WM in Katar: Energie ist spielentscheidend

WM in Katar
Energie ist spielentscheidend

Fußball-WM, Katar als Gaslieferant und Energiesicherheit insgesamt – Logistikunternehmer Dr. Micha Lege bezieht Stellung und fordert, dass Energie bezahlbar bleibt.

Energie ist spielentscheidend
Foto: alexyz3d - stock.adobe.com, Montage: Marcus Zimmer
eurotransport.de: Herr Dr. Lege, Sie sind gern auf Reisen und im Fußballstadion. Haben Sie ein Ticket für die WM in Katar?

Dr. Lege: Das letzte Mal war ich 2006 bei einer WM im Stadion. Beim deutschen Sommermärchen hat mir das viel Spaß gemacht. Ich würde gerne mal wieder zu einer WM fahren. Allein schon aufgrund der bekannten Umstände in Katar war das für mich aber kein Thema. Die Missachtung von Menschenrechten beim Bau der Stadien und die Korruption bei der Vergabe machen nicht unbedingt Lust auf das Turnier.

Daher wollen viele die WM boykottieren und sich die Spiele nicht anschauen, je nach Umfrage zwei Drittel der Deutschen oder mehr. Was halten Sie davon?

Nichts. Die Mannschaften sollten das Ereignis nutzen, um für unsere Werte einzutreten. Und für unsere Spieler, die sich ja qualifiziert haben, ist es auch nicht ok, wenn ganz Deutschland den Fernseher ausschaltet. Ich hoffe, dass der Funke auch bei mir noch überspringt – spätestens nach dem einen oder anderen erfolgreichen Spiel der deutschen Mannschaft.

Welche Chancen räumen Sie den deutschen Jungs ein?

Ich habe den Eindruck, dass sich die Nationalmannschaft unter Hansi Flick gefangen hat. Er ist ein toller Trainer und wir haben viele Spieler, die in der Champions League auf sehr hohem Niveau spielen. Wenn dann noch die Mannschaft zu einer Einheit zusammenfindet, sollte zumindest das Halbfinale drin sein.

Regina Sablotny/Wiedmann&Winz
Dr. Micha Lege ist geschäftsführender Gesellschafter des Logistikdienstleisters Wiedmann & Winz aus Geislingen an der Steige.
Wer ist Ihr Favorit?

Nach meiner Wahrnehmung hat Argentinien großes Potenzial, die Mannschaft mit ihrem Superstar Messi ist seit Jahren außerordentlich erfolgreich unterwegs.

Nach Katar reist unsere Mannschaft auf der Jagd nach Toren und unser Wirtschaftsminister – so passiert vor einigen Wochen – auf der Suche nach zuverlässigen Gas-Lieferanten. Wie beurteilen Sie die Performance der Bundesregierung in Zeiten der Energieknappheit?

Durch den Energiekrieg Russlands gegen uns wird es schmerzlich deutlich: Wir haben zu wenig Energie. Aktuell und auch in Zukunft ist die Bundesregierung gezwungen, mit Staaten zu verhandeln, die andere Werte als wir haben. Wenn wir aber nur mit Energielieferanten arbeiten, die auf dem Fundament unserer Verfassung stehen, wäre das Potenzial überschaubar. Klar muss bei den Gesprächen neben der Energie auch über Menschenrechte gesprochen werden. Ich kritisiere Minister Habeck nicht für seine Reise zu den Scheichs, das war für ihn selbst als grüner Wirtschafts- und Klimaschutzminister sicher eine gewaltige Überwindung.

Reichen die Bemühungen der Bundesregierung denn, um gut über den Winter zu kommen?

Für diesen Winter scheint es derzeit noch gut auszusehen. Für den stark wachsenden Energiebedarf brauchen wir aber langfristig Versorgungssicherheit. Die Aufgabe ist gewaltig. Russisches Gas muss kurzfristig ersetzt werden. Neben dem Verkehrssektor müssen zukünftig auch Industrie und private Haushalte auf erneuerbare Energien umgestellt werden.

Wie können wir also den Energiebedarf langfristig sicherstellen?

Wenn wir nicht auf alles verzichten wollen, brauchen wir zwei Dinge. Erstens: Wir müssen die erneuerbaren Energien ganz schnell ausbauen und dazu auch in Stromnetze und die Ladeinfrastruktur investieren. Gehemmt wird das alles durch viel zu viel Bürokratie und viel zu lange Genehmigungszeiten. Klimaschutz kann nur gelingen, wenn auch der Staat in diesen Bereichen seine Hausaufgaben macht. Der zweite Punkt: Wenn wir günstige und grüne Energie wollen, müssen wir Energie importieren. Ohne Importe werden wir die Energiewende nicht schaffen.

