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Aktuelle Urteile zum Mindestlohn Richtungsstreit der Gerichte

Foto: Mario P. Rodrigues

Die Anwendung des Mindestlohns ist in der Transportbranche immer noch mit vielen Fragezeichen verbunden. Aktuelle Urteile befassen sich daher mit der Frage, ob der deutsche Mindestlohn europarechtlich konform ist.

Der Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL) setzt sich weiter für den Mindestlohn auf internationalen Fahrten ein. „Wir haben unseren Standpunkt, und wir fallen nicht um“, betont Hauptgeschäftsführer Prof. Dirk Engelhardt im Interview in der vergangenen trans aktuell-Ausgabe. Dass das Thema Mindestlohn in der Transportbranche noch nicht abgeschlossen ist, zeigen auch aktuelle Gerichtsurteile.

Entscheidung des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg

Über das Thema hatte das Finanzgericht Berlin-Brandenburg in einem Beschluss vom 7. Februar dieses Jahres entschieden (Az.: 1 V 1175/17). Als Kläger trat ein polnisches Unternehmen auf, das wegen einer Prüfungsverfügung gegen die Zollbehörden klagte. Es hatte auf einem dafür vorgesehenen Formblatt eine Einsatzplanung für seine Mitarbeiter an die Generalzolldirektion geschickt, obwohl die Fahrer angeblich lediglich im Transitverkehr eingesetzt wurden. Das Berliner Gericht entschied zugunsten des Klägers: Es bestünden „ernstliche Zweifel, ob § 20 MiLoG auf die Antragstellerin, ein im EU-Ausland ansässiges Unternehmen der Transport- und Logistikbranche ohne Niederlassung in der Bundesrepublik, und ihre Arbeitnehmer Anwendung“ finde, so ein Satz aus dem Urteil.

Amtsgericht Weißenburg für Dienstleistungsfreiheit

Weniger Zweifel ließ das Amtsgericht Weißenburg bei seiner Entscheidung verspüren (Urteil vom 11. August 2017, Az.: 1 C 435/ 16). Auch hier klagte ein polnisches Transportunternehmen, diesmal aber gegen den deutschen Auftraggeber: Der hatte, nachdem der Frachtführer nicht wie im Transportauftrag gefordert einen Nachweis über die Zahlung des Mindestlohns erbrachte, die Fracht der Kabotagefahrt einbehalten. Die Leitsätze der Richter aus Bayern: Das Mindestlohngesetz (MiLoG) verstoße gegen die Dienstleistungsfreiheit und gegen das Verhältnismäßigkeitserfordernis. Und: Der Schutzzweck des MiLoG sei bei kurzfristigen Tätigkeiten eines im Ausland ansässigen Arbeitnehmers nicht erforderlich.

Ganz anders lautete die Entscheidung des Finanzgerichts Baden-Württemberg, das sich nach eigenen Angaben auch mit europarechtlichen Fragen auseinandergesetzt hat. Am 22. August entschied das Finanzgericht, dass das MiLoG auch auf ausländische Transportunternehmen und ihre lediglich kurzzeitig in Deutschland eingesetzten Fahrer anzuwenden sei. In zwei ähnlichen Fällen hatten sich ausländische Transportunternehmen gegen die Prüfungsverfügung des Hauptzollamtes Stuttgart gewandt. In einem Fall war bei einer Kontrolle gegen Schwarzarbeit vor einem Werk ein Fahrer eines slowakischen Transportunternehmens aufgefallen, der angab, einen Monatslohn von 700 Euro zu beziehen und an zwei bis drei Tagen in der Woche jeweils acht bis neun Stunden zu arbeiten. Etwa ein- bis zweimal pro Monat liefere er Waren bei dem Werk an. Das Hauptzollamt erließ daraufhin eine Prüfungsverfügung und eine Aufklärungsanordnung an den slowakischen Arbeitgeber, der dagegen Klage einreichte.

Finanzgericht Baden-Württemberg lässt Revision zu

In seinen Urteilsbegründungen hat das Finanzgericht Baden-Württemberg die Rechtmäßigkeit der Mindestlohnprüfungen der Zollverwaltung im internationalen Verkehrssektor bestätigt. Die Klägerin habe zwar keine Kabotagetransporte, wohl aber grenzüberschreitende Transporte nach und aus Deutschland mit Be- oder Entladung des Fahrzeugs im Inland durchgeführt. Die Verpflichtung, ihren im Inland beschäftigten Arbeitnehmern den Mindestlohn zu zahlen, bestehe für Arbeitgeber mit Sitz im In- oder Ausland in gleicher Weise. Die Revision wurde zugelassen.

„Vor allem mit dem Urteil des Finanzgerichts Baden-Württemberg muss man sich befassen, weil es sehr sauber begründet ist“, sagt Rechtsanwältin Elisabeth Schwartländer-Brand vom Arbeitgeberverband Spedition und Logistik Baden-Württemberg (AVSL). Folge man der Begründung, könne man sich vorstellen, in welche Richtung die Auslegung des vor allem kritisierten § 20 MiLoG gehe: Mindestlohn bei grenzüberschreitenden Transporten – bei Kabotage ja, bei Transit nein.

„Noch gibt es nur erst- oder zweitinstanzliche Urteile zum Mindestlohn. Erst wenn es eine Entscheidung von höherer Instanz – beispielsweise dem Bundesfinanzhof oder dem Europäischen Gerichtshof – gibt, besteht Rechtssicherheit. Für die Transportbranche ist das politisch nicht optimal“. Denn bis dahin, so die Rechtsexpertin, müssen weiter die Speditionen und Frachtführer die Folgen des unsauber formulierten Gesetzes ausbaden.

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