50 Jahre Scania V8 Big-Block-Legende überlebt alle Stürme

Scania R143HL 8x2 tipper Foto: Scania 23 Bilder

Der Big Block von Scania wird 50. Dieser Tage ist er der Einzige seiner Art mit acht Zylindern in V-Form, der noch übrig ist, und freut sich seines Lebens umso mehr.

Eine Schrecksekunde kurz vor dem 50. Geburtstag: Das wünscht sich keiner. Und doch musste ausgerechnet der V8 von Scania im Vorfeld seines Jubiläums den Atem anhalten. Schlechte Nachrichten waren aus Leipzig herübergeweht, wo Halberg-Guss die Motorblöcke für den Achtzylinder fertigt. Der Eigentümer Prevent wollte den Laden dichtmachen. Die Belegschaft trat in den Streik. Und schnell saß Scania ebenso auf dem Trockenen wie die hoffnungsfrohen Käufer, die einen Scania-V8 bestellt hatten. Das war im Sommer 2018. Der Laden in Leipzig läuft jetzt wieder, und zwar sozusagen unter neuer Leitung. Die Wogen haben sich geglättet, die Produktion des V8 ist in reguläres Fahrwasser zurückgekehrt. Gezeigt hat sich bei diesem Intermezzo aber deutlich, welch ungeheure Wertschätzung dieses schwere Stück Eisen bei seinen Abnehmern genießt. "In überwältigender Mehrheit haben die Kunden ihrer V8-Bestellung trotz der Lieferschwierigkeiten die Treue gehalten", sagt Scania-Sprecher Örjan Åslund. Stürme dieser Art so unbeschadet zu überstehen, schaffen nur Legenden. Und das ist auch der Stoff, der ihren Ruhm am Ende nur noch größer macht. So kommt es, dass der V8 von Scania heutzutage schon fast als sein eigenes Denkmal durchs Leben wandelt. Nicht nur, weil er in der Welt des Nutzfahrzeugs der Letzte seiner Art ist, sondern auch, weil er schon immer etwas Besonderes war.

"Extrem giftig schlug die Kupplung zu"

Still und stumm gab er seine Premiere im Spätsommer 1969 auf der IAA in Frankfurt. Dennoch ließ er die Leute aufhorchen. Eine Leistung von 350 PS, zudem 1.245 Nm als maximales Drehmoment aus einem Hubraum von 14,2 Litern: Das war in Zeiten, zu denen zehn bis zwölf Liter große Motörchen mit ungefähr 250 PS im Maximum die schwachbrüstige Regel waren, bereits eine Sensation. Ein Spektakel wurde im echten Leben daraus, wenn so ein Scania-V8 anfing, sich am Horizont abzuzeichnen. Schon von Weitem war das kehlige Grollen der Riesenmaschine zu vernehmen – ähnlich dem Knurren eines Dobermanns, der ziemlich schlecht träumt. Solch ein Vieh an der Leine zu führen, war im Übrigen keine leichte Aufgabe. "Extrem giftig schlug die Kupplung zu", musste Henrik Olsson als allererster Käufer eines V8-Scania anfangs feststellen. Auch die Kardanwelle war den Gewalten mitunter nicht gewachsen, mit denen der V8 sie beutelte. Die Werkstattleute konnten ein Lied davon singen. Doch all das war nichts gegen das herrliche Gefühl, den Bergen dieser Welt endlich so recht Paroli bieten zu können und stets der Überholende, nie der Überholte zu sein. Ein zeitgenössischer Lkw-Tester formulierte das im Jahr 1972 mit folgenden Worten: "Der Scania-V-Motor hat Biss, wie man so sagt, und zeigt am Berg jedem Wettbewerber den Auspuff." Und weiter: "Schalten wird im Scania kleingeschrieben, und wenn beim Beschleunigen oder an Steigungen Gänge gewechselt werden müssen, so bereitet das mit dem neuen Zehngang-Getriebe in synchronisierter Ausführung keinerlei Mühe." Ein synchronisiertes Zehngang-Rangegetriebe mit direkt übersetztem höchsten Gang und einer Spreizung von 13,51 war damals die Schaltbox der Wahl.

