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Bundeskartellamt eingeschaltet Toll Collect-Deal hat Nachspiel

Foto: Matthias Rathmann

Die Verstaatlichung von Toll Collect hat ein Nachspiel. Die FDP-Fraktion im Bundestag schaltet das Bundeskartellamt ein.

Wieder Wirbel um Toll Collect: Die FDP-Fraktion im Bundestag will nächste Woche das Bundeskartellamt einschalten und prüfen lassen, ob bei der Verstaatlichung alles mit rechten Dingen zuging. Sie hinterfragt, ob es ein ordentliches Vergabeverfahren gab und ob die für den Eigenbetrieb durch den Bund ausschlaggebende Wirtschaftlichkeitsuntersuchung unabhängig und fundiert genug war.

Die Liberalen befürchten, dass der Deal den Steuerzahler teuer zu stehen kommt. Das wäre dann der Fall, wenn Entschädigungszahlungen an leer ausgegangene Bieter drohen sollten. Schließlich hat für sie auch der Wechsel von Staatssekretär Dr. Gerhard Schulz an die Toll Collect-Spitze ein „Gschmäckle“.

Scheuer: Eigenbetrieb durch den Bund ist wirtschaftlicher

Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) argumentiert, dass – entgegen früherer Annahmen – der Eigenbetrieb durch den Bund wirtschaftlicher sei als die Mauterhebung durch einen privaten Betreiber. Er verweist auf die besagte Wirtschaftlichkeitsuntersuchung, wonach der Bund in der angedachten Vertragslaufzeit von zwölf Jahren 357 Millionen Euro sparen kann, wenn er Toll Collect behält.

Im November 2016 hatte Scheuer den Betrieb des Lkw-Mautsystems europaweit ausgeschrieben, den Vergabeprozess aber im Januar überraschend gestoppt. „Die Bundesrepublik Deutschland wird dauerhaft Eigentümerin der Toll Collect GmbH bleiben“, teilte der Verkehrsminister Mitte Januar den Vorsitzenden der Verkehrs- und Haushaltsausschüsse mit. Bereits seit September war das Unternehmen in Bundeshand.

FDP-Verkehrsexperte Luksic: Gefälligkeitsgutachten

Für die FDP hat die Analyse der Beratungsgesellschaft KPMG aber nur eine begrenzte Aussagekraft, sie spricht von einem Gefälligkeitsgutachten. „Es beruht auf theoretisch konstruierten Annahmen und beinhaltet nicht die Angebote der Konsortien. Ohne den Eingang der finalen Angebote der Bieter, die kurz bevor standen, sei eine valide Schätzung der Wirtschaftlichkeit im Vergleich Eigen- oder Fremdbetrieb unrealistisch“, sagt der verkehrspolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Oliver Luksic, im Gespräch mit der Fachzeitschrift trans aktuell.

Er hegt den Verdacht, dass der Bund sich Toll Collect nur aus einem Grund einverleibt hat: um die Pkw-Maut zu retten, die ja bekannterweise ein CSU-Prestigeprojekt ist. Das Konsortium Kapsch/CTS Eventim hatte den Zuschlag erhalten, starten soll die Gebühr im Oktober 2020. „Das Angebot des Konsortiums wäre gescheitert, weil es den Haushaltsrahmen von 2,08 Milliarden Euro gesprengt hätte“, berichtet Luksic.

Foto: Büro Luksic
FDP-Verkehrsexperte Luksic sieht bei der Verstaatlichung von Toll Collect Ungereimtheiten.

Durch die Verstaatlichung könne Scheuer nun Synergieeffekte nutzen und damit den Kostenrahmen drücken. „Das ist auch deshalb problematisch, weil Kapsch auch bei der Lkw-Maut geboten hat“, sagt der Abgeordnete aus dem Saarland. Welche Synergieeffekte sich aber genau einstellen sollen, habe der Minister auch noch nicht ausreichend beantwortet.

Luksic hält nicht nur die Vermischung mit der Pkw-Maut für fragwürdig, sondern auch die Pkw-Maut an sich. Er bezeichnet sie als bürokratisches Monster und gibt zu bedenken, dass Kraftfahrer die Kosten des Verkehrs über unterschiedliche Steuern bereits mehrfach bezahlt hätten. Problematisch sei ferner, dass die Bundesregierung milliardenschwere Entscheidungen bei der Maut fälle, ohne abzuwarten, wie der Europäische Gerichtshof (EuGH) über die Klage Österreichs gegen die Pkw-Maut befinde. Hier mehren sich nun aber die Anzeichen, dass die Richter die deutsche Regelung für rechtens halten. Ein Gutachter des Gerichts sieht keine Diskriminierung ausländischer Fahrer, woraufhin Generalanwalt Nils Wahl dem EuGH empfahl, die Klage abzuweisen.

Die FDP sieht in Zusammenhang mit der Maut aber noch weitere Ungereimtheiten – etwa die hohen Beraterkosten, die wie eine Antwort der Bundesregierung belegt, ohne interne Wirtschaftsprüfung bezahlt worden seien. In den Jahren 2017 bis 2019 waren das 47 Millionen Euro bei der Pkw-Maut und 35,5 Millionen Euro bei der Lkw-Maut. Am 3. Januar hat der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Frank Sitta dazu den Bundesrechnungshof um Überprüfung gebeten.

Kritik an Personalie

Die Opposition übt Kritik am Wechsel von Staatssekretär Dr. Gerhard Schulz an die Spitze von Toll Collect.

  • Grünen-Verkehrsexperte Stephan Kühn: „Bis vor kurzem war Mister Maut noch für die Kontrolle von Toll Collect verantwortlich, nun schachert Minister Scheuer seinem Staatssekretär den hochdotierten Chefposten zu.“ Darin sehe er eindeutig einen Interessenkonflikt.
  • FDP-Verkehrsexperte Oliver Luksic: „Es drängt sich der Verdacht auf, dass Staatssekretär Schulz die Verstaatlichung von Toll Collect auch betrieben hat, um sich selbst einen lukrativen Posten zu schaffen.“
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