BGL und DB Cargo mit gemeinsamem Ziel: Mehr Verkehre auf die Schiene holen

BGL und DB Cargo mit gemeinsamem Ziel
Mehr Verkehre auf die Schiene holen

Schiene stärken und CO2-Emissionen drosseln – wie das gelingen kann, erläutern die DB-Cargo-Vorstandsvorsitzende Dr. Sigrid Nikutta und BGL-Vorstandssprecher Prof. Dr. Dirk Engelhardt exklusiv im Interview mit der Fachzeitschrift trans aktuell.

Digitale Automatische Kupplung
Foto: DB Cargo/Oliver Lang, Rathmann, Montage: Marcus Zimmer
trans aktuell: Frau Dr. Nikutta, Herr Prof. Engelhardt, Sie beide wollen die Verkehrsträger Straße und Schiene stärker vernetzen und die Zusammenarbeit von DB Cargo und BGL deutlich ausbauen. In der Vergangenheit hat man nicht unbedingt immer nur Gefallen am jeweils anderen gefunden. Was hat sich geändert?

Dr. Nikutta: Wenn wir – wie alle Prognosen bestätigen – von einer Zunahme des Güterverkehrs ausgehen, wird es umso wichtiger, dass wir für jeden Transport das jeweils umweltfreundlichste Verkehrsmittel wählen. Ist es die Kombination von Lkw und Zug, der Lkw allein, die reine Schiene, das Binnenschiff oder das Flugzeug? Letzteres wird meiner Einschätzung nach eine immer kleinere Rolle spielen.

BGL, DB AG/Steve Wiktor
Gemeinsame Initiative: BGL und DB Cargo wollen zusammen mehr Verkehre auf die Schiene verlagern.

Die Wahl des umweltfreundlichsten Transportmittels will gut überlegt sein. Sie hängt zum Beispiel von den logistischen Gegebenheiten vor Ort sowie der Transportlänge und -dauer ab. Und das kann auf kurzen Distanzen durchaus der Lkw sein. Deshalb ist es so wichtig, dass wir umfassend zusammenarbeiten. Es darf kein Gegeneinander geben, sondern braucht ein Miteinander. Bisher dominierte bei der Entscheidung für einen Verkehrsträger deutlich der Preisgedanke, aktuell rückt der Klimaschutz stärker in den Vordergrund.

Prof. Engelhardt: Die Sendungen werden kleinteiliger, der Bedarf entsteht immer kurzfristiger; was zeigt, dass es ohne die Straße nicht gehen wird. Wir haben aber genügend Transportvolumina, um die Schiene deutlich stärker einzubinden. In der Vergangenheit gab es einige Vorbehalte gegenüber der Bahn: Wie sieht es mit Termintreue und Kapazitäten aus, haben sich viele gefragt. Nun freue ich mich, dass wir die Verlagerung neu angehen und mit Frau Dr. Nikutta bei der Bahn ein neuer Wind weht, also eine neue Offenheit herrscht. Die ehrgeizigen Klimaziele auch für den Verkehrssektor können wir nur erreichen, wenn wir gemeinsam agieren.

Woran machen Sie fest, dass wirklich ein Umdenken in der Verladerschaft eingetreten ist, wonach nicht mehr nur der Preis, sondern auch der Klima­effekt den Ausschlag für die Wahl des Verkehrsmittels gibt?

Nikutta: Das machen wir zum Beispiel am wachsenden Interesse an einem eigenen Gleisanschluss fest. Ich hätte mir nicht vorstellen können, dass ich einmal so viel über die Reaktivierung von Gleisanschlüssen sprechen würde wie in diesen Tagen. Verlader berichten davon, wie sie vor Jahrzehnten – zum Teil noch zu DDR-Zeiten – das Gleis direkt am Firmengelände nutzten und nun erwägen, es wieder flottzumachen. Daran erkenne ich ganz klar, dass es in den Köpfen der Entscheider Veränderungen gibt. Das Thema „CO2-Bilanz der Transportketten“ wird viel bewusster in der Industrie wahrgenommen. Auch der Mittelstand ist viel stärker in der Diskussion, wie er umweltfreundliche Lieferketten hinbekommt. Ich bin eine extreme Verfechterin solcher Anschlüsse.

Andererseits wurden die Gleisanschlüsse in den vergangenen Jahren massiv zurückgebaut. Wie lässt sich hier wirksam gegensteuern

Nikutta: Erste Erfolge zeigen, dass es gelingt – wie zum Beispiel das Holzunternehmen Binderholz aus Mittelfranken verdeutlicht, das in diesem Frühjahr seinen Gleisanschluss reaktiviert hat. Ich gebe zu, dass Unternehmen hier einen langen Atem brauchen, weil Bau oder Reaktivierung einen zeitlichen und finanziellen Vorlauf bedeuten. Zum Glück gibt es das Gleisanschlussprogramm der Bundesregierung. Jetzt brauchen wir die nächsten Schritte, um hier weitere Fortschritte zu erzielen: zum Beispiel eine beschleunigte Planung, damit verladende Unternehmen nicht erst in fünf Jahren die Erfolge sehen.

