Preisverfall im Transport Keine Verbündeten

Foto: Jan Bergrath

Norddeutsche Containertrucker müssen eine Millionenstrafe bezahlen, weil sie gegen das Kartellrecht verstoßen haben. Für die Transportbranche ein verheerendes Signal.

Ich kann mich noch sehr genau daran erinnern, wie Anfang April 2014 aufgeregte Fachmedien über einen kleinen Aufstand im Hamburger Hafen berichteten. Die Containertrucker forderten über ihren Verband, die Fachgruppe Containerverkehre der deutschen Seehäfen (FCDS), einen expliziten "Stauzuschlag". Dieser Zuschlag solle bei lokalen Stadtgestellungen bei 20 Euro (one-way) und 40 Euro (Rundlauf) und für alle anderen Transporte bei je 80 Euro liegen. Er solle so lange gelten, wie die Behinderungen anhalten, hieß es seinerzeit. Der Hintergrund: Durch unzählige Baumaßnahmen war die Situation für die Firmen, die sich auf das Containertrucking spezialisiert hatten, angespannt und Touren gingen am Ende des Tages verloren.

Wer den brutalen Wettbewerb in der Logistikbranche kennt, dem ist klar, dass genau diese eine Tour darüber entscheiden kann, ob der Lkw noch im Umsatzplus liegt – oder eben nicht. Und so dachte ich spontan: "Endlich schließen sich einmal ein paar mutige Firmen zusammen und machen klar, dass es so nicht weiter geht!" Denn in der Logistik herrscht schon viel zu lange der negative Darwinismus: Nicht der Stärkere setzt sich durch, sondern es ist der Billigste, der gewinnt. Ich wollte schon nach Hamburg fahren, um darüber zu berichten, da kam wenige Tage später die Meldung, der Spuk – jedenfalls für die Kunden – sei schon wieder vorbei, die Trucking-Firmen seien "wieder zurückgerudert". Nach "konstruktiven Gesprächen" mit dem Hamburger Wirtschaftssenator wolle man den Hamburger Hafen nicht weiter schädigen, war die offizielle Begründung. Die zweite ging zunächst etwas unter: Es gab kartellrechtliche Bedenken auf Grund der Preisabsprachen. Das Thema verschwand wieder aus dem Focus der Öffentlichkeit.

Millionenstrafe vom Bundeskartellamt

Letzte Woche platze dann plötzlich die Bombe: Das Bundeskartellamt hatte für sieben der damals beteiligten Unternehmen ein Bußgeld von insgesamt4,56 Millionen Euro verhängt. Ein Unternehmer, der nicht genannt werden möchte, hat mir nun telefonisch erzählt, wie es überhaupt dazu gekommen ist. Man habe in der Eile der Aktion nicht an das Kartellrecht gedacht. Dann habe es einen mutmaßlichen Tipp eines der großen Truckingunternehmen gegeben und der Ball, einmal ins Rollen gekommen, war nicht mehr zu stoppen. Razzien habe es gegeben, die Firmen wurden zu "Kooperation" regelrecht gezwungen. Dass es nie zu einer Durchführung des Stauzuschlags gekommen war, zählte nicht mehr. Einmal Lunte gerochen, hätten sich die Beamten der Behörde bis ins Jahr 2001 durch die Akten gewühlt.

Nun das Fazit der Untersuchung: "Die Unternehmen hatten das gemeinsame Grundverständnis, dass Kostensteigerungen, mit denen die Containertransport-Branche konfrontiert wurde, möglichst weitgehend an die Kunden weitergereicht werden sollten", sagt Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamts. "Zu diesem Zweck wurden regelmäßig mögliche Reaktionen auf verschiedene Kostensteigerungen diskutiert und untereinander abgestimmt." Hinweise auf erste Verstöße gehen demnach bis in das Jahr 2001 zurück. "In einzelnen Jahren kam es zu einer Verständigung über prozentuale Erhöhungssätze der Frachtraten", so Mundt weiter.

KO-Schlag für die Frachtführer

Bei Kartellen hatte ich bislang immer an spanische Zementkonzerne oder paneuropäische Telefongesellschaften gedacht, die Preisabsprachen zu Lasten der Kunden oder der Verbraucher beschließen und dann in Freudenhäusern feiern – nie und nimmer aber an eine Handvoll Frachtführer, die ums wirtschaftliche Überleben kämpfen und ihren rührigen Verband. Aber das deutsche Kartellrecht kennt da keine Gnade. Für die Transportbranche ist das ein Desaster: Denn nun gibt es schlicht und einfach keine Möglichkeit mehr, sich auch gegen das Preisdiktat der Logistikeinkäufer großer Unternehmen oder Speditionskonzerne zu wehren. Die Verbände dürfen ihre Mitglieder nach diesem Kartellamtsverfahren zwar grundsätzlich ermutigen, Kosten wie Maut weiterzugeben, aber sobald auch nur einmal das Wort Euro in den Empfehlungen auftaucht, droht ein Verstoß gegen das Kartellrecht.

Dem Preisdruck durch die Auftraggeber ist dagegen keine Grenze gesetzt: Zunächst einmal gibt es fast nur noch Ausschreibungen, bei denen in der Regel derjenige gewinnt, der das günstigste Angebot abgibt. Den Disponenten der Auftraggeber liegt die Liste vor, schön sortiert von billig ganz oben und zu teuer ganz unten. Die Anbieter, also die Frachtführer, kennen diese Zahlen natürlich nicht. Und so rechnen sie immer öfter an der Grenze zu den Selbstkosten plus eine winzige Marge. Auch dadurch ist zu erklären, dass mir Firmen im ganz normalen Fernverkehr sagen, dass der Lkw ein Minus macht, wenn eine (!) Tour in der Woche – aus welchen Gründen auch immer – ausfällt. Das setzt auch die Fahrer unter Druck, die unter dem Diktat des digitalen Tachos die Tour retten müssen, wenn sich durch Stau oder Wartzeit an der Rampe der Ablauf verzögert. Auch das ist ein Grund für die mittlerweile oft tödliche Hetze auf den deutschen Autobahnen und die vielen Unfälle am Stauende.

Immer beliebter werden dann die "Preisgespräche", zu denen die Auftraggeber ihre festen Spediteure einladen. Da sitzen dann, auf Druck des Kunden, Frachtführer gemeinsam vor den Einkäufern und versuchen, sich nicht allzu weit über den Tisch ziehen zu lassen. Und natürlich gibt es dann die stillschweigende gemeinsame Vereinbarung, dass man nicht unter einem Preis XY pro Kilometer fahren wird. Doch kaum ist das Treffen vorbei, bricht der erste Unternehmer schon aus – und es gibt kein legales Mittel der anderen "Partner", sich dagegen zu wehren. Denn sonst droht, wie wir jetzt alle wissen, das Kartellamt. Das lässt mich diesmal mit der ratlosen Fragen zurück: Wohin soll das noch führen? Für den Unternehmer, der, wie er sagte, sehr viel Lehrgeld gezahlt hat, ist die Antwort klar: es gibt im Transportgewerbe keine Verbündeten mehr.

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