Die Reaktionen waren durchweg sehr positiv, weil dieses Joint Venture auf einer so einfachen wie überzeugenden Logik und Sicht auf die Zukunft basiert. Inmitten einer führenden Region Europas für Batterie- und Brennstoffzellenforschung in Nachbarschaft zu den wichtigsten Lieferanten an unserem traditionsreichen Magirus Standort in Ulm – der Geburtsstadt Albert Einsteins! – ein neues Lkw-Kapitel aufzuschlagen, musste ich bisher nie lange erst erklären. Hier in Ulm sowie dem FPT Standort in Arbon begann auch schon unsere Pionierarbeit mit der LNG Technologie für schwere Lkw. Ein eingespieltes Team sozusagen.
Natürlich haben wir sehr viele Anfragen, wann es denn losginge und wann man wie bestellen könne. Um die Nachfrage mache ich mir keine Sorgen, da wir das Thema emissionsfreie Laster ganzheitlich angehen angefangen beim Endkunden, der eben diese emissionsfreie Transportleistung erwartet und in seinem CO2-Footprint einpreist und integriert. Und dieses Interesse wächst mit jedem Schritt, den wir in unserer Partnerschaft mit Nikola gehen, weil es auch zeigt, wie ernst es uns damit ist und wie schnell das Ganze läuft. Vergessen Sie nicht, dass wir das Projekt mit Nikola erst im September 2019 verkündet haben.

Aber das Thema ist wie jede neue Technologie wesentlich komplexer als die Markteinführung einer weiteren Chassis- oder Motorenvariante. Die Infrastruktur muss zwingend ebenfalls verfügbar und sicher sein mit industrieweiten Standards, die sich erst in der Erarbeitung finden. Mit dem Green Deal wird das aber sehr zügig gehen. Wir haben da einen großen Vorteil, weil wir das alles schon mit LNG einmal mitgemacht haben. Auch hier war es Iveco, die eine neue Lkw-Technologie mit einer neuen Infrastruktur gemeinsam mit Partnern wie Shell eingeführt hat. Mittlerweile ist das LNG Tankstellennetz auf passablem Niveau und wächst beträchtlich europaweit inklusive Anteilen von Bio-LNG. Die geplante Verlängerung der Mautbefreiung für E- und CNG/LNG-Lkw in Deutschland gibt da jetzt einen Extra-Schub.
Derzeit wird eine große und bereits entkernte Fertigungshalle für die Produktionsanlagen vorbereitet. An genau dieser Stelle endete damals die Lkw-Montage des Stralis in Ulm und hier werden nun knapp zehn Jahre später wieder in Kleinserie modernste Trucks gebaut. Das ist für alle Beteiligten und das weitere Umfeld natürlich auch sehr emotional.
Die Corona Krise ist natürlich nicht hilfreich, wir können aber unter Inkaufnahme geänderter Arbeitszeiten über die gängigen elektronischen Konstruktionstechnologien zügig mit Nikola und unseren Lieferanten weiterarbeiten. Da hilft es uns, dass wir als ein paneuropäischer Konzern diese Art von Zusammenarbeit zwischen mehreren Ländern seit Jahren praktizieren. Virtuelle Zeichenbretter und CAD war eingeführter Stand der Technik, was uns jetzt enorm hilft. Hier hat der Entwicklungsstandort Ulm Expertise und ein eingespieltes Team. So hatten wir auch schon unseren neuen S-Way Schwerlaster entwickelt. Da machen wir einfach weiter. Der straffe Zeitplan steht und wir schauen uns den Fortschritt sehr genau an. Derzeit entstehen auch mehrere Prototypen, mit denen wir dann noch im laufenden Jahr Kilometer machen werden. Qualität und Sicherheit stehen an erster Stelle, ohne deren Absicherung Auslieferungen nicht stattfinden werden. Soweit sind wir im Plan. Als Konzern nutzen wird nun auch die Zeit und Entschleunigung genau, um über das neue Normale nachzudenken, um an strukturellen Themen zu arbeiten und unsere strategischen sowie operativen Prioritäten weiter zu entwickeln.
In Ulm haben wir aktuell keine Lkw-Fertigung. Alle Mitarbeiter, die seinerzeit den Stralis gebaut haben, wurden weiter- oder umqualifiziert und arbeiten in der anspruchsvollen Fertigung des Magirus Brandschutzes. Die Montagelinie für den Nikola TRE entsteht also komplett neu.
