EU-Mobilitätspaket Sind flexiblere Lenkzeiten praxistauglich?

FF09, EU-Serie Foto: Jan Bergrath

Der dritte Teil der EU-Serie zu den anstehenden Verhandlungen im Trilog zum Mobilitätspaket geht der Frage nach, wie sich eine geplante Flexibilisierung der Lenkzeiten in der Praxis auswirken könnte.

Diese Situation kennt wohl jeder Fahrer: Irgendetwas in der Planung der Disposition ist schiefgelaufen, plötzliche Staus auf dem Rückweg zur Spedition bringen weitere Verzögerungen, zudem gelten in der Sommerferienphase an allen Samstagen in der Zeit von 7 bis 20 Uhr für Lkw über 7,5 Tonnen und Lkw mit Anhänger Fahrverbote auf zahlreichen Autobahnen und einzelnen Bundesstraßenabschnitten. Daheim wartet die Familie, der Grillabend mit Freunden ist lange vorbereitet. Und plötzlich, sagen wir gut 100 Kilometer vor dem Speditionshof, geht die Lenkzeit zu Ende. Falls der Chef nicht eben den Lehrling mit einem Pkw schickt, um seinen Fahrer abzuholen, droht im schlimmsten Fall ein kurzes oder langes Wochenende auf einem drögen Rastplatz. Daher hat der in Brüssel stark engagierte Bundesverband Güterverkehr Spedition und Logistik (BGL) in einer Pressemitteilung vom 4. Juni die vorgesehene Heimkehrpflicht für Lkw-Fahrer zu ihren Familien sowie die Rückkehrpflicht für international eingesetzte Lkw in ihr Zulassungsland nach jeweils spätestens vier Wochen "ausdrücklich begrüßt".

Lenkzeitzuschlag ermöglicht Wochenende mit der Familie

Einen weiteren Erfolg sieht der BGL in der Aufnahme des von ihm vorgeschlagenen Lenkzeitzuschlags von maximal zwei Stunden für Lkw-Fahrer, die sich auf dem Heimweg ins Wochenende befinden. Dieser Zuschlag sei in der Folgewoche auszugleichen. "Es ermöglicht den Fahrern bei unvorhersehbaren Verzögerungen, das Wochenende bei ihren Familien zu verbringen", so der Verband aus Frankfurt/Main mit dem roten Brummi als Maskottchen und Sympathieträger. Bis dahin ist es noch ein langer Weg. Ausgangspunkt ist Artikel 12 der nach wie vor bestehenden EU-Verordnung 561/2006. Er lautet: "Sofern die Sicherheit im Straßenverkehr nicht gefährdet wird, kann der Fahrer von den Artikeln 6 bis 9 abweichen, um einen geeigneten Halteplatz zu erreichen, soweit dies erforderlich ist, um die Sicherheit von Personen, des Fahrzeugs oder seiner Ladung zu gewährleisten. Der Fahrer hat Art und Grund dieser Abweichung spätestens bei Erreichen des geeigneten Halteplatzes handschriftlich auf dem Schaublatt des Kontrollgeräts oder einem Ausdruck aus dem Kontrollgerät oder im Arbeitszeitplan zu vermerken." Damit ist unter Umständen auch gemeint, in einer nicht genau definierten Zeit nachweisbar von einem überfüllten Parkplatz zum nächsten zu fahren, was belegbar sein muss – aber laut Rückmeldungen an die FERNFAHRER-Redaktion von den Kontrollorganen nicht immer akzeptiert wird.

Die Kommission hat daher vorgeschlagen, dass in den Fällen, in denen der Fahrer einen Ort mit geeigneter Schlafmöglichkeit und mit gewissen sanitären Einrichtungen für eine tägliche oder wöchentliche Ruhezeit außerhalb des Fahrzeugs durch eine Ausdehnung der "Schichtzeit" erreichen könnte, eine Ausnahme möglich sein sollte. Dafür dürften der 24-Stunden-Zeitraum für die täglichen und auch der 144-Stunden-Zeitraum (sechsmal 24 Stunden) für die wöchentlichen Ruhezeiten kürzestmöglich verlängert werden. Ist das praxistauglich? Nur bedingt. Da zugleich die täglichen und wöchentlichen Lenkzeiten nicht überschritten (und auch die jeweiligen Ruhezeiten nicht verkürzt) werden dürfen, wird es weiterhin viele Fälle geben, in denen es illegal bleibt, weiterzufahren. Im EU-Rat wurden die Defizite des Kommissionsvorschlags teilweise geglättet. Diese Glättung ist jedoch teuer erkauft mit einem deutlich engeren Zuschnitt der Zusatzausnahme allein auf die Wochenruhezeit. Um die Betriebsstätte des Arbeitgebers am Ende der Woche "unter außergewöhnlichen Umständen" zu erreichen, können die tägliche und die wöchentliche Lenkzeit um maximal eine Stunde überschritten werden.

