem gewissen Punkt immer noch so. „Aber was jetzt mehr und mehr in den Vordergrund rückt, ist das Thema Infrastruktur. Es ist natürlich essentiell, dass diese erst einmal für batterieelektrische Lkw aufgebaut wird, denn diese Technologie funktioniert schon heute im Praxiseinsatz. Dennoch: Das Stromnetz wird wohl nicht reichen, dass sämtliche Lkw überall batterieelektrisch fahren werden können.“ Eine Prognose, mit der sie sicher nicht allein ist.

Dieser Artikel stammt aus diesem Heft
FF 07 2023 Titel
FERNFAHRER 07 / 2023
3. Juni 2023
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