Trucks of the World Die vielen Gesichter des Lkw

B-Double Foto: Archiv Kern, Werk 25 Bilder

Weltweit hat der Lkw ganz verschiedene Gesichter. Bei den Kabinen lässt sich Amerika nicht lumpen. Australien greift beim Anhang in die Vollen. Anderswo wiederum wuseln hauptsächlich Bonsai-Lkw durch die Gassen.

Nirgendwo brettern spektakulärere Lastzüge durch die Gegend als in Australien. Dass mehr als ein Anhänger im Schlepp ganz nützlich sein kann, darauf sind andere aber schon viel früher gekommen. Dieses Verfahren ist also keine Erfindung der Australier. Aber sie haben es kultiviert und auf die Spitze getrieben. Lkw mit zwei Anhängern waren in Deutschland zum Beispiel schon gang und gäbe, als in Australien noch Kamelkarawanen statt Road Trains durch die Wüste zuckelten, um die abgeschiedenen nördlichen Landesteile mit dem Nötigen zu versorgen.

Schwachbrüstige Schnauferl mit zwei Hängern im Schlepp zogen in Deutschland immerhin bis zum Jahr 1953 ihre Bahn. Am steilen Albaufstieg lief das dann so ab: erst mal einen Hänger rauffahren von Weilheim bis auf die Hochfläche bei Merklingen, dann abhängen, wenden, den Aichelberg wieder hinunter, den zweiten Hänger ankuppeln und noch einmal den Berg im Schneckentempo hinauffahren. Das ging so bis 1. April anno 1953. Dann war der zweite Anhänger auf einmal tabu. Das war kein Aprilscherz, sondern der Auftakt zu einer Art Kesseltreiben gegen den Lkw, das verschiedenste andere Schikanen zur Folge hatte. Maximal mögliche 20 Meter Gesamtlänge schrumpften im Lauf der 50er- Jahre plötzlich auf nur 14 Meter. Stolze 40 Tonnen Gesamtgewicht dampfte der Gesetzgeber auf nur noch 24 Tonnen ein.

Der Konkurrenzkampf im Transportwesen zwischen Lkw und Bahn

Warum? Es war den Herrschaften in Bonn unheimlich geworden, welche Effizienz der Lkw im Transportwesen bewiesen hatte. Und wie alt dagegen die Bahn aussah. Deswegen stutzte die Politik ihm die Flügel. Es dauerte, bis sich das maximal zulässige Gesamtgewicht über 32 Tonnen (1960) und 38 Tonnen (1965) bis auf die heute üblichen 40 Tonnen (1986), respektive 44 Tonnen im kombinierten Verkehr, emporhangelte. Der alte Reflex, dem Schienenverkehr die Konkurrenz möglichst vom Leib zu halten, wirkt aber ungebrochen weiter. Denn wenn heute von Lang-Lkw die Rede ist – nicht nach australischem, sondern nach skandinavischem Vorbild –, dann wird ihnen aus ihrer Profitabilität gleich ein Strick gedreht: Er grabe der Schiene das Wasser ab, heißt es dann sogleich. Die Bahn steht also sozusagen unter Denkmalschutz.

Im dicht besiedelten Holland gibt es solche Berührungsängste nicht, denn unlängst machte die Verkehrsministerin dort den 25 Meter langen 60-Tonner schon salonfähig. Aber auch kleinere Änderungen bei den Vorschriften können in der Tat schon Großes bewirken. Kaum hatte sich Europa auf 13,60 Meter Länge für den Sattelauflieger geeinigt, löste dies im Hängerzug-Eldorado Deutschland einen wahren Erdrutsch aus. Es dauerte gerade mal gut ein Jahrzehnt, bis der Standard-Fernverkehrszug in Gestalt von zweiachsigem Motorwagen und dreiachsigem Deichselhänger Geschichte war.

Ein Road Train misst mindestens 36,50 Meter

Die Australier haben ihr Transportsystem schon etwas früher umgekrempelt. In den 40er-Jahren gab dort der Road Train seinen Einstand. Militärfahrzeuge mit der Achsformel 8x8 waren an die Stelle der Kamelkarawanen mit den aus Afghanistan importierten, zotteligen Wüstenschiffen getreten. Diese einzelbereiften Allradler hatten jeweils zwei oder drei sechs Meter lange und ebenfalls vierachsige Anhänger im Schlepp. Die Motorwagen allerdings waren für diese Aufgabe mindestens so untermotorisiert wie ihre deutschen Pendants am Aichelberg: Bei 130 PS war damals auch im Outback Schluss. Und die Fahrer saßen nahezu wie auf einem Kutschbock im Freien, nur mit einem Unterschied: Sie hatten zudem nicht nur einen Lüfter vor den Knien, sondern auch einen im Genick. Und zwar ein extragroßes Exemplar mit einem Durchmesser von stattlichen 1,5 Metern.