Zu dem genannten Kapitaleinsatz gehören neben dem Umbau und der Installation zur Fertigung auch benachbarte Disziplinen, zum Beispiel Prüfstände, die wir in Ulm haben, aber eben noch nicht für diese Technologie. Denken Sie nur an die Evaluierung des Temperaturverhaltens. Ein Fernverkehrstruck ist im Süden Spaniens genauso unterwegs wie im kalten Russland. Da muss das Gesamtsystem in eine Klimakammer, um die Zuverlässigkeit zu garantieren. Der genannte Betrag ist der erste Schritt für den Hochlauf. Weder Platz noch Kapital wird den Ausbau der Kapazitäten in Zukunft beschränken.
Das hatten wir für die jetzt leider abgesagte IAA vorgesehen. Aber wir werden den Nikola TRE mit rechtzeitiger Ansage in einer dem Ereignis würdigen Veranstaltung vorstellen. Mehr kann ich noch nicht sagen. Dann zeigen wir auch das modulare Chassis und finale Design.
Wir fokussieren in der ersten Phase auf Sattelzugmaschinen als 6x2 insbesondere für den amerikanischen Markt sowie die beliebte 4x2 Variante für Europa mit Batteriekapazitäten für Reichweiten von 300 bis 400 Kilometern und einer Leistung von knapp 350 kW in einer elektrischen Achse. Die Brennstoffzelle kommt dann später als Variante für die Langstrecke hinzu mit doppelten Reichweiten. Das ist in den finalen Konfigurationen natürlich von Wirkungsgraden, Einsatzprofilen und Tankdrücken abhängig. Da tut sich noch viel und promovierte Ingenieure aller Hersteller duellieren sich da grade, was ich toll finde. So konnten wir den notwendigen Wettbewerb entfachen, den jede Technologie für den Durchbruch benötigt. Mal kurz richtig nachgedacht: Knapp 50 Prozent der schweren Lkw in Europa sind Sattelzugmaschinen, die 150.000 Kilometer oder mehr pro Jahr fahren und damit zwei bis drei Mal so viel wie im Verteilerverkehr. In der Langstrecke sitzen also die Abgasemissionen in der Menge, auch wenn diese in der Stadt besonders auffallen. Die Sattelzugmaschine gilt es also zu elektrifizieren oder eben – wie wir das heute schon machen – mit LNG und Bio-LNG CO2-neutral darzustellen. LNG wird als Technologie langfristig etabliert bleiben und mit elektrischen Varianten koexistieren.
Natürlich werden wir auch den Verteilerverkehr emissions- oder CO2-neutral darstellen, allerdings fängt da für uns nicht die Reise an. Die Sattelzugmaschine ist im Fahrzeugaufbau mit Abstand das Anspruchsvollste, weil dort wenig Platz ist am Rahmen. Wenn man diese Konfiguration gelöst hat, sind die anderen Varianten relativ einfach, wenn man das Wort einfach in diesem Zusammenhang überhaupt verwenden darf.
Wir durchdenken aktuell diverse Varianten für die verschiedenen Kundengruppen und Einsatzprofile. Hier wird es sicherlich klassische Varianten geben, aber auch Kombinationen. In jedem Fall steht der Endkunde im Zentrum der Logik, das heißt der Kunde der Speditionen mit einem differenzierten Blick auf emissionsfreien, leisen Transport. Wir sehen doch heute schon beim LNG wie insbesondere die Nachfrage der Endkunden dieser Technologie Schub gibt. Wenn Sie mal von allen diskutierten Anschaffungs- und Betriebskosten eines elektrischen mit Wasserstoff betriebenen Lkw jeweils die heutigen oberen Werte nehmen, dem top ausgebildeten Fahrer das Gehalt verdoppeln und die Versicherung verdreifachen, kommen da je nach Transportgut und effizientem Einsatz keine unmöglichen Werte raus. Der Klimawandel erfordert Umdenken auf allen Ebenen, und diese neue Technologie wird sich dann auch rasant standardisieren und in den Kosten sinken. Ganzheitliches Denken ist gefragt.
Der Gesetzgeber ist immer Teil des Teams. Wenn eine Branche wie unsere so festgefahren und investiert ist im Diesel- und Komma-Cent-pro-Kilometer-Denken, dann geht ein Umbruch zur Nachhaltigkeit nur mit durchdachten Anreizen für die Endkunden und einem Planungshorizont über mehrere Jahre. Das ist jüngst mit der in der finalen Verabschiedung befindlichen Verlängerung der Mautbefreiung für CNG und LNG Schwer-Lkw bis Ende 2023 erfolgt.
