Leicht-Lkw unter vollen Segeln Einfach mal "Nein" sagen

Maut-Killer Foto: Matthias Rathmann

Die Mault gilt inzwischen zwar für Fahrzeuge ab 7,5 Tonnen zulässigem Gesamtgewicht. Dennoch werden die klassischen Mautkiller mit zwölf Tonnen nicht von der Straße verschwinden. Die Gefahr für Fahrer dieser ultraleichten Gliederzüge durch Seitenwind bleibt also bestehen. Ein Appell an die Vernunft.

Vom Winde verweht. So hieß eine Reportage, die ich bereits 2012 im FERNFAHRER veröffentlicht habe. Sie beschreibt die ersten aktenkundigen Unfälle von ultraleichten Gliederzügen, die aufgrund ihres zulässigen Gesamtgewichts von 11,99 Tonnen sehr schnell den Namen "Mautkiller" bekommen haben. Das hat sich bald bewahrheitet – allerdings anders, als es die Wortschöpfung im Sinn hatte. Bei meinen Recherchen fand ich heraus, dass bereits 2009 ein Fahrer einer solchen Kombination ums Leben gekommen ist. Er verunglückte tödlich, als sein leerer ultraleichter Gliederzug bei Sturm über den Hindenburgdamm, der die Insel Sylt mit dem Festland verbindet, geweht wurde. Das Fahrzeug gehörte zur Flotte von Aller Logistic. Seither habe ich immer wieder über diese Unfälle mit Leicht-Lkw berichtet.

Herabsetzung der Mautgrenze

Wenn ich meinen ersten Bericht nun wieder lese, dann stelle ich fest: Lange Zeit ist nichts passiert. Schon im Juli 2003, also anderthalb Jahre vor der endgültigen Einführung der Lkw-Maut, wurde gewarnt, dass Fahrzeugbauer mit Hilfe von Leichtbauweise versuchen wollen, Lkw auf den Markt zu bringen, die unter der Mautbemessungsgrenze von zwölf Tonnen rangieren. Sehr skeptisch verfolge man diese Tendenzen, zitierten damals Medien die Verantwortlichen aus dem Bundesverkehrsministerium. Die Mindesttonnage für die Maut könne man kurzfristig herabsetzen, erklärte ein Sprecher des zu diesem Zeitpunkt amtierenden Ministers Manfred Stolpe: "Wir reden der Branche bereits ins Gewissen."

Nun, ein Gewissen sucht man offenbar in Teilen der rauen Transportbrache bis heute vergeblich. Es hat dann zwölf Jahre, also bis zum Oktober 2015, gedauert, bis Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt die Mautgrenze tatsächlich auf 7,5 Tonnen zulässiger Gesamtmasse (zG) senkte. Nicht aus Sicherheitsbedenken, sondern um mehr Einnahmen für den Staatshaushalt zu generieren. Ob das dazu führen wird, den Einsatz von Leicht-Lkw wieder zu reduzieren, wird sich zeigen. Denn selbst wenn diese Gespanne der Mautpflicht unterliegen, weisen sie einige wirtschaftliche Vorteile auf. Deutsche und zunehmend auch osteuropäische Frachtführer scheinen weiter in diese kippeligen Lastzüge zu investieren.

Gefährliche Situationen im Straßenverkehr

Nachweislich immer wieder betroffen waren Leicht-Lkw der Firmen Max und Aller Logistic, die zur selben Unternehmensgruppe aus Senden gehören. Besonders erschüttert hat mich dabei ein Unfall, der einen Lkw-Fahrer das Leben gekostet hat. Schuld war das Sturmtief Mike, das im März 2015 unter anderem in Brandenburg wütete. Der Anhänger eines Lastzuges von Aller Logistic hatte sich offenbar auf einer Bundesstraße im Seitenwind aufgeschaukelt und war dann in das Fahrerhaus eines entgegenkommenden Sattelzuges gekippt. Dessen Fahrer starb noch an der Unfallstelle.

