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Nach Unfall im Gotthard-Tunnel Wichtigste Güterachse beeinträchtigt

Foto: SBB, Montage: Monika Haug

Der Zugbetrieb durch den Gotthard-Tunnel wird über Monate hinweg nur mit Einschränkungen möglich sein. Worauf sich Spediteure in den nächsten Monaten konkret einstellen müssen.

Der Schaden ist größer als zunächst gedacht: Nach der Havarie eines Güterzugs im Gotthard-Basistunnel wird der mit 57 Kilometer Länge weltweit längste Eisenbahntunnel über Monate hinweg nur eingeschränkt befahrbar sein. Der Betreiber SBB Infrastruktur geht davon aus, dass voraussichtlich erst Anfang 2024 beide Tunnelröhren wieder für den Bahnverkehr zur Verfügung stehen – und auch das offenbar nur eingeschränkt.

Die wichtigste europäische Nord-Süd-Achse Rotterdam–Genua wird damit zum Nadelöhr. Allein durch den Gotthard-Basistunnel rollen täglich 260 Güterzüge. Es ist davon auszugehen, dass Speditionen mangels Alternativen Verkehre von der Schiene auf die Straße zurück verlagern – temporär oder möglicherweise dauerhaft.

Ab 23. August wieder Güterzüge durch Oströhre

Priorität hat für die SBB-Verantwortlichen nun, dass die unbeschädigte Oströhre schnell wieder für den Güterverkehr zur Verfügung steht. Voraussichtlich ab dem 23. August soll er wieder durch die Röhre rollen können, wie das Unternehmen am Mittwoch mitteilte. Der Personenverkehr werde bis auf Weiteres über die Panoramastrecke umgeleitet, die für den internationalen Güterverkehr aber ungeeignet ist – auch wegen des fehlenden Vier-Meter-Profils für Megatrailer. Über diese Bergstrecke werde SBB Cargo auch das Gros des schweizerischen Binnengüterverkehrs abwickeln, hieß es. Dazu gehörten die Expresszüge im Wagenladungsverkehr über Nacht und ein Großteil der Tagesverbindungen. Zwischen 23 und 5 Uhr steht dem Güterverkehr demnach die volle Kapazität der Ausweichstrecke zur Verfügung, am Tag nur eine Trasse pro Stunde und Richtung.

Der kombinierte Transitverkehr nutzt derweil die Ausweichstrecke durch den Lötschberg-Tunnel. Die Güterbahn SBB Cargo wickelt über diese Achse nach eigenen Angaben derzeit 30 Prozent ihres Volumens ab. Die Kapazitäten am Lötschberg sind jedoch ebenfalls beschränkt: Aktuell ist durch die Röhren nur ein zusätzlicher Zug pro Richtung möglich; denn noch sind nicht beide Röhren vollständig ausgebaut. Erschwerend hinzu kommt, dass auch an der Brenner-Achse aktuell Bauarbeiten stattfinden, die aber am 23. August abgeschlossen sein sollen.

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Ehe ebenfalls voraussichtlich am 23. August wieder Züge durch die unbeschädigte Oströhre des Gotthard-Basistunnels rollen können, muss ein stark beschädigtes, fest installiertes Spurwechseltor provisorisch durch ein mobiles Tor ersetzt werden. Das Tor ist wegen des Brandschutzes erforderlich und garantiert eine getrennte Luftzirkulation in den beiden Tunnelröhren. Der Schaden in der Weströhre ist dagegen immens: Zwar hätten die Untersuchungsbehörden die Unfallstelle freigegeben. Doch es gilt, 16 entgleiste und teils schwer beschädigte Güterwagen zu bergen und umfangreiche Reparaturen an der Infrastruktur vorzunehmen. „Insgesamt müssen rund acht Kilometer Gleise und 20.000 Betonschwellen ersetzt werden“, teilt die SBB mit und erklärt, es werde Monate dauern, bis alle Teile der beschädigten Bahnanlagen ersetzt sind.

Der Unfall hatte sich am 10. August ereignet. Der Güterzug bestand nach SBB-Angaben aus 30 Güterwagen aus fünf Abgangsorten in Italien. Die Waggons seien bei der Ankunft in Chiasso kontrolliert worden. Dabei seien keine Unregelmäßigkeiten festgestellt worden. Ein entgegenkommender Lokführer habe im Südtessin Rauch am späteren Unfallzug wahrgenommen und gemeldet. Den genauen Unfallhergang wollen nun die Schweizerische Sicherheitsuntersuchungsstelle (SUST) und die Staatsanwaltschaft des Kantons Tessin klären.

VAP: Brüche an Radscheiben sehr selten

Der Verband der verladenden Wirtschaft (VAP) in der Schweiz verweist auf Äußerungen der SUST, wonach ein Radscheibenbruch an einem der Wagen die Havarie herbeigeführt haben kann. „Brüche an Radscheiben treten sehr selten auf. In diesem Fall sind sowohl ein äußerer Einfluss als auch eine Materialermüdung möglich“, teilt der Verband mit. Bruchschäden an betriebskritischen Teilen wie Schienen oder Radscheiben seien äußerst schwierig vorhersehbar und hätten vielfältige Ursachen. „Deren präventive Instandhaltung mit regelmäßigen Kontrollen ist Standard, kann aber an ihre Grenzen stoßen.“ In der Schweiz seien flächendeckend Zug- und Wagenkontrollen durch Güterbahnen und die Infrastrukturbetreiber sowie Kontrollen durch mehr als 250 Zugkontrolleinrichtungen fest etabliert.

Die SBB selbst zeigten sich von dem Unfall sehr betroffen. „Der Gotthard-Basistunnel gehört zu den sichersten der Welt. Dass trotzdem ein Unfall geschehen konnte, trifft uns sehr“, erklärte SBB-Vorstandschef Vincent Ducrot. Zum Glück habe es keine Verletzten gegeben. Die eingesetzten Teams setzten nun alles daran, dass so schnell wie möglich wieder ein sicherer Bahnbetrieb durch den Gotthard-Basistunnel möglich ist.

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