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45 Milliarden für die Schiene Gemischte Reaktionen auf den Ampel-Deal

Foto: DB AG/Volker Emersleben

Politisches Harakiri sei die Verdopplung der Lkw-Maut, urteilt der BGL. Andere Verbände begrüßen die zusätzlichen Milliarden für die Schiene. Das sind die Reaktionen auf das Modernisierungspaket der Ampelregierung.

Beschleunigung von Infrastrukturvorhaben auf Straße und Schiene, Abkehr von den Emissionszielen pro Sektor, Erhöhung der Lkw-Maut und vieles mehr: das an drei Tagen geschnürte Modernisierungspaket des Koalitionsausschusses löst Wirbel aus. Bei den Verbänden in der Transport- und Logistikbranche ergibt sich ein zwiespältiges Echo. Kritik entzündet sich besonders am hohen CO2-Aufschlag auf die erst zu Beginn dieses Jahres erhöhte Lkw-Maut. Ein CO2-Aufschlag von 200 Euro pro Tonne wäre der weltweit höchste CO2-Preis. 64 Länder setzen das Instrument nach Angaben der Weltbank ein, Spitzenreiter ist Schweden mit einem CO2-Preis von 137 Euro pro Tonne. Bei aktuell 30 Euro ist Deutschland im Mittelfeld.

BGL: Es fehlt jede Lenkungswirkung

Der Aufschlag auf die Maut ab dem nächsten Jahr kommt nach Angaben der Verbände in etwa einer Verdopplung der Gebühr gleich. Dazu findet Prof. Dr. Dirk Engelhardt, Vorstandssprecher des Bundesverbands Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung, drastische Worte: „Die vom Koalitionsausschuss beschlossene Verdoppelung der Lkw-Maut ab 2024 ist politisches Harakiri“, erklärt er. „Ohne am Markt verfügbare Alternativen zum Diesel-Lkw und ohne Ladeinfrastruktur fehlt jedwede Lenkungswirkung zugunsten des Klimaschutzes. Damit belastet die Ampel nur den Endverbraucher, ohne es ehrlich dazu zu sagen.“

Engelhardt empfiehlt: „Habeck & Co sollten sich überlegen, ob sie sich ihre Rhabarber-Schorle künftig nicht besser mit der Bahn vor die Haustür liefern lassen! Wenn diese Milliarden Mehreinnahmen dann auch noch hauptsächlich in die Schiene fließen sollen, obwohl Lkw-Fahrerinnen und Lkw-Fahrer jeden Abend verzweifelt freie Stellplätze suchen, fragt man sich, ob Teile der Koalition überhaupt verstanden haben, wer Deutschland bewegt.“

BWVL: Mauterhöhung ist verdeckte Steuererhöhung

Die geplante Erhöhung der Lkw-Maut ist für die Verantwortlichen beim Bundesverband Wirtschaft Verkehr und Logistik (BWVL) im Kern eine verdeckte Steuererhöhung. Sie treffe nur auf den ersten Blick den Straßengüterverkehr, tatsächlich würden die Bürgerinnen und Bürger für Waren und Dienstleistungen mit Preiserhöhungen zur Kasse gebeten. Wie BGL-Vorstandssprecher Engelhardt kritisiert auch BWVL-Präsident Jochen Quick, dass die CO2-Maut noch keine Lenkungswirkung entfalten könne, weil die Unternehmen nicht auf andere Verkehrsträger oder Fahrzeuge mit alternativen Antrieben umsteigen könnten. „Stattdessen zahlt der Bürger die Zeche, wenn über den Verkehrsträger Straße ein neues Kapitel der unendlichen Geschichte namens Bahnreform aufgeschlagen wird, ohne zu wissen, wohin das Geld tatsächlich fließt.“ Der Bürger zahle über den Lkw nur die Schulden der Bahn ab. „Das nenne ich dann Etikettenschwindel“, erklärt Quick.

