Ausschreibungen setzen Branche unter Druck: Wettbewerb am Limit

Ausschreibungen setzen Branche unter Druck
Wettbewerb am Limit

Als Folge der Digitalisierung der Logistik gewinnen Ausschreibungen über längerfristige Frachtaufträge an Bedeutung. Das hat allerdings seinen Preis. In der Regel geht es dabei um das günstigste Angebot.

Mona Smeets Brennpunkt
Foto: Dennis Zimmer

Der einst erfolgreiche Werbeslogan aus dem Handel ist auch in der deutschen Logistik nicht neu. „Geiz ist geil?“, postete Mona Smeets, 28, in dritter Generation Prokuristin des Familienunternehmens aus Krefeld, vor gut drei Monaten bewusst als Überschrift in den sozialen Medien im Berufsnetzwerk LinkedIn. „Oder ist Qualität doch noch wichtiger als der Preis?“

Ihre darauffolgende, nur zwei Absätze lange harsche Kritik an einer Folge der Digitalisierung in der Logistik sorgte auf dem Portal für eine rege Debatte. „Gerade in Zeiten von Ausschreibungen fällt es mir immer wieder auf. Es werden teilweise Jahrzehnte bestehende Geschäftsbeziehungen aufgelöst, nur weil ein Mitbewerber in der Ausschreibung teilweise wenige Cent günstiger ist.“

Smeets war früh mit ihrem Vater Jochen (62) im Lkw mitgefahren und ist seit ihrer abgeschlossenen Ausbildung gelernte Kauffrau für Speditions- und Logistikdienstleistungen. Den Lkw-Führerschein inklusive einer beschleunigten Grundqualifikation hat sie dazu ebenfalls absolviert sowie die Ausbildung zur Ausbilderin. Auch deshalb betont sie, dass sie bewusst nicht noch studiert habe. So wie viele Unternehmensnachfolgerinnen- und Nachfolger aus ihrer Generation. „Ich habe weder einen Bachelor, noch einen Master oder sonst einen akademischen Grad“, so Smeets. „Aber ich habe mit Sicherheit jede Menge Erfahrung.“

Eine starke Stimme als Delegierte

Nicht nur das Unternehmen ist Mitglied im Verband Verkehrswirtschaft und Logistik NRW (VVWL), Mona Smeets ist für den Verband mittlerweile auch als Delegierte unterwegs. So fuhr sie am 15. Januar dieses Jahres selbst mit dem Lkw zur gemeinsamen Demo des Deutschen Bauernverbandes und des Bundesverbandes Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL) ans Brandenburger Tor in Berlin. Siehe dazu den Blogbeitrag „Revolutionäre Stimmung“ auf www.eurotransport.de. Nur: Die seither geführten Gespräche zwischen Brummi-Chef Dirk Engelhardt mit nahezu allen Vertretern der Berliner Verkehrspolitik über die Folgen der im Oktober 2023 von der Ampelregierung beschlossenen Erhöhung der Lkw-Maut haben vor allem für die kleinen und mittelständischen Frachtführer bislang keine konkreten Ergebnisse gebracht. Sie fanden am 22. April bei der Logistikkonferenz der SPD-Bundestagsfraktion, die nun ihrerseits das Bundesverkehrsministerium zum Handeln auffordert, immerhin eine Fortsetzung. Siehe den Blogbeitrag „Ausgeliefert“. Aber eine konkrete Verbesserung der sich weiter verschlechternden Arbeitsbedingungen der Lkw-Fahrer, basierend unter anderem auf dem massiven wirtschaftlichen Druck, unter dem die deutschen Frachtführer stehen, scheint aktuell eher unwahrscheinlich.

Einen Grund dafür sieht Smeets eben in den zunehmenden Ausschreibungen. Das Unternehmen Smeets ist im Stahltransport großgeworden. In der analogen Welt von Telefon, Fax und Kundenbesuchen vor Ort wurde mit den vielen festen Kunden natürlich auch über den Preis gesprochen. Aber eben persönlich. „Heute gibt man schriftlich ein Angebot ab“, sagt Smeets. Darin ist entweder ein Festpreis enthalten oder ein Preis auf Kilometerbasis mit Dieselfloater und der erhöhten Lkw-Maut. Die wird meistens auch übernommen, bis auf die Leerkilometer. Für den Anbieter ist das Procedere meist intransparent. „Manchmal bekommt man eine Rankingliste zurück, ohne den Namen oder das Angebot der potentiellen Mitbewerber zu kennen. Dann steht man etwa auf Platz 13 und kann das Angebot noch nachbessern. Mit dem Wissen, dass wir zu unseren deutschen Konditionen aber nicht noch weiter mit dem Preis runtergehen können.“ Das passiert oft bei Firmenübernahmen, wo irgendwo in Europa jemand am Computer die Fracht vergibt – und der Auftrag verloren ist. „Über unsere nach wie vor vorhandenen Kontakte zu den Kunden selbst erfahren wir dann oft, dass es am Ende nur um fünf Euro gegangen ist.“

Eigene Flotte mit 8 Sattelzügen und 4 Zwölftonnern

Eine Folge: Die eigene Flotte besteht jetzt noch aus acht Sattelzügen und vier 12-Tonnern von Daimler und MAN. Die Tautliner von Kögel sind entsprechend mit Coilmulden und dem nötigen Sicherungsmaterial ausgestattet. Die Fahrer, die Smeets teilweise schon seit 25 Jahren kennt, sind in der Regel im Radius bis 250 Kilometer unterwegs, sodass sich die Zahl der Übernachtungen auf den derzeit vor allem am Abend je nach Strecke extrem überlasteten Parkplätzen in Grenzen hält.