Vor Verlängerung der Schichtzeit muss Ruhezeit erfolgen

Vor größere Probleme als die Kommission stellt der Rat durch die Herausnahme der Tagesruhezeit jedoch alle Fahrer und Unternehmen mit Tagestouren beziehungsweise den Gelegenheitsverkehr mit Omnibussen. Diese dürften ihre Schichtzeit legal nämlich auch nur vor einer Wochenruhezeit verlängern und müssten, wenn eine Tagesruhezeit ansteht, immer einer Nacht im Fahrzeug den Vorzug geben. Das Parlament hat zuletzt abgestimmt und eine Konkretisierung an der Ratsposition vorgenommen. Für den tagtäglichen Kampf um Parkplätze leistet also auch das Parlament keinen Beitrag, dafür aber für den Schutz der Gesundheit des Fahrers auf dem Weg ins Wochenende Richtung Betriebsstätte des Arbeitgebers. Gehen Rat und Parlament davon aus, dass der Fahrer auch immer dort wohnt? Aus den Positionen geht das nicht direkt hervor. Bevor die Schichtzeit "ausnahmsweise" verlängert wird, muss eine 30-minütige "Ruhezeit" erfolgen. Dann dürfen die tägliche und die wöchentliche Lenkzeit um bis zu zwei Stunden überschritten werden. Die Überschreitung muss dokumentiert und durch zusätzliche Ruhezeit gleicher Dauer bis zum Ende der dritten Folgewoche kompensiert werden. Das Fazit lautet, dass die Kommission einen breiten Ansatz für die Fahrer und die Unternehmen schaffen wollte, der aufgrund der unverrückbaren Limitierung der Lenkzeiten viele Fahrer jedoch von Verbesserungen ausschließt. Wenn sich Rat und Parlament durchsetzen, werden wir Ausnahmeregelungen ausschließlich im Zusammenhang mit Wochenruhezeiten bekommen. Viele Unklarheiten könnten im anstehenden Trilog beseitigt werden. Es ist jedoch fraglich, wie stark das Interesse an praxistauglichen Lösungen tatsächlich ausgeprägt ist.

Position Kommission

Zusätzlich zum bestehenden Absatz 1 wird folgender Absatz 2 aufgenommen:

„Sofern die Straßenverkehrssicherheit dadurch nicht gefährdet wird, kann der Fahrer von Artikel 8, Absatz 2, und Artikel 8, Absatz 6, Unterabsatz 2, abweichen, um eine geeignete Unterkunft gemäß Artikel 8, Absatz 8a, zu erreichen und dort eine tägliche oder wöchentliche Ruhezeit einzulegen. Eine solche Abweichung darf nicht zu einer Überschreitung der täglichen oder wöchentlichen Lenkzeiten oder einer Verkürzung der täglichen oder wöchentlichen Ruhezeiten führen. Der Fahrer hat Art und Grund dieser Abweichung spätestens bei Erreichen der geeigneten Unterkunft handschriftlich auf dem Schaublatt des Kontrollgeräts oder einem Ausdruck aus dem Kontrollgerät oder im Arbeitszeitplan zu vermerken.“

Position Rat

Im Rat besteht offensichtlich Konsens, den bestehenden Absatz 1 des Artikels 12 in folgendem Text aufgehen zu lassen:

„Sofern die Sicherheit im Straßenverkehr nicht gefährdet wird, kann der Fahrer von den Artikeln 6 bis 9 abweichen, um einen geeigneten Halteplatz zu erreichen, soweit dies erforderlich ist, um die Sicherheit von Personen, des Fahrzeugs oder seiner Ladung zu gewährleisten. Sofern die ­Sicherheit im Straßenverkehr nicht gefährdet wird, kann der Fahrer unter außergewöhnlichen Umständen auch von Artikel 6, Absätze 1 und 2, und von Artikel 8, Absatz 2, abweichen, indem er die tägliche und wöchentliche Lenkzeit um bis zu eine Stunde überschreitet, um die Betriebsstätte des Arbeitgebers zu erreichen, um dort eine wöchentliche Ruhezeit zu verbringen. Der Fahrer hat Art und Grund dieser Abweichung spätestens bei Erreichen des Bestimmungsorts oder des geeigneten Halteplatzes handschriftlich auf dem Schaublatt des Kontrollgeräts oder einem Ausdruck aus dem Kontrollgerät oder im Arbeitszeitplan zu vermerken.“

Position Parlament

Zusätzlich zum bestehenden Absatz 1 wird folgender Absatz 2 aufgenommen: „Sofern die Straßenverkehrssicherheit dadurch nicht gefährdet wird, kann der Fahrer nach einer Ruhezeit von 30 Minuten ausnahmsweise von Artikel 6, Absatz 1 und 2, abweichen, um die Betriebsstätte des Arbeitgebers, der der Fahrer üblicherweise zugeordnet ist und an der seine regelmäßige wöchentliche Ruhezeit beginnen muss, innerhalb von zwei Stunden zu erreichen. Der Fahrer hat Art und Grund dieser Abweichung handschriftlich auf einem Ausdruck aus dem Kontrollgerät zu vermerken. Diese Lenkzeit von bis zu zwei Stunden wird durch eine gleichwertige Ruhepause ausgeglichen, die ohne Unterbrechung in Verbindung mit einer Ruhezeit vor dem Ende der dritten Woche nach der betreffenden Woche genommen werden muss.“

Dieser Artikel stammt aus diesem Heft
FF 09 2019 Titel
FERNFAHRER 09 / 2019
3. August 2019
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