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DVR-Geschäftsführer über Verantwortung von Unternehmen „Sicherheit zu Firmenkultur machen"

Foto: Thomas Küppers

DVR-Hauptgeschäftsführer Christian Kellner im Redaktionsgespräch über den Nutzen von Assistenzsystemen und mangelnden Kontrolldruck.

Kellner, im September findet eine groß angelegte Aktion zum Thema Verkehrssicherheit statt, was genau ist geplant?

Die Aktion „Sicher mobil leben“ ist die Nachfolgeaktion vom sogenannten Blitzermarathon, der in Deutschland ja immer für Furore gesorgt hat. Sie wird gemeinsam von den Landespolizeien durchgeführt, federführend ist Schleswig-Holstein. Vergangenes Jahr stand das Thema Ablenkung im Fokus und in diesem Jahr sind die Brummis im Blick.

Das heißt, es geht hauptsächlich um den Güterverkehr?

Ja, es geht dabei auch um die Bedingungen, unter denen Berufskraftfahrer unterwegs sind. Es geht um die Sicherheit dieser Personengruppe und auch um die der anderen Verkehrsteilnehmer, die mit ihnen in Berührung kommen. Bei der Aktion ist ebenso das Bundesamt für Güterverkehr, das BAG, beteiligt und auch wir, der Deutsche Verkehrssicherheitsrat, unterstützen die Aktion. An einer Raststätte in Schleswig-Holstein informieren wir zum Beispiel über Müdigkeit und Sekundenschlaf: Was kann getan werden, um diese Unfallursache besser in den Griff zu bekommen? Was kann man den Fahrern raten – aber auch den Disponenten und den Unternehmern. Eine große Rolle spielt auch die Gesundheit von Lkw-Fahrern, die mehrere Tage unterwegs sind und im Krankheitsfall erfahrungsgemäß häufig versuchen, sich mittels Tabletten und ähnlichem fit zu halten. Das ist sicherlich ein Manko.

Welchen Einfluss haben Lenk- und Ruhezeiten auf die Müdigkeit?

Die Lenk- und Ruhezeiten sind zwar vorgeschrieben, aber wir würden uns hier ein bisschen mehr Flexibilität wünschen. Denn auch wenn alle viereinhalb Stunden eine Pause vorgeschrieben ist, sollte die Möglichkeit bestehen sie aufzuteilen, um bei Müdigkeit wenigstens kurz entspannen zu können. Hier könnte der Gesetzgeber Flexibilität ermöglichen.

Dann muss der Fahrer nur noch einen freien Stellplatz finden…

Das ist tatsächlich ein Problem, denn in Deutschland fehlen etwa 50.000 Stellplätze, insgesamt sind bundesweit ungefähr 500.000 deutsche und 300.000 ausländische Lkw unterwegs. Wünschenswert ist auch eine digitale Unterstützung zum Auffinden von Lkw-Stellplätzen, was übrigens schon vom Bundesverkehrsministerium gefördert wird.

Wie können auch Unternehmer ihre Fahrer unterstützen?

Der ungeheure Zeitdruck sowie der Verfall der Versand- und Transportkosten ist wirklich Gift für die Verkehrssicherheit. So ruft manche Sicherheitsbotschaft bei den Unternehmern wirklich nur ein müdes Lächeln hervor. Darüber hinaus ist ja auch der Fahrermangel bekannt. Um den Beruf attraktiver zu machen müssten die Unternehmer ihren Berufskraftfahrern mehr bezahlen und sie besser ausbilden. Wir setzen uns auch für begleitetes Fahren von jungen Berufsanfängern ein, um mehr Fahrpraxis zu ermöglichen und den Verkehr dadurch sicherer zu machen.

Wie viele Lkw-Unfälle gibt es denn jährlich und was sind die Hauptursachen?

Mehr als 20.000 Unfälle mit Personenschaden wurden 2018 durch Lkw-Fahrer verschuldet, Hauptunfallursache war mangelnder Abstand. Insgesamt wurden in Deutschland im vergangenen Jahr 3.275 Personen bei Unfällen getötet, bei rund 520 Verkehrstoten war ein Lkw am Unfall beteiligt. Die Hauptunfallursache hier: nicht angepasste Geschwindigkeit. Am stärksten nimmt die Zahl der Verkehrstoten bei ungeschützten Verkehrsteilnehmern zu, etwa von Radfahrern und Motorradfahrern. Rechtsabbiegeunfälle mit Lkw haben hier nur einen geringen Anteil. Aber weil sie oft sehr schwer sind, sind diese Unfälle sehr spektakulär.

Was lässt sich dagegen unternehmen?

„Protected Intersections“ wären ein Königsweg, um die Verkehrsteilnehmer räumlich zu trennen und so Unfälle zu vermeiden. In den Niederlanden gibt es diese bereits. Aber für eine solche Trennung wird Platz benötigt, deshalb ist es schwierig und komplex, sie umzusetzen. Aber mit der im Koalitionsvertrag festgeschriebenen Vision Zero, also der Vision, die Zahl der Verkehrstoten auf Null zu reduzieren, muss man auch solche Fragen angehen. Im Prinzip müsste der fließende Verkehr – einschließlich Fußgänger – immer Vorrang haben.

Eignen sich Abbiegeassistenten tatsächlich, um Unfälle beim Rechtsabbiegen zu vermeiden?

Sobald Abbiegeassistenten europaweit Pflicht sind, wird es eine spürbare Erleichterung geben. Viele Hersteller von Nachrüstsystemen haben sich ja schon an der Aktion des Bundesverkehrsministeriums beteiligt. Wir könnten uns aber noch viel mehr sinnvolle Maßnahmen vorstellen, wie zum Beispiel eine Verlängerung des Beifahrerfensters nach unten, um die Sicht auf Radfahrer und Fußgänger zu verbessern. Doch das hat sich außer im Entsorgungsbereich noch nicht in der Branche durchsetzen können.

Welchen Sinn machen Assistenzsysteme insgesamt, um Unfälle zu vermeiden?

Um etwa Unfälle durch Ablenkung oder Müdigkeit zu verhindern, sind vor allem Spurverlassenswarner, Tempomat und Notbremsassistent wichtig. Was wir uns von den Unternehmern wünschen, ist, dass sie Sicherheit zur Firmenkultur machen und mit ihren Fahrern vereinbaren, dass diese Geräte absolut nicht abgeschaltet werden dürfen – auch wenn der Fahrer über den Warnton klagt. In der geplanten StVO-Veränderung ist übrigens vorgesehen, dass Notbremsassistenzsysteme ab einer Geschwindigkeit von 30 km/h nicht mehr abgeschaltet werden können. Das begrüßt der DVR.

Welche anderen Möglichkeiten haben Unternehmen denn noch, um ihre Fahrer zu sensibilisieren?

Aufklärung ist sehr wichtig, regelmäßige Unterweisungen sind ja im Berufskraftfahrer-Qualifikations-Gesetz vorgeschrieben, jährlich sieben Stunden. Erfahrungsgemäß machen Firmen das in sehr unterschiedlicher Qualität. Eine gute Fahrerausbildung in punkto Sicherheit lässt sich auch für die Werbung und für die Versicherung positiv nutzen.

Wie steht es um das Thema Ablenkung durch Handynutzung am Steuer? Welche Tipps gibt es für Unternehmer?

Das ist tatsächlich ein sehr großes Thema. Ideal wäre, dass Unternehmen sich betriebsintern dazu verpflichten, ihre Fahrer nicht anzurufen, wenn sie unterwegs sind. Das Handy sollte ausgeschaltet sein, Tourveränderungen könnten Fahrer dann bei der Pause in ihren Nachrichten sehen. Der Disponent hat hier natürlich ein ganz anderes Interesse und der Fahrer meist auch. Da ist es schwierig, Gehör zu finden.

Sollten nach festgestellten Verstößen gegen das Handynutzungsverbot nicht auch Unternehmer in die Pflicht genommen werden?

Das ist in Deutschland schwierig, doch woran es mangelt ist: Es wird zu wenig überwacht. Und alle Regeln, die nicht regelmäßig überwacht werden, sind nur zu einem gewissen Maße wirksam. Diesen Appell müsste man an die Länder richten, an die Innenministerien und an die Polizei. Der mangelnde Kontrolldruck ist sicher einer der Gründe, weshalb die Zahl der Verkehrstoten bereits seit fünf Jahren auf einem Plateau ist. Das selbe Problem haben aber auch andere europäische Länder, die seither eine bessere Performance hatten als Deutschland. Gelockert haben sie den Kontrolldruck, entweder weil innenpolitisch andere Themen Vorrang hatten, aus Sorge vor Terroranschlägen, oder es wurde einfach gespart.

Wird die Aktion im September auch auf das Thema Alkohol eingehen?

Der Anteil der Unfälle, deren Ursache Alkohol ist, ist besonders bei den Lkw-Fahrern zurückgegangen. Es scheint sich durchzusetzen, dass Fahren mit Alkohol kein Kavaliersdelikt ist. Aber bei Kontrollen auf Rastplätzen lässt sich feststellen, dass viele Fahrer Restalkohol im Blut haben. Zu einem gewissen Grad ist es verständlich, wenn Fahrer, die nur einen lauten Stellplatz gefunden haben und bis zu vier Wochen fern der Heimat unterwegs sind, am Wochenende gerne mit Kollegen auf dem Parkplatz ein Bierchen trinken. Doch sie sind sich nicht über die Gefahr durch Restalkohol im Klaren. Das haben Polizeikontrollen, beispielsweise in Hessen, ergeben. In Bezug auf andere Drogen ist auch zu vermuten, dass etliche Fahrer etwas einwerfen, um länger wach bleiben zu können. Doch da sind die Überwachungsdaten noch relativ gering.

Was hält der DVR von Alkohol-Interlocks?

Es gibt bisher nur wenige Unternehmen, die solche Systeme einbauen lassen. Doch wir würden uns sehr wünschen, dass ein Alkohol-Interlock vor allem bei Transporten mit Gefahrgut oder bei Reisebussen vorgeschriebener Standard wird. Auch wer noch Restalkohol im Blut hat, könnte dann einfach nicht mehr fahren – das wird so schon in Schweden praktiziert. Im Koalitionsvertrag sind Alkohol-Interlocks expressis verbis genannt, und so hoffen wir, dass wir noch in dieser Legislaturperiode etwas über dieses Thema hören.

Welche Rolle bei der Verkehrssicherheit spielt die Ladungssicherung?

Auch dieses Thema wird bei der Aktion im September beleuchtet. Der DVR hat mehr als 100 Trainer, die deutschlandweit zu diesem Thema Kurse anbieten. Unternehmer müssen gar nicht alle Weiterbildungen selbst durchführen. Wenn die Trainer Fahrer probehalber packen lassen, sind sie oft überrascht. Denn wie gut die Ladungssicherung ist, hängt zum einen davon ab, welches Material dafür vorhanden ist und zum anderen davon, wie viel Zeit man sich dafür nimmt. Meist nimmt auch nicht der Fahrer selbst die Ladungssicherung vor, sondern jemand aus dem Lager des Versenders. Natürlich arbeiten wir in diesem Bereich sehr intensiv mit der Berufsgenossenschaft Verkehr zusammen.

Und wie steht es um die Sicherheit beim aktuellen Thema Platooning?

Insgesamt steht der DVR hinter allem, was Fahrer entlastet und die Verkehrssicherheit verbessert. Verkehrssicherheit profitiert häufig von technischer Innovation. Bei Platooning könnten sich theoretisch zwei von drei Fahrern entspannen – doch auch die hinteren Fahrer sind gleichermaßen verantwortlich, müssen also aufmerksam sein. Aber Platooning wirkt sich auch auf andere Verkehrsteilnehmer aus, beispielsweise wenn der Lkw aus Sicht eines Pkw-Fahrers nicht endet, etwa wenn er überholen oder von der Autobahn abfahren will. Gerade ältere und alte Verkehrsteilnehmer könnten damit ein Problem bekommen. In punkto Verkehrssicherheit ist Platooning jedenfalls kein Gewinn. Es müssten infrastrukturelle Entscheidungen getroffen werden, etwa Auf- und Abfahrten anders zu planen.

Gilt das auch für autonomes Fahren?

Das ist ein ganz anderes Thema: Wenn Menschen künftig deutlich weniger am Verkehr beteiligt wären, die Themen Datenschutz und Haftung eindeutig geklärt sind, erwarten wir vom automatisierten Fahren Verbesserung in der Verkehrssicherheit.

Foto: Thomas Küppers
Christian Kellner erläutert, was Unternehmen in punkto Sicherheit im Güterverkehr tun können.

Zur Person

Seit 2004 ist Christian Kellner Hauptgeschäftsführer des Deutschen Verkehrssicherheitsrates in Bonn und Berlin.

Von 1983 bis 1993 leitete er beim DVR das Referat Betriebliche Verkehrssicherheitsarbeit und später die Abteilung Verkehrserziehung und -aufklärung, anschließend machte er sich selbstständig.

Kellner studierte Diplom-Pädagogik mit den Schwerpunkten Erwachsenenbildung und Medienpädagogik in Bonn und Köln.

Download Verkehrsunfälle 2018 durch Fehlverhalten von Lkw-Fahrern (PDF, 0,02 MByte) Kostenlos
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