Fahrer aus Osteuropa 3:1 für Polen

Fahrer aus Osteuropa Foto: Jan Bergrath 5 Bilder

Der Einsatz osteuropäischer Fahrer polarisiert oft. Manche Beschäftigungsmodelle sorgen dabei eher für Irritation, andere stehen für Integration.

Ein Teil der Lastzüge steht am Samstagnachmittag auf einer Straße im Industriegebiet in Heiligenhaus, ein Teil auf dem Firmengelände. Pkw mit polnischen Kennzeichen sind dick mit Herbstlaub bedeckt. Ein deutscher Fahrer auf Jobsuche, der bei der Spedition angerufen hat, erhielt eine Absage. Vakante Stellen gibt es laut Internet sowieso nicht. Und das, obwohl fast alle Verbände Fahrermangel beklagen. Etwa 20.000 pro Jahr würden fehlen, heißt es. Ein polnischer Fahrer sitzt mit Laptop am Steuer seines Lkw, er spricht Deutsch. In der Nacht sei er aus Frankreich gekommen, nun verbringe er das Wochenende im Lkw. Drei Wochen ist er immer in Deutschland unterwegs, bevor er für eine Woche nach Hause fährt. Das erscheint nicht unproblematisch (Kasten S. 9). Manchmal fährt er schon am Wochenende mit einer Ladung Richtung Süddeutschland, um Montagfrüh beim Kunden zu stehen. Deutsche Fahrer würde das nicht so gerne tun, sagt der Pole. Sie seien dann lieber daheim. Aber es seien ja auch nur noch wenige deutsche Fahrer bei der Spedition Röskes beschäftigt.

Röskes lehnt Aussage ab

Die zahlreichen Ehrenämter der beiden geschäftsführenden Gesellschafter der Spedition Röskes stehen auf der Internetseite des Unternehmens: Mitglied des Ausschusses für Grundsatzfragen im Bundesverband Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL) etwa oder Alternierender Vorstandsvorsitzender der Berufsgenossenschaft für Transport und Verkehrswirtschaft. Doch für eine grundsätzliche Antwort zur Beschäftigung der polnischen Fahrer sind die Röskes nicht bereit. Schriftlich heißt es: "Der guten Ordnung halber teilen wir Ihnen mit, dass wir weder mündlich noch schriftlich Auskünfte über betriebliche Interna erteilen werden." Wir hätten mehr Transparenz erwartet von einem Unternehmer, der namentlich für das BGL-Projekt des "bekannten Transporteurs" wirbt.

Die Spedition Nolden aus Kerpen ist da offener und lädt zum Firmenbesuch ein. Nolden bietet einen modernen Fuhrpark und zahlt seinen langjährigen Fahrern einen sehr guten Lohn. Trotzdem gibt es dort Probleme, qualifizierte deutsche Fahrer zu finden. Und so hat Nolden über eine Agentur im Sommer vier polnische Fahrer eingestellt. Sie besetzen nun drei Lkw, weil auch sie eben nach dem typischen Rhythmus "drei zu eins" fahren. Die deutschen Kollegen sehen das mit gemischten Gefühlen. "Es sind wohl auch langjährige Kollegen deswegen gegangen", sagt Daniel Lippmann, der seit elf Jahren bei Nolden im Fernverkehr arbeitet. "Ich kann aber gut verstehen, dass Nolden es jetzt mit Fahrern aus Polen versucht. Immer wenige deutsche Fahrer wollen den Job noch machen." Zwei Seiten einer Medaille.

Mangel an deutschen Bewerbungen

Lippmann macht deutlich, dass man die polnischen Kollegen höflich, aber doch distanziert betrachtet, wenn man sich einmal unterwegs trifft. "Sie sind kollegial und hilfsbereit. Ich habe auch keine Angst, dass sie mir meinen Job wegnehmen." Nolden ist ein Unternehmen in der Zwickmühle: "Wenn wir Fahrer aus Belgien oder den Niederlanden einstellen würden, wäre es gar kein Problem", sagt Hans-Peter Nolden. "Und definitiv beschäftigen wir keine polnischen Fahrer, um unsere deutschen Mitarbeiter zu verdrängen. Im Gegenteil: Über jede vernünftige Bewerbung eines deutschen Fahrers wären wir sehr glücklich. Denn nach wie vor ist ­eines der größten Probleme die mangelnde deutsche Sprache."

Zwei der polnischen Fahrer, Ireneusz Kaszowski aus Lancut und Prezemstaw Domanski aus Konin, erzählen gerne. Eins wird schnell klar: In Polen würden man als Fahrer oft nur den Mindestlohn plus Spesen bekommen. Das sind etwa 1.300 Euro. Bei Nolden kommen sie bei einem Bruttogehalt von 2.000 Euro bei Steuerklasse I auf 1.750 Euro netto – inklusive Spesen und für drei Wochen Arbeit. Dazu kommt ein vom EuGH bestätigtes Recht (12.06.2012 - C-611/10 und C-612/10) auf deutsches Kindergeld – selbst, wenn die beiden Familien von Kaszowski und Domanski auch weiterhin in Polen leben. Kaszwoski hat vier Kinder – macht 750 Euro, abzüglich 10 Euro pro Kind in Polen.