Wir geben gar nichts auf, im Gegenteil! Jetzt geht es mit LNG auf der Langstrecke erst richtig los und über den geplanten Förderungszeitraum bis Ende 2023 werden auch die Anteile an Bio-Methan europaweit hochgefahren bis hin zu reinen Bio-LNG Tankstellen. Diese CO2-neutrale Technologie wird koexistieren zu den emissionsfreien elektrischen Antrieben mit Batterien und Wasserstoff. Das ist vielleicht so wie damals mit Benzin und Diesel, nur eben in Zukunft mit nachhaltig erzeugtem Strom, Bio-Methan und grünem Wasserstoff. Heute wird übrigens der Großteil des Wasserstoffs aus Methan hergestellt, was für das zügige Hochfahren der Wasserstoffverfügbarkeit im europäischen Netz auch so bleibt. Erst mit dem konsequenten Ausbau nachhaltig erzeugten Stroms erreichen wir das Ziel des sogenannten grünen Wasserstoffs produziert aus Wasser oder auch Bio-Methan.

Wer heute in ein CNG und LNG Netz investiert, legt die Basis für die Weiterentwicklung zum Wasserstoff. Diese chemische Verbindung und Brücke ist nicht nur in Deutschland, sondern auch in Brüssel ganz klar erkannt worden und wird die Basis bilden für den Green Deal. Unsere Kompetenz im Thema LNG war nur einer der Gründe, warum sich Nikola Motor für Iveco entschieden hat als Partner. Vielleicht gerade weil wir heute noch ein kleiner Spieler im Europäischen Schwer-Lkw sind, können wir mit Überzeugung und Handlungsbedarf die richtigen Technologien als Pioniere vorantreiben. Notwendige Transformationen in so mancher Industrie waren oft nicht die Idee des Platzhirsches.
Es gibt Branchen, die noch lange auf den Diesel setzen müssen – der Bau beispielsweise. Und viele vor allem außereuropäische Exportmärkte setzen weiterhin auf den Diesel. Der Diesel ist – das darf man nicht vergessen – eine höchst effiziente und auch saubere und völlig unproblematische Kraftmaschine. Ein weiterer Vorteil ist die weltweit über Jahrzehnte gewachsene Infrastruktur. Diesel können Sie weltweit tanken. Und repariert bekommen Sie die Autos auch überall. Auch wenn wir heute gemeinsam mit FPT an neuen Konzepten für den Diesel arbeiten, so ist LNG für die Langstrecke bereits Realität und der Pfad für den emissionsfreien Transport gelegt.
Absolut. Bis 2025 werden sieben bis neun Prozent der zugelassenen Schwer-Lkw elektrisch angetrieben sein müssen, um die CO2-Reduzierung von minus 15 Prozent zu schaffen – auch mit Blick auf die minus 30 Prozent im Jahr 2030. Wir werden als Hersteller der Nikola TRE-Baureihen den Vorteil dieser Fahrzeuge in Europa voll nutzen. Wir bräuchten also deshalb keine Anrechnung von Bio-Methan Anteilen im LNG, um die Abgasziele zu schaffen. Trotzdem ist das eine sehr sinnvolle Diskussion in Brüssel. Letztlich haben die Rohmaterialien zur Herstellung von Biogas ja bereits CO2 aus der Atmosphäre aufgenommen und gehen mit diesem Vorteil in die Bilanz ein. Das kann im Rahmen einer ganzheitlichen Betrachtung Berücksichtigung finden. Andererseits darf so eine Anrechnung auf keinen Fall dazu führen, dass die Notwendigkeit einer emissionsfreien Logistik ins Stocken gerät. Die Zukunft kommt.
Zur Person
- Gerrit Marx ist seit Januar 2019 als President Commercial & Specialty Vehicles für CNH Industrial tätig. Interimsweise übt er die Funktion des Commercial Director der Marke Iveco aus.
- Vor seinem Eintrit bei CNH Industrial war er seit 2012 bei der europäischen Unternehmensleitung des Finanzinvestors Bain Capital tätig, von 1999 bis 2007 für das Beratungsunternehmen McKinsey.
- Dazwischen war Marx in verantwortlichen Funktionen in der Fahrzeugindustrie tätig: Bei Daimler war er unter anderem fürs Produktcontrolling und für Akquisitionsprojekte in der Lkw-Sparte verantwortlich, ehe er 2009 zum CEO von Daimler Trucks China aufstieg und anschließend President von Skoda China im VW-Konzern wurde.
- Marx hat einen Abschluss in Maschinenbau, einen MBA als Diplomkaufmann der RWTH Aachen und einen Doktortitel in Betriebswirtschaft der Universität Köln.