Dr. Manuel Schaloske: Nordrhein-Westfalen hat das Ziel, bis 2045 klimaneutral zu werden. NRW.Energy4Climate als Landesgesellschaft für Energie und Klimaschutz des Landes unterstützt Wirtschaft und Kommunen dabei, die Klimawende voranzutreiben, auch in der Mobilität. Dazu gehört auch die Antriebswende durch die Dekarbonisierung bestehender Verkehrsträger. Deshalb hat das Ministerium für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen ein Förderprogramm auf die Beine gestellt, das Unternehmen beim Kauf von emissionsfreien Lkw mit bis zu 300.000 Euro pro Fahrzeug unterstützt hat. Insgesamt wollen wir von Seiten des Landes das Thema sichtbarer machen und damit den Markthochlauf der Lkw – mit batterieelektrischem oder Wasserstoff- beziehungsweise Brennstoffzellen-Antrieb – vorantreiben. Auch durch die Zusammenarbeit mit Firmen wie Remondis.
Sascha Hähnke: Die Rhenus- Gruppe hat bereits 300 E-Fahrzeuge im Einsatz, hauptsächlich im Geschäftsbereich Rhenus Home Delivery, außerdem mehr als 50 schwere E-Lkw. Ich bin vor zwei Jahren von Rhenus in die Zentralgesellschaft von Remondis zu Sustainable Services gewechselt, um dort ein entsprechendes Konzept für die Flotte zu erstellen und umzusetzen. Denn Remondis hat als Recyclingdienstleister bundesweit 10.000 Fahrzeuge im Einsatz, die meisten davon im urbanen Verkehr. Inzwischen haben auch wir 100 Nutzfahrzeuge mit Elektroantrieb, darunter einen eActros 600 von Mercedes-Benz, und als erstes Unternehmen haben wir seit zwei Jahren ein kommunales Sammelfahrzeug auf Basis des eActros 300. Außerdem haben wir inzwischen bundesweit mehr als 20 Wasserstoff-betriebene Fahrzeuge und 80 bis 90 mit Biogas im Einsatz. Und ein nicht unerheblicher Teil der Flotte tankt HVO 100. Unsere Nutzfahrzeuge sind also mit allen alternativen Antrieben unterwegs. Schaloske: Genau darüber wollen wir neutral informieren. Und zwar auch gegenüber kleinen und mittelständischen Unternehmen, die einen großen Anteil am Gesamtverkehr ausmachen, aber noch Unsicherheiten bei der Antriebswende haben. Das Ziel ist ein klimafreundlicher Güterverkehr, egal mit welchem klimaneutralen Antrieb. Wir wollen an Beispielen von First Movern wie Remondis zeigen, wie die Antriebswende klappt und was es dazu braucht. Bereits im Sommer 2025 soll ein Großteil der insgesamt 227 vom Land geförderten Fahrzeuge auf die Straßen kommen, um das zu veranschaulichen.
Schaloske: Auch nach der Überarbeitung des Förderprogramms "progress.nrw – Emissionsarme Mobilität" wird die Förderung von gewerblicher Schnellladeinfrastruktur weiter im Fokus stehen. Förderfähig sind damit gewerbliche Schnellladesäulen über 50 kW.
Hähnke: Wir haben wie erwähnt schon eine ganze Bandbreite von Fahrzeugen – von Sammelfahrzeugen mit Hecklader über Abroll- beziehungsweise Absetzkipper bis zu Sattelzugmaschinen. Bei der Frage elektrisch- oder wasserstoffbetrieben ist zumeist die Kommunalpolitik der Treiber: In Freiburg betreiben wir etwa mit der Stadt das Joint Venture ASF, das auf Wasserstofftechnologie ausgerichtet ist. Deshalb sind bei der ASF bereits Brennstoffzellenfahrzeuge im Einsatz. Eine Wasserstoff-Tankstelle und ein Elektrolyseur für die Herstellung von grünem Wasserstoff sind dabei in der Planung. In Frankfurt heißt unsere öffentlich-private Partnerschaft FES. Dort ist etwa das Umweltdezernat der Stadt der Treiber in Richtung batterieelektrischer Antrieb, während in einer Stadt wie Wuppertal allein die Topographie den Brennstoffzelleneinsatz vorschreibt. Für uns gilt: Wenn wir ein schlüssiges Konzept vorfinden, setzen wir das auch um. Oftmals stoßen wir nur wegen der Lade- beziehungsweise Tankinfrastruktur an eine Grenze, etwa wenn die Energieversorgung vor Ort nicht für das Laden mehrerer Lkw reicht.
Hähnke: Als wir 2019 die erste elektrische Sattelzugmaschine in Betrieb genommen haben – im Beisein des damaligen NRW-Verkehrsministers und heutigen Ministerpräsidenten Hendrik Wüst – hatte das Fahrzeug eine Reichweite von 120 Kilometer. Damit waren wir nur im Duisburger Hafen unterwegs. Mit dem eActros 600 sind heute 500 Kilometer möglich, wir fahren das Fahrzeug jeden Tag mit 42 Tonnen Gesamtgewicht auf der A1. Rund 80 Prozent der innerdeutschen Transporte finden ja im Bereich von 400 Kilometern statt – dass die Reichweite der Fahrzeuge nicht ausreichend ist, kann man also nicht mehr sagen.
