Die unwirtschaftlichste Lösung für den Bau zu sein – in diesem zweifelhaften Ruf steht der Vierachser. Schwer haben Sattelzugmaschinen mit hydrostatischem Vorderradantrieb die vergangenen Jahre in seinem Revier gewildert. Doch es gibt immer noch genug Aufgaben, bei denen kein Weg am robusten, wendigen und zugleich eben auch extrem geländegängigen Vierachser vorbeiführt, obwohl er auf der Straße nur maximal 32 Tonnen Gesamtgewicht haben darf.
Neu gefasst hat Volvo jüngst den FMX, der zu diesem Vergleich mit seinem von Grund auf neuen Fahrerhaus antritt. Nicht ganz so radikal hat MAN das Fahrzeug umgekrempelt. Doch sind bei den Bauvarianten der neuen Reihe zumindest die Innenausstattung und der Einstieg sehr verschieden von dem, was vorher war. Der Mercedes Arocs schließlich hat zum Beispiel mit seinem digitalen Multimedia-Cockpit den Vorreiter gespielt, dem sowohl MAN als auch Volvo in dieser Hinsicht zwischenzeitlich gefolgt sind. Dabei haben aber nicht nur die digitalen Cockpits ihren jeweils ganz eigenen Charakter; auch das Thema Vierachser setzen die drei verschiedenen Hersteller auf ganz unterschiedliche Art und Weise um.
Volvo FMX 500 8x4
Ähnlich tadellos (inklusive Außenstaufächern) wie Mercedes nutzt Volvo beim neuen FMX den Platz hinter den Sitzen. Bloß zwischen ihnen klemmt es etwas, da Volvo auch beim jüngst erneuerten FMX am hohen Motortunnel zugunsten eines konkurrenzlos niedrigen Einstiegs festhält.

Mit einer Höhe des Fahrerhausbodens von nur 1.465 Millimetern bietet der Volvo FMX den niedrigsten Einstieg im Feld, zahlt dafür aber den Preis des höchsten Motortunnels unter den drei Kandidaten. Der ragt mit seinen 436 Millimetern in der Tat gewaltig ins Kabineninnere hinein, das beim neuen FMX gegenüber dem doch arg knapp geschnittenen Fahrerhaus des Vorgängers sehr an Volumen gewonnen hat. Statt vorher knapp vier Kubikmeter umbauten Raums sind es jetzt immerhin circa fünf Kubikmeter, die der FMX an Innenvolumen zu bieten hat: rund 20 Prozent mehr.
Und was Volvo daraus macht, das ist ansonsten nicht von schlechten Eltern. Stand ja auch der große FH bei vielem Pate: Das fängt beim Exterieur in Gestalt der prägnanten, abfallenden Sicke in der Flanke an, geht weiter mit der praktischen, schräg gestellten Türklinke – und hört bei einer ähnlich geräumigen Dachluke wie beim FH noch lange nicht auf. Tief herabgezogen sind zum Beispiel die Brüstung der Frontscheibe (laut Volvo zehn Prozent mehr Direktsicht) sowie die untere Linie der Seitenscheiben.
Zu dieser wäre aber auch zu sagen: Arg tief lässt sich die Seitenscheibe damit nicht mehr in der Tür versenken. Sie ragt in unterster Position schon satte 30 Zentimeter über den Fenstersims hinaus. Und für die Dachluke gilt: Statt Glas verwendet Volvo beim Baufahrzeug wohlweislich Stahl. Und weil das im FH übliche Nothämmerchen da nichts ausrichtet, ist die Dachluke beim FMX mit einem Griff versehen, der im Notfall den Weg nach draußen übers Dach hinweg freimacht.
Was der Havarist dann auf diese ungewöhnliche Weise verlässt, ist im neuen FMX ein wohlsortiertes und ebenfalls am großen FH orientiertes Interieur. Ganz wie beim MAN fungiert dabei als eines der Glanzstücke die neu gestaltete digitale Instrumententafel, die in puncto Beschriftung beim Volvo’schen Hang zu Minimalismus bleibt.

Weniger ist mehr: Für den Drehzahlmesser sieht Volvo beim neuen FH erst gar kein Rundinstrument vor, sondern führt ihn als vertikalen Balken aus, der mittig unten im auf einen Dreiviertelkreis beschnittenen Rund des Tachometers sitzt. Drei weitere Varianten (Fokus, Navi und Ladeanzeige) hat der FMX bei der Tachoansicht zusätzlich zur Standardvariante zu bieten, zwischen denen es sich auch während der Fahrt fix hin- und herhoppen lässt.