Ein Zehngang-Rangegetriebe sollte den Scania noch lange erhalten bleiben. Die Ablösung hierfür in Gestalt einer Zwölfgang-Schaltbox mit Range- und Splitgruppe kam erst in den 1990er-Jahren. Als äußerst langlebig erwies sich aber auch schon dieser erste V8. Nachdem anfängliche Verschleißprobleme getilgt waren, nahmen immer mehr dieser Motoren die seinerzeit erstaunliche "Eine-Million-Kilometer-Hürde". Von Anfang an hatte Scania Wert darauf gelegt, dass der Motor relativ niedertourig zu fahren sein und mit möglichst wenig Schaltungen auskommen müsse.Nur konsequent war es also, dass sich die Schweden bei der ersten größeren Modellpflege anno 1976 (Aufkommen der 1er-Reihe) in erster Linie um noch bessere Fahrbarkeit und eine niedrigere Drehzahl bemühten. Die Motorleistung stieg um moderate sieben Prozent auf 375 PS (nun bei 2.000 statt wie vorher 2.300/min), während das maximale Drehmoment zugleich um satte 19 Prozent von 1.245 auf 1.480 Nm kletterte und sich auch schon bei 1.300 Touren statt wie vorher erst bei 1.500/min einstellte.Scania schrieb sich mehr denn je die "Philosophie der niedrigen Drehzahlen" auf die Fahne und gab die Losung "grün fahren" aus. Gemeint war damit das seinerzeit als niedertourig betrachtete Fahren im grünen Bereich des Drehzahlmessers, der für heutige Begriffe astronomisch hoch lag: Im Ur-V8 hatte diese Spanne von 1.400 bis 2.200/min gereicht. Jetzt sackte das grün bepinselte Drehzahlband eine Etage tiefer auf 1.200 bis 1.700 Touren. Die Fahrer mussten es erst lernen, auf diese neue Charakteristik tatsächlich zu vertrauen und nicht mehr nach Gehör vorzugehen.

Scania R143HL 8x2 tipper Foto: Scania
Das Flaggschiff der 1987 eingeführten 3er-Reihe fuhr mit EDC und 470 PS vor.

1987 folgte mit der 3-er Reihe ein weiterer V8-Paukenschlag

Als Scania 1980 die 2er-Reihe vorgestellt und damit ein äußerst modernes Baukastensystem etabliert hatte, folgte bald eine moderat erstarkte Version des V8. Im Jahr 1981 brachte er’s dann auf 388 PS und 1.580 Nm, um bereits 1982 einen richtig großen Sprung zu machen: Ladeluftkühlung ließ die Leistung auf damals unerhörte 420 PS wachsen. Und das maximale Drehmoment kletterte auf sagenhafte 1.725 Nm – erreicht bei 1.250 Umdrehungen pro Minute. Ein weiterer V8-Paukenschlag folgte anno 1987 gleichzeitig mit der Vorstellung der 3er-Reihe. Die elektronisch geregelte Einspritzung EDC hielt Einzug und verhalf dem stärksten aller Scania fortan zu 470 PS und 1.940 Nm maximalen Drehmoments. Zum 100. Geburtstag des Unternehmens gönnte Scania dem V8 dann 1991 erstmals 500 PS, wie seinerzeit bei den Flaggschiffen von MAN und Renault bereits im Programm. Für die 1995 vorgestellte Baureihe 4 ließ Scania dem V8 schließlich weitere Feinarbeit angedeihen. Euro 2 stand damals auf der Agenda. Zur elektronischen Mengenregelung der Bosch-Hubschieberpumpe gesellte sich zum Beispiel ein elektronisch geregelter Förderbeginn. Die Muskelkraft der dicken V8-Scania schwoll auf 480 bis 530 PS an. Doch kündigte der zur gleichen Zeit vorgestellte neue Zwölflitermotor damals schon eine neue Ära im Scania-Motorenbau an, zu deren Kennzeichen zwar weiterhin 127 Millimeter Bohrung, aber dafür ein von 140 auf 157 Millimeter vergrößerter Hub gehörten. So hatte dem altgedienten Achtzylinder die Stunde geschlagen, als Scania im Jahr 2000 mit einem neuen V8 in Euro-3-Fasson und mit 15,6 Liter Hubraum auf den Plan trat. Logisch also, dass die Zahl 16 nun jene 14 vorn im Typenkürzel ablöste, die traditionell als Kürzel für das Hubvolumen zu verstehen gewesen war. 480 und 580 PS lauteten fortan die Leistungseinstellungen. Die gleichen Pumpe-Düse-Elemente wie bei den Reihensechszylindern hatten beim V8 nun jene konventionelle Reiheneinspritzpumpe abgelöst, mit der die 14-Liter-Motoren inzwischen doch der Zeit ein wenig hinterherhinkten.

