Fahrer vor Gericht Unschuldig gekündigt

Foto: Möller, Dernbach

Eine freche Anzeige stürzt Dieter F.* in großes Unglück. Die Autobahnkanzlei hakt nach.

Dieter muss sich konzentrieren. Voll beladen zieht sein Lkw die schmale Landstraße hoch. Rechts die Felswand, links die Leitplanke, daneben geht’s steil runter ins Tal. Mehr als 40 km/h gehen hier nicht. Der Laster klebt förmlich an der Felswand. Die Straße ist kurvenreich. Plötzlich wie aus dem Nichts kommt ein weißer DAF mittig auf ihn zu. Das Gespann nähert sich viel zu schnell. Dessen Fahrer reißt das Lenkrad herum, gerät ins Schlittern, kriegt sein Gespann wie durch ein Wunder wieder unter Kontrolle und bleibt stehen. Dieter auch. "Das war knapp!", stellt er den Fahrer zur Rede. Der ist kleinlaut, entschuldigt sich und steigt wieder ein, hat es wohl eilig. "Noch mal gut gegangen", denkt Dieter.
Ruhig fährt er die zehn Kilometer bis zur Entladestation weiter, dann dieselbe Strecke wieder zurück. Auf einmal sieht er Blaulicht und den weißen DAF von vorhin. Die Beamten stoppen ihn. Er steigt aus und wird belehrt, dass er auch schweigen dürfe. "Wie bitte?", fragt er. Er habe einen Unfall verursacht und sei abgehauen. "Das ist nicht wahr, oder?" Es ist der 10. Mai 2011, ein Tag, der Dieters Leben verändern wird.

Fristlose Kündigung: Dieter* weiß nicht wie ihm geschieht

Zwei Monate später erlässt das Amtsgericht einen folgenschweren Beschluss. Dieters Führerschein wird eingezogen. Der Amtsrichter hat sich auf den Staatsanwalt verlassen, der wiederum hat dem Polizisten unreflektiert geglaubt und der Beamte hat sich schließlich nur auf die Aussage des DAF-Fahrers gestützt – Domino im Strafrecht. Dieter ist am Ende, schläft zwei Nächte nicht, ist gereizt. Zu Hause gibt es Streit. Seine Frau kann sich nicht vorstellen, dass sich jemand so etwas einfach nur ausdenkt. In Dieters Leben beginnt es zu kriseln. Anfang September trifft Dieter seinen Chef. Der zeigt sich verständnisvoll, übergibt Dieter aber einen Umschlag und verschwindet blitzschnell in eine Besprechung. Dieter liest: "Mit Blick auf Ihren eingezogenen Führerschein sehen wir uns leider gezwungen ..." Wütend zerknüllt er die fristlose Kündigung. Die Nerven liegen endgültig blank.
Stundenlang läuft er wie von Sinnen durch die Stadt. Irgendwann steht er vor der Haustür. Seine Frau hat Verständnis – Gott sei Dank. Beim Arbeitsamt wollte er nie mehr wieder Schlange stehen, aber nun muss er einen Antrag stellen. Doch es
flattert eine Ablehnung ins Haus. Dieter greift zum Telefon. Die Bearbeiterin ist knallhart. Arbeitslosengeld könne nur im Versicherungsfall bezahlt werden. Bei Selbstverschulden gebe es eine Ausschlussklausel. Da geht gar nichts. Wortlos legt Dieter auf. In 14 Tagen ist die nächste Miete fällig.

Die Messungen ergeben: Nichts deutet auf einen Unfall hin

Anfang Oktober nimmt Dieter endlich Kontakt zu unserer Kanzlei auf. Das Gespräch dauert lange, bis er sich schließlich beruhigt. Vor einer Woche kam der Strafbefehl. 1.225 Euro Geldstrafe und acht Monate Führerscheinentzug. Dieters Frau schaut sich nach einem Putzjob um. Die Miete ist für drei Monate gestundet. Wir bitten den Richter um einen schnellen Verhandlungstermin. "Schwierig", meint er, findet aber Mitte November eine Lücke.
Jetzt beginnt der Job von unserem Messstelleninspektor Ralf Grunert. Er fährt zum Tatort. Die Leitplanke ist unbeschädigt, kein Lackabrieb. Nichts deutet auf einen Unfall hin. Die Straße ist nur 5,50 Meter breit. Das widerlegt die Aussage des DAF-Fahrers zum Unfallhergang. Der hat behauptet, Dieter sei mittig gefahren und habe ihn abgedrängt. Geht gar nicht, da ist sich Grunert sicher. Er filmt, misst, fotografiert und wertet die digitalen Daten vom Tattag aus: Dieter ist mit 40 km/h gefahren. Am Verhandlungstag treffen wir uns vorher. Dieter muss ruhig wirken im Saal.

Das Verfahren wird eingestellt und Dieter* kehrt in seinen Job zurück

Zu Beginn der Verhandlung stellt unser Hamburger Anwalt Max von Gyldenfeldt den Sachverhalt dar: Einen Unfall hat es gar nicht gegeben. Eine Berührung der Fahrzeuge schon gar nicht. Die Geschwindigkeit des Angeklagten war angemessen. 50 km/h waren erlaubt. Der Unfallgegner sei deutlich schneller gefahren. Der Aufforderung, sein Fahrtenschreiberblatt zu übermitteln, sei er nicht nachgekommen, das spräche für sich. Stück für Stück widerlegt Gyldenfeldt den Inhalt der Anzeige. Von Flucht könne keine Rede sein. Der Anzeigeerstatter habe sich entschuldigt und sei wieder in seinen Lkw gestiegen. Der völlig übereilte Führerscheinentzug habe Dieter fast in den Ruin getrieben. Der sitzt wie ein Häufchen Elend neben seinem Verteidiger. Der Staatsanwalt hört gebannt zu.
Anhand eines Gutachtens beweist Gyldenfeldt, dass der vorgebliche Schaden nicht unbedingt am 10. Mai 2011 entstanden sei. Die Fotos von der Leitplanke unterstreichen dieses Argument. Der Richter bittet Verteidiger und Staatsanwalt an den Richtertisch. Minutenlang stecken sie die Köpfe zusammen Dieter versteht nicht, was nun passiert, da zeigt ihm sein Verteidiger den hochgereckten Daumen. Der Richter stellt das Verfahren ein. Den Führerschein hat er dem Anwalt bereits übergeben. Dieter ist fassungslos vor Glück. Es gibt doch noch eine Gerechtigkeit. Sein Arbeitgeber stellt ihn sofort wieder ein. Schon am nächsten Tag ist er wieder auf Achse.

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