Hähnke: Ich wäre der erste, der etwas dazu sagt, wenn die Herstellerangaben zu den Reichweiten nicht richtig wären. Vieles hat sich inzwischen erledigt – heute sind mit dem E-Lkw auch Gefahrguttransporte möglich. Ebenso sind eine aktive Hydraulik- wie auch Kipper- oder Schubbodentechnik machbar. Und auch die Anschaffungspreise bewegen sich nach unten. Wie gesagt, die Grenzen, an die wir stoßen, sind die Energieversorgung und die Ladeinfrastruktur. Schaloske: Wir sind mit einer Spedition im Austausch, bei der das städtische Netz nur über eine Netzspannung von 30 kV verfügt. Das wird nicht ausreichen, um die gesamte Lkw-Flotte umzustellen und auf dem eigenen Hof zu laden. Für die gleichzeitige Ladung der ersten drei eActros 600 hat sich das Unternehmen bereits einen Batteriespeicher mit einer Megawattstunde Kapazität angeschafft.
Schaloske: Durch unsere neue Kampagne E-Trucks.NRW, die wir gemeinsam mit Branchenvertretern umsetzen, wollen wir eben auch zeigen, wo es noch Hürden gibt, die wir überwinden müssen. Als Landesgesellschaft bieten wir Unterstützung an, etwa wenn es darum geht, sich in einem Gewerbegebiet mit anderen zusammenzutun, um zum Beispiel Peaks in der Stromlast auszugleichen. Wir initiieren auch Gespräche mit den Netzbetreibern, um entsprechende Lösungen zu finden und alle Akteure zu vernetzen. Und auch beim Thema Netzanschluss gibt es Fördermittel vom NRW-Wirtschaftsministerium.
Hähnke: Die Landesförderungen für die Fahrzeuginvestitionen sind Fluch und Segen zugleich. Ein Fluch vor allem, weil sie zum Teil die Bundesförderung "Klimaschonende Nutzfahrzeuge und Infrastruktur" (KsNI) ersetzen müssen, die die Bundesregierung vorzeitig beendet hat. Die zusätzlichen Einnahmen aus der CO2-Lkw-Mauterhöhung nimmt der Bund hingegen aber mit, davon haben die Länder nichts. Klar ist aber auch, dass eine Förderung über 80 Prozent der Anschaffungssumme wie beim KsNI kein Dauerthema sein kann, zumal zu einem Zeitpunkt, wo die Fahrzeugindustrie noch nicht einmal in der Serienproduktion der schweren Fahrzeuge war.
Hähnke:: Wir hätten uns eine Förderung des Bundes parallel zum Fahrzeughochlauf und in Höhe von 40 oder maximal 60 Prozent gewünscht. Die Landesförderung – neben NRW hat das auch Baden-Württemberg eingeführt – ist nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Über den Bund wäre da deutlich mehr zu bieten gewesen. Ob es eine weitere Förderung geben muss, können weder die Verbände noch die Hersteller entscheiden – über die Notwendigkeit bestimmen sollten allein die Flottenbetreiber. Die brauchen vor allem Planungssicherheit, die sie aktuell auch bei der vollständigen Mautbefreiung der Null-Emissions-Fahrzeuge nur bis 2025 haben.
Hähnke: Eine Planungssicherheit von sechs bis acht Jahren wäre notwendig – das wäre die Nutzungsdauer eines Diesel-Lkw. So fahren die Unternehmen immer auf Sicht und investieren die nächsten zwölf Monate nicht. Mit einer neuen Regierung besteht aber die Chance, das Mautgesetz so zu ändern, dass eine vollständige Mautbefreiung nicht nur bis Ende 2025 befristet ist und die Bemautung danach nicht automatisch beginnt. Besser reguliert werden sollte zudem das Thema öffentliches Laden.
Hähnke: Ein Lkw-Hersteller hat mir angeboten, an seinem öffentlichen Ladepark zu laden – für 65 Cent pro kWh. In seinem Verkaufsprospekt geht er aber von ausgeglichenen TCO bei einem Strompreis von 20 Cent aus – wie geht das denn zusammen?Schaloske: Die 20 Cent sind nur beim Depotladen möglich – mit eigenem PV-Strom wird es zum Teil noch günstiger.. Natürlich ist es nachvollziehbar, dass ein Investor sich seinen Invest in öffentliche Ladeinfrastruktur bezahlen lassen möchte, daher kommen die Preise von 60 bis 70 Cent zustande. Hier braucht es keine zusätzliche Regulatorik, denn eigentlich sollten der Wettbewerb sowie Angebot und Nachfrage das Preisgefüge regeln. Eine Möglichkeit, die Kosten für öffentliches Laden zu senken, sehe ich etwa im Lade-Roaming, bei dem Nutzerinnen und Nutzer mit einer Ladekarte an den Ladepunkten verschiedenster Anbieter tanken können.Hähnke: Auch beim Wasserstoff ist das Thema Kosten problematisch: Ein Unternehmer aus NRW zahlt in Neumünster rund 9,80 Euro für grünen Wasserstoff, wobei er gegenüber dem Diesel schon allein 60 Euro Mehrkosten auf 100 Kilometer hat, auch durch einen Verbrauch von 10 Kilogramm. Fährt er nach Baden-Württemberg, muss er dort für grauen Wasserstoff an der Tankstelle 16,80 Euro bezahlen – das ist ja Wahnsinn.