Ist das Reaktivieren von Gleisanschlüssen kostspielig, ist es der Einzelwagenverkehr erst recht. Warum halten Sie auch daran fest, wo die Situation bei DB Cargo ohnehin angespannt ist?

Nikutta: Ich möchte hier eine Lanze für den Einzelwagenverkehr brechen, weil er ein gigantisches Umweltnetzwerk bei DB Cargo darstellt. Viele Länder beneiden uns darum. 12.000 unserer Züge fahren jede Woche im Einzelwagenverkehr für ganz wesentliche Industriebranchen und bedienen zum Beispiel 50 Prozent des Aufkommens der Stahlbranche, und auch der Mittelstand ist daran angebunden.

Bleibt das Kostenthema …

Nikutta: Der Einzelwagenverkehr kann nicht kostendeckend sein, das ist in der jetzigen Form unmöglich. Aber er ist essenziell, weil er das Rückgrat des Schienengüterverkehrs ist. Daher laufen intensive Gespräche, wie wir den Einzelwagenverkehr weiter unterstützen und die Zeit überbrücken können, bis der technologische Durchbruch erfolgt ist und wir einen echten Digitalisierungsschub erfahren – zum Beispiel durch Zugbildungsanlagen und die automatische Kupplung.

Wie wird es Ihnen gelingen, DB Cargo angesichts dieser kostspieligen Verkehre auch wirtschaftlich wieder auf Kurs zu bringen und die roten Zahlen zu verlassen?

Nikutta: Auch wenn er komplex ist: Die Fahrt in die Zukunft erfolgt ganz klar mit dem Einzelwagenverkehr. Ich halte es für möglich, das Volumen zu verdoppeln, wenn nicht zu verdreifachen. Es ist der klare Wunsch, hier weiter zu wachsen. In diesem Bereich haben wir keine wirklichen Wettbewerber, der Einzelwagenverkehr ist unser Alleinstellungsmerkmal, umweltfreundlich und ein wesentlicher Hebel für eine weitere Verkehrsverlagerung auf die Schiene. In Zeiten, in denen wir über Umweltschutz reden, wäre es für DB Cargo doch ein Anachronismus, die größte Umweltschutzmaßnahme im Schienengüterverkehr einzustellen.

Wann streben Sie die Rückkehr in die schwarzen Zahlen an?

Nikutta: Angesichts eines Verlusts von 300 Millionen Euro wäre es unseriös, von einem Turn­around innerhalb eines Jahres zu reden, das ist ausgeschlossen.

Deswegen reden wir hier über den Mittelfristzeitraum, also die nächsten fünf Jahre. Ein auskömmliches Ergebnis ist wichtig – gerade auch, um investieren zu können. Genauso wichtig ist, Verkehre nachhaltig auf die Schiene zu verlagern. Wir werden beides schaffen. Wir reden hier aber über einen Weg, der Zeit in Anspruch nehmen wird. Damit DB Cargo ordentliche Zahlen schreibt, brauchen wir aber auch moderne und mehr Wagen, neue Rangier- und Hybridlokomotiven, wie sie gerade gebaut werden. Das will im ersten Schritt erst einmal finanziert werden, ehe wir die Früchte der Modernisierung ernten. Und natürlich sind die digitale automatische Kupplung und die automatisierte Zugbildungsanlage entscheidend – gerade für den Einzelwagenverkehr. Der Einzelwagenverkehr steht für eine ganz besondere Rolle und Herausforderung.

Wie sehr haben die infolge der Coronakrise rückläufigen Mengen sowohl den Schienen- als auch den Straßengüterverkehr getroffen? Und sehen Sie Zeichen für eine Belebung?

Nikutta: Im Oktober stehen wir fast wieder auf dem Niveau des Vorjahres, was die Volumina angeht. In den ersten Monaten der Coronakrise hatten wir einen erheblichen Einbruch erlitten, nun sind wir wieder auf einem guten Weg. Unsere Eurasia-Verkehre entwickeln sich positiv, es geht hier doch in Richtung einer Verdopplung unseres Geschäfts. Und auch viele Kunden aus der Holz-, Papier-, Lebensmittel- und Getränkeindustrie sprechen mit uns, wie sie die Zusammenarbeit mit DB Cargo ausbauen können. Ich betrachte aber mit großer Sorge, was aufgrund von Corona noch in der Wirtschaft passiert. Sobald Fabriken wieder runterfahren, trifft es uns auch. Die aktuelle Situation macht keine Freude, aber wir werden sie durchstehen.

Engelhardt: Die Mengen auf der Straße bewegen sich wieder in Richtung normales Niveau. Wir sind bei 70 bis 80 Prozent des Volumens, das wir vor Corona hatten. Was unsere Unternehmen seit Corona noch mehr umtreibt, ist das Preisdumping, das konträr zu einer Verkehrsverlagerung steht. Namhafte Verlader geben sich ethische Leitbilder und beschwören den Umweltschutz, geben am Ende beim Transport aber dem billigen Jakob den Zuschlag. Der Hauptfokus liegt hier auf den osteuropäischen Marktteilnehmern, die Transporte zu Preisen anbieten, die unvereinbar mit dem deutschen Mindestlohn und der deutschen Sozialgesetzgebung sind.

Aber durch das EU-Mobilitätspaket müsste es doch nun eine Handhabe geben, um zum Beispiel gegen die dauerhaft an KV-Terminals stationierten Flotten aus Mittel- und Osteuropa vorzugehen, oder?

Engelhardt: Das ist unsere klare Erwartung. Wir sind im engen Dialog mit BAG, Polizei und Zoll, auch was die unerträgliche Situation an den Terminals angeht. Die Schwerpunktkontrollen werden zunehmen. Wir werden jeden Hinweis auf illegale Kabotage, Lohn- und Sozialdumping den Behörden weiterleiten. Aus sicherer Quelle wissen wir, dass die EU-Kommission die Durchsetzung der Regeln forcieren wird und es daher kurzfristig zu einem verschärften Kontrolldruck kommen wird.

Herr Prof. Engelhardt, Sie sprechen den Preisdruck auf der Straße an. Man hört, dass der Transportraum wieder knapp wird und die Frachten anziehen. Ist dieser Eindruck falsch?

Engelhardt: Tendenziell steigen die Preise schon, aber noch lange nicht auf ein für den westeuropäischen Mittelstand vernünftiges Niveau. Ich spreche bewusst von Westeuropa, weil unsere Kollegen in Frankreich oder Skandinavien in der gleichen Situation sind und ebenfalls unter dem Preisdruck leiden.

Das wird es Ihnen, Frau Dr. Nikutta, auch nicht leichter machen, Spediteuren die Schiene schmackhaft zu machen. Die Straße scheint konkurrenzlos günstig. Mit welchen Argumenten überzeugt sie Ihr Vertrieb dennoch von den Vorzügen der Schiene?

Nikutta: Unser Vorteil ist, dass DB Cargo sehr stabile Kundenbeziehungen aufgebaut hat. Wir gehen mit unseren Kunden durch dick und dünn. Die angesprochene Preisentwicklung ist für die gesamte Branche schwierig. Wir erleben die preisliche Konkurrenz nicht nur zur Straße, sondern auch auf der Schiene, wenn wir sehen, wie einzelne Wettbewerber mit Niedrigangeboten in den Markt gehen, um dann im nächsten Jahr plötzlich die Preise anzuziehen. Da gehen wir nicht mit. Uns liegt an vertrauensvollen, verlässlichen Kundenbeziehungen.

Inwiefern werden diese Kundenbeziehungen durch die von Ihnen eingeleitete Neuausrichtung von DB Cargo und die Stärkung der Logistik entweder auf die Probe gestellt oder gestärkt?

Nikutta: Unsere Kunden werden davon profitieren.

Wir werden der Bahnlogistiker in Europa. Es gibt viele Bahnlogistiker in Europa, nicht jedoch mit der Bahn im Herzen. DB Cargo wird sich dorthin entwickeln. Was die Bahnlogistik angeht, wollen wir diese mit Partnern gestalten. Der Aufbau eines Partnernetzwerkes liegt mir am Herzen. Ein Beispiel ist der Pilot, den wir jetzt mit dem BGL gestartet haben, um die Mitgliedsunternehmen in den Vor- und Nachläufen einzubinden, aber auch, um ihre Sendungen für die Hauptläufe zu gewinnen (siehe Hinweis auf anderen Artikel). Und wir haben viele weitere Ideen. Wir diskutieren zudem intensiv mit Kombiverkehr, wie wir unser Wachstum gemeinsam gestalten.

Seit jeher wird eine bessere Verzahnung der Aktivitäten von Bahn und Schenker angestrebt. Was wollen Sie anders machen?

Nikutta: Die enge Verzahnung von Schiene und Straße ist wichtig. Da DB Schenker Teil der DB AG ist, arbeiten gerade Teams aus beiden Unternehmen, um unter anderem neue schienenbasierte Lösungen für die Konsum- und Industriegüterbranche zu entwickeln. Wir wollen und werden aber mit vielen Partnern zusammenarbeiten. Wir streben ein offenes Partnernetzwerk an, DB Schenker ist ein wichtiger Teil davon. Wir brauchen die Vielfalt bei den Partnern, weil auch unser Kundenportfolio entsprechend vielfältig ist. Und ich betone noch mal: Wir wollen nicht in Konkurrenz mit Speditionen treten und hier Kunden abwerben, sondern gemeinsam mehr Verkehr auf die Schiene holen. Engelhardt: Wir begrüßen dieses Signal, das wir für richtig halten. Mit der Partnerschaft von DB Cargo, Kombiverkehr und BGL können wir das Spektrum bedienen und Ladung aus allen Marktsegmenten im Kombinierten Verkