EU-Verordnung/Ruhezeiten für Lkw-Fahrer Auf dem Weg nach Absurdistan

Lkw,Ruhezeit, Pause, Parkplatz Foto: Jan Bergrath

Deutsche Logistikverbände warten derzeit auf den versprochenen Textentwurf, mit dem das Bundesverkehrsministerium das Verbringen der regelmäßigen wöchentlichen Ruhezeit im Lkw bundesweit verbieten will. Die Verbände bevorzugen zwar eine europäische Lösung, doch die wird schwer.

Für die deutschen Lkw-Fahrer, die sich politisch engagieren, gibt es wieder einen Grund zur Freude. Anfang November hat der Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages in einer Pressemeldung bekannt gegeben, dass er nun verhindern will, dass Berufskraftfahrer ihre regelmäßigen wöchentlichen Ruhezeiten in ihrem Lkw verbringen. Die Abgeordneten haben einstimmig beschlossen, eine öffentliche Petition sowie drei weitere Petitionen (eine davon durch Udo Skoppeck von der Fahrerinitiative A.i.d.T. e. V.) für oben genanntes Verhalten mit dem zweithöchsten Votum "zur Erwägung" an das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur zu überweisen, den Fraktionen des Bundestags zur Kenntnis zu geben und dem Europäischen Parlament zuzuleiten. Der genaue Wortlaut steht hier.

Das klingt zunächst nach einem Erfolg des Bürgerwillens. Doch genau genommen macht es die Sache nun erst recht unübersichtlich. Schon 2014 hatte Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt einen Brief an die EU-Kommission geschickt. Darin hieß es: "Im Interesse der Verkehrssicherheit und der Fürsorge für die Lkw-Fahrer im gesamten EU-Binnenraum wäre es aus meiner Sicht wünschenswert, dass kurzfristig ein Regelungsvorschlag eingebracht wird, der das Verbot, die regelmäßige wöchentliche Ruhezeit im Fahrzeug zu verbringen, ausdrücklich in Artikel 8, Nr. 8, der betreffenden Verordnung verankert."

Insider wissen jedoch, dass dieser Vorstoß einer europäischen Regelung längst vom Tisch ist. Nach mehreren Gesprächen bis zum Sommer 2015 hatte EU-Verkehrskommissarin Violeta Bulc den Abgesandten des deutschen Ministers zu verstehen gegeben, dass sie das Thema so nicht anpacken wolle. Denn die Aussicht auf Erfolg ist leider gleich null. Das habe ich bereits in zwei Blogs hier und hier beschrieben. Die Mehrheitsverhältnisse innerhalb der europäischen Union geben eine solche Entscheidung nämlich nicht her.

Unklare Formulierung ist ein kaum korrigierbarer Fehler

Die unklare Formulierung im Artikel 8, Absatz 8, der EU-Verordnung 561/2006 stellt sich aus deutscher Sicht längst als Kardinalfehler in den Sozialvorschriften heraus: "Sofern sich ein Fahrer hierfür entscheidet, können nicht am Standort eingelegte tägliche Ruhezeiten und reduzierte wöchentliche Ruhezeiten im Fahrzeug verbracht werden, sofern das Fahrzeug über geeignete Schlafmöglichkeiten für jeden Fahrer verfügt und nicht fährt." Allein schon, dass er sich demnach entscheiden kann, ist im Grunde keine Verordnung. Der Knackpunkt: Die bestehende Regelung stellt kein eindeutiges Verbot dar und kann deswegen in Deutschland auch nicht mit einem Bußgeld geahndet werden. Deswegen kontrolliert das Bundesamt für Güterverkehr (BAG) die osteuropäischen Lkw-Fahrer, die jedes Wochenende entlang den Autobahnen campieren, auch nicht.

