Anton ist Ende 30 und arbeitswillig. Gerne würde er bei der Spedition Kottmeyer aus Bad Oeynhausen Lkw fahren – wie er es auch in den Jahren zuvor gemacht hat: Der Familienvater war bisher für einen litauischen Flottenbetreiber tätig. Als am 24. Februar der Krieg ausbrach, war Anton in einem Kühl-Sattelzug auf den Straßen Westeuropas unterwegs. Doch Spediteur Horst Kottmeyer, der von seinem Bewerber Anton berichtet, kann den jungen Mann nicht ohne weiteres an Bord eines seiner Jumbo-Lkw lassen – trotz dessen umfangreicher Erfahrung am Steuer.
Anders als zum Beispiel im Baltikum erkennen die Behörden hierzulande den ukrainischen Führerschein nicht an. Bevor Anton also in die Kabine darf, muss er eine Qualifikation in einem EU-Mitgliedsland absolvieren. Für Deutschland heißt das laut IHK Hannover 35 Stunden Theorie-Unterricht und mindestens 2,5 Stunden Fahren. Kottmeyer sieht erheblichen Handlungsbedarf– wie auch der Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL), dessen Aufsichtsrat der Unternehmer vorsteht,
Wettbewerber aus anderen EU-Ländern wie Polen oder dem Baltikum nämlich dürfen Fahrer aus der Ukraine oder Belarus ohne weitere Schulungen einstellen, hiesige nicht – es sei denn, sie sind groß und gründen Niederlassungen vor Ort. „Wir brauchen überall die gleichen Regeln“, forderte Kottmeyer daher am Freitag bei einem Pressegespräch am Rand des Branchendialogs „Netzwerk der Logistik“ in Berlin, zu dem BGL, SVG und Kravag erstmals gemeinsam eingeladen hatten.
Hinzu kommt: Anton ist einer von rund einer Million aus der Ukraine Geflüchteten. Sie müssen eigentlich kein Asylverfahren durchlaufen, sondern erhalten eine Aufenthaltserlaubnis und dürfen in Deutschland arbeiten. „Nur als Lkw-Fahrer nicht“, kritisierte Kottmeyer. „Obwohl er mit einem 40-Tonner schon kreuz und quer durch Europa gefahren ist.“ Nun fährt Anton also nicht Lkw, sondern arbeitet bei Kottmeyer im Lager.
Das Unverständnis der Branche über die deutsche Regelung ist auch deshalb groß, weil sich der Fahrermangel weiter zuspitzt und Fachkräfte aus der Ukraine die Not etwas lindern könnten. „Unsere Unternehmer stellen jeden Tag Fahrzeuge ab, weil Fahrer fehlen“, erklärte BGL-Vorstandssprecher Prof. Dr. Dirk Engelhardt. Aktuell beläuft sich die Lücke demnach auf 100.000 Fahrer. „Und dieses Jahr steigt der Bedarf um weitere 15.000.“
Pkw-Prüfung geht auch in 13 Sprachen
Das nächste Problem: Machen Ukrainer in Deutschland eine erneute Qualifizierung und Führerscheinprüfung, droht eine weitere Hürde: Der Fahrer muss die Prüfung auf Deutsch ablegen. Die Theorieprüfung beim Pkw-Führerschein kann dagegen in 13 Sprachen erfolgen. „Das ist doch nicht mehr zeitgemäß“, sagt Horst Kottmeyer. Im digitalen Zeitalter müsse es doch möglich sein, die Prüfung in jeder Sprache der Welt abzulegen.
Eine pauschale Lösung, um das Problem des Fahrermangels zu lösen, gibt es nicht – hatte der BGL unlängst gemeinsam mit dem Bundesverband Deutscher Omnibusunternehmen (bdo) erklärt. Gemeinsam haben sie drei Vorschläge gemacht, um den Engpass zu entschärfen. Das Ablegen der Prüfung in weiteren Sprachen ist einer davon. Ein weiterer sieht vor, dass neben den Kammern auch qualifizierte Fahrschulen die Theorie- und Praxisprüfung sowie die Berufskraftfahrerqualifikation abnehmen können. Für vielversprechend halten die Verbände auch den Ansatz, die BKF-Qualifikation in die Fahrausbildung zu integrieren, beide Bausteine also in einem 2-in-1-Modell zu kombinieren, um damit Zeit und Geld zu sparen – ohne Abstriche bei der Qualität zu machen.
Eines steht für die BGL-Verantwortlichen dabei außer Frage: Die klassische Ausbildung steht nicht zur Diskussion. „Sie schafft aber keine kurzfristige Entlastung, darum müssen wir auch zu anderen Lösungen kommen“, erläuterte Spediteur Thomas Heinbokel aus Rostock, stellvertretender Vorsitzender des BGL-Aufsichtsrats. Die Verbandsforderungen nach weniger Bürokratie und flexibleren Lösungen adressierte Vorstandssprecher Engelhardt bei einer Podiumsdiskussion unter anderem auch an Udo Schiefner (SPD), Vorsitzender des Verkehrsausschusses im Bundestag. Er sagte zu, sich hier für die Branche einzusetzen.
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