Profiwissen Fahren mit Feingefühl

VIAB, Turbokupplung Foto: Voith

Das von Zulieferer Voith Turbo entwickelte verschleißfreie integrierte Antriebs- und Bremssystem (VIAB) soll dem Rangieren und Anfahren von Lkw mit extrem hohen Zuggewichten seinen Schrecken nehmen.

Große Lasten zu bewegen und das in schwierigem Gelände mit extremen Steigungen gehört zur hohen Kunst des Lkw-Fahrens. Rangieren und Anfahren unter solchen Bedingungen sind eine  Herausforderung und können Fahrzeug und Fahrer leicht an ihre Grenzen bringen. Eine einfache Reibkupplung ist hier schnell überfordert. Es geht nicht ohne eine verschleißfreie Verbindung von Motor und Getriebe. Im Lkw heißt die Lösung "hydrodynamische Kraftübertragung".

Drehmomentwandler schon seit Anfang des 20. Jahrhunderts

Die Anfänge dieses in der Fahrzeugindustrie inzwischen verbreiteten Prinzips gehen auf den Ingenieur Prof. Hermann Föttinger zurück. Anfang des 20. Jahrhunderts entwickelte er den hydrodynamischen Drehmomentwandler, auch Föttinger-Wandler genannt. Seitdem haben sich eine Reihe von Konzepten wie das Borg-Warner-Getriebe, Dyna-flow von Buick und die Hydromatik für Nutzfahrzeuge von ZF etabliert. Die Wandlerschaltkupplung, Bestandteil vieler Schwerlast-Zugmaschinen, ist eine der jüngeren Entwicklungen des Zulieferers aus Friedrichshafen. Neueste Variante der Strömungskupplung ist das "Verschleißfreie Integrierte Antriebs- und Bremssystem" (VIAB), das der Komponenten-Zulieferer Voith Turbo entwickelt hat.

Alternativ zur bisherigen Wandlerschaltkupplung kommt sie in der Schwerlastzugmaschinen-Baureihe SLT von Mercedes in Verbindung mit automatisiertem Getriebe zum Einsatz, ist aber auch in den Baureihen Antos und Arocs in Verbindung mit den Motoren der Reihen 471 und 473 und zwei angetriebenen Hinterachsen zu haben.

Reibkupplung und Turbo-Retarder kombiniert

Die füllungsgeregelte, hydrodynamische Turbokupplung als Hauptkomponente verbindet die Funktionen hydrodynamisches Anfahren und hydrodynamisches Bremsen in einem System. Entscheidender Pluspunkt gegenüber Wandlerschalt-Systemen: "VIAB eliminiert auf intelligente Weise die Verluste und den Schlupf im Nennbetrieb und nutzt das Drehmoment des Motors wesentlich besser als eine Wandlerschaltkupplung", erklärt Martin Becke, Produktverantwortlicher Anfahrsysteme bei Voith Turbo.

VIAB vereint eine Reibkupplung mit einer Turbo-Retarder-Kupplung. Der Unterschied zur Wandlerschaltkupplung: Während die Wandlerschaltkupplung permanent gefüllt ist und ihren Ölbedarf vom Getriebe bezieht, besitzt VIAB sein eigenes Öl-Reservoir mit Kühler. Es ist mit Spezialöl gefüllt, und zwar nicht dauernd, sondern nur je nach Bedarf. Der Aufbau zeigt einen weiteren Unterschied. In der Wandlerschaltkupplung sind hydrodynamischer Kreislauf und Reibkupplung hintereinander angeordnet, bei
VIAB arbeiten sie parallel.

Im normalen Fahrbetrieb übernimmt die Reibkupplung

Das System basiert auf zwei Halbschalen, wobei die eine als Pumpenrad und die andere als Turbinenrad arbeitet. Fährt der Lkw an, ist die Reibkupplung geöffnet. Mit Öl füllt sich die Turbo-Retarder-Kupplung per Druckluft über ein Regelventil, elektronisch geregelt abhängig von der Gaspedalstellung. Pumpenrad und Turbinenrad sorgen für den Kraftschluss auf die Getriebewelle. Ein Verschleiß an mechanischen Teilen entsteht dabei nicht. Hingegen ist im normalen Fahrbetrieb die Reibkupplung geschlossen. Gleichzeitig entleert sich die Turbo-Kupplung komplett. Für den Kraftschluss sorgt somit allein die Reibkupplung.

Einen wichtigen Vorzug sieht Martin Becke in der Temperaturstabilität des VIAB-Systems bei häufigem Anfahren, langem Rangieren oder extrem langsamer Fahrt: "Temperaturprobleme kann man bei VIAB getrost vergessen. Es ist so gut wie unmöglich, die Kupplung heiß zu fahren." Die Anfahrtemperatur bewegt sich laut Becke meist bei etwa 30 Grad Celsius. Die Reibkupplung übernimmt nur noch etwa sieben Prozent der Schaltarbeit. Dabei soll das System nicht die Schaltgeschwindigkeit des Getriebes beeinflussen.

Beim Bremsen wirkt der Wandler wie ein Retarder

Beim Bremsen wird das Turbinenrad fixiert und die Turbo-Retarder-Kupplung füllt sich mit Öl. Jetzt wirkt das System als Primärretarder. Das Pumpenrad arbeitet dabei als Rotor, das Turbinenrad dient als Stator. Geregelt wird das Bremsmoment über eine Änderung der gefüllten Ölmenge. Dabei lassen sich laut Voith selbst bei niederen Geschwindigkeiten hohe Bremsmomente erzeugen.

Für eine wesentliche Erleichterung hält Martin Becke neben einer Reihe von Zusatzfunktionen wie Eco-, Power- oder Freischaukel-Modus des Getriebes vor allem den Rangiermodus. Eine konventionelle Wandlerschaltkupplung zeigt einen sogenannten Kriech­effekt, wenn der Fahrer in den Fahrmodus schaltet. Das Fahrzeug hat dann einen leichten Vortrieb, der feinfühliges Rangieren ermöglicht.

Hingegen fehlt VIAB das Leitrad, das in der Wandlerschaltkupplung zwischen Pumpen- und Turbinenrad sitzt und für die Drehmomentverstärkung sorgt. Der Kriecheffekt entsteht, indem das System teilweise befüllt wird. "Das Fahrzeug lässt sich allein über das Gaspedal exakt positionieren", erklärt Martin Becke. Möglich ist auch das sogenannte Abseilen, damit ist langsames Rückwärtsfahren in einer Steigung bei eingelegtem Vorwärtsgang gemeint. Je nach Druck auf das Gaspedal, entweder ganz schwach oder nur ein wenig, rollt das Fahrzeug langsam rückwärts, steht oder fährt langsam voraus.

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