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Reinhard Meyer im Gespräch Kein Freund der Maut

Reinhard Meyer, Vorsitzender der Verkehrsministerkonferenz 2013 Foto: Matthias Rathmann

Einmal von Kiel nach Neumünster – trans aktuell hat sich mit Schleswig-Holsteins Verkehrsminister Reinhard Meyer (SPD) auf Tour begeben. Der neue Vorsitzende der Verkehrsministerkonferenz warnt davor, die Verkehrswege in Deutschland zu vernachlässigen und fordert ein Umdenken bei der Finanzierung der Infrastruktur.

Es muss nicht immer das Ministerbüro sein. Ein Interview lässt sich genauso gut in einer Fahrgastzelle führen. Auf der Fahrt von Kiel nach Neumünster stellt sich Schleswig-Holsteins Wirtschafts- und Verkehrsminister Reinhard Meyer (SPD) den Fragen von trans aktuell-Redakteur Matthias Rathmann. Meyer leitet seit diesem Jahr die Verkehrsministerkonferenz. Während die Winterlandschaft an der Dienstlimousine vorbei zieht, erläutert der Politiker, was er sich mit Blick auf die Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur, den Feldversuch mit Lang-Lkw und alternative Antriebe alles vorgenommen hat.

trans aktuell: Herr Minister, wohin fahren wir?

Meyer: Wir fahren zu einem  Unternehmen nach Neumünster, das sich für eine Ansiedlung in Schleswig-Holstein interessiert. Der Termin hat sich kurzfristig ergeben, es gab ein vorheriges Telefonat. Unsere Wirtschaftsfördergesellschaft ist bereits vor Ort.

Sie gehören einer Landesregierung an, die bei ihrer Gründung auf großes Interesse stieß. Wie fühlt man sich als Teil einer Dänen-Ampel – also einem Bündnis aus SPD, Grünen und Südschleswigschem Wählerverband (SSW)?

Ich mache in dieser Koalition sehr gute Erfahrungen. Es ist ein sehr pragmatischer und vertrauensvoller Umgang miteinander. Das ist sehr wichtig, weil das Miteinander von drei Parteien – unabhängig von der Konstellation – per se nicht ganz einfach ist.

Sie sind seit sieben Monaten im Amt und im Ministerium zuständig für Wirtschaft, Arbeit, Verkehr und Technologie. Wie fällt Ihre Zwischenbilanz aus?

Es ist eine gute Bilanz, ich hatte in der Zeit mit vielen spannenden Themen zu tun. Bedingt durch die Koalitionsvereinbarung und entsprechende Formulierungen bin ich mir im ersten halben Jahr allerdings vorgekommen, als wäre ich nur Verkehrsminister.

Ist das ein Seitenhieb in Richtung der Koalitionspartner?

Es gab gewisse Unstimmigkeiten bei großen Infrastruktur-Themen. Ich mache kein Geheimnis daraus, dass wir zwischen SPD und SSW hier eine große Übereinstimmung hatten, die Grünen teilweise aber anderer Ansicht waren. Wir gehen aber fair miteinander um und finden immer eine Lösung. Ich denke, dass dies im ersten halben Jahr gut gelungen ist.

Können Sie Beispiele nennen?

Stichwort: A 20. Stichwort: Fehmarnbelt-Querung. Stichwort: ÖPNV-Projekte.

Und Stichwort Elbtunnel: Wann gibt es für die staugeplagten Tunnelnutzer eine Entlastung?

Ab 2014 wird die A 7 zwischen dem Bordesholmer Dreieck und der Hamburger Landesgrenze auf sechs Spuren ausgebaut. Das ist ein ehrgeiziges Projekt, das aber Auswirkungen auf den Verkehrsfluss auf der A 7 hat. Wenn wir fertig sind, ist Hamburg dran. Dort geht es um den Hamburger Deckel, also den Ausbau der A 7 nördlich des Elbtunnels auf zum Teil acht Spuren. Was wir erst seit kurzem wissen: Auch die A 7 südlich des Elbtunnels ist erneuerungsbedürftig, konkret die Stelzenkonstruktion bei Waltershof. Damit steht zu befürchten, dass die A 7 nördlich und südlich des Elbtunnels bis 2030 Baustelle sein kann.

Also winkt die Entlastung erst sehr langfristig?

Deswegen müssen wir mit Nachdruck das Projekt A 20, die westliche Elbquerung, angehen. Wir brauchen es dringend auch zur Entlastung von Hamburg. Es hat sich gezeigt, dass die Verkehre nicht nur in Richtung Süden auf die A 7 gehen, sondern zum großen Teil auch auf die A 1 nach Nordrhein-Westfalen.

Die erwähnten Projekte betreffen fast alle Küstenländer, also braucht es zunehmend einen länderübergreifenden Konsens der Verkehrsminister. Sehen Sie darin Ihre große
Herausforderung als neuer Vorsitzender der Verkehrsministerkonferenz?

