Psychologische Unfallnachsorge Alptraum Unfall

Lkw-Unfall Foto: Jan Bergrarth

Die Zahl der Lkw-Unfälle steigt. Körperliche Verletzungen werden kuriert. Doch nur wenige Fahrer nutzen die psychologische Unfallnachsorge.

Auch wenn es eine schlechte Nachricht für das Image des Straßentransports ist: Die Zahl der schweren Lkw-Unfälle nimmt leider wieder zu. Nahezu täglich kracht es auf Deutschlands Straßen. Allein im Bereich der Kölner Autobahnpolizei stieg die Unfallbeteiligung von Lkw um 20 Prozent, bei Unfällen an Stauenden sogar um 32,12 Prozent. So wie am 11. Januar, als ein Hängerzug auf der A 1 ungebremst auf einen Pkw kracht. Das Auto geht sofort in Flammen auf, die 18-jährige Fahrerin verstirbt. Nach ersten Untersuchungen war der Fahrer abgelenkt – mittlerweile durch Bordcomputer, Handys und Navigationsgeräte eine der häufigsten Unfallursachen überhaupt.

Das bestätigt auch der Kölner Verkehrspsychologe Prof. Dr. Wilfried Echterhoff: "Jede einzelne Ablenkung führt zu einer geteilten Aufmerksamkeit. Multitasking gibt es nicht. Unser Gehirn nimmt Ereignisse hintereinander wahr, nicht gleichzeitig. Das kann zu Reaktionszeiten von bis zu zwei Sekunden führen. In dieser Zeit legt ein Lkw, der mit 80 Stundenkilometern unterwegs ist, rund 45 Meter zurück. Dazu kommt der Bremsweg von 40 Metern. Ein Unfall am Stauende ist kaum zu vermeiden."

Die Folgen eines schweren Unfalls müssen aufgearbeitet werden

Schon seit den 70er-Jahren forscht Echterhoff (70) zu diesem Thema. Seit 1995 beschäftigt er sich mit der Frage, wie man den Menschen in mobilen Berufen, die in einen schweren Unfall verwickelt wurden, helfen kann, mit dieser Situation umzugehen. Zunächst waren es die Kölner Verkehrsbetriebe (KVB), die in einem zweijährigen Pilotprojekt das Thema psychologische Unfallnachsorge bei Bus- und Bahnfahrern aufgriffen. Im ÖPNV ist sie heute in den vielen Betrieben selbstverständlich. Auch die Bahn hat auf Druck der Gewerkschaft GDL erkannt, dass man die Mitarbeiter nach einem Unfall psychologisch unterstützen muss.

Nur in der harten Welt des männerdominierten Straßentransports lässt man Fahrer nach einem Unfall oft allein. Es muss nicht so krass sein wie im Beispiel zweier rumänischer Fahrer, die 2011 nach einem schweren Unfall im Kreuz Münster- Süd auf der Stelle entlassen wurden. "Aber die wenigsten Transportunternehmen nehmen ihre Fürsorgepflicht gegenüber ihren Fahrern, die einen Unfall hatten, wahr. Dabei hat mittlerweile auch die Berufsgenossenschaft anerkannt, dass Lkw-Fahrer, die die Folgen eines schweren Unfalls aufarbeiten müssen, krank sind und psychologischer Hilfe bedürfen, wenn sie wieder in ihrem Beruf arbeiten wollen", so Echterhoff.

Direkt nach einem Unfall sollte man sich nicht ans Steuer setzen

Mit seinem Netzwerk von 40 bundesweit angeschlossenen Psychotherapeuten (siehe www.unfallnachsorge.de) kümmert er sich um diese Fahrer. Ein Unfall ist ein traumatisches Ereignis und im ersten Schock neigen viele zur Selbstüberschätzung. Manche fahren sogar vom Unfallort selber wieder zurück. Das sei der erste Fehler, jemand aus der Firma sollte den Fahrer abholen und ihn nach Hause bringen, so Echterhoff. Ebenso hilft die Einnahme von Tabletten über einen längeren Zeitraum nicht, dauerhaft die Bilder, die immer wieder auftauchen, aus dem eigenen Gedächtnis zu löschen. Die Fachleute nennen dies Intrusion. "Sobald der Körper in den Ruhemodus gelangt, tauchen die Bilder auf. Meistens in der ersten Nacht. Es ist das Gefühl der Hilflosigkeit, weil man die Kontrolle über die Situation verlor. Dieser Verlust der Handlungsfähigkeit erzeugt Angst. Dazu kommt Angst um den Verlust des Arbeitsplatzes."

Wie bei dem Lkw-Fahrer, der nach einem unverschuldeten Unfall mit einem Pkw mit seinem Zug umgekippt war. Er konnte danach nicht einmal in die Nähe eines Lkw. Nach 25 intensiven Gesprächsstunden wagte er sich schließlich wieder ans Steuer eines Fahrschul- Lkw – aber erst, nachdem sich Echterhoff zuerst selber hinters Steuer setzte. Heute fährt er wieder, sogar Gefahrguttransporte.

Die Unfallnachsorge wird in der Transportbranche totgeschwiegen

15 Stunden sind die durchschnittliche Dauer einer Therapie. In dieser Zeit ist der Fahrer krankgeschrieben und sollte auch nicht mit dem Pkw zur Sitzung kommen, sondern sich bringen lassen. Auch einen Lkw- Fahrer, der den Tod einer Radfahrerin verursacht hat, unterstützt Echterhoff mit seinem Team. Dazu gehört ein Besuch der Unfallstelle mit der Polizei. "Das Verstehen eines Unfallhergangs entlastet. Wenn der Fahrer weiß, wo er den Fehler gemacht hat, nimmt es ihm die Angst und er kann akzeptieren, dass er die verkehrsrechtliche Schuld hat."

Die Unfallnachsorge macht die Fahrer nach der Therapie wieder handlungsfähig. "In jedem Unternehmen sollte es einen Mitarbeiter geben, der nach einer kurzen Schulung weiß, wie er in einer derartigen Situation handeln soll." Bei großen Betrieben übernimmt das in der Regel der Arbeitsschutzbeauftragte nach einem Notfallplan. "Doch leider wird die Unfallnachsorge in der Transportbranche totgeschwiegen."

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