Die australischen Road Trains im heutigen Sinn kamen nach dem Zweiten Weltkrieg auf und dienten anfänglich hauptsächlich dem Viehtransport. 100 Rinder statt nur deren 20 konnten so plötzlich auf eine einzige Fuhre gelangen. Praktische Sache also, die heute in vielen Spielarten des australischen Transports Schule gemacht hat. Wobei ein Australier erst dann das Wort Road Train in den Mund nimmt, wenn das damit Gemeinte mindestens 36,50 Meter Länge aufweist. Erlaubt sind maximal 53,50 Meter Länge, ein maximales Fahrzeuggewicht bis knapp 200 Tonnen, eine Höhe bis 4,60 Meter. Je nach Staat liegt die Höchstgeschwindigkeit mal bei 90, mal bei 100 km/h.

Für den Road Train ist ein Extra-Führerschein fällig

Für die Leistung gilt: 500 Pferdchen sind als Minimum für den Maschinenraum definiert. Ein Extra-Führerschein ist in Australien aber nicht nur für Road Trains fällig, sondern auch schon für das, was als "B-Double" zwischen normalem Lastzug und Road Train liegt: dreiachsige Zugmaschine mit zwei Aufliegern im Schlepp. Als B-Double gilt in Australien aber auch ein Hängerzug mit mehr als sechs Achsen. Gut 62 Tonnen darf solch ein Geschoss dann wiegen. Die echten Road-Train-Varianten reichen vom B-Triple bis hin zum BAB Quad und schaukeln sich hinauf bis zu vier Ladegefäßen insgesamt – und rund einem Dutzend Achslinien. Auf nicht öffentlichem Terrain wie den Minen im Norden verkehren gar "Power Train" genannte Endlos- Lkw mit sieben Trailern im Schlepp, die mittig zwischen den Trailern noch einen zweiten Motor sitzen haben und bis 460 Tonnen Gesamtgewicht erreichen.

Damit sind dann auch 1.000 PS reichlich beschäftigt. So verlockend all das klingt: Weder der Komplettcheck des Reifendrucks noch das Leben hinterm Steuer dieser Monster sind ein Zuckerschlecken. Fünf Stunden Lenkzeit am Stück lässt der australische Gesetzgeber ebenso zu wie 168 Arbeitsstunden pro Doppelwoche. Übermüdung ist denn auch das Hauptproblem der australischen Trucker, die Tachoscheiben oder Fahrerkarten allenfalls vom Hörensagen kennen. Dort wird noch Fahrtenbuch geführt. Und zumeist nach gefahrenen Kilometern bezahlt.

Die Amerikaner trumpfen mit ihren riesigen Zugmaschinen auf

Ähnlich eindrucksvoll wie die Road Trains Australiens treten sonst nur noch die Trucks in Nordamerika auf. Doch sind es mehr die gewaltigen Sleeper als ihr Anhang, die das bewirken. Denn in der Regel kommt ein US-Truck über gut 36 Tonnen Gesamtgewicht gar nicht hinaus. Die Highways sind zudem mit einer Vielzahl an Wiegestationen gespickt, an denen dem Sünder in Sachen Achslast die Ohren langgezogen werden. Dass die US-Kabinen so mächtig austreiben können, liegt an einer ganz besonderen Eigenart der Vorschriften. Begrenzt ist im Land der unbegrenzten Möglichkeiten einzig die Länge des Trailers. Wie lang die ziehende Einheit ist, das kümmert den US-Gesetzgeber weniger. So kommt es, dass das Wohnabteil der US-Sleeper bis 2,20 Meter in der Länge erreichen kann. Dazu adddieren sich dann noch Fahrerarbeitsplatz plus Haube: Fertig ist eine Zugmaschine mit einem Radstand, wie ihn hierzulande Dreiachs-Motorwagen für Wechselbrücken aufweisen.