Die Reihen- und V8-Motoren auf den gleichen technischen Nenner zu bringen, wurde aber für Scania im Zeichen immer schärferer Abgasnormen zunehmend schwierig und ist bis heute nie wieder so ganz gelungen. Wie schwer der V8 eben auch für seine Erbauer zu bändigen war, sollte sich beim Sprung auf Euro 4 schon wieder deutlich zeigen. Schnell trennten sich ums Jahr 2005 herum wieder die Wege der Scania-Motorfamilien. Während die Reihensechszylinder erst mit der Hochdruckeinspritzung HPI, dann mit XPI auf den Markt kamen, blieb es für den V8 aus technischen Gründen erst einmal bei den bekannten Pumpe-Düse-Elementen. Maximal 620 PS und stolze 3.000 Nm entlockten die Scania-Techniker dem Big Block dennoch seit der Umstellung auf Euro 4 im Jahr 2005. Abgasrückführung only: So lautete damals die Scania-Strategie für Euro 5. Beim Vorhaben, auch den V8 dann wie Reihenmotoren in Euro 5 ausschließlich mit AGR fit für diese Abgasnorm zu machen, biss Scania sich aber die Zähne aus. Während die Reihensechszylinder samt und sonders in AGR only antraten, blieb dem V8 der SCR-Kat erhalten.

Ab 2017 hieß es SCR only

Ein ganz neues Kapitel in der Geschichte des V8 schlug schließlich die im Jahr 2010 herausgebrachte 730-PS-Version auf. Sie zeigte auf ihre Weise, wohin die Reise denn nun wirklich gehen würde. Diese Maschine legte in jeder Hinsicht noch einmal zu: an Hubraum, an Leistung wie auch an Drehmoment. Der V8 konnte sich auf ein bis dahin unerhörtes Drehmoment von 3.500 Nm stützen. Trotzdem war er mit Hypoidachse zu haben. Mit 130 statt 127 Millimeter Bohrung und daraus resultierend 16,4 Liter Hubraum distanzierte er sich dazu von seinen drei weiteren V8-Kollegen (500, 560 und 620 PS), für die es weiterhin bei 127 Millimeter Bohrung und einem Hubraum von 15,6 Litern blieb. An der SCR-Technik zur Reduktion der Schadstoffe führte auch beim 730er kein Weg vorbei. Allerdings übernahm Scania beim größeren 16,4-Liter-V8 die von den Reihensechszylindern bereits bekannte Common-Rail-Einspritzung XPI (bis 2.400 Bar) sowie den variablen Turbolader. Zum Vergleich: Die anderen Scania-V8 arbeiteten weiterhin mit Pumpe-Düse-Elementen ohne variable Turbogeometrie und kamen mit den üblichen 15,6 Liter Hubraum aus. Das änderte sich erst ab dem Jahr 2013 mit Euro 6, als auch der Rest des Feldes an Scania-V8 auf 16,4 Liter Hubraum, die Einspritzung XPI sowie den variablen Turbo umschwenkte. Von der vierköpfigen Leistungsstaffel mit 500, 560 sowie 620 und 730 PS blieb ein Trio übrig, das die Klassen 520, 580 und 730 PS besetzte. Nicht nur der nun generell auf 16,4 Liter erhöhte Hubraum war neu, sondern auch das Vorgehen bei der Abgasreinigung. Zusätzlich zum SCR-Kat sorgten Abgasrückführung sowie Partikelfilter jetzt für Euro 6.