Hähnke: Im kommunalen Recycling hilft sicherlich die Clean Vehicles Directive, die für öffentliche Auftraggeber alternative Antriebe vorschreibt. Die bringt auf jeden Fall mehr Geschwindigkeit in die Transformation. Hingegen gibt es bei Transport-Ausschreibungen in der Privatwirtschaft zwar erste Anzeichen zu einem Umdenken, aber viel zu langsam. Da werden alternative Antriebe abgefragt, aber nur die wenigsten Kunden möchten dafür bezahlen.
Hähnke: Wir beschäftigen uns immer noch zu viel damit, was man mit Elektromobilität noch nicht kann, statt uns darauf zu konzentrieren, was alles schon möglich ist, vor allem im normalen Anwendungsfall im Güterverkehr. Damit die Fahrzeugpreise heruntergehen, muss wie gesagt der Hochlauf angeschoben werden. Remondis ist ein Beispiel, wie der Einsatz alternativer Antriebe trotz unterschiedlicher Voraussetzungen schon gut funktioniert. Dabei muss nicht das Ziel sein, gleich viele Lkw und die passende Ladeinfastruktur zu haben – zwei Lkw und eine mobile Ladelösung können auch ein guter Anfang sein.
Hähnke: Man sollte sich am Anfang erst einmal fragen, welche Strecke für einen Kunden sich elektrifizieren lässt, also klein anfangen. Und was ich gerade so toll an der Transformation finde: Die Beteiligten teilen sich Erfahrungen, zum Teil auch die Ladeinfrastruktur, zeichnen zusammen eine Absichtserklärung für einen Investor. Gerade KMU sollten versuchen, im Rahmen der Antriebswende ihre Kräfte zu bündeln.
Zu den Personen
- Dr. Manuel C. Schaloske leitet seit 2022 den Bereich Mobilität bei der Landesgesellschaft NRW.Energy4Climate in Düsseldorf.
- Der studierte Chemiker mit Erfahrungen im Bereich der Industrie- und Grundlagenforschung beschäftigte sich während der Diplomarbeit bei Daimler mit Brennstoffzellen-Forschung, die Promotion am Max-Planck-Institut für Festkörperforschung erfolgte im Bereich der anorganischen Strukturchemie. Anschließend war er bei der e-mobil BW beschäftigt, der Landesagentur für neue Mobilitätslösungen und Automotive Baden-Württemberg.
- Sascha Hähnke ist seit Februar 2023 Geschäftsführer der Remondis Sustainable Services und dort für die Transformation der mehr als 10.000 eigenen Lkw zuständig.
- Er stieß 2004 zur Rhenus-Gruppe und war dort zuletzt als Mitglied der Geschäftsleitung für den Road-Bereich verantwortlich.
- Seit 2010 treibt er das Thema alternativen Antriebstechnologien für Nutzfahrzeuge voran, auch im Rahmen des Bereichs „Alternative Antriebe im Straßengüterverkehr“ innerhalb der Rethmann-Unternehmensgruppe.
Die Unternehmen
- NRW.Energy4Climate ist die Landesgesellschaft für Energie und Klimaschutz des Landes Nordrhein-Westfalen.
- Sie unterstützt Unternehmen und Kommunen in NRW dabei, Klimaschutzmaßnahmen effizient umzusetzen und von ihnen zu profitieren.
- Ziel ist es, die Transformation in den vier relevanten Sektoren Energiewirtschaft, Industrie, Wärme & Gebäude und Mobilität sektorenübergreifend zu beschleunigen. Sie sind gemeinsam für mehr als 90 Prozent der Treibhausgasemissionen in NRW verantwortlich.
- Damit soll Nordrhein-Westfalen so schnell wie möglich klimaneutral und dabei als Industrie- und Dienstleistungsstandort für die Zukunft gestärkt werden.
- Remondis mit Sitz in Lünen ist ein weltweites Privatunternehmen für Recycling, Service und Wasser und erbringt nach eigenen Angaben Dienstleistungen für rund 30 Millionen Menschen in mehr als 30 Ländern auf drei Kontinenten.
- Das 1934 gegründete Familienunternehmen erwirtschaftet mit mehr als 40.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern einen Jahresumsatz von 12,1 Milliarden Euro (2023). In Deutschland ist Remondis mit 700 Standorten vertreten.
- Zu den Geschäftsbereichen gehören unter anderem die Rückgewinnung von Rohstoffen aus Industrie- und Haushaltsabfällen, die Herstellung von Recyclingrohstoffen bis hin zur Umwandlung nicht recyclingfähiger Reststoffe in Kraftstoffe.