Das war nicht immer so in Amerika. In den 50er-Jahren zum Beispiel herrschten verschärfte Limits für die Gesamtlänge. Da baute Freightliner schon mal eine nur 1,22 Meter kurze Frontlenkerkabine, unter die kein Motor mehr so einfach passte. Der hatte unterflur und im Liegen seine Arbeit zu verrichten. Damit schafften es die Transporteure dann immerhin, einen 7,30 Meter langen Aufbau sowie einen 8,50 Meter langen Deichselanhänger ins damalige gesetzliche Korsett von 18,29 Meter Gesamtlänge zu quetschen. Heute sind Auflieger mit 14,63 Meter Gesamtlänge der Fernverkehrsstandard in den USA. Diese Länge wird landesweit akzeptiert.

Ein großer Abstand zwischen den Antriebsachsen gilt als straßenschonend

Viele Bundesstaaten lassen auch noch längere Aufieger zu, aber eben nicht alle. Und deshalb sind 14,6 Meter Aufliegerlänge quasi die Norm im großen Fernverkehr auf den Interstate-Magistralen. So großzügig die Amis heute bei den Längen sind, bei den Gesamtgewichten und vor allem auch der Achslast verstehen sie überhaupt keinen Spaß. Weil ein möglichst großer Abstand zwischen den Antriebsachsen der Zugmaschine als besonders straßen- und speziell brückenschonend gilt, können diese Achsen zumeist also gar nicht weit genug auseinanderrücken. So kommt es, dass der US-Trailer hinten in der Regel einen sehr kurzen Überstand aufweist. Traditionell zieht den US-Truck eine dreiachsige Zugmaschine mit doppelt angetriebener Hinterachse.

Das bringt üppige Traktionsreserven, die in Amerika aus mehreren Gründen seit jeher gefragt sind: Zum einen wäre es für US-Verhältnisse gewagt, einer einzelnen Antriebsachse zusätzlich zur Last des Trailers auch noch Gewichtsanteile des Riesensleepers aufzubürden. Zum anderen können einen dort die gefürchteten Kaltfronten bös erwischen. Sie bringen mit ihren Blizzards oft reichlich Schnee auf die Piste. Gut neun Tonnen lautet zudem das Limit für die einzelne Achse in den USA. Damit lässt sich keine effektiv arbeitende Fernverkehrskombination mit 4x2-Sattelzugmaschine auf die Räder stellen.

In manchen Staaten verkehren Züge mit bis zu drei Trailern

Die Rechnung geht erst mit einer Tandemachse richtig auf. Diesen Doppelachsaggregaten gestehen die US-Behörden dann allerdings auch gerade mal 15,4 Tonnen Achslast zu. Mehr verträgt der dünne Unterbau der dortigen Straßen nicht: Logisch, dass 15,4 Tonnen auf zwei Achsen das Pflaster weniger in Mitleidenschaft ziehen als die hierzulande erlaubten 11,5 Tonnen auf einer Antriebsachse. Vielerorts ist sogar ein Limit für die maximale Flächenpressung festgelegt, die der Reifen haben darf. Das sorgt dafür, dass der Super Single am Auflieger keine Chance hat.

Deshalb kurvt der US-Trailer auch heute noch nach guter alter Väter Sitte brav auf zwillingsbereiften Achsen durch die Lande. Beim Spritverbrauch macht sich das ungünstig bemerkbar. Eine relativ große Verbreitung hat in den USA aber der spritsparende 495er-Super-Single für die Antriebsachse gefunden, der in Europa lediglich eine Randexistenz führt. Aber muss es unbedingt eine doppelt angetriebene Tandemachse sein, die beim Spritverbrauch noch einmal ungefähr zehn Prozent ungünstiger ist als ein Single-Drive? Die auch in den USA mächtig gestiegenen Spritpreise bewirken, dass manch einer heute schon zur Achsformel 6x2 anstelle des traditionellen 6x4-Konzepts greift. Auch das Limit von gut 36 Tonnen Gesamtgewicht für den Lastzug ist nicht in Stein gemeißelt. Ausnahmen vom Standard- Sattelzug kennen die USA und erst recht Kanada schon einige. In bestimmten Staaten und auf bestimmten Strecken verkehren dann durchaus Züge mit zwei, ja manchmal sogar mit drei Trailern.

Stimmen die Straßenverhältnisse setzen USA und Kanada auf den Lang-Lkw

Die gängigsten Road Trains nordamerikanischer Prägung sind der "Turnpike Double" sowie der "Rocky Mountain Double": Beim Turnpike Double handelt es sich um eine Kombination aus Zugmaschine und zwei langen Trailern. Der Rocky Mountain Double besteht aus Zugmaschine plus langem Trailer, der seinerseits noch einmal einen kurzen Trailer im Schlepp hat. Die dritte, aber insgesamt eher seltene Ausnahme auf nordamerikanischen Gefilden bildet schließlich der sogenannte Triple: Solche Zugmaschinen mit drei Trailern im Gefolge sind während der Sommermonate zum Beispiel in Alaska statthaft. Auch in Teilen Kanadas kommt diese seltene Spezies vor.

Je größer das Land, desto größer die Neigung zum Lang-Lkw? Ganz so einfach ist die Sache nicht. Denn ohne eine gewisse Infrastruktur mit großzügigen Straßenverhältnissen funktioniert die Sache nicht. Aber immerhin: Brasilien praktiziert den doppelten Auflieger ebenso wie Südafrika oder Neuseeland. Andere Riesenländer wie Russland, Indien oder China wollen von solchen Konzepten wiederum nichts wissen. Kommunistisch geprägte Gesellschaften fremdeln seit jeher gegenüber dem Lkw und neigen mehr der Schiene zu: Die lässt sich bis ins Kleinste kontrollieren. Gefahr besteht im Gegensatz zum Lkw überhaupt keine, dass da mal was aus der Reihe tanzt. Das Kursbuch passt einfach bedeutend besser zum Fünfjahresplan als die kleinteilige Disposition einer Heerschar verschiedener Lkw. "Fernverkehr Bahn, Nahverkehr Lkw": So lautete lange Zeit die Doktrin in vielen kommunistischen Staaten. Für Russland hat dies zur Folge, dass es dort bis heute keinen einzigen Lkw-Hersteller gibt, der wettbewerbsfähige Fernverkehrs- Lkw aus eigener Kraft zu produzieren in der Lage wäre.

Russland ist kein Lkw-freundliches Land

Erst dieser Tage hat Kamaz zusammen mit Daimler ein neues Fahrzeug konzipiert, das den mittleren Fernverkehr erfolgreich bestreiten könnte: Kabine, Achsen und Motor vom Mercedes Axor, Getriebe von ZF sowie Trommelbremsen von Knorr lauten die Kennzeichen. Russland ist der grausamen Winter und schlechten Straßen wegen ohnehin kein Lkw-freundliches Land. Dass Sibirien zudem im Sommer im Sumpf versinkt, macht die Sache nicht besser. Es gibt also auch handfeste Gründe, warum die Russen ihre Frachttraditionell besser auf der Schiene oder gleich in den Lüften aufgehoben sehen.

 Außerdem: Den Löwenanteil der russischen Güterverkehrsleistung bestreitet ein landgestützes Transportmittel ganz anderer Art: Pipelines schaffen die Exportschlager Öl und Gas von A nach B. Wiederum ganz anders gewickelt ist der Fall in China. Zwar sind dort die Kommunisten noch immer an der Macht. Aber sie haben seit Kurzem im volkreichsten Land der Welt ein Wirtschaftswachstum entfesselt, das seinesgleichen sucht. Als verlängerte Werkbank der Industrienationen ist die chinesische Wirtschaft groß geworden. Heute macht sie dem Westen auf vielen Feldern schon direkte Konkurrenz. Für den Transport bedeutet das: hin mit dem Rohmaterial von den Häfen zu den industriellen Zentren und zurück mit den Fertigprodukten aus den Fabriken. Container sind für den chinesischen Transport das Maß der Dinge wie für den russischen die Pipelines. Da braucht es auch keine extravaganten Lastzugkombinationen. 12,2 Meter Ladelänge genügen schließlich für zwei20-Fuß- oder einen 40-Fuß-Container. 18 Meter Gesamtlänge sind das Maximum für den gewöhnlichen Lastzug im aufstrebenden Reich der Mitte.