Enttäuschend für Verbandspräsident Quick ist in dem 16-Seiten-Papier auch der fehlende Hinweis aufs Thema Lang-Lkw. Das Bundesumweltministerium übe sich seit mehr als einem Jahr in passivem Widerstand gegenüber dem Verkehrsministerium – nicht nur bei der Zustimmung zu Streckenerweiterungen, sondern auch zu einem bilateralen Vertrag mit Dänemark. „Die Koalitionsgespräche verfehlen auch an diesem Punkt ihre originäre Aufgabe, echte Konfliktsituationen innerhalb der Regierung einer Lösung zuzuführen“, teilt der BWVL mit.

DSLV: Null-Emissions-Logistik nicht zum Nulltarif

Auch der Bundesverband Spedition und Logistik (DSLV) sieht die Mautpläne kritisch. Eine Verdopplung der Maut werde zu einem erheblichen Anstieg der Frachtraten im Straßengüterverkehr führen, prophezeit er. Das Ganze müsse am Markt in den Lieferketten auf Industrie, Handel und am Ende auf die Verbraucher überwälzt werden. „Es ist offensichtlich, dass Null-Emissions-Logistik nicht zum Null-Tarif erfolgen kann“, sagt DSLV-Präsident Axel Plaß. Nun komme es darauf an, dass die verbindlichen neuen Mautsätze so schnell wie möglich veröffentlicht würden. Speditionen und ihre Kunden bräuchten Planungssicherheit und Transparenz über die zukünftigen Logistikkosten.

Insgesamt hält der DSLV das Modernisierungspaket aber für ausgewogen und entdeckt darin einige positive Aspekte. „Die Absicht der Bundesregierung, die Infrastrukturfinanzierung, die Planungs- und Genehmigungsbeschleunigung sowie die Transformation hin zum klimaneutralen Güterverkehr jetzt endlich im verkehrsträgerübergreifenden Kontext anzugehen, führe in die richtige Richtung. Plaß begrüßt es, dass auch 144 Autobahnprojekte auf besonders belasteten Abschnitte schneller realisiert werden sollen. „Sowohl Straßen als auch Schienenwege sind überlastet und notleidend. Um den Wirtschaftsstandort Deutschland zu stabilisieren, müssen sämtliche Verkehrswege bedarfsgerecht geplant werden“, sagt er.

Deutsches Verkehrsforum: gut, dass Blockade beendet ist

Das Deutsche Verkehrsforum (DVF) zeigt sich erleichtert, dass der Koalitionsstreit beendet wurde. „Es ist gut, dass die Koalitionspartner die Ampel wieder auf Grün gestellt und die Blockade aufgelöst haben. Zwar sind leider die Vorschläge der Wirtschaft, wie eine stufenweise statt einer pauschalen Anhebung des CO2-Preises bei der Maut oder eine Trennung von Priorisierung und Planungsbeschleunigung nicht berücksichtigt worden. Dafür gibt es aber ein klares Bekenntnis zu Investitionen in die Infrastruktur, in den Klimaschutz, die Energieversorgung und in die Digitalisierung“, lobt DVF-Präsident Prof. Raimund Klinkner.

Dass nicht mehr jeder Wirtschaftsbereich beim Erreichen der Sektorziele im Fokus steht, sondern alle gemeinsam liefern müssen, kommt beim DVF eher positiv an. Der sektorenübergreifende Ansatz, bei allen Sektoren mit gemeinsamer Kraft nachzusteuern, sei zu begrüßen. „Um dennoch extreme, kurzfristig ausgerichtete Maßnahmen zur Nachsteuerung zu vermeiden, müssen jetzt schnell und entschlossen alle erforderlichen Maßnahmen ergriffen werden, um die Antriebs- und Mobilitätswende zu erreichen. 2030 ist übermorgen“, mahnt DVF-Präsident Klinkner.

