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Scheuer bleibt Brenner-Gipfel fern Streit um Lkw-Blockabfertigung eskaliert

Foto: Thomas Küppers

Der Streit um die Lkw-Blockabfertigung in Tirol eskaliert. Was sagt die Branche dazu? Die Fachzeitschrift trans aktuell hat zum Expertengespräch bei der Dettendorfer Spedition geladen.

Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) wird dem nächsten Brenner-Gipfel am 12. Juni in Bozen aus Protest fern bleiben. Er glaubt nach einem Gespräch mit Österreichs Verkehrsminister Norbert Hofer nicht an eine Einigung mit dem Nachbarland. Es werde klar, dass das Land Tirol an einer kurzfristigen Lösung der Verkehrssituation an der deutsch-österreichischen Grenze nicht interessiert sei und an den Belastungen durch die Lkw-Blockabfertigung festhalte, erklärte Scheuer.

Platter wirft Scheuer Gesprächsverweigerung vor

Tirols Landeshauptmann Günther Platter reagierte prompt und warf Scheuer Gesprächsverweigerung vor. Das zeuge von schlechtem Stil. Scheuer erklärte, dass die deutsche Seite - wenn auch nicht in Form von seiner Person - dennoch bei dem Gipfel dabei sein werde. Platter hält die Erklärung Scheuers für entlarvend: "Damit ist offensichtlich, dass Deutschland keinerlei Lösungsansätze seit unserem letzten Treffen im Februar gesucht hat." Platter kündigte zudem an, an den in der Transport- und Logistikbranche umstrittenen Lkw-Blockabfertigungen festzuhalten.

Deutsche Transport- und Logistikunternehmen reagieren mit Unverständnis auf die Eingriffe ins Verkehrsgeschehen auf der Inntalautobahn A12 durch das österreichische Bundesland Tirol. Sie zweifeln daran, dass sich der Transitverkehr drastisch reduzieren lässt, wie es die Tiroler Landesregierung anstrebt. Diese peilt eine Obergrenze von einer Million Lkw pro Jahr an, 2017 war ihren Angaben zufolge ein Spitzenwert von 2,25 Millionen Transit-Lkw erreicht.

Spediteure weichen auf die Nacht und die Schiene aus

Ihren Beitrag zur Entlastung der Alpenregion wollen deutsche Spediteure dennoch leisten, indem sie auf saubere Lkw umstellen und wo es möglich ist, auf die Nacht und auf die Schiene ausweichen. Das sind die Erkenntnisse eines Expertengesprächs der Fachzeitschrift trans aktuell mit Spediteur Georg Dettendorfer aus Nussdorf am Inn, Sebastian Lechner, Geschäftsführendes Präsidiumsmitglied beim Landesverband Bayerischer Transport- und Logistikunternehmen (LBT), und Peter Setzensack, bis zu seinem Ruhestand vor kurzem Chefkontrolleur des Bundesamts für Güterverkehr (BAG) in München.  Gastgeber der Runde war das Unternehmen INN-ovativ aus Kiefersfelden, das unter dem Namen Spedifort E-Learning-Anwendungen für die Branche anbietet. INN-ovativ-Chef Andreas Rinnhofer war selbst jahrelang in unterschiedlichen Speditionen tätig. Er wohnt in Ebbs bei Kufstein kennt somit die Ängste der Österreicher mit Blick auf den wachsenden Schwerverkehr auf der Strecke.

Dettendorfer: Verkehre werden teurer und unplanbar

Die Blockabfertigung führe dazu, dass Lkw-Verkehre erheblich teurer und unplanbar würden, bilanziert Unternehmer Dettendorfer. Er weiß, wovon er spricht, weil er an der Grenze in Kiefersfelden eine Niederlassung unterhält, die auch das Start-up INN-ovativ beherbergt. Der Spediteur hat errechnet, wie sich eine Blockabfertigung vom 27. Oktober vorigen Jahres aufgrund von Staus, Umwegverkehren und nicht eingetroffener Ware ausgewirkt hat. "Wir reden über einen Umsatzverlust von etwa 30.000 Euro", sagt er. Bei 80 Prozent der Kunden gebe es Zeitfensterbuchungen. Verpasse der Fahrer das Slot, bekomme er kurzfristig in der Regel kein neues, weil der nächste Tag schon verplant sei.

70 Kilometer Rückstau bei Blockabfertigung am 26. April

Als besonders drastisch hat Dettendorfer die vierte Blockabfertigung in diesem Jahr vom 26. April in Erinnerung: Kontrolleur Setzensack spricht von einem 70 Kilometer langen Rückstau auf deutscher Seite. Einer seiner Lkw auf der A8 bei Irschenberg habe für vier Kilometer Fahrt vier Stunden gebraucht, schildert Dettendorfer. LBT-Chef Lechner kritisiert vor allem die Folgen für die Fahrer und die Verkehrssicherheit. "Die Fahrer werden in die Illegalität gezwungen. Sie können ihre Ruhezeiten entweder nicht einhalten oder gehen auf die Standspur", sagt er.