Daraufhin habe ich beim Bundesverkehrsministerium (BMVI) nachgefragt. Doch das wiegelte auf die Frage nach einem generellen Fahrverbot bei Sturm vorerst wieder ab: "In der amtlichen Straßenverkehrsunfallstatistik konnte bisher kein erhöhtes Unfallrisiko von Leicht-Lkw nachgewiesen werden. Da das Umkippen solcher Lkw, wenn sie leer sind oder einen leeren Anhänger mitführen, offenbar bei ganz besonderen Wetterlagen und an für schwere Böen anfälligen Stellen stattfinden kann, wird das BMVI das Unfallgeschehen vertiefter analysieren." Daraufhin geschah aber nichts mehr – auch nur ein Sturm im Wasserglas. Die angesprochene Analyse haben jetzt andere übernommen.

Unfallforschung startet aufwendige Untersuchung

Diesen Unfall hatte ich auch mit Siegfried Brockmann, Leiter der Unfallforschung aus dem Gesamtverband der Versicherungswirtschaft (UVD), besprochen. Zu diesem Zeitpunkt hatte er bereits eine aufwendige Untersuchung gestartet, dessen Höhepunkt nun am 12. Juli in Ulm stattfand. Meine Kollegin Ilona Jüngst war vor Ort und hat das in ihrem Beitrag beschrieben. Die gesamte Dokumentation der UVD hat uns Siegfried Brockmann zur Verfügung gestellt. Sie findet sich oben links als PDF. Das Fazit vorab: Mautkiller kippen schon bei Windstärke sieben, also bei einer steifen Brise, die mit Böen und Windgeschwindigkeiten von 50 bis 60 km/h Bäume zum Schwanken bringt. Das war jedenfalls das Ergebnis einer Simulation am Rechner. Wie der praktische Versuch in Ulm allerdings auch belegte, droht die Gefahr wohl nur bei Fahrt. Denn der stehende Versuchsanhänger ließ sich mit starken Gebläsen nicht umwerfen. "Offenbar verhält sich ein stehender Anhänger völlig anders als einer in Bewegung", kommentierte Brockmann. Im Nachhinein erscheine ihm das auch logisch. Damit wäre jedenfalls der Beweis erbracht, dass Stehenlassen bei Sturm eine sichere Lösung ist.

Konsequenzen für Fahrer und Unternehmer

Die Untersuchungen der UVD haben in der Regel auch beim Gesetzgeber Gewicht. Es kann also gut sein, dass deren vertiefte Analyse eines Tages doch zu einer Gesetzesänderung führen werden. Zunächst aber plädiert der Unfallforscher für eine weitere Sensibilisierung der Spediteure und vor allem der Fahrer, die nach § 3 der Straßenverkehrsordnung (StVO) die Geschwindigkeit des Fahrzeugs den Wetterverhältnissen anpassen müssen. Zudem setzt sich Brockmann für eine Ergänzung des § 2 der StVO ein. Sie könnte lauten: "Gliederzüge mit einer zG bis zu zwölf Tonnen müssen ab einer Windgeschwindigkeit mit mehr als 60 km/h den nächsten geeigneten Rastplatz ansteuern. Der Spediteur ist mitverantwortlich."

Das alles wird noch eine Zeit benötigen. Deswegen kann ich in dieser Übergangsphase nur an die Vernunft der Fahrer appellieren. Denn eins steht laut der UVD-Studie fest: Die Leicht-Lkw sind bei Wind stärker in Gefahr als 40-Tonner. Erst am 9. Juli hat es ein Gespann aus Polen erwischt. Der Anhänger kippte um, der Lkw blockierte über 90 Minuten die wichtige Fehmarnsund-Brücke.

Ich bin der Meinung, dass kein Termin es wert ist, dass ein Mensch ums Leben kommt. Über die drohende Windstärke kann man sich heute leicht im Internet informieren. Das Bundesamt für Güterverkehr (BAG) etwa bietet den Service der Wetterwarnungen direkt auf der Startseite seiner Homepage. Es ist also keine Frage mehr, einfach mal "Nein!" zu sagen und stehen zu bleiben. Das ist für alle Beteiligten allemal besser, als einen Leichtlaster unter vollen Segeln über die Autobahn fliegen zu lassen.

Download Unfallgefahr durch Seitenwind (PDF, 1,32 MByte) Kostenlos
Download Pressemitteilung Versicherungswirtschaft (PDF, 0,04 MByte) Kostenlos
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