Fahrer vor Gericht Missgeschick beim Rangieren

Ralf Grunert Foto: Ralf Lucyk

Ein Lkw-Fahrer fährt bei Nacht versehentlich ein Verkehrsschild um. Als er dies der Polizei meldet, erntet er erst Lob und dann einen Bußgeldbescheid. Ist der Punkt in Flensburg berechtigt?

Horst (Name von der Redaktion geändert) hat beim Rückwärtsfahren in tiefschwarzer Nacht ein Verkehrsschild umgefahren. Für ihn eine Selbstverständlichkeit, dass er sich mit dem Missgeschick bei der Polizei meldet. Was er da zu hören kriegt, kann er kaum fassen: "So stellen wir uns einen verantwortungsbewussten Verkehrsteilnehmer vor. Prima!" Die Polizeibeamten können vor Rührung gar nicht an sich halten. Horst glaubt, er ist im falschen Film. Immerhin hat er doch einen Schaden verursacht. "Dass es so eine Ehrlichkeit heute noch gibt!" Die Polizei ist begeistert.

Horst denkt: "Was geht denn hier ab?" Er meint: "Fast jede Nacht wird doch hier in der finstersten Ecke von Kassel ein Schild platt gemacht." "Nur melden tut das keine Sau!", meint der Beamte, vom Behördenton abrutschend. Ja, das hätte Horst sich nicht träumen lassen. Da fährt er ein Verkehrsschild um und bekommt auch noch ein dickes Lob von der Polizei dafür. Schon komisch. Nachdem alle Personalien aufgenommen sind, fährt er wieder los.

Auf Lobhudelei folgt der Bußgeldbescheid

Sein Chef kümmert sich gleich am nächsten Tag um die Versicherungsgeschichte. Das geht ruck, zuck. Innerhalb einer Woche ist der Schaden bezahlt. Horst setzt innerlich einen Haken an die Geschichte. Abends am Autohof hat er das schon mal erzählt, um einen Gegenpol zu setzen, wenn die Kollegen zu doll über die Polizei schimpften. Jetzt sitzt er in Kromsdorf in der Zentrale der Autobahnkanzlei und findet die Geschichte irgendwie gar nicht mehr so warmherzig. "Ver ... fühle ich mich, wie kann man so gemein sein? Zuerst sich vor Freude überschlagen und dann?"

Denn es kam dieses Schreiben: "Ihnen wird vorgeworfen, am 1.2.2011 um 23:45 Uhr in Kassel Osterholzstraße/Steinbreite folgende Ordnungswidrigkeit begangen zu haben: Sie ließen beim Rückwärtsfahren die ihnen obliegende Sorgfalt außer acht. Es kam zum Unfall. (44 BKat, § 3 Abs. 3 BKat)". So lautet der Bußgeldbescheid,den Horst bekam. 50 Euro soll das kosten, ein Punkt und 23,50 Euro Gebühren. Horst findet das heftig. Ich kann ihn verstehen. Bei all dem freundlichen Geschwafel hätte ein Hinweis auf ein folgendes Bußgeldverfahren Not getan.

Ein Verkehrsschild ist kein Verkehrsteilnehmer

Schon beim ersten Blick auf das Papier wird mir klar, dass hier was nicht stimmt. 44 BKat setzt nämlich die Gefährdung eines anderen Verkehrsteilnehmers voraus. Die gab es hier nicht. Ein Verkehrsschild ist nun mal kein Verkehrsteilnehmer, das steht fest. Ich blättere im Bußgeldkatalog hin und her. Die Lösung steht ganz vorne, unter den allgemeinen Vorschriften in Nr 1. 4 BKat: "Durch Außerachtlassen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt einen anderen geschädigt: Bußgeld 35 Euro." Die freundlichen Polizeibeamten haben sich vergriffen und zwar zu Ungunsten von Horsts Punktekonto.

Beim nächsten Besuch von Horst in meiner Kanzlei ist das Ding bereits beim Gericht angekommen. Ich rufe kurzerhand in der zuständigen Geschäftsstelle an. Die stellt mich durch zum Richter. Ich hänge ein paar Minuten in der Leitung, höre Schritte, Papier raschelt. Der Richter hat die Akte jetzt vorliegen. "Kleinen Moment noch, ich schau mir den Vorgang schnell an." Die Spannung steigt: Minuten später: "Und?" "Alles in Ordnung. Er ist gut weggekommen, Ihr Mandant. 50 Euro für ein Verkehrsschild. Was wollen Sie mehr?"

Schlechte Sicht am Unfallort

Ich erkläre ihm meine Rechtsauffassung. "Das muss ich nachlesen. Ich rufe Sie in fünf Minuten zurück", meint der Richter. Horst rutscht auf dem Stuhl hin und her, er ist sichtlich nervös. Dann endlich der Rückruf: "Scheint richtig zu sein, wie Sie argumentieren. Ich schicke die Sache zur Staatsanwaltschaft. Mal schauen, ob die das genauso sehen." Ich teile ihm mit, dass noch ein Schriftsatz von uns kommt. Die Verteidigung steht eben lieber auf zwei Beinen.

Deswegen arbeitet Ralf Grunert auch in diesem Fall sorgfältig am Tatort. Herr Grunert ist einer unserer drei Messstellenüberprüfer und will sich vor Ort alles noch mal genau angucken. Er sucht sich einen Tag für die Fahrt nach Kassel aus, an dem es wie am Tattag kein Mondlicht gibt. Am 22. November fährt er zur Unfallstelle. Stockdunkel ist es da. Die nächste altersschwache Straßenlaterne leuchtet kläglich in 15 Meter Entfernung. Kein Licht beim Verkehrszeichen. 0,2 Lux zeigt Grunerts Messgerät. "Hier kann man wirklich nichts sehen, gar nichts", sagt er, als er am nächsten Morgen die Ergebnisse präsentiert.

Das Ergebniss ist zufriedenstellend

Wir diskutieren. Hätte Horst sich nicht einweisen lassen müssen? "Dann muss er eben stehen bleiben, wenn er nichts sieht!", meint eine junge Kollegin. Ich reagiere sauer. Immerhin ist er ausgestiegen und konnte das Schild aber wegen der Dunkelheit nicht sehen. Es reflektierte auch nicht, war ein Uraltschild. Und wo bitte soll er abends um halb zwölf Uhr einen Einweiser herkriegen? Das ist doch völlig theoretisch mit dem Einweiser. Das Gesetz kann doch nur sinnvoll sein, wenn es mit Blick auf das praktisch Mögliche ausgelegt wird.

Ich fertige also meinen Schriftsatz für das Gericht und bin mir sicher, Punkte dürfen hier nicht herauskommen. Das Gericht jedenfalls versteht mich und entscheidet entsprechend ohne Hauptverhandlung im sogenannten Beschlussverfahren. Horst findet’s gut. Kein Punkt und keine Fahrt zum Gericht.

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