Ihren Wohnsitz in Polen wollen sie nicht aufgeben. Dort sind Verwandte, die eben auch mal auf die Kinder aufpassen. Nur wenige polnische Fahrer ziehen nach Deutschland um. In den drei Wochen sind sie zwar getrennt lebend, aber immer verfügbar. Prinzipiell können sie in dieser Zeit bis zu 60 Stunden pro Woche legal arbeiten. Der Zeitausgleich auf 48 Stunden erfolgt in der freien Woche. Die Gewerkschaft Verdi ist damit nicht glücklich, hat aber kaum Handhabe. "Am Wochenende wohnen wir im Lkw und schauen polnisches TV-Programm", erzählt Domanski. Am Freitagabend oder Samstagmorgen nach der letzten Schicht geht es nach Hause. Kaszowski legt dabei 1.300 Kilometer zurück. "Im Monat kostet mich das rund 200 Euro nur an Sprit."

Langfristige Bindung für osteuropäische Fahrer

Ein ganz anderes Konzept verfolgt dagegen der Lebensmittellogistiker Meyer. Er will die Fahrer aus Osteueropa langfristig an sich binden, so wie Ioli Talmaciu Lata. Er kam in November 2014 nach Nossen bei Dresden und hat eine Projektausbildung für neue Fahrer gemacht. "Ich hatte damals fast keine praktische Erfahrung als Kraftfahrer und habe alles bei Meyer gelernt. Das Beste war, dass ich mich in Deutschland um nichts kümmern musste. Die Firma hat alle Formalitäten für uns erledigt. Wir haben eine Unterkunft bekommen und wurden zu Sprachkursen geschickt. Alles war organisiert, damit wir keine Schwierigkeiten haben und uns nur auf Sprachschule und Einarbeitung konzentrieren konnten. Und ich wurde in Nossen durch einen rumänischen Kollegen eingearbeitet." Kein Wunder, dass Lata noch ein paar Jahre bei Meyer bleiben will.

Für Geschäftsführer Matthias Strehl, der auf der Stelle auch deutsche Fahrer zu ziemlich guten Konditionen einstellen würde, ist das der einzige gangbare Weg. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit und Hilfe bei der Integration. "Wichtig ist, nicht zu glauben, dass sich durch Fahrer aus Osteuropa schnelles Geld als billige Arbeitskräfte verdienen lässt oder dass so kurzfristig der Bedarf an Fahrern gedeckt werden kann. Es handelt sich bei der Integration von osteuropäischen Fahrern ins Mitarbeiterteam um einen langfristigen Prozess. Sie können immer nur die bestehende Mannschaft ergänzen."

Fahrer aus Osteuropa Foto: Jan Bergrath

Gefährliche Grauzone

Die Fahrer aus Polen legen jede vierte Woche und damit zwölf Mal im Jahr mehr als 1.000 Kilometer mit dem Pkw zurück, wenn sie ihre Arbeit in der Betriebsstätte einer deutschen Spedition aufnehmen. Diese Anfahrten unterliegen nicht den Sozialvorschriften. Sie sind Privatsache. Das Bundesarbeitsministerium sagt dazu aber gegenüber FERNFAHRER: Es ist zu berücksichtigen, dass mit dem Arbeitgeber die Arbeitsmodalitäten vereinbart sind und der Arbeitgeber daher die Anreisebedingungen kennt. Nach dem Arbeitsschutzgesetz ist er verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen des Arbeitsschutzes unter Berücksichtigung der Umstände zu treffen, die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten bei der Arbeit beeinflussen. Hierzu hat er eine Gefährdungsbeurteilung durchzuführen. Unter Berücksichtigung der gesamten Umstände, insbesondere der langen Anreise, hat der Arbeitgeber bei Vorliegen entsprechender Anhaltspunkte zu beurteilen, ob der Arbeitnehmer in der Lage ist, seine Arbeit ohne Gefährdung seiner Sicherheit und Gesundheit durchführen zu können. Gegebenenfalls muss er Maßnahmen ergreifen, die dies sicherstellen. Dazu kann eine Pause oder eine Ruhezeit vor Aufnahme der Fahrtätigkeit gehören.

Ähnliche Auffassungen vertreten die Berufsgenossenschaft für Transport und Verkehrswirtschaft und der Deutsche Verkehrs­sicherheitsrat. Für Ralph Werner von der Gewerkschaft Verdi in Berlin reicht das nicht: "Die Anreise zum Arbeitsort, wenn sie sich über Tausend Kilometer oder noch mehr erstreckt, wird zu einer Gefahr für den Straßenverkehr, sofern der Arbeitnehmer keine Gelegenheit hat sich zu erholen, bevor er seine Tätigkeit als Berufskraftfahrer antritt. Wir kritisieren hier die Arbeitsgesetzgebung, da sie untätig bleibt, wenn ein Unternehmer das Risiko auf den Arbeitnehmer abwälzt und solche Zeiten nicht als Arbeitszeiten im Sinne des Arbeitszeitgesetzes ansieht. Die gesetzliche Verpflichtung, Gefährdungen für den Arbeitnehmer auszuschließen, indem in einer Gefährdungsbeurteilung solche Anreisewege analysiert werden, verpufft in der Praxis." Auf eine konkrete schriftliche Anfrage, ob die Spedition Röskes diese Gefährdungsbeurteilung durchgeführt hat, wollte das Unternehmen in der gesetzten Frist bis Redaktionsschluss nicht antworten.

Dieser Artikel stammt aus diesem Heft
FERNFAHRER Titel 1/2016
FERNFAHRER 01 / 2016
7. Dezember 2015
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