Streikende Lkw-Fahrer in Gräfenhausen Polizeieinsatz gegen Schlägertrupp

Streikende LKW-Fahrer Foto: Sebastian Gollnow - dpa Picture 3 Bilder

Am vergangenen Karfreitag drohte die Lage in Gräfenhausen endgültig zu eskalieren: Ein polnischer Spediteur ist samt Schlägertrupp im Panzerfahrzeug angerückt, um streikende Fahrer zu bedrängen.

Bereits seit einigen Tagen harren im hessischen Gräfenhausen Lkw-Fahrer aus Georgien und Usbekistan aus. Die Fahrer befinden sich im Streik. Seit nunmehr Monaten habe ihr polnischer Spediteur Medienberichten zu Folge bereits keinen Lohn mehr gezahlt. Angefangen habe der Streit demnach mit ausgebliebenden Zahlungen für die Sonntage, die die Fahrer im Lkw verbringen mussten. Im nächsten Schritt habe es dann gar kein Geld mehr gegeben. Die Anstellungsverhältnisse der Fahrer sind auf den ersten Blick etwas verworren.

Fahrer arbeiten scheinselbständig

Anna Weirich von der Beratungsstelle Faire Mobilität, Teil des Deutschen Gewerkschaftsbundes erklärt, dass die Fahrer im Prinzip scheinselbständig beschäftigt seien, praktisch über einen Dienstleistungsvertrag. Der Arbeitgeber, das polnische Unternehmen Agmaz & Luk Maz, stelle die Fahrzeuge zur Verfügung und vergebe die Transportaufträge. „Mit dem Modell wird das unternehmerische Risiko auf die Beschäftigten abgewälzt und Ausbeutung Tür und Tor geöffnet“, sagt Weirich. Neben der schlechten Bezahlung erwerben die Fahrer laut Weirich auch keine Rentenansprüche. Zudem rechnet sie anhand der von Fahrern genannten Tagessätze von 80 Euro vor: Selbst bei hypothetischen acht Stunden Arbeit pro Tag wären die Fahrer für weniger als den gesetzlich vorgeschriebenen Mindestlohn von zwölf Euro pro Stunde in Deutschland unterwegs. In der Realität, das ist klar, fallen deutlich höhere Arbeitszeiten an, was den Stundenlohn weiter schmälert.

Schlägertrupp rückt am Karfreitag an

Kurz vor Ostern sorgte der Spediteur indes für eine extreme Eskalation der Situation in Gräfenhausen. An Karfreitag war dieser mit einem gepanzerten Fahrzeug und einem laut Faire Mobilität „15-köpfigen Schlägertrupp in paramilitärischer Ausrüstung“ angerückt. Neben dem offensichtlichen Ziel, die Fahrer einzuschüchtern, hatte der Spediteur Ersatzfahrer im Schlepptau, um die Lkw nach Polen zu bringen. Dem Einsatz der Polizei, welche den Rastplatz zwischenzeitlich für mehrere Stunden abgesperrt hatte, ist es zu verdanken, dass die Aktion letztlich glimpflich ablief. „Der polnische Firmeninhaber der Spedition wurde am Freitagvormittag, als er gegen 11 Uhr mit mehreren Personen und Fahrzeugen auf der Raststätte erschienen war, vorläufig festgenommen. Die Personen, die teilweise sehr martialisch auftraten und Schutzwesten trugen, sollen zum Teil versucht haben, sich gewaltsam Zugang zu den Lastwagen zu verschaffen. Zahlreiche Einsatzkräfte der Polizei konnten mit Diensthunden und unter Androhung des Einsatzes von Pfefferspray und Schlagstock eine Auseinandersetzung verhindern. Verletzt wurde niemand. Bei der Durchsuchung von Personen und Fahrzeugen fanden die Beamten zwei Messer, einen Zahnschutz und Pfefferspray“, so eine Mitteilung der Polizei Südhessen.

Polizei nimmt 19 Personen fest

Insgesamt nahm die Polizei 19 Personen fest, darunter wie beschrieben auch der schillernde Firmenchef Lukasz Mazur, der sich in den sozialen Medien in der Vergangenheit samt Sportwagen in Szene gesetzt hatte. „Gegen die Personen wurden, abhängig von den Ermittlungen, Anzeigen unter anderem wegen des Verdachts des schweren Landfriedensbruchs, Bedrohung, Nötigung, versuchter gefährlicher Körperverletzung und Störung einer Versammlung erstattet und es erfolgten erkennungsdienstliche Behandlungen. Nach Abschluss der polizeilichen Maßnahmen erfolgten noch Gefährderansprachen. Zudem erhielten alle einen Platzverweis für die Rastanlage“, so die Polizei weiter.

SPD-Mann Schiefner: Mindestlohngesetz wirksam kontrollieren

Auch die Politik äußert sich nach dem martialischen Auftreten des Firmenchefs dazu. „Der Vorfall in Gräfenhausen wirft ein Schlaglicht darauf, welche katastrophalen Bedingungen in Teilen des Transportgewerbes herrschen“, sagt Udo Schiefner (SPD), Vorsitzender des Verkehrsausschusses im Bundestag. „Leider beauftragen auch namhafte deutsche Unternehmen Speditionen zu Dumpingpreisen und verschließen die Augen davor, dass solche Angebote bei fairer Bezahlung und Einhaltung aller Regeln nicht möglich wären.“ In einem Antrag der Koalitionsfraktionen im Bundestag wolle man die Bundesregierung dazu auffordern, wettbewerbsverzerrende und unfaire Arbeitsbedingungen stärker zu bekämpfen. „Das Mindestlohngesetz muss für inländische und gebietsfremde Unternehmerinnen und Unternehmer noch wirksamer kontrolliert werden“, fordert Schiefner. „Die Überwachungsbehörden müssen gestärkt und mehr Personal für Kontrollen bereitgestellt werden, die Auswertungen digitaler Kontrollgeräte noch effektiver genutzt und ausgeweitet werden und die relevanten Bußgelder empfindlich angehoben werden, um den wirtschaftlichen Vorteil tatsächlich erkennbar zu übersteigen.“ Auch fordert er, dass der Bund und bundeseigene Unternehmen hier selbst ein gutes Beispiel abgeben sollten und nur mit Transportdienstleistern zusammenarbeiten, die Tariftreue nachweisen – wie bekannt wurde, zählt zum Kundenkreis des polnischen Unternehmens auch DHL.

CDU-Mann Radtke: Wo sind die deutschen Behörden?

Auch der CDU-Europaabgeordnete Dennis Radtke kritisiert die Situation in Gräfenhausen scharf: „Die Zustände für viele Fahrer, besonders aus Osteuropa, sind menschenverachtend. Zustände, wie wir sie gerade in Gräfenhausen erleben, waren einer der wichtigsten Gründe, warum die EU das Mobilitätspaket auf den Weg gebracht hat.“ Er macht klar, dass auch Fahrer aus Nicht-EU-Ländern unter die europäischen Schutzvorschriften fallen, wenn sie für ein Unternehmen aus einem EU-Land tätig sind. „Wir brauchen eine Debatte, wie die Europäische Arbeitsmarktbehörde als zuständige EU-Agentur künftig engmaschige Kontrollen besser koordiniert, um solchen Unternehmern das Handwerk zu legen“, sagt Radtke. „Darüber hinaus stellt sich die Frage, wo die deutschen Behörden bei solch offenkundigen Fällen von Scheinselbstständigkeit sind. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil und Bundesverkehrsminister Volker Wissing sind jetzt am Zug, damit europäisches Recht in Deutschland konsequent umgesetzt wird.“

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