Razzia bei der Jost Gruppe Ein spektakulärer Fall

Foto: Jost 3 Bilder

Die Razzia bei der Jost Gruppe war längst überfällig. Beim komplexen Vorwurf der belgischen Föderalen Staatsanwaltschaft geht es auch um ein mutmaßliches Netz an Briefkastenfirmen in Osteuropa.

Es ist erst zwei Monate her, da hat der belgische Transportunternehmer Roland Jost der belgischen Zeitung Grenzecho www.grenzecho.de ein bemerkenswertes Interview gegeben. Lächelnd erzählt der 59-jährige Jost, der aus dem kleinen Fuhrunternehmen seines Vaters ein Logistikimperium mit offiziellem Sitz im luxemburgischen Weiswampach und rund 20 Niederlassungen geschaffen hat, dass er der rentabelste Unternehmer in Belgien sein möchte. "Heute haben wir 1.250 Motorfahrzeuge, 2.400 Mitarbeiter, davon 1.400 Belgier, und etwas mehr als 300.000 qm bebaute Fläche", wird Jost zitiert. "Was die Lkw angeht sind wir sicherlich mittlerweile mit Essers auf einer Höhe, aber im Logistikbereich ist Esser größer als wir."

In Untersuchungshaft

Am 8. Mai hat dieser Wettbewerb, wer der Größte im ganzen Land ist, für Jost erstmal einen schweren Dämpfer bekommen. Nach einer Razzia an seinen Standorten sitzt Jost nun mindestens 30 Tage in Untersuchungshaft. Ein öffentlicher Umzug aus einem Schloss, wo er angeblich wohnt, hinter Schloss und Riegel. In der Zwischenzeit wurde Jost laut dem Grenzecho mit einer Fußfessel wieder aus der U-Haft entlassen. 

Die Razzia war überfällig, denn immer wieder sind seine Lkw bei Kontrollen aufgefallen. Nicht umsonst hat deshalb die Föderale Staatsanwaltschaft in Belgien, vergleichbar mit der deutschen Bundesanwaltschaft, die Ermittlungen übernommen. Denn Jost, so heißt es aus Insiderkreisen, hatte viele Freunde. Es ist ein offenes Geheimnis, dass er jedes Jahr bei den Rennen der Formel 1 in Spa-Francorchamps nicht nur seine Geschäftspartner in ein großes Zelt eingeladen und fürstlich bewirtet hat.

Briefkästen oder Niederlassungen?

Die Razzia bei Jost ist derzeit ein gefundenes Fressen für die Tageszeitungen in Belgien und Luxemburg. "Absolut illegal, die halten Fahrer wie Sklaven" schrieb etwa das Luxemburger Tageblatt. Der Vorwurf lautet: Sozialdumping im großen Stil mit Fahrern aus Osteuropa und demzufolge ein Betrug an den Sozialkassen in Luxemburg und Belgien in Höhe von rund 55 Millionen Euro. Es ist quasi der Klassiker in der Logistik. Die Fahrer aus Osteuropa sollen nur den üblichen Mindestlohn ihres Heimatlandes bekommen haben. Dazu Spesen, in anderen Quellen ist sogar von einer verdeckten Leistung auf Kilometerbasis die Rede. Natürlich weist eine Pressesprecherin die Vorwürfe zurück. Fest steht jedoch: Auch die Fahrer von Jost haben in der Vergangenheit ihre Pausen am Wochenende oft in ihren Lkw am Rande der Autobahnen verbracht. -Bereits 2013 hat der WDR in dem Film "Das Elend an der Autobahn" darüber berichtet. Eine Folge daraus ist das neue nationale deutsche Verbot, die regelmäßige wöchentliche Ruhezeit im Lkw zu verbringen, das nun seit dem 8. Mai dem Bundespräsidenten zur Unterschrift vorliegt und in absehbarer Zeit im Bundesgesetzblatt veröffentlicht wird.

Nicht in jedem Fall illegal

Noch ist es viel zu früh, um auch hier an dieser Stelle zu schreiben, ob diese Vorwürfe gegen Jost am Ende auch haltbar sein werden. Aber vieles deutet darauf hin, dass es vor allem um die Frage geht, ob die Niederlassungen in Rumänien und Slowakei wirklich Niederlassungen im Sinne des Artikels 5 der VO (EG) 1071/2009 sind. Oder eben doch Briefkastenfirmen. Auch einige deutsche Unternehmen haben mittlerweile eigene Niederlassungen in Osteuropa gegründet. Das Argument, dass auch bei Jost genannt wird, lautet: Nur durch diese Mischkalkulation sei man überhaupt in der Lage, dem Preisdruck durch die Flotten aus Osteuropa etwas entgegenzuhalten. Allerdings hat vor einem Jahr sogar der Spiegel darüber berichtet, dass Jost seine in Osteuropa zugelassenen Lkw dazu genutzt haben soll, deutschen Transportunternehmen die lukrativen Touren wegzunehmen. Denn am Ende ist heute bei vielen Aufträgen nicht mehr die Frage der Qualität entscheidend sondern der Kohle.