Gar nicht so einfach, weil die Bundesregierung ja jetzt erst angefangen hat, entsprechende Vereinbarungen mit neuen Lieferanten zu treffen …

Es muss schnell gehen. Der Energiemarkt der Zukunft wird jetzt verteilt. Wir brauchen Handelspartnerschaften mit Ländern, die in der Lage sind, grüne Energie günstig zu produzieren. Außenpolitik muss daher auch Energiepolitik sein. Da passiert derzeit viel zu wenig. Die Golfstaaten werden auch in Zukunft eine bedeutende Rolle bei unserer Energieversorgung spielen. Dort gibt es nicht nur die weltweit größten Gasfelder und Ölvorkommen. Auch einer der wichtigsten Energieträger der Zukunft - grüner Wasserstoff - kann dort unter idealen Voraussetzungen mit Solarstrom produziert werden. Wir dürfen diese Region und andere für unsere Energieversorgung wichtigen Länder nicht China überlassen.

Wo soll die grüne Energie Ihrer Ansicht nach noch herkommen?

Natürlich können auch Windkraftanlagen zum Beispiel auf der Schwäbischen Alb einen Beitrag zur Energiewende leisten. Ob das wirklich effizient ist, steht auf einem anderen Blatt. Mit Offshore-Anlagen kann man dagegen mit niedrigen Kosten ganz andere Leistungen und Mengen erzeugen. Ein gutes Beispiel für eine zukunftsorientierte Energieproduktion ist für mich das Gemeinschaftsprojekt von Porsche und Siemens Energy, die an der stürmischen Küste von Patagonien mithilfe von Windenergie grüne E-Fuels herstellen wollen.

Welche Chancen räumen Sie E-Fuels ein? Man hat den Eindruck, dass vielfach nur auf die eine Karte Elektromobilität gesetzt wird.

Leider erleben wir derzeit eine nahezu geschlossene Front gegen E-Fuels. Diese Skepsis ist für mich nicht nachvollziehbar. Wir brauchen E-Fuels um die Klimaziele im Verkehr zu erreichen. Auf der IAA Transportation wurden fast nur E-Fahrzeuge ausgestellt. Das ist positiv. Doch bis wir diese in großen Stückzahlen auf den Straßen sehen, vergehen noch viele Jahre. Anspruch und Wirklichkeit klaffen bei der Antriebswende auseinander – auch mit Blick auf fehlende Netze, fehlende Ladesäulen und nicht ausreichenden grünen Strom. Wir brauchen daher E-Fuels für die Übergangszeit. Auch um die Bestandsflotten klimaneutral zu betreiben. Und zur Absicherung für den Fall, dass uns China eines Tages aufgrund politischer Spannungen nicht mehr mit Batteriezellen beliefert. Dann würde die Wende hin zu E-Fahrzeugen nämlich kräftig ins Stocken geraten.

Würden Sie E-Fuels denn auch bei sich in der Flotte nutzen?

Bei Wiedmann & Winz investieren wir auch aktuell noch in Diesel-Lkw. Wenn wir Elektro-Lkw hätten und diese ans Stromnetz anschließen wollten, bräuchten wir erst einmal ein acht Kilometer langes Kabel durch die ganze Stadt, um die Versorgung sicherzustellen. So etwas dauert in Deutschland sehr lang und ist extrem kostspielig. Daher sind E-Fuels für die Übergangszeit eine wichtige Alternative. Wenn wir die Möglichkeit haben, synthetische Kraftstoffe zu tanken und dafür die bewährte Versorgungsinfrastruktur zu nutzen, dann verstehe ich nicht, warum wir sie von vornherein ausschließen. Ich bin übrigens der festen Überzeugung, dass E-Fuels aufgrund des technischen Fortschritts schon sehr bald viel günstiger zu haben sein werden.

Sie machen sich auch für den Einsatz des erneuerbaren Diesels HVO stark. Warum? In Deutschland spielt er aktuell eher keine Rolle.

Das hängt damit zusammen, dass man diesen Biokraftstoff an den Tankstellen nicht als Reinkraftstoff tanken kann, maximal als Beimischung. Nachwachsende Kraftstoffe können schon heute einen wichtigen Beitrag zur CO2-Reduzierung leisten. Und natürlich auch in Zukunft Teil der Mobilitätswende sein. Es ist nicht nachvollziehbar, dass HVO aktuell nur bei Fahrzeugen verwendet werden darf, die im öffentlichen Auftrag oder auf einem geschlossenen Gelände unterwegs sind. Ich plädiere dafür, dass man HVO freigibt, dass dieser Kraftstoff also auch zum Tanken unserer Flotten zur Verfügung steht. Wir brauchen in der Energiekrise alles, was nötig und verfügbar ist.

Die Energiekrise ist auch mit einem beispiellosen Kostenschub verbunden. Wie sehr kämpft die Branche mit den explodierenden Kosten für Gas, Diesel und Strom? Sie sind Präsident des Verbands Spedition und Logistik Baden-Württemberg (VSL). Was signalisieren Ihnen Ihre Mitgliedsbetriebe?