Es fehlt also in der Verordnung eine klare Ansage – beispielsweise: "Es ist verboten, dass der Fahrer die regelmäßige wöchentliche Ruhezeit im Fahrzeug verbringt." Ob es die Gesetzgeber in Brüssel, als die EU-Osterweiterung gerade mal zwei Jahre zurücklag, nicht bedacht haben oder die Lobbyisten der Wirtschaft hier im Hintergrund an der bewusst schwammigen Formulierung mitgewirkt haben, lässt sich nicht mehr ermitteln. Fest steht nur: Westeuropa wird derzeit von den Flotten aus den mittel- und osteuropäischen Staaten (MOE-Staaten) überrannt – nicht zuletzt wegen der schwammigen Formulierung. Viele dieser Lkw sind wochen-, manchmal monatelang unterwegs, auch um Kabotage zu betreiben – zum Teil auch illegale Kabotage.

Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss bringt die Fakten

Bereits im September hat der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschusses (EWSA) seine Sicht der Fakten zum Thema Sozialdumping und Kabotage sowie die Folgen für den internationalen Straßengüterverkehr im europäischen Binnenmarkt auf den Punkt gebracht (hier ist das Dokument): So heißt es unter anderem, dass der größte Teil der Kabotage in Westeuropa erbracht wird – und zwar in Deutschland, Frankreich, Italien, dem Vereinigten Königreich, Belgien und Schweden. Das sind genau die Länder, in denen auch die Flotten aus den MOE-Ländern aktiv sind. In dem Bericht fasst der EWSA deshalb unter dem Begriff „Sozialdumping“ Praktiken zusammen, mit denen Sozialvorschriften und Marktzugangsbestimmungen (etwa durch Briefkastenfirmen) umgangen oder missachtet werden – mit dem Ziel, Wettbewerbsvorteile zu erlangen. Doch dann folgt noch eine unterschwellige Warnung: "Nach Auffassung des EWSA sind dringend Maßnahmen auf EU-Ebene erforderlich, um der Gefahr einer Fragmentierung des Binnenmarktes im Straßengüterverkehr infolge einseitiger nationaler Maßnahmen zur Bekämpfung von Sozialdumping vorzubeugen. Erfolgreiche EU-Maßnahmen können günstige Bedingungen für eine weitere Marktöffnung schaffen." Das ist meiner Meinung nach ein klarer Apell: "Macht uns unseren schönen Binnenmarkt mit den günstigen Transportpreisen bitte nicht weiter kaputt."

Wann kommt die nationale Regelung?

Nun wird es leider kompliziert. Denn was derzeit politisch passiert, gleicht eher einem Weg nach Absurdistan als einem sachgerechten Umgang mit der komplexen Problematik. Da ist zunächst die deutsche Petition. Ihr wurde vom Ausschuss just in dem Moment stattgegeben, als Bundesverkehrsminister Dobrindt längst, nämlich auf der Mitgliederversammlung des Bundesverbandes Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL) in Hamburg (hier lesen Sie mehr dazu) angekündigt hat, eine nationale Lösung beim Verbot der regelmäßigen wöchentlichen Ruhezeit anzustreben. Eine nationale Regelung, urteilt der Petitionsausschuss, sei vor allem dann zu befürworten, wenn das Zustandekommen einer europäischen Regelung zu viel Zeit beanspruchen würde. Und danach sieht es im Augenblick aus. Ursprünglich hat die EU-Kommission für Ende 2016 ein neues "Road Package" versprochen, in Rahmen dessen auch die bestehenden Sozialvorschriften angepasst werden sollten, um das immer stärker werdende Problem des illegalen Wettbewerbs und des "Sozialdumpings" endlich in den Griff zu bekommen. Sollte dieses Paket tatsächlich verabschiedet werden, ist mit einer nationalen Umsetzung nicht vor 2017/2018 zu rechnen. Ob das deutsche Transportgewerbe bis dahin noch Luft zum Atmen hat, sei dahingestellt.

Road Package ist gar kein Paket mehr

Doch nach Medienberichten aus Brüssel ist das Road Package gar kein Paket mehr. Unter anderem soll nur noch auf "bessere Durchsetzung der bestehenden Sozialvorschriften" hingewirkt werden. Die wiederum ist eindeutig Sache der Mitgliedstaaten. Deswegen hat die Kommission eben auch noch keinen Einspruch erhoben, dass Frankreich und Belgien die Verbringung der regelmäßigen wöchentlichen Ruhezeit im Lkw bereits verboten haben. Und deswegen warten die wichtigsten deutschen Transport- und Logistikverbände dringend auf den Textentwurf, mit dem das Bundesverkehrsministerium (BMVI) diese nationale Regelung in das Fahrpersonalgesetz aufnehmen will.