Indische Fahrer sind von ihren Holzkabinen überzeugt

Dass das Land noch nicht ganz in der Neuzeit angekommen ist, zeigt die Klassifikation der Lkw: Alles über 14 Tonnen zählt zur schweren Klasse. Beim Gesamtgewicht hält sich China an Europa und definiert 40 Tonnen als das Maximum. Extravaganzen sind den ebenso pragmatischen wie kopierversessenen Chinesen von Natur aus fremd. Und Platz gibt es im Gewusel des chinesischen Verkehrs wenig. Standard-Sattelzüge dürfen maximal einen 40-Fuß-Container (oder zwei 20-Fuß-Container) fahren. Fast noch mehr Gedränge als in China herrscht auf Indiens Straßen. Der Subkontinent ist zwar nicht so raketengleich wie China ins Industriezeitalter gestartet, legt aber trotzdem eine ebenfalls atemberaubende Entwicklung vor. Dabei geht Indien aber ganz eigene Wege. Britisch geschulte Verwaltung, ein zahlloses Heer an Computerfreaks und das hinduistische Kastenwesen ergeben eine Mischung, die ihresgleichen sucht. Für den Transport, der erst auf wenige größere landesweite Magistralen zurückgreifen kann, bedeutet das: Den Großteil wickeln noch immer jene wendigen, bunt bemalten und meist gnadenlos überladenen Zweiachser ab.

Den Fahrern sind ihre vom Schreiner gefertigten Holzkabinen 1.000 Mal lieber als Blech-Fahrerhäuser europäischer Prägung. Der Grund: Sie heizen sich nicht so stark auf in der gnadenlos sengenden Sonne des Subkontinents. Zudem sind diese geräumigen Häuschen aus Holz so geschnitten, dass außer dem Fahrer und seinem Gehilfen immer auch eine erkleckliche Zahl an (meistens zahlenden) Passagieren samt reichlichem Gepäck Unterkunft darin findet. Allerdings ist der indische Gesetzgeber mittlerweile dahintergekommen, dass es mit der Sicherheit dieser Gefährte nicht zum Besten bestellt ist.

In Indien hat ein Lkw billig zu sein

Auf Dauer muss sich nun auch der indische Fahrer mit Blechbehausungen arrangieren. Wer erst recht auf westliche Standards pfeift, das ist der indische Transporteur. Als echter indischer Geschäftsmann sitzt er auf seinem Geld und rückt widerwillig nur das Nötigste heraus. So eben auch beim Kauf eines Lkw: Billig hat er zu sein. Ob er unterwegs mal zu reparieren ist oder nicht, spielt keine Rolle. Schließlich hat der Fahrer bis hin zu Kegel- sowie Tellerrad stets allerhand dabei, um die Fuhre wieder flottzumachen. Fahrerlöhne fallen gar nicht, Zeitverluste meist nur mäßig ins Gewicht. 160 bis 230 PS reichen für schwere Transporte aller Art locker. Da viele Inder Vorschriften nur als gut gemeinte Empfehlung verstehen, sind 180 oder 200 PS starke Sattelzüge mit dem Doppelten der maximal erlaubten 44 Tonnen Gesamtgewicht oder gar noch höheren Gewichten keine Seltenheit.

Viele ländliche Straßen auf dem indischen Subkontinent erlauben ohnehin nur Schrittgeschwindigkeit. Entsprechend schwer tun sich europäische Hersteller mit dem indischen Markt. Westliches Gerät fasst, wenn überhaupt, dann vor allem im Minengeschäft Fuß: Da können robuste Kipper den schweren Dumpern auch nur deswegen den Rang ablaufen, weil sie eben die billigere Lösung sind. Indischen Lkw wie Tata oder Ashok Leyland können Importe aber keineswegs Paroli bieten. Konkurrenzlos günstig geschieht die Fertigung im eigenen Land. Noch nicht einmal die Chinesen wagen sich an den Import.

Japan fördert den Gütertransport auf der Straße per Gesetz

Wer sich mit einem Zaungast-Dasein nicht zufriedengibt, der muss es mit einer eigenen Fertigung in Indien versuchen. So geschehen vor einigen Jahren bei MAN in Zusammenarbeit mit dem indischen Hersteller Force, die aber noch nicht sonderlich gefruchtet hat: Für die L 2000-Kabine mitsamt 280 PS aus dem alten D 08-Motor von MAN, beides in Indien nachgebaut, greift der indische Transporteur weiterhin nur ungern tiefer in die Tasche als für die gewohnte indische Hausmannskost. Jetzt hat MAN das ehemalige Joint Venture zu 100 Prozent übernommen, versucht es also ganz auf eigene Faust. So geschehen auch kürzlich bei Mercedes. Im südindischen Chennai steht bereits das Werk.