VDA: Deutschlandtempo nun auch umsetzen

Für den Verband der Automobilindustrie (VDA) kommt es nach der Einigung im Koalitionsausschuss nun vor allem auf die Geschwindigkeit beim Umsetzen an. „Insgesamt hat die Ampel-Koalition ambitionierte Punkte beschlossen, die das Potenzial haben, die Transformation und somit das Tempo beim Klimaschutz zu beschleunigen und gleichzeitig längst notwendige Infrastrukturprojekte voranzubringen“, erklärte VDA-Präsidentin Hildegard Müller. Entscheidend sei jetzt, mit dem neuen „Deutschlandtempo“ vom Ankündigungs- in den Umsetzungsmodus zu kommen. Schnellere Planungs- und Genehmigungsverfahren, gerade im Bereich der Infrastruktur, seien zwingend notwendig, damit die Infrastruktur ausgebaut, modernisiert und digitalisiert werden könne. „Dies ist die Voraussetzung dafür, dass unser Standort international wettbewerbsfähig bleiben kann und wir die Grundlagen für eine klimaneutrale Mobilität schaffen.“

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Positiv bewertet die VDA-Präsidentin die betonte Entschlossenheit, die Lade- und Wasserstoffinfrastruktur in Deutschland schnellstmöglich voranzubringen. „Die E-Mobilität bleibt die zentrale Technologie, um die Klimaziele im Verkehr zu erreichen – das Vertrauen der Menschen, immer und überall laden zu können, ist für den erfolgreichen Hochlauf Grundvoraussetzung“, sagte sie. Mit Blick auf eine CO2-basierte Lkw-Maut ergeben sich allerdings auch für sie noch Fragen. „Das ist grundsätzlich richtig – dabei muss allerdings beachtet werden, dass der Anreiz zum Umstieg nur dann funktioniert, wenn für die Alternativen die entsprechende Lade- und Wasserstoffinfrastruktur schnell und flächendeckend geschaffen wird“, sagt sie. Die geplanten Investitionen für die Bahn seien sicher notwendig. Ob die 45 Milliarden Euro zur Finanzierung ausreichen, ohne gleichzeitig die Verbraucher zu sehr zu belasten, müsse geprüft werden.

Pro Mobilität: Verbraucherpreise werden steigen

Die Initiative Pro Mobilität lobt, dass auch Straßen von schnelleren Planungen und Genehmigungen profitieren sollen. „Das würdigt die Bedeutung der Straße als Deutschlands Hauptverkehrsträger“, erklärt der Verband. Es sei richtig, bei Straßeninfrastrukturprojekten von übergeordneter gesellschaftlicher und volkswirtschaftlicher Relevanz, die Schaffung des Baurechts unmittelbar durch Gesetz zu ermöglichen und damit Engpässe und stauanfällige Knotenpunkte im Bundesfernstraßennetz zu beseitigen beziehungsweise zu entlasten. Dabei gelte es, die Liste an Projekten von überragendem öffentlichen Interesse kontinuierlich zu überprüfen und gegebenenfalls zu erweitern.

Was die Erhöhung der Lkw-Maut und die teilweise Auflösung des Finanzkreislaufs Straße angeht: Das wird nach Ansicht von Pro Mobilität in erster Linie die Verbraucherpreise erhöhen, aber keine kurz- bis mittelfristigen Effekte auf den Modal Split im Güterverkehr haben oder die Dekarbonisierung des Verkehrssektors vorantreiben. „Eine Umverteilung der Mittel zugunsten der Schiene darf nicht zu Unterfinanzierung der Straße führen, die ebenso von Baupreis- und Materialkostensteigerungen sowie Inflation betroffen ist“, hebt das Bündnis hervor.

Allianz pro Schiene: Fehler, Sektorziele aufzugeben

Die Allianz pro Schiene dagegen bezeichnet es als einen Riesenfortschritt, dass der Finanzierungskreislauf „Straße finanziert Straße“ der Lkw-Maut aufgebrochen wird, damit künftig auch Schieneninfrastrukturprojekte aus Mauteinnahmen finanziert werden können. „Dadurch könnte es in den kommenden Jahren bis zu 45 Milliarden Euro zusätzlich für die Schiene geben – das wird mehr Kapazität schaffen und einen großen Unterschied für den Personen- und Güterverkehr machen“, erklärt Geschäftsführer Dirk Flege.