Im Dezember, so meine Information, sollen die Verbände im Rahmen einer Anhörung Stellung nehmen dürfen. Dabei handelt sich allerdings lediglich um ein Mitwirkungsrecht ohne Verbindlichkeit. Das heißt: Die Anregungen und Stellungnahmen der Verbände können, müssen aber nicht berücksichtigt werden. Wer allerdings erleben durfte, wie Dobrindt auf dem BGL-Kongress von den BGL-Größen Adalbert Wandt und Hans Wormser ins Gebet genommen wurde, konnte den Eindruck gewinnen, dass die Unternehmer ihre Ansicht in Einfluss umwandeln möchten.

Überraschung: deutsche Verbände wollen europäische Lösung

Es dürfte kaum überraschen, dass etwa der BGL keinen europäischen Flickenteppich will. "Wir favorisieren die für das nächste Jahr angekündigte EU-einheitliche Regelung. Nationale Regelungen ergeben vor diesem Hintergrund keinen Sinn. Im Übrigen sind wir der Ansicht, dass sich durch das schlichte Verbieten der Verbringung von Wochenruhezeiten im Lkw das Problem des Sozialdumpings nicht lösen lässt." Ich habe bereits mehrfach argumentiert, dass es nur einen großen "Flicken" gibt, nämlich die von der EWSA ausgemachten Länder des Westens. Für Bundesverband Wirtschaft, Verkehr und Logistik (BWVL) antwortet Hauptgeschäftsführer Christian Labrot – der ab Januar 2016 seine Funktion als neuer Präsident der International Road Transport Union (IRU) antreten wird. Er beschreibt dasselbe Bild.

"Letztlich ist das gar keine so große Frage der regelmäßigen Ruhezeit in der Kabine", erklärt Labrot, "innerhalb von zwei Wochen sind die meisten Rundläufe in Europa zu bewältigen." Es sei vielmehr eine Frage der Wettbewerbsverzerrung durch Missbrauch der Kabotage-Regelung der EU. Dem muss mit anderen Mitteln entgegengetreten werden als mit der Wochenruhezeit. Ansonsten sprechen wir uns nicht für nationale Alleingänge, sondern für eine EU-Regelung aus, um gesetzliche Flickschusterei zu vermeiden. Sozialvorschriften waren sehr früh (1969) eindeutig europaweit geregelt, dann sollte man auch die Wochenruhezeitregelung europäisch lösen.

Lediglich der Deutsche Speditions- und Logistikverband (DSLV) versteckt sich etwas hinter einer wohlfeilen Formulierung: "Der DSLV unterstützt ausdrücklich den Kampf gegen Lohndumping, Fahrerausbeutung, Schwarzarbeit sowie illegale Kabotage." Dabei helfen sollen demnach Festschreibung harmonisierter Sozialstandards und auskömmlicher Entgeltregelungen sowie durch deren Überwachung und vertiefte Kontrollen. Nur bei Wettbewerbsgleichheit und einheitlichen, zumutbaren Arbeitsbedingungen könne die deutsche und europäische Logistikbranche ihren Versorgungsauftrag für Industrie, Handel und Bevölkerung erfüllen. Deshalb begrüßt der DSLV "grundsätzlich geeignete, gesetzliche Maßnahmen, die zu diesem Ziel führen".

Keine Stigmatisierung der Fahrer

Die Frage, ob Fahrer ihre regelmäßigen wöchentlichen Ruhezeiten im Fahrzeug verbringen dürfen oder nicht, sollte aus Sicht des DSLV allerdings differenziert betrachtet werden. "Ziel muss es auf der einen Seite sein, das Nomadentum bestimmter Fahrer, die über einen längeren Zeitraum ihr Dasein im Fahrzeug fristen, zu unterbinden." Ob darunter auch die polnischen Fahrer fallen, die für deutsche Speditionen immer öfter drei Wochen am Stück in Deutschland unterwegs sind, bleibt hier offen. "Auf der anderen Seite", so der DSLV weiter, "sollte aber nicht das gelegentliche Verbleiben im Fahrzeug am Wochenende stigmatisiert und der Fahrer gezwungen werden, sein persönliches Umfeld gegen eine anonyme und sterile Außenunterkunft tauschen zu müssen." Das wiederum liegt auf der Linie des BGL, der befürchtet, dass den Fahrern dann "preisgünstige Massenunterkünfte" zur Verfügung gestellt würden.