BAG prüft bei langen Rückstaus mit Augenmaß

In solchen Fällen zeigt zumindest das BAG Verständnis. "Wir lassen Opportunität walten – es sei denn, der Lkw steht absolut verkehrsgefährdend, dann schicken wir ihn weg", erklärt Setzensack. Dass Fahrern keine andere Wahl als das gefährliche Pausieren auf der Standspur bleibt, liege auch daran, dass sie eine saubere Fahrerkarte brauchen, wenn sie auf dem Weg nach Österreich oder Italien sind. "Dort sind die Kontrolleure rigoros", berichtet Dettendorfer. Er kann im Übrigen auch nicht ganz nachvollziehen, warum es jenseits der Grenze so große Verwunderung über das steigenden Lkw-Aufkommen gibt. "Immerhin hat Tirol in den letzten Jahren den Transitverkehr auf der Inntal-Autobahn kanalisiert", sagt der Logistikunternehmer. Der Schwerverkehr über den Fern- und Reschenpass habe sich Schritt für Schritt auf Ziel- und Quellverkehre reduziert.

Doppelte Maut bei Nacht erschwert Entzerren des Verkehrs

Wenn ein Ausweichen auf andere Achsen schon nicht möglich ist, muss es aber doch möglich sein, das Verkehrsaufkommen zeitlich zu entzerren. Ein Ausweichen auf die Nacht komme für Euro-6-Lkw grundsätzlich infrage, bestätigt Peter Setzensack. Andererseits weiß er aus Erfahrung: "Bei der doppelten Brennermaut von 160 statt 80 Euro macht das keiner mit." Doch zeigen deutsche Unternehmer Bereitschaft, einzulenken, sollte die Blockabfertigung dadurch beendet werden können.

Lechner: Tirol muss bei Nachtfahrverbot mit sich reden lassen

"Tirol muss beim Nachtfahrverbot mit sich reden lassen, wir sind im Gegenzug bereit, in moderne Technologien wie Euro 6 zu investieren", sagt LBT-Mann Lechner. Ob die Nachtfahrt allerdings so kostspielig bleiben muss, stehe auf einem anderen Blatt. In jedem Fall müsse eine kooperative Lösung gefunden werden, bekräftigt er. "Bleiben die Fronten verhärtet, sehen wir mittelfristig die Gefahr, dass das System des alpenquerenden Verkehrs kollabiert", warnt er.

Wo Lechner hingegen keinen Konsens sieht, ist bei der Forderung des Lands Tirol nach einer Korridormaut – also einer erhöhten Straßengebühr von München bis Verona. Er weist darauf hin, dass Deutschland zum 1. Januar 2019 aufgrund des neuen Wegekostengutachtens schon das maximal Mögliche bei der Lkw-Bemautung ausreizt. "Die Korridor-Maut ist ein No-Go", betont Lechner. Sie würde die gesamte Logistik in Südbayern verteuern.

Lechner: Sind so umweltfreundlich wie möglich unterwegs

"Unser Kompromiss besteht also darin, so umweltfreundlich wie möglich unterwegs zu sein, und wenn möglich auf die Nacht und die Schiene auszuweichen", fasst LBT-Repräsentant Sebastian Lechner zusammen. Die Schiene komme aber nur dann ins Spiel, wenn die Angebote bei Qualität und Preis mit der Straße konkurrieren könnten. Hinzu kommt der Kapazitätsengpass. Die Teilnehmer des Expertengesprächs bezweifeln, dass es noch viele freie Trassen gibt.

Zweifel über Zahl der freien Trassen für Güterzüge im Inntal

Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) hatte beim vorigen Brenner-Gipfel am 5. Februar in München darauf hingewiesen, dass noch 100 freie Zeitfenster für Güterzüge von Rosenheim nach Kufstein vorhanden seien. Aktuell fahren auf dieser Relation demnach 180 bis 190 Züge am Tag. "Nach den neuesten Erkenntnissen haben wir auf dieser Strecke aber wohl nur noch 20 attraktive Zeitfenster je Richtung", sagt Dettendorfer. Hinzu kämen zehn wirtschaftlich wenig attraktive Trassen.

Wenig hilfreich ist in seinen Augen auch, dass die Rollende Landstraße (Rola) Wörgl–Brennersee auf einem recht kurzen Wegstück sehr viele mögliche Slots für langströmige Güterverkehre zunichtemacht. Dettendorfer hält die Rola ohnehin nicht für das Gelbe vom Ei. Es sei unwirtschaftlich, 18 Lkw im Begleiteten Kombinierten Verkehr zu befördern, wenn die Alternative 38 Einheiten im Unbegleiteten Kombinierten Verkehr sei. Vor diesem Hintergrund sieht er auch den Nutzen einer Rola Regensburg–Trient, die reaktiviert werden soll, als äußerst gering an.

Im Einzelfall kann Fahrt auf der Rola Sinn ergeben

Von vornherein ablehnen dürfe man die Vorschläge aber nicht, betont Lechner. "Wenn Fahrer darauf ihre Ruhezeiten verbringen können, kann die Rola im Einzelfall Sinn ergeben." Letztlich müssten alle Maßnahmen geprüft werden, die den alpenquerenden Verkehr am Laufen und die Beeinträchtigungen sowohl für Anwohner und Umwelt als auch für Logistikunternehmen so gering wie möglich halten. Und vielleicht gelingt es durch Bündeln von Einzelmaßnahmen doch noch einen Weg zu finden, um die umstrittene Lkw-Blockabfertigung überflüssig zu machen.

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