Die Verkehrsminister der Länder müssen an einem Strang ziehen – schon allein wegen der großen Probleme bei der Infrastruktur-Finanzierung in Deutschland. Wobei ich hervorhebe, dass auch die Kritiker gehört werden müssen. Denn die Einigkeit ist sehr wichtig, aber oft erst als Folge von vernünftigen Kompromissen möglich. Zu Wort melden sollten wir uns erst dann, wenn wir diese gemeinsamen Positionen erzielt haben, dann sind wir stärker.

Welches sind die wichtigsten Themen, die Sie in den nächsten beiden Jahren als Vorsitzender der Verkehrsministerkonferenz begleiten werden?

Das alles überlagernde Thema ist die Verkehrsinfrastruktur-Finanzierung. Bund und Länder reden zurzeit über Entflechtungsmittel für die kommunale Verkehrsinfrastruktur. Dann beschäftigt uns das Auslaufen der Regionalisierungsmittel für den Schienenpersonenverkehr und des Gemeindeverkehrs-Finanzierungsgesetzes im Jahr 2019. Dazu kommt ab 2015 ein neuer Bundesverkehrswegeplan, den es finanziell zu untersetzen gilt. Das alles zusammen kommt nun auf uns zu.

Wie wirken in dem Zusammenhang die 750 Millionen Euro, die Ihr Bundeskollege Ramsauer zusätzlich zur Finanzierung der Infrastruktur erhalten hat?

Mit den 750 Millionen Euro kann man vieles bewegen, das will ich gar nicht klein reden. Trotzdem: Es ist angesichts der Vielzahl der Probleme nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Das Geld reicht nur für eine Beschleunigung einiger Projekte. Es löst nicht das Grundproblem der Verkehrsinfrastruktur-Finanzierung.

Sehen Sie dahinter ein strukturelles Problem?

Es gibt eine Verkehrsinfrastruktur-Finanzierungskommission mit Karl-Heinz Daehre an der Spitze. Sie hat am 19. Dezember ihren Bericht vorgelegt, in dem an vielen Stellen die Worte Maut und Nutzerfinanzierung auftauchen. Das zeigt, in welche Richtung die Debatte künftig geführt werden wird.

Sind Sie selbst ein Freund der Maut?

Überhaupt nicht. Man kann noch so viele Mautmodelle ausschreiben, ohne dass das Grundproblem gelöst würde. Es geht darum, dass das, was eingenommen wird, auch zu 100 Prozent der Verkehrsinfrastruktur wieder zugute kommt. Das ist der entscheidende Punkt. Im Übrigen haben wir in Deutschland kein Aufkommens-, sondern ein Verteilungsproblem.

Können Sie das mit Zahlen untermauern?

Nehmen Sie nur die Mineralölsteuer, die uns mehr als 50 Milliarden Euro im Jahr beschert. Sie war mit dem Argument eingeführt worden, auch zur Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur beizutragen. Tatsächlich erhalten wir nur einen Bruchteil davon. Vergleichbar ist das mit dem Solidarzuschlag, der heute nicht mehr überwiegend für den Aufbau Ost, sondern für den allgemeinen Haushalt genutzt wird. Es wird Aufgabe der Verkehrsminister sein, eine gesellschaftliche Debatte darüber zu führen, wie wichtig die Infrastruktur ist. Wir sind anerkannt in der Welt als Standort Deutschland. Doch wenn wir unsere Infrastruktur verkommen lassen, wird dieses Bild bröckeln.

Sie sagten, Sie seien kein Freund der Maut. Trotzdem werden Sie sich wahrscheinlich mit ihr beschäftigen müssen. Konkret geht es um die Frage, ob die Bundesregierung den Mautbetreiber Toll Collect übernehmen soll.

Das würde ich befürworten. Denn die Lkw-Maut ist ja nicht dazu da, um die Rendite bei Toll Collect nach oben zu treiben. Ziel der Lkw-Maut muss es doch sein, dass die Einnahmen wieder der Verkehrsinfrastruktur zugute kommen. Das ist bislang nicht 1:1 der Fall. Damit steht und fällt aber die Akzeptanz einer solchen Abgabe.

Trauen Sie dem Bund zu, dass er die Lkw-Maut wirtschaftlicher betreiben kann als Toll Collect?

Ja, das denke ich.

Für wenig Akzeptanz sorgen bei Bevölkerung und Transporteuren auch die hohen Dieselpreise. Die Verkehrsminister haben sich für eine Benzinpreisbremse und mehr Transparenz ausgesprochen. Viel getan hat sich aber nicht. Wie kommt 's?

Die hohen Preise und Preissprünge sind für viele ein großes Ärgernis. Mehr Transparenz ist dringend erforderlich. Doch es ist eine Illusion zu glauben, dass über einen mittelfristigen Zeitraum die Benzinpreise sinken werden. Wir werden uns aufgrund der beschränkten Ressourcen darauf einstellen müssen, dass sie eine gewisse Höhe haben. Also muss es uns gelingen, über alternative Technologien einen günstigeren Verbrauch zu erzielen. Die deutschen Autobauer haben hier leider vieles verschlafen.