An den Wochenenden sind die Lkw am Standort, wo es eine eigene Lkw-Waschanlage gibt. Die Fahrer schlafen daheim. Das kann im hart umkämpften Markt vor allem der Rückladungen über Frachtenbörsen bereits ein Wettbewerbsnachteil sein.

Denn immer mehr deutsche Frachtführer greifen, auch auf Grund des akuten Mangels an wirklich qualifizierten deutschen Fahrern, vermehrt vor allem auf Fahrer aus Bulgarien, Polen oder Rumänien zurück. Diese sind im Prinzip drei Wochen auf Tour und haben eine Woche frei. Alternativ sind sie sechs Wochen unterwegs und haben danach zwei Wochen frei. Viele deutsche Frachtführer schicken sie im legalen Rahmen der EU-Sozialvorschriften gerne auch schon mal am Samstag mit einer Ladung zum Kunden oder, soweit die Stunden reichen, in dessen Richtung. Auf den Parkplätzen entlang der Autobahnen oder in den Gewerbegebieten treffen sie an den Wochenenden immer öfter auf die Fahrer aus Drittstaaten, die dort meist unbehelligt durch eine Kontrolle des Bundesamtes für Logistik und Mobilität (BALM), auf litauischen und polnischen Lkw stehen. Viele sind dabei, messbar an einem auf 50,6 Prozent gestiegenen Anteil an der reinen Fahrleistung – nicht zu verwechseln mit dem Anteil am Frachtmarkt – auf den mautpflichtigen Strecken in Deutschland im Transit unterwegs. Manche warten, bis es am Montag in der Nähe eine Ladung gibt.

Auch deutsche Speditionen machen nicht kostendeckende Angebote

„Wir wissen, dass auch deutsche Speditionen unter ihrem kostendeckenden Preis mitbieten“, sagt Smeets. Für die reine Weitervermittlung etwa über Frachtenbörsen setzen sie dann 100 Euro um, mal auch nur 20 Euro. „Auch das macht den Markt kaputt.“

Die Auswirkungen erleben alle Fahrer auf den Straßen und Autobahnen. Etwa durch den derzeit extremen Parkplatzmangel. Weil es in keiner EU-Verordnung steht, dass Speditionen auch eigene Lkw-Stellplätze vorhalten müssen, aber viele Speditionen wie etwa Smeets aus der Geschichte heraus diese Gelände immer weiter ausgebaut haben, sind es eben auch die Flotten aus Osteuropa, die den öffentlichen Parkraum nutzen. In den Terminals des Kombinierten Verkehrs oder den Binnenhäfen sind es die Fahrer aus Osteuropa, die dort ohne einen wirklichen Zugang zu sanitären Anlagen ausharren müssen.

Jeder gibt die Verantwortung weiter

Die Stadt Köln etwa gibt die Verantwortung für den Bau eines vernünftigen Park- oder Rastplatzes an das zuständige Bundesverkehrsministerium weiter, das wiederum verweist auf die zunehmenden Einsprüche von Bürgerinitiativen. Obwohl genügend Geld zu Verfügung steht, nachzulesen im Blogbeitrag „Die illegale Einsamkeit des Langzeitparkers“. Dort sind auch Hintergründe zur weiter mangelnden Wirkung des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes zu finden.

Das war immerhin der Grund, warum Aldi-Süd die Frachtführer Lukmaz und Agmaz des seit dem „Fahrerstreik“ im vergangenen Jahr in „Gräfenhausen“ umstrittenen polnischen Unternehmers Lukasz Mazur quasi ausgelistet hatte. Doch nach einer von der Polizei bestätigten tatkräftigen Auseinandersetzung zwischen dem Unternehmer und einem usbekischen Fahrer im April auf einem Rastplatz in Bayern, der seinen angeblich nicht bezahlten Lohn einforderte, stellte sich nach Medienberichten heraus, dass der Lkw mit italienischer Pastasauce auf dem Weg zu einem Logistikzentrum in Baden-Württemberg unterwegs war – für Aldi Süd. Nach Medienberichten hatte Mazur zwischenzeitlich im Jahr 2023 zusammen mit seiner Frau unter dem Namen Mlogystika ein neues Transportunternehmen angemeldet. Das stand offenbar noch nicht auf der blauen Liste.

Logistikkonzern DHL in der Kritik

Auch der Logistikkonzern DHL, an dem der Staat über die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) mit 16,8 Prozent beteiligt ist, geriet in die Kritik, nachdem er per Rundschreiben dafür um Verständnis gebeten hatte, die Frachtraten um fünf Prozent zu reduzieren. Wofür die Fuhrunternehmer gar kein Verständnis haben und sich beklagen, dass sie immer öfter durch osteuropäische Frachtführer oder deutsche Frachtführer mit osteuropäischen Fahrern auch bei nationalen Touren ersetzt würden. Als Krönung dieser Entwicklung geraten die Speditionen unter Druck, die gerade, so wie derzeit in Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg, mit Verdi in laufenden Tarifverhandlungen feststecken. Da es immer noch keine allgemeinverbindlichen Tarifverträge in Deutschland gibt, spüren auch diese den Wettbewerb am Limit. Doch eine Hoffnung hat Mona Smeets noch. „Uns rufen immer öfter ehemalige Kunden an, die uns als Dienstleister zurückhaben möchten, da der neue Dienstleister scheinbar weniger optimiert arbeitet und teilweise auch die Qualität zu fehlen scheint. Aber führt uns das in die richtige Richtung? Sparen grundsätzlich ja, aber nicht gleichzeitig an Allem. Qualität hat aus meiner Sicht ihren Preis, und daran wird sich auch niemals etwas ändern.“