Mit Ablagen um den Fahrer herum ist der Volvo reichlich und gut gestuft bestückt, auch wenn der Fahrer für manches Ziel dann weit nach rechts auszugreifen hat. Was das Manko des hohen Motortunnels zumindest in Teilen wieder wettmacht, das ist als weiteres originelles Element im neuen FMX ein mittig unterm Dach an der Rückwand angebrachtes Halbrund mit Rolloverschluss und circa 55 Liter Fassungsvermögen. Dort ist genug Platz, um zum Beispiel einem Helm Obdach zu gewähren.
Bei den Schaltern wechseln sich moderne Druckschalter (fürs Sekundärdisplay) und traditionelle Kippschalter (für die Fahrfunktionen) ab. Für die Differenzialsperren im Vierachser gibt es jetzt einen Drehschalter, der aber im Testfahrzeug nicht vorhanden ist. Grund dafür: Ist der FMX – wie eben der Test-Lkw – mit einer automatischen Längssperre ausgestattet, tut’s ja auch ein einziger Kippschalter für die Quersperre, ohne dass Verwechslungsgefahr bei der richtigen Reihenfolge der Sperren besteht.
Vornehm zurück zieht sich diese automatische und im Prinzip ständig geschaltete Quersperre stets in einem Fall: wenn die vierte, bei unserem Test-FMX liftbar ausgeführte Achse hochgezogen ist. Voraussetzung für eine solche Liftachse beim Vierachser (nur bei Volvo erhältlich) ist wiederum die spezielle Bau-Luftfederung von Volvo, die mit vier Luftbälgen pro Achse arbeitet und über innen liegende, nach oben in den Rahmen gerichtete Stabis verfügt.
Dieses Verfahren hält das Heck kurz. Da keine Teile über den Reifenumfang eines 315/80 R 22,5 hinausragen, hat der Lkw am Fertiger leichtes Spiel. Dem Fahrkomfort, vor allem bei Leerfahrt, kommt solch eine Luftfederung an der Hinterachse natürlich immens zugute. Auch wenn sie einiges an Nutzlast kostet. Im Fall des FMX sind’s, verglichen mit der üblichen Parabelfederung, knapp fünf Zentner.
Heraus springt dabei nicht nur ein vorbildlicher Fahrkomfort, sondern eben auch eine liftbare vierte Achse. Die bringt zwar weitere 61 Kilogramm mehr an Eigengewicht mit sich, verbessert aber die Traktion vor allem bei Leerfahrt oder Teilbeladung und soll den Verbrauch mit nur vier statt acht Rädern mit heckseitigem Bodenkontakt um maximal zehn Prozent senken.
Das ist aber noch lange nicht alles an Spezialitäten, was der Test-FMX auffährt. Zu nennen wäre als weiteres Volvo-Schmankerl die elektrisch unterstützte Lenkung Volvo Dynamic Steering: Zu diesem System gehört, neben Spurwächter und Spurhalteassistent, eine Personalisierung der Lenkungseigenschaften, die einzigartig ist. Denn geboten werden da sowohl die Option auf voreingestellte Lenkungsprofile (Bandbreite von leicht bis sportlich) als auch die Möglichkeit, Eigenschaften wie Geradeaus- und Kurvenfahrt sowie Rückstellung und Dämpfung ganz nach persönlichem Gusto zu konfigurieren.
Die Krönung all der technischen Leckerbissen in unserem Volvo FMX dürfte die Schaltbox namens "I-Shift mit Kriechgängen" sein. Zwei zusätzliche Kriechgänge – in der kühnen Übersetzung 19,38 sowie dem noch kühneren Übersetzungsverhältnis von 32,04 – machen rigoros Schluss mit dem I-Shift-Handicap der eher geringen Spreizung von 15,1 (beim Overdrive-Getriebe) und hieven diese auf den stolzen Wert von 41,01.
Der wiederum steht beim Test-Volvo im kleinsten Crawler für eine Höchstgeschwindigkeit von gerade mal 3,3 km/h bei 1.800 Touren. In theoretische Steigfähigkeit umgemünzt ergäbe das einen Wert von weit über 100 Prozent: Das bedeutet beim Anfahrvermögen ein gewaltiges Potenzial und beim Rangieren größtmögliche Schonung der Kupplung. An Rückwärtsgängen bietet die Schaltbox gar fünf Stück, deren Übersetzungen von 2,48 bis 37,49 reichen.
So kommt es, dass die theoretische Bandbreite an Endgeschwindigkeit in den einzelnen Gängen (wie hier mit Hinterachsübersetzung 3,33) von 2,8 bis 134,4 km/h reicht. Im höchsten Gang schnürt der FMX dann also mit sachten 1.140 Touren bei 85 km/h über die Autobahn, als könne er kein Wässerchen trüben. Und kein Mensch ahnt, zu was für einem Tier er werden kann, wenn erst einmal die Crawlerstufen ins Spiel kommen.
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