Die Staatsanwaltschaft in Belgien wird nun klären müssen, ob die Fahrer aus Osteuropa bei diesen Jost-Niederlassungen wirklich beschäftigt sind und auch von dort aus disponiert werden. Trifft das zu, dann gelten beim reinen internationalen Transport durch Westeuropa deren Lohnbedingungen tatsächlich als Grundlage. Ist diese betriebliche Aktivität allerdings nur vorgetäuscht, so der Vorwurf, mit dem sich Jost konfrontiert sieht, dann sind die Fahrer aus den jeweiligen Ländern de facto in Belgien und/oder Luxemburg beschäftigt. Ermittler sollen wohl auch die Betriebe von Jost in Osteuropa unter die Lupe genommen haben. Bei einem Fall einer derartigen Dimension müsse man sich über die Vorwürfe schon sehr sicher sein, bevor man zuschlage, heißt es aus Ermittlerkreisen. Auch dem rumänischen Magazin Tranzit sind die "Niederlassungen" von Jost nur als Briefkastenadressen bekannt.

Die EU muss endlich aktiv werden

Dass das Modell von Jost eines Tages auffliegen würde, habe sich in den letzten Jahren schon abgezeichnet, meint auch der ehemalige belgische Hauptinspektor Klaus Willems, mittlerweile ein gefragter Experte des EU-Rechts in einem sehr lesenswerten Interview, das mit Erlaubnis des Grenzechos hier als PDF veröffentlicht ist. "Vieles was in Belgien, aber auch in den unmittelbaren Nachbarregionen im Transportgewerbe geschieht, verstößt gegen das europäische Recht." Hier sieht Willems einen Handlungsbedarf: "Das europäische Recht schreibt ja klar vor, wie viel ein Mitarbeiter eines Unternehmens im Ausland arbeiten darf, ohne in diesem Land Sozialabgaben leisten zu müssen."

Die Praxis zeige aber, so Willems, "dass Lkw-Fahrer aus osteuropäischen Ländern, die 200 bis 350 Euro netto im Monat verdienen, nach hier beordert werden, sich über Wochen und Monate hier aufhalten und alle Aufträge kommen von Belgien. Teilweise arbeiten diese Leute auch nur in Belgien oder machen internationale Transporte. Dabei wird das Gesetz umgangen, weil es nicht klar genug formuliert ist, und wer einen guten Rechtsanwalt hat, wird schon die Schlupflöcher finden, um das Gesetz zu umgehen.“ Auch Willems fordert, wie die in Brüssel ansässige Gewerkschaftsdachorganisation ETF, die EU-Verkehrskommission daher auf, bei der für Ende Mai anstehenden Straßeninitiative, endlich klare Regeln festzulegen.

Hoffnung auf die Straßeninitiative

Vielleicht kommt der spektakuläre Fall Jost noch zur rechten Zeit. Denn wie die ETF, die Dachorganisation der europäischen Transportgewerkschaften in Brüssel befürchtet, soll die EU-Verkehrskommission möglicherweise eher einen Angriff auf die Sozialvorschriften planen als klare Regeln gegen das Sozialdumping zu formulieren. Auch Willems zweifelt im Augenblick noch am Vorhaben der EU-Kommission unter Violeta Bulc. „Das ist Politik, man will keinem auf die Füße treten und versucht einen notfalls krummen Kompromiss zu finden, mit dem vielleicht der eine besser leben kann als der andere, aber am Ende sind die Fahrer immer die Leidtragenden.“

Nach seiner Lesart könnten die Vorschläge der EU-Kommissarin sogar komplett in die falsche Richtung gehen. "Zurzeit wird ja viel über Sozialdumping debattiert. Das ist ein Thema, mit dem Politiker zu punkten versuchen, gerade vor Wahlen. Aber ob sie es wirklich konkret angehen, steht auf einem ganz anderen Papier. Es müsste jemand aufstehen und sagen, wir machen klare Gesetze, an die sich jeder hält und deren Einhaltung auch kontrolliert wird. Aber davon sind wir weit entfernt. Das ist schon traurig."

Traurig ist auch die Sorge der verbliebenen Mitarbeiter um ihre Arbeitsplätze. Nach Informationen des Luxemburger Tageblatt soll die Jost Gruppe mittlerweile ums Überleben kämpfen.

Download Verkehrsexperte Klaus Willems im Interview: aus der Zeitung GrenzEcho vom 10. Mai 2017 (PDF, 0,74 MByte) Kostenlos
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