Lkw-Unfälle Die Fahrer müssen es ausbaden

Foto: Jan Bergrath
Meinung

Was ist in den letzten Sekunden vor einem Unfall passiert? Diese und andere Fragen stellt Polizeihauptkommissar Tom Fiala von der Autobahnpolizei Köln in einem spannenden Vortrag, der hier als Video zu sehen ist.

Die Anzahl der Verkehrsunfälle auf den rund 600 Kilometern Autobahn im Bereich der Bezirksregierung Köln gehen nach unten, aber die Zahl der dabei tödlich verunglückten Verkehrsteilnehmer steigt. Ein Viertel aller Verkehrsunfälle auf diesem Bereich der Autobahnen werden von Lkw-Fahrern verursacht. Aber nur 17 Prozent aller Fahrzeuge auf der Autobahn sind Lkw. „Eigentlich“, so folgert Polizeihauptkommissar Tom Fiala von der Autobahnpolizei Köln, „dürften dann auch nur 17 Prozent der Lkw an Unfällen beteiligt sein. Aber es sind acht Prozent mehr.“ „Das heißt“, betont Fiala, „der Lkw-Fahrer ist hier tatsächlich überproportional am Unfallgeschehen auf der Autobahn beteiligt.“

Präventionsmaßnahmen der Kölner Autobahnpolizei

Fiala ist seit 33 Jahren bei der Autobahnpolizei Köln, seit 2007 ist er dort für den Bereich Verkehrssicherheitsberatung und Prävention zuständig und übernahm 2005 zusammen mit seinem Kollegen Michael Tangermann die Organisation des Fernfahrerstammtischs auf der Raststätte Aachener Land Süd an der A4. Dieser Stammtisch ist mittlerweile eine Institution geworden und findet am 6. September schon zum 200. Mal statt. Also Gast kommt der neue Kölner Polizeipräsident Uwe Jacob. Immer öfter wird Fiala nun eingeladen, zuletzt im Juni auf dem 23. DVR-Forum zum Thema Sicherheit und Mobilität in Frankfurt.

Fialas Vortrag auf YouTube

Den wirklich sehenswerten Vortrag, den er dort gehalten hat, hat er nun am 19. August beim Treffen des Kraftfahrerkreises Düren-Aachen noch einmal im Truck-Stop Düren wiederholt. Der Lkw-Fahrer Alexander Scheuer hat ihn aufgezeichnet, bearbeitet und ins Netz gestellt. Fiala geht unter anderem der Frage nach, was in den letzten Sekunden vor einem Unfall im Lkw passiert. Eine Erkenntnis der Polizei ist eindeutig: Bei kaum einem Lkw-Unfall kann sie vor Ort ermitteln, dass der Fahrer gegen die Sozialvorschriften verstoßen hat, also nach der Logik des Gesetzes und den allgemeinen Vorurteilen, übermüdet war. Ein Verfahren vor dem Amtsgericht Hersbruck, bei dem ein Fahrer nach einem tödlichen Unfall am Stauende zu über zwei Jahren Gefängnis verurteilt worden ist, brachte jedoch ans Licht, dass er gleich mehrere Sekunden ablenkt war und kurz vor dem Unfall auch noch eine fatale Entscheidung getroffen hatte.

Was sind die Ursachen für die Unfälle?

In seinem Vortrag geht Fiala nun den möglichen Ursachen nach, warum Fahrer, die heute in Lkw sitzen, in denen sie kaum noch etwas tun müssen, geneigt sind, sich aus Langeweile ablenken zu lassen. Er schildert allerdings auch in logischer Konsequenz, dass die heutige Situation auf den meist überfüllten Autobahnen zu Stau und Parkplatzmangel führen und das gleichzeitige Diktat des digitalen Tachografen zusammen mit den Sozialvorschriften den Fahrer in eine schier ausweglose Situation bringt. Einerseits muss er seine Termine einhalten, die immer öfter an Zeitfenster gebunden sind, anderseits können selbst kleine Verstöße weit länger als 28 Tage zurückverfolgt werden. Das alles setzt den Fahrer permanent unter Druck, dazu kommt die dauerhafte Überwachung durch die Telematiksysteme im Lkw, letztlich also die ständige Kontrolle durch die Disposition. Freiheit unterwegs, das, was Fernfahrer gerne als Motiv für die Berufswahl und die Entbehrungen angeben, das war einmal. Noch nicht einmal ihren Lieblingsautohof können Fernfahrer heute für ihre Pause ansteuern, wenn die Zeit auf dem Tacho abgelaufen ist. „Zu allem Übel müssen Fahrer jeden Hinweis, dass sie einen Verstoß begehen könnten, selber im Tacho bestätigen.“

Konsequenzen für Fahrer bei vergeblicher Parkplatzsuche

Unerträglich Hitze am Tag und Parkplatzmangel in der Nacht kommen dazu, klagt Fiala. An ruhigen Schlaf sei kaum zu denken, aber laut Tacho habe der Fahrer ordnungsgemäß seine Pause gemacht. Welche Konsequenzen der zunehmende Mangel an geeigneten Stellplätzen für die Fahrer haben kann, zeigt auch das „Thema des Monats“ im FERNFAHRER 10/2017, der am 4. September erscheint. Und zwar am Beispiel einer süddeutschen Fahrerin, die nachts auf der A5 von der Polizei wieder in die ausweglose Situation, einen Parkplatz zu finden, weiterschickt wurde. Und das, obwohl sie vorher bei der Suche alles richtig gemacht hat und dann bereits vier Stunden ihre tägliche Ruhezeit eingelegt hatte. In der Rubrik „Recht Aktuell“ erläutert der Fachanwalt für Verkehrsrecht Matthias Pfitzenmaier, in welche Zwickmühle Fahrer geraten können, die einfach keinen Parkplatz finden. So ist auch Tom Fiala der Meinung, dass die Lkw-Fahrer heute zunehmend Situationen ausbaden müssen, die sie nicht verursacht haben, aber kaum aus eigener Kraft umgehen können. 

Appell an die Politik

Es ist auch ein Appell an die Politik, endlich Maßnahmen zu ergreifen, diese Situation zu mildern. Dass in Deutschland ein schon dramatischer Fahrermangel herrscht, ist inzwischen bekannt. Das hänge nicht nur ausschließlich mit der laut Statistik bekannten Überalterung zusammen, erläuterte unlängst Joachim Altmann, Geschäftsführer der Spedition Schröder, auf dem Truck-Symposium von ADAC Mittelrhein und TÜV Rheinland Ende Juni auf dem Nürburgring. Man könne als Unternehmer den Fahrern heute noch so moderne Lkw und attraktive Löhne bieten, wenn sich die Arbeitsbedingungen auf der Straße und vor allem an den Rampen der Kunden nicht bald deutlich verbesserten, würden noch mehr Lkw-Fahrer als bisher in andere Berufe abwandern.

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