Harsche Kritik an der hiesigen Autoindustrie …

Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Wir haben im Kreis Pinneberg im Rahmen eines Modellprojekts einen rein elektrisch betriebenen Omnibus im Linienbetrieb fahren. Er wird über einen Zeitraum von einem dreiviertel Jahr getestet. Das Modell basiert leider nicht auf deutscher, sondern auf chinesischer Technologie. Das Problem: In Deutschland strebt man einen immer höheren Standard an, der aber von der Kostenseite her weder für die Massenanwendung noch für eine Amortisation von drei bis fünf Jahren geeignet ist.

Sind Sie wirklich der Ansicht, dass die Chinesen den Deutschen bei der E-Mobilität voraus sind?

Ich glaube schon, dass die Deutschen den Chinesen technologisch voraus sind. Es gilt aber aufzupassen, dass die Chinesen nicht einen wichtigen Schritt mit einer Zwischentechnologie machen, die weniger anspruchsvoll, aber anwendungsreif ist. Diesen Schritt können wir im Moment mit deutscher Technologie noch nicht tun.

Ein Beitrag in Richtung Nachhaltigkeit ist auch der Lang-Lkw. Trotzdem haben Sie gegen das Projekt geklagt. Warum?

Wir haben in unserer Koalitionsvereinbarung stehen, dass es keine Genehmigungen in Schleswig-Holstein geben wird. Nun ist das in der Umsetzung nicht ganz einfach, weil auch der Bund ein Wörtchen mitzureden hat. Das Thema ist politisch falsch angefasst worden. Falsch war es, das Ganze am Bundesrat und am Dialog mit den Ländern vorbei umzusetzen. Daher sagen wir allein aus Kompetenzgründen: Wir gehen zusammen mit Baden-Württemberg vor das Bundesverfassungsgericht und lassen das Projekt prüfen. Das ist kein Statement inhaltlicher Art, sondern eine Frage der Bund-Länder-Beziehung.

Geben Sie trotzdem ein Statement inhaltlicher Art ab?

Fakt ist, dass sich alle mit dem Projekt schwer tun – was ja die Zahl von insgesamt
36 Lkw-Kombinationen zum Jahresende zeigt. Mit Henning Voigt, dem Geschäftsführer von Voigt Logistik aus Neumünster, habe ich mich lange zu dem Thema ausgetauscht. Wir sind uns darin einig, dass man das Thema von Anfang an falsch angefasst hat. Wir haben es nicht transparent genug gestaltet und nicht über Pro und Contra informiert. Man muss zum Vergleich nur mal schauen, mit welcher Entspanntheit in Dänemark damit umgegangen wird.

Wie gehen Sie also konkret in Schleswig-Holstein in Zukunft mit dem Lang-Lkw um?

Wir nehmen keine Genehmigung zurück, sondern sagen: Wer bislang fährt, darf auch weiter fahren.

Das heißt, das Einverständnis der Länder vorausgesetzt, hätten Sie keine Bedenken, diese
Fahrzeuge auf gewissen Straßenabschnitten zu erlauben?

Ich persönlich nicht. Aber ich bin durch die Koalitionsvereinbarung gebunden. Und ich glaube auch nicht, dass uns eine Diskussion um »hätte«, »wäre« oder »könnte« weiterbringt. Es ist nun mal anders gelaufen. Ich denke, man sollte sich auf andere spannende Verkehrsprojekte konzentrieren.

Nämlich?

Weil wir ja gerade auf der A 7 in Richtung Neumünster unterwegs sind: Ich begrüße es sehr, dass man die Idee von einem Terminal für den Kombinierten Verkehr und damit der Anbindung von Lkw-Verkehren an die Schiene verfolgt. Neumünster ist ein guter Umschlagplatz. Verkehre von Skandinavien könnten auf die Schiene umgeleitet werden und damit zum Beispiel weiter fahren ins Ruhrgebiet. Solche Modelle brauchen wir für die Zukunft. Auch das ist eine Antwort auf die Frage nach der Überlastung des Elb-
tunnels.


 


 

Zur Person

Reinhard Meyer ist seit 12. Juni 2012 Minister für Wirtschaft, Arbeit, Verkehr und Technologie des Landes Schleswig-Holstein. Der Sozialdemokrat gehört der von seinem Parteifreund Torsten Albig geleiteten Dänen-Ampel aus SPD, Grünen und Südschleswigschem Wählerverband (SSW) an. Der 53-Jährige war zuvor jahrelang in unterschiedlichen Funktionen bei Behörden beziehungsweise den Sozialdemokraten in Mecklenburg-Vorpommern tätig, zuletzt als Staatssekretär im dortigen Wirtschaftsministerium und als Chef der Staatskanzlei Mecklenburg-Vorpommern. Meyer war nach dem Abitur zwei Jahre bei der Bundeswehr und studierte Politikwissenschaften an der TU Braunschweig sowie der Uni Hamburg.

Dienstfahrt

Mit dem Minister auf Tour – die Dienstfahrt in Kürze:
Fahrzeug: Audi A 8
Abfahrtsort: Wirtschaftsministerium in Kiel
Ziel: Logistik-Innovationszentrum (Log-In) in Neumünster
Entfernung: 39,6 Kilometer
Strecke: überwiegend auf A 215 und A 7
Reisezeit: 29 Minuten.

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