Dort soll im kommenden April die Produktion der neuen Bharatbenz anlaufen. Anders als MAN lässt Mercedes aber nicht einen einzigen Schwer-Lkw, sondern eine ganze Truck-Familie "von 6 bis 49 Tonnen" vom Stapel. Zu 85 Prozent werden die Teile der neuen Lkw aus lokaler indischer Fertigung stammen. Noch weiter entfernt vom Westen als Indien, aber doch zu den großen Industrienationen gehörig, ist schließlich Japan. Zwar nicht kommunistisch regiert, aber staatlich gelenkt, war der Lkw in Japan bis in die 50er- Jahre zu einem Schattendasein verdammt. Im Zuge des Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg förderte die japanische Regierung dann aber den Gütertransport auf der Straße sogar per Gesetz. Es blühten dort allerdings in erster Linie drei- bis vierrädrige Bonsai-Lkw auf. Erst in den 60er-Jahren machten dann Autobahnen den Weg für größere Kaliber frei.

Die Japaner gehen sehr pfleglich mit ihren Fahrzeugen um

Nach westlichen Maßstäben kaum zu fassen: Acht bis elf Tonnen Nutzlast galten in den 60er-Jahren schon als große Errungenschaft. Bis heute ist aus den Japanern kein Volk der Trucker geworden. Längere Kombinationen gedeihen in diesem verschachtelten und dicht bevölkerten Land denkbar schlecht. Schon ein simpler Sattelzug nach westlichem Muster hat es schwer. Lieber als das ist dem Japaner allemal ein drei- oder vierachsiger Motorwagen. Da auf der relativ schmalen Insel ohnehin keine weiten Touren zu fahren sind, spielt Fernverkehrskomfort im westlichen Sinn für japanische Lkw keine große Rolle. Eher eng und leicht verbastelt geht’s also in den Kabinen zu.

Die Fahrer üben sich in einer der japanischen Haupttugenden, die auch für das Fahrzeug gilt: Bloß nicht anecken, pflegliche Behandlung inklusive – nirgendwo sonst auf der Welt (außer vielleicht noch in Südkorea) schlüpfen so viele Fahrer in Hausschuhe und streifen sich Handschuhe über, bevor sie den Motor starten. Eine bunte Vielfalt herrscht also weltweit, was die Lkw-Konzepte und Transportphilosophie angeht. Genau genommen ist sich ja nicht einmal Europa richtig einig. Da braten sich auf nationaler Ebene Frankreich, England, Schweden sowie Norwegen und Irland (hier 4,65 Meter) bei der zulässigen Höhe ebenso Extrawürste wie Frankreich (13 Tonnen) und Italien (12 Tonnen) bei der maximal zulässigen Achslast für die Antriebsachse. Dennoch klappt das Zusammenspiel ganz gut.

Der Lkw als anpassungsfähiges Wesen

Und der skandinavische Sonderweg mit 25,25 Meter langen Lastzügen überzeugt auch in den gemäßigten Breiten Europas immermer mehr Menschen. Wie sich auf dieser Reise durch die Lasterwelt zeigt, ist der Lkw ein äußerst anpassungsfähiges "Wesen". Mal klein und wuselig, mal groß und generös, erfüllt er alle Anforderungen der Wirtschaft wie kein anderes Transportmittel. Kurios ist allerdings, welche Unterschiede zum Beispiel die Industrieregionen Europa, USA und Japan trennen. Der räumlichen Enge wegen blühen in Japan noch immer Konzepte, die anderswo wegen ihrer mangelnden Produktivität schon längst verworfen sind. Mit Rücksicht auf eher lässig gebaute Straßen und Brücken verschenken die USA in Gestalt ihres moderaten Zuggesamtgewichts von nur 36 Tonnen wiederum ein ansehnliches Stückchen an Produktivität. Machen dies aber durch eine Großzügigkeit bei den Fahrerkabinen wett, von der sich "Good old Europe" mit seinen starrsinnig zementierten Längenlimits getrost eine Scheibe abschneiden könnte.

Australien ist dabei sozusagen der lachende Dritte und nimmt sich das Beste aus diesen beiden Welten. Legt aber dank seiner dünn besiedelten Geografie in puncto Road Train noch eine gepfefferte Schippe bei der Produktivität obendrauf. Doch spielen die westlichen Nationen mit derzeit rund 450.000 Einheiten pro Jahr bei den Stückzahlen in der schweren Klasse weltweit schon längst nur noch die zweite Geige. Mindestens das doppelte Volumen erreichen inzwischen die sogenannten Schwellenländer Brasilien, Russland, Indien und China. Industriestaaten-Standard also ein Auslaufmodell? Wohl eher nicht: Entweder macht das auch anderweitig Appetit auf mehr. Oder es bleibt eben dabei, dass sich jede Region das Chamäleon Lkw so schafft, wie es zu ihr am besten passt.

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