Hier muss ich nun die Frage stellen, ob es sich bei den drei Antworten um Kalkül handelt oder um ein bewusstes Ausblenden der europäischen Realität. Ich befürchte das Kalkül: Längst sind die deutschen Speditionen selbst mit eigenen Niederlassungen oder eng an sich gebundenen Frachtführen so tief in Osteuropa verwurzelt, dass es für sie ein durchaus großer Wettbewerbsnachteil wäre, wenn diese Flotten, was im deutschen Gesetzentwurf angedacht sein soll, nach zwei Wochen wieder in die Heimat müssten. Also ist es Ihnen nur recht, die Entscheidung nach Brüssel zu vertagen. Denn was mit einer großen europäischen Lösung passiert ergibt sich aus einer aktuellen Pressemeldung aus Brüssel, die leider öffentlich etwas untergegangen ist. (hier erfahren Sie mehr)

Darin heißt es nüchtern: "In der heutigen Sitzung des Verkehrsausschusses im Europäischen Parlament wurde eine Resolution der sozialdemokratischen Fraktion S&D zur europaweiten Gewährleistung von fairen Lohn- und Arbeitsbedingungen im europäischen Verkehrssektor abgelehnt. Die Mehrheit der konservativen Fraktionen EVP und ECR gemeinsam mit der liberalen ALDE hat den Antrag scheitern lassen."

Eine europäische Lösung wird sehr schwer werden

Mit anderen Worten: Sollte also, wie es der Petitionsausschuss nun in die Wege geleitet hat, das Europäische Parlament die Forderung nach einer bußgeldbewährten Verbotsregelung in Erwägung ziehen, dann ist das Projekt möglicherweise zum Scheitern verurteilt "Die Initiative des Bundestags gibt uns einen konkreten Ansatz das aufzugreifen", sagt zwar die EU-Parlamentarierin Jutta Steinruck, "die Regelung der Lenk- und Ruhezeiten obliegt ja unserer Kompetenz und die unklaren Formulierungen könnten dann bei uns nachgebessert werden. Allerdings muss die Kommission dazu die Initiative ergreifen. Und jetzt ist alles zu tun, damit die Kommission das auch ,hört' ". Auf einer Konferenz zum Thema Sozialdumping‬ und grenzübergreifende Integration der Infrastrukturen in Luxemburg sprach Eddy Liegeois, Leiter des Referats Landverkehr, GD MOVE, der Europäischen Kommission, immerhin von "angemessenen" Arbeitsbedingungen und machte deutlich, dass es bei Lkw-Fahrern spezielle Anforderungen gibt, aber man müsse einen Balance zur Wettbewerbsfähigkeit finden.
Trotzdem steht zu befürchten, dass die wirtschaftskonservative Mehrheit im Parlament und auch die Mehrheit der Osteuropäer im Europäischen Rat ein Verbot schlicht ablehnen wird. Damit wäre möglicherweise auch die nationale deutsche Lösung, die im größten Transitland Europas die Wettbewerbsverzerrung immerhin eindämmen könnte, zum Scheitern verdammt. Kein Experte kann mir derzeit sagen, was es europarechtlich bedeuten würden, wenn die EU-Kommission den Artikel 8,Absatz 8, zwar aufmacht, aber eine Mehrheit beschließt, dass es weiterhin nicht verboten ist, die regelmäßige wöchentliche Ruhezeit im Lkw zu verbringen. Ich halte das nicht für undenkbar. Dann bekäme eine Erkenntnis aus der Luxemburger Konferenz eine ganz andere Gewichtung: Die bestehenden Regeln zur Entsendung, zu Lenk- und Ruhezeiten müssen korrekt umgesetzt und angewandt werden.

Warten wir also erstmal auf den deutschen Textentwurf und hoffen wir, dass er etwas besser und vor allem eindeutig formuliert ist.


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