Branchenreport zum Fahrermangel Hahn im Höhnerstall

Höhner Foto: Erhard Höhner 3 Bilder

Es lässt sich nicht mehr verleugnen. In Deutschland herrscht ein Mangel an motivierten und qualifizierten Lkw-Fahrern. Fast alle Unternehmen suchen mehr oder weniger verzweifelt nach guten Leuten. Bis auf ein Familienunternehmen aus dem Westerwald. Das hat seine Gründe.

Es lässt sich nun wirklich nicht mehr verleugnen. Das deutsche Transportgewerbe steckt mitten in der demografischen Falle. Im FERNFAHRER 6/2016, der ab 9. Mai im Handel ist, setzen wir uns deshalb schwerpunktmäßig mit dem Fahrermangel auseinander. Das ist gewissermaßen mein Ressort innerhalb der Redaktion. Ich zeige auf, warum es für die deutschen Speditionen so schwer geworden ist, qualifizierte und motivierte Fahrer zu bekommen; ich rechne konkret aus, wie viele Fahrer der Branche in Zukunft tatsächlich fehlen werden; ich beschreibe, wie sich die Logistik-Initiative Hamburg für faire Arbeitsbedingungen einsetzen will; und ich zeige am Beispiel der familiengeführten Spedition Höhner aus Weyerbusch im Westerwald, wie auch die Integration von Umschülern wirklich gelingen kann und warum Wertschätzung für die Fahrer so wichtig für ein gesundes Betriebsklima ist. Kein Wunder, dass bei Höhner die Fluktuation sehr gering ist. 

Ein herzlicher Empfang am Samstag

Etwa jeden zweiten Monat besuche ich irgendwo in Deutschland eine Spedition. Ich schreibe nun bald 30 Jahre für den FERNFAHRER und kann inzwischen schnell erkennen, wie es um das Unternehmen steht – und wie es mit Fahrern umgeht. Aber Anfang April war ich doch einmal mehr positiv überrascht. Immer wieder hatte ich auf der A 61 zwischen Köln und Koblenz die weiß-blauen Wechselbrückenzüge der Spedition Höhner aus Weyerbusch gesehen. Die "Höhner" sind in Köln eine Karnevalsband. Aber Logistik? Ein Blick auf die Firmen-Webseite überzeugt schon mal: Dort hat der Seniorchef ziemlich tolle Bilder der modernen Flotte veröffentlicht. Etwas fürs Auge. Ein Anruf, ein langes Vorgespräch mit dem Fuhrparkleiter Matthias Hassel: überzeugend. Schließlich die Verabredung zum Termin an einem Samstag. Das ist für die Mitarbeiter normalerweise ein freier Tag.

Der erste Eindruck prägt, heißt es immer. Wenn ich zu einem Termin komme, freue ich mich immer über eine Tasse Kaffee. Als ich den Flur des Bürogebäudes in Weyerbusch betrete, ist er von diesem erweckenden Duft erfüllt. Marion Höhner kommt mir entgegen, die Chefin und gute Seele des Familienunternehmens, sie trägt gerade mehrere Tabletts mit frisch belegten Brötchen in den Aufenthaltsraum. Dort warten drei Fahrerinnen und zwei Fahrer für das Gespräch. Auch ein Disponent ist mit seiner Tochter gekommen. Aber er hat nichts vom gemeinsamen Frühstück, sein Melder piept. Er ist bei der Freiwilligen Feuerwehr im Ort und muss zum Einsatz. So schnell, dass er seine Tochter vergisst. Marion Höhner fährt sie eben nach Hause. So ist das eben auf dem Land, wo noch jeder für jeden einsteht. Wir reden offen über alles, was die Fahrer so begeistert. Warum sie sich dort so wohl fühlen. Und warum freiwillig dort keiner weggeht. Das alles ist im neuen Heft zu lesen. Ich muss wirklich sagen, es hat großen Spaß gemacht, vor allem bei den Fotoaufnahmen. Für einen halben Tag war ich dort sprichwörtlich der Hahn im Höhnerstall. 

Fahrer aus Osteuropa sind ein heikles Thema in der Branche

Es gibt viele ähnlich gut geführte Unternehmen in Deutschland. In der Mehrzahl der Betriebe herrscht mittlerweile trotzdem bei 20 bis 40 Prozent der Belegschaft ein dauerhafter Personalwechsel. Das liege an schlechten und unzuverlässigen Fahrern, die sich auch um das Thema Weiterbildung nicht kümmerten, klagen die Chefs, das liege aber vor allem an den miesen Arbeitsbedingungen, sagen die Fahrer, die es leid sind, bis zu 260 Stunden im Monat zu arbeiten und überall nur den Druck zu spüren. Im Einzelfall haben wahrscheinlich beide Seiten Recht. Das alles hat aber Auswirkungen. Immer mehr deutsche Transportunternehmen greifen in ihrer Not auch auf Fahrer aus den mittel- und osteuropäischen Ländern (MOE) zurück. Das ist in der Branche, zumal bei den deutschen Fahrern, ein sehr heikles Thema. Oft lautet der Vorwurf, die Kollegen würden den deutschen Fahrern dadurch den Job wegnehmen, weil sie nur den deutschen Einstiegslohn bekommen und ihre Arbeitsrechte nicht kennen würden. Das lässt sich nicht generell bestätigen.

Natürlich gibt es in der Tat Betriebe, die nur noch Fahrer aus Polen, Bulgarien oder Rumänien beschäftigen, weil sie dadurch im Wettbewerb billiger sind. Das trifft vor allem auf Firmen zu, die nur Komplettladungen von A nach B transportieren und dem harten Preiswettbewerb ausgesetzt sind. Diese Firmen sind jederzeit austauschbar. Ein extrem schlechtes Beispiel aus dem Raum nordöstlich von Hannover ist jetzt gerade über die sozialen Netzwerke an die Öffentlichkeit gekommen. Das Verwaltungsgericht Hannover hat einem Betrieb mit 73 Lkw wegen nachgewiesener zahlreicher Verstöße untersagt, die Lkw weiter einzusetzen. Das boshafte Transportunternehmen hatte dem Vernehmen nach viele Fahrer aus Rumänien beschäftigt. Hier hat offenbar das Risikoeinstufungssystem gegriffen, mit dem die EU in Zukunft dauerhafte Missetäter aus dem Verkehr ziehen will.

Firmen, die ihre Fahrer ausbeuten, egal ob sie nun aus Deutschland oder den MOE-Ländern kommen, droht dauerhaft das Aus, denn es spricht sich schnell herum, wie sie mit ihren Leuten umgehen. Auch im Ausland. Seriöse Unternehmen wie Höhner müssen sich weniger Sorgen machen. Sie werden auch in Zukunft gute Fahrer finden, die eine faire Behandlung und einen guten Lohn mit entsprechend guter Leistung "honorieren". Ihnen gehört die Zukunft. Immer noch. 

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