Die Kostensteigerung macht uns Sorge, keine Frage. Entspannung ist nicht in Sicht. Ab dem 5. Februar 2023 darf aufgrund des Embargos der EU kein Diesel mehr aus Russland bezogen werden. Dann droht wieder ein massiver Anstieg der Dieselpreise. Aktuell verhält es sich nach unseren Erfahrungen aber so, dass die Unternehmen aufgrund der hohen Güterverkehrsnachfrage die Mehrkosten noch weitergeben können. Daher sagen wir klar: Wir wollen in dieser Situation keine staatliche Unterstützung. Ich vertrete einen Wirtschaftsverband, der für möglichst wenig Staat plädiert. Wir müssen jetzt in Deutschland unsere Wachstumsschwäche überwinden. Mit immer neuen Schulden durch immer mehr Subventionen werden wir das nicht schaffen.

Das mag Sie ehren, dürfte aber doch ein zwiespältiges Echo auslösen. Die Kostensteigerungen bei der Energie sind doch immens.

Wie gesagt: Im Moment stellt sich die Frage nicht, da die gestiegenen Kosten noch weitergegeben werden können. Unternehmen und Bürger brauchen aber spätestens dann eine Entlastung, wenn die Energiepreise existenzbedrohend steigen. Insofern ist die Gaspreisbremse auch der richtige Weg. Ruinöse Preisentwicklungen dürfen nicht zu einem Verlust von wirtschaftlicher Substanz führen. Andererseits kann der Staat keine unbegrenzten Subventionen leisten. Wenn wir uns nicht für die Zukunft jede Handlungsfreiheit rauben wollen, dürfen wir auch in der jetzigen Situation das Prinzip der Selbstverantwortung nicht ganz vergessen. Wir brauchen den Staat – nur eben vor allem in der Rolle, dass er gute Rahmenbedingungen für wirtschaftliche Erfolge schafft, den Rest müssen wir als Unternehmer erledigen – so wie ich bei Wiedmann & Winz.

Apropos Wiedmann & Winz: Wie drastisch fällt die Energie-Kostensteigerung in Ihrem Unternehmen aus?

Beim Strom haben wir – wo es keine festen Verträge gibt – gegenüber Jahresbeginn eine Verdopplung. Beim Diesel beträgt der Anstieg 50 Prozent. Und beim Gas reden wir über den Faktor 3. Wo wir keine laufenden Verträge haben, sind wir also mit extremen Steigerungen konfrontiert. Das stecken wir nicht einfach so weg. Beim Diesel haben wir daher mit allen Kunden Floater vereinbart, in der Lagerlogistik müssen wir die steigenden Energiekosten pro Quadratmeter oder Stellplatz ebenfalls weiterreichen. Klar wird unsere Branche damit ein Stück zum Inflationstreiber. Aber bei traditionell kleinen Margen haben wir keine andere Wahl. Wir können die Steigerungen nicht auffangen, sondern müssen sie weiterreichen.

Wie lange wird der Druck beim Thema Energie Ihrer Ansicht nach anhalten?

Eine langfristige Entspannung wird erst eintreten, wenn wir das russische Gas nachhaltig ersetzt haben. Dies wird allerdings nicht zu Vorkriegskosten möglich sein. Darüber hinaus müssen erneuerbare Energien zu bezahlbaren Preisen 24/7 zur Verfügung stehen. Wir haben schon heute in Deutschland im internationalen Vergleich sehr hohe Steuern, Abgaben und Arbeitskosten. Auch bei den Energiekosten gehören wir zur Spitzengruppe. Energie darf nicht noch teurer werden. Ansonsten werden viele Unternehmen abwandern und Arbeitsplätze vernichtet. Das gilt es unter allen Umständen zu verhindern. Wir müssen aber bei allen Herausforderungen immer auch die Chancen sehen: In der saudischen Wüste baut ein deutsches Unternehmen gerade eine der weltweit größten Produktionsanlagen für Wasserstoff. Die Energiewende ermöglicht es der deutschen Wirtschaft, mit Zukunftstechnologie in diesem Bereich neue Märkte zu erschließen. Eine gute wirtschaftliche Entwicklung und sichere Energieversorgung setzt zukünftig jedoch mehr denn je voraus, dass die von der Bundesregierung vereinbarten Energiepartnerschaften gelebt werden und nicht im Sande verlaufen.

Zur Person

  • Seit 2002 ist Dr. Micha Lege Geschäftsführer und seit 2012 geschäftsführender Gesellschafter des Logistikdienstleisters Wiedmann & Winz aus Geislingen an der Steige. Schwerpunkte sind europaweite Transporte und Kontraktlogistik. Das Familienunternehmen beschäftigt an elf Standorten rund 400 Mitarbeiter.
  • Lege absolvierte eine kaufmännische Ausbildung und studierte Jura an der Universität Tübingen. 1994 erfolgte die erste, 1998 die zweite juristische Staatsprüfung, 2000 die Promotion. Seine berufliche Laufbahn bei Wiedmann & Winz begann bereits 1993.
  • Seit Juni 2022 ist der 56-Jährige zusammen mit Axel Plaß und Mathias Krage Mitglied des engeren Präsidiums im Bundesverband Spedition und Logistik (DSLV), seit Juli 2022 ist er Präsident des Verbands Spedition und Logistik Baden-Württemberg (VSL).
  • Der Unternehmer wurde 1966 in Göppingen geboren, ist verheiratet und hat zwei Kinder.