Flege ist im Gegensatz zu anderen Verbandsvertretern aber eher besorgt darüber, dass die Sektorziele aufgegeben werden. „Die Aufweichung der Ziele für den Verkehrssektor wird dazu führen, dass wir beim Klimaschutz noch mehr Zeit verlieren – und den Bau neuer Autobahnen zu beschleunigen, wird die Klimaproblematik sogar weiter verschärfen. Daran ändern auch Solarpanels am Fahrbahnrand nichts.“

Die Güterbahnen: mehr Transparenz bei der Bahn nötig

Das Bündnis Die Güterbahnen/Das Netzwerk Europäischer Eisenbahnen hebt ebenfalls anerkennend die Finanzspritze für die Schiene durch die Lkw-Maut hervor. Ludolf Kerkeling, Vorstandschef der Güterbahnen, begrüßt es, dass die Ampel das Markanteilsziel von 25 Prozent Schiene im Güterverkehr bis 2030 bekräftigt hat. Der Verband spricht sich jedoch für eine erhöhte Transparenz aus, wenn die Milliardensummen in die Schiene fließen. „Selbst wir als Nutzer und Kunden der DB-Infrastruktur wissen nicht, welche Maßnahmen die DB mit den von der Koalition bewilligten 45 Milliarden Euro bis 2027 umsetzen will“, beklagt Kerkeling. „Wir benötigen einen schnelleren güterverkehrsorientierten Zubau von Gleisen und Verladeeinrichtungen als bisher – und zwar neben der Sanierung des Bestandsnetzes.“

VDV: Klimaschutzziele im Verkehr erreichen

Der Verband der Verkehrsunternehmen (VDV) zeigt sich ebenfalls dankbar über mehr Mittel für die Schiene. „Die Finanzierung aus den Mehreinnahmen der Lkw-Maut ergibt Sinn, denn wir müssen künftig mehr Güterverkehr von der Straße auf die Schiene verlagern, um die Klimaschutzziele im Verkehrssektor zu erreichen“, sagt VDV-Hauptgeschäftsführer Oliver Wolff. Er sieht in den beschlossenen Maßnahmen einen wichtigen Schritt für die Schieneninfrastruktur, für die Eisenbahn in Deutschland und damit auch für mehr klimafreundlichen Verkehr: „Erhöhte Investitionen ins Netz, Ausbau von Terminals im Kombinierten Verkehr und Beschleunigungen bei der Planung sind zentrale Ergebnisse, die das Gesamtsystem in den kommenden Jahren deutlich voranbringen werden. Jetzt kommt es auf eine schnelle Umsetzung dieser Beschlüsse an“, sagt Wolff.

BGA: Einsatz von 44-Tonnen-Lkw ermöglichen

Der Bundesverband Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA) hat Zweifel, ob die Schiene alles leisten kann und macht sich explizit auch für eine leistungsfähige Straße stark. „Deutschlands Unternehmen transportieren neunmal mehr Güter über die Straße als über die Schiene. Solange die Bahn keine weiteren Gütertransporte aufnehmen kann, brauchen wir Lkw und damit auch die Straße. Besonders ländliche Regionen dürfen wir nicht abhängen, indem wir die Unternehmen und Betriebe, und damit auch die Arbeitsplätze dort, von der Straße abschneiden“, sagt BGA-Präsident Dr. Dirk Jandura. Gleichzeitig wirbt er für mehr Effizienz beim Güterverkehr auf der Straße und erneuert seinen Appell, die Gewichtsgrenzen für Lkw anzuheben: „Lang-Lkw und der sogenannte 44-Tonner würden das Verkehrsaufkommen noch zusätzlich reduzieren.“ Hier gelte es frei von parteipolitischen Ideologien, das Richtige zu tun. „Den Mut dazu hat die Regierung bewiesen. Ich hoffe, sie verliert ihn bei den nächsten Entscheidungen nicht gleich wieder."

Kein gutes Haar lässt er an der geplanten Mauterhöhung. „Sie belastet den Handel massiv, voraussichtlich um mehr als fünf Milliarden Euro zusätzlich“, rechnet er vor. „So sollen die Versäumnisse von jahrelang blockierter Infrastrukturpolitik mitfinanziert werden“, kommentiert Jandura.

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