Aber schon im Jahr 2017 traten wieder drei ganz frische V8 auf den Plan. Die brachten zudem neue Prioritäten mit: SCR only, starrer Turbo sowie nur noch 1.800 Bar Maximaldruck im Kraftstoffsystem, aber insgesamt höhere Verdichtung beim Motor. 2017 erhöhte sich die Zahl der Leistungsstufen wieder von vorher nur drei auf vier. Eine 650-PS-Version schloss die vorige große Lücke zwischen 580 und 730 PS mit einem maximalen Drehmoment von 3.300 Nm. In der Kategorie darunter blieb es beim Split in 520 und 580 PS. Tief griffen die Scania-Mannen bei diesem neuen 520er in die Trickkiste, um eines ganz besonderen Problems von Big Blocks bei geringer Motorbelastung Herr zu werden: Saugt der Motor zu viel Luft im Verhältnis zum erzeugten Wärmeüberschuss an, können die Abgase schnell kühler werden, als es der Nachbehandlung lieb ist. Für den 520-PS-V8 von 2017 besannen sich die Ingenieure deshalb auf den vor rund 60 Jahren erfundenen sogenannten Miller-Kreisprozess, der mit speziellen Nockenwellenprofilen arbeitet und bewirkt, dass die Einlassventile während des Verdichtungstakts länger als üblich geöffnet bleiben können. So gelangt etwas weniger Luft in den Zylinder. Das hat einen ähnlich aufheizenden Effekt auf die Temperatur wie die Reduzierung des Hubraums um einen Liter.

V8-Familie geht verschiedene Wege

Am anderen Ende des Leistungsspektrums, also bei der 730-PS-Version, ging Scania wiederum eher verhalten vor. SCR only stößt in solchen Leistungsregionen eben doch an seine Grenzen. So kommt es, dass der 730-PS-Monarch bis heute bei Abgasrückführung, bei der gewohnten Einspritzung und auch beim variablen Turbo bleibt. Daran wird sich auch künftig nichts mehr ändern. "Für diese Leistungsklasse ist die Kombination aus Abgasrückführung und SCR-Kat einfach die bessere Lösung", brachte Motorenentwickler Tomas Björnelund die Hintergründe dafür bei der Vorstellung der heute noch aktuellen V8 auf den Punkt. Das bedeutet für Scania aber auch Nachteile. Das Motorenprogramm fährt mit Reihenmotoren und V-Aggregaten insgesamt zweigleisig. Gleichzeitig geht auch die V8-Familie selbst verschiedene Wege. Das eine wie das andere aber sehen die Controller nun gar nicht gern. Und so schwebt deren scharfes Schwert als leise Drohung womöglich nicht nur über dem 730-PS-Monarchen, sondern über dem V8-Dinosaurier als Gattung insgesamt. Diese Big Blocks haben zwar wesentlich dazu beigetragen, dass Scania sich zu einer festen Größe im internationalen Lkw-Geschäft mausern konnte, doch ist es genau die globale Dimension des heutigen Wirtschaftens, die einen gewissen Schatten auf den V8 wirft. Es kommt nämlich nicht von ungefähr, dass alle anderen Hersteller schon längst auf Reihensechszylinder umgestellt haben. Für außereuropäische große Märkte wie Amerika oder Asien hat der V8 praktisch keine Bedeutung, da er mit seinem komplizierten Aufbau zum Beispiel bei Wartung und Reparatur handfeste Nachteile gegenüber einem Reihenmotor hat. Zudem befindet sich Scania nun zusammen mit MAN unter dem Dach der VW-Tochtergesellschaft Traton Group.

Auch wenn deren Börsengang jüngst abgeblasen wurde, möchte Traton im globalen Umfeld hoch hinaus. Bei diesen Plänen kann man aber mit einem V8 außerhalb von Europa nicht viel anfangen. Der 15 Liter große D38 von MAN passt da schon eher ins Bild. Kommt für den V8 also bald ein weiterer Schrecken – oder genießt er gar schon Denkmalschutz? Generell scheint bei Traton eher so etwas wie Artenschutz für die Big Blocks zu gelten. Denn die Devise lautet: "Sowohl der D38 von MAN als auch der V8 von Scania sollen als markenspezifische Komponenten erhalten bleiben", so der Traton-Technikchef Christian Levin. Das heißt: In dieser Hubraumklasse ist keine neue Plattform vorgesehen. Jede der beiden Marken bleibt für ihren Big Block verantwortlich. Das sind gute Perspektiven für den Scania-V8. Diese acht Zylinder in V-Form sind zwar Dinosaurier, gehören andererseits aber auch so unverbrüchlich zur Scania-Saga, dass der Schaden bei der Abschaffung dieser Institution leicht größer werden könnte als jeder vermeintliche kaufmännische Nutzen.

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FERNFAHRER 07 / 2019
1. Juni 2019
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