Neulich in Neuss. Ein typischer Sonntagvormittag auf der Königsberger Straße im Hafengebiet, eine lange Sackgasse zwischen den Hafenbecken V (fünf) und VI (sechs) an der Rheinschiene. Ein trostloser Ort. Auf der gesamten linken Seite stehen Sattelzugmaschinen mit überwiegend bulgarischen und rumänischen Kennzeichen, entweder abgesattelt oder mit leeren Containerchassis. Ein oder zwei Planenzüge. Dazwischen parken Pkw aus denselben Ländern. In einigen Lkw sind Fahrer anwesend, bei anderen sind die Vorhänge geschlossen, zwei oder drei Fahrer führen Reparaturen am Auflieger durch. Kurz vor Mittag gibt es in zwei leeren Containern offenbar ein gemeinsames Mittagessen, ein junger Fahrer ist hier mit dem Fahrrad unterwegs.
Es sind dieselben Zustände, wie ich sie seit Jahren aus Bremerhaven und den Binnenhäfen und Terminals des Kombinierten Verkehrs in Duisburg, Herne oder zuletzt aus Köln im Blogartikel „Die illegale Einsamkeit des Langzeitparkers“ beschrieben habe. Zustände, an denen sich seit Jahren nichts ändert. Auch nicht in Neuss. Dort war ich bereits vor fünf Jahren. Damals sah es in der Königsberger Straße genauso aus. Nur die Zugmaschinen sind etwas moderner geworden.
Die SPD Neuss beim Ortstermin im Hafen
Ende Juli 2024 war die SPD aus Neuss hier zu einem Ortstermin anwesend und hat die daraus entstandene Reportage auf Ihrer Homepage veröffentlicht. Ich kann diese Schilderung aus Sicht der Lokalpolitik nachvollziehen. Schließlich leitet ja auch der SPD-Politiker Udo Schiefner, der sich immer um die Anliegen der Fahrer gekümmert hat, seit 2021 den Verkehrsausschuss im Deutschen Bundestag. „Es ist vollkommen inakzeptabel, dass diese hart arbeitenden Menschen beispielsweise an den Wochenenden in ihren Fahrzeugen übernachten müssen, ohne Zugang zu sanitären Einrichtungen oder Sozialräumen zu haben“, erklärt darin der Neusser SPD-Vorsitzende Heinrich Thiel. „Besonders wichtig wäre die Öffnung oder Schaffung von Sozialräumen der belieferten Unternehmen, die den Fahrern als Aufenthalts- und Erholungsräumen dienen könnten“, heißt es. Und natürlich sei auch der Zugang zu Toiletten und Duschmöglichkeiten unerlässlich, damit die Fahrer grundlegende hygienische Bedürfnisse erfüllen können. Parallel solle auch die Stadt Neuss weitere Verbesserungen wie die Ausweisung von ausreichend Lkw-Standflächen prüfen. Und zur Erhöhung der Sauberkeit sollten in den betroffenen Bereichen ausreichend Mülleimer oder Müllcontainer aufgestellt werden.
Der falsche Ansatzpunkt
Kurz vor Veröffentlichung meines Blogs konnte ich mich mit Heinrich Thiel noch telefonisch austauschen. Er will durch die Beschreibung der Zustände öffentlichen Druck aufbauen, damit sich an den Zuständen etwas ändert. Mit der Verantwortung der „belieferten Unternehmen“ habe ich Probleme, so mein Argument. Ein großer Teil der Container geht aus dem Neusser Hafen ins regionale Umland, ob auch die Unternehmen in der Königsberger Straße Container bekommen, kann ich aus der Ferne nicht beurteilen. Eine normale Firma, die Ware geliefert bekommt, öffnet ihre Tore in der Regel ab Montag, es wäre schon schön, wenn sie in dieser Zeit den anliefernden Fahrern Toiletten- und Duschmöglichkeiten anbieten würde. Die Terminals der Reedereien haben an den Wochenenden geschlossen.
Daraus die (Mit-)Verantwortung abzuleiten, sich um die Fahrer der osteuropäischen Unternehmer zu kümmern, die sich meist im Auftrag internationaler Logistiker des Kombinierten Verkehrs oder großer Reedereien ohne eigene Parkplätze in den Häfen Straßenzüge suchen, wo sie möglichst unbehelligt von Kontrollen sein können, sehe ich rein rechtlich nicht. Zumal diese osteuropäischen Frachtführer auf Grund dieses Vorteils, also keine eigene Infrastruktur an Parkplätzen vorweisen zu müssen, neben den Lohnkosten auch noch diesen Wettbewerbsvorteil gegenüber den lokal ansässigen Speditionen haben, deren Fahrer in der Regel am Wochenende zuhause sind. Weitere Lkw-Parkflächen auf Kosten der Stadt Neuss würden diesen Wettbewerbsvorteil sogar noch erhöhen. Denn gerade der Kombinierte Verkehr soll ja in Zukunft noch weiterwachsen.
Eine bunte Mischung vor Ort
Die in der Königsberger Straße an den Wochenenden anzutreffende Fahrzeugflotte ist höchst bunt gemischt. So sind die meisten Lkw dort wohl alle in Neuss „fest stationiert“ und fahren nur einmal im Jahr mutmaßlich zur Hauptuntersuchung in die Heimat zurück, wie mir ein englischsprechender selbstfahrender bulgarischer Transportunternehmer anvertraute, einige vielleicht auch zum anliegenden Ölwechselintervall. Denn eine Rückkehrpflicht der Lkw spätestens alle acht Wochen gibt es im Kombinieren Verkehr nicht, auch wenn das erwartete grundsätzliche Urteil des EuGH immer noch nicht gefallen ist.
Einige dieser Unternehmer wohnen nach eigenen Angaben in Neuss oder in der Umgebung, die angestellten Fahrer verweisen darauf, dass sie in der Nähe ein Appartement auf Kosten des Arbeitsgebers zur Verfügung haben. Unabhängig überprüfen lässt sich das als Journalist nicht. In den Wohnungen scheinen sie sich dann am Wochenende zu langweilen, obwohl die mit öffentlichen Verkehrsmitteln gut zu erreichende Innenstadt ihre Reize hat, sie bevorzugen wohl die Geselligkeit des gemeinsamen Kochens. Wasser gibt es bei einer naheliegenden Tankstelle, dort sollen auch die Toiletten zugänglich sein. Supermärkte sind in der Nähe. Beklagt hat sich bei mir niemand über die Zustände. Dass in dieser Situation mutmaßlich auch Alkohol konsumiert wird, hatte bereits 2019 ein rumänischer Containertrucker in Neuss eindrucksvoll unter Beweis gestellt.
Einmal mehr – die eingeschränkten Kontrollmöglichkeiten des BALM
So wichtig dieses Anliegen, die Arbeits- und Lebensbedingungen der betroffenen Fahrer zu verbessern, auch ist. Hier zeigen sich einmal mehr die grundlegenden Probleme der europäischen Gesetzgebung aus dem sogenannten Mobilitätspaket und der nach wie vor eingeschränkten Kontrollmöglichkeiten des Bundesamtes für Logistik und Mobilität (BALM), wie ich sie in meinem Blog „BALM-Sonntag“ am Beispiel des Kölner Nordens geschrieben habe. Allein die Überprüfung, ob ein Fahrer tatsächlich eine Wohnung oder ein Hotel zur Verfügung gestellt bekommt, ist problematisch. Wenn er dann in seiner Freizeit am Wochenende an seinem Lkw bastelt, ist ihm wahrscheinlich kein Vorwurf zu machen. Auch in Köln auf der Scarlettallee oder der Straße am Mohlenkopf am Rhein hat sich seit dem BALM-Sonntag nichts verändert.
So bleibt es auch hier nach meiner Nachfrage beim BALM, wann die Oberbehörde des Bundesverkehrsministeriums zum letzten Mal die laut SPD unzumutbaren Zustände im Hafen Neuss an einem Sonntag kontrolliert hat, bei der Standardantwort: „Der Neusser Hafen wird im Rahmen des Überwachungsauftrags von den örtlich eingesetzten Kontrollbeschäftigten befahren und bei Auffälligkeiten werden Verkehrskontrollen durchgeführt. Einzelheiten zu Planung und Durchführung von Kontrollen gibt das BALM aus kontrolltaktischen Erwägungen grundsätzlich nicht bekannt.“
Wer sich die immer wiederkehrenden Ergebnisse der monatlichen Schwerpunktkontrollen genau ansieht, wird feststellen, dass die meisten dieser Kontrollen unter der Woche stattfinden. Und daher werden sich, so lobenswert das politische Anliegen der SPD auch ist, unter der gegebenen europäischen Gesetzeslage die Zustände in der Königsberger Straße wohl auch in absehbarer Zeit nicht wirklich ändern, fürchte ich. Dennoch will sich Thiel weiter für die Verbesserungen einsetzen. Im ersten Schritt soll die Stadt Neuss gemeinsam mit der Industrie- und Handelskammer (IHK) Gespräche mit den betroffenen Unternehmen führen und an möglichen Verbesserungen arbeiten. Dann komme ich gerne wieder für einen Ortstermin nach Neuss.
Da sich das BALM diesmal wirklich große Mühe mit den Antworten gegeben hat, setzte ich zwei weitere Punkte zur Information hier noch an, die belegen, warum das Mobilitätspaket ein wirklich stumpfes Schwert ist – denn die Zuständigkeit für wirksame Sanktionen liegt nach wie vor bei den Behörden der Länder, in denen die Lkw zugelassen sind.
- Konnte das BALM klären, ob wenigstens die Fahrer - wenn schon nicht die Lkw - spätestens im Rahmen von vier Wochen an den Standort des Unternehmens oder ihren Wohnort zurückkehren?
Das mit dem Mobilitätspaket eingeführte Rückkehrrecht des Fahrpersonals legt eine Verpflichtung des Verkehrsunternehmers organisatorischer Natur fest. Der Verkehrsunternehmer muss dokumentieren, wie er diese Verpflichtung erfüllt, und hat die betreffenden Unterlagen in seinen Geschäftsräumen aufzubewahren, damit sie auf Verlangen der Kontrollbehörden vorgelegt werden können.
Auf Seiten des Fahrpersonals bestehen keine in den Rechtsvorschriften festgelegten Verpflichtungen. Das Fahrpersonal ist in seiner Entscheidung, zu welchem Ort es zurückkehrt, völlig frei. Es besteht auch die Möglichkeit von Seiten des Fahrpersonals auf eine Rückkehr zu verzichten. Die Einhaltung des Rückkehrrechts des Fahrpersonals ergibt sich demnach aus der Dokumentation der entsprechenden Organisation des Verkehrsunternehmers.
Die Überprüfung der Dokumentation, die in den Geschäftsräumen aufbewahrt werden muss, erfolgt dabei im Rahmen von Betriebskontrollen durch die zuständigen Behörden. Im Rahmen von Verkehrskontrollen diesbezüglich erlangte Informationen übermittelt das BALM an die zuständige Landesbehörde, in deren Bereich das betroffene Verkehrsunternehmen seinen Sitz hat, bzw. über die nationale Kontaktstelle an die Behörden des Niederlassungsmitgliedstaats, in dem das Verkehrsunternehmen ansässig ist.
- Gilt diese Regelung - grundsätzlich gefragt - auch für selbstfahrende Unternehmer?
Die Regelung zum Rückkehrrecht des Fahrpersonals gilt nur für angestelltes Fahrpersonal.
In der Verordnung (EG) Nr. 561/2006 wird nicht definiert, was ein Arbeitsverhältnis kennzeichnet. Trotz des fehlenden Verweises auf das nationale Recht ist dies als Begriff mit einer autonomen Bedeutung zu verstehen, die auf objektiven Faktoren beruht.
Ob eine Person im Lohn- oder Gehaltsverhältnis beschäftigt ist oder nicht, muss nach objektiven Kriterien bestimmt werden, die das Arbeitsverhältnis nach den Rechten und Pflichten der Betroffenen unterscheiden. Das wesentliche Merkmal des Arbeitsverhältnisses besteht darin, dass eine Person während einer bestimmten Zeit für eine andere nach deren Weisung Leistungen erbringt, für die sie als Gegenleistung eine Vergütung erhält.
Auch wenn die Definition des Begriffs „selbstständiger Kraftfahrer“ in der Richtlinie 2002/15/EG als solche im Zusammenhang mit der Verordnung (EG) Nr. 561/2006 nicht anwendbar ist, kann auch diese Definition berücksichtigt werden. Eine Tätigkeit als „selbstständiger Kraftfahrer“ im Sinne dieser Definition ist nicht als Arbeitsverhältnis gemäß Artikel 8 Absatz 8a der Verordnung (EG) Nr. 561/2006 anzusehen.
Echte Selbständige fallen nicht in den Anwendungsbereich von Artikel 8 Absatz 8a der Verordnung (EG) Nr. 561/2006. Allerdings ist eine Person, die lediglich als selbstständig erwerbstätig bezeichnet wird, deren Situation jedoch die Voraussetzungen für ein Beschäftigungsverhältnis mit einer anderen (natürlichen oder juristischen) Person erfüllt, als Arbeitnehmer im Sinne von Artikel 8 Absatz 8a der Verordnung (EG) Nr. 561/2006 anzusehen und fällt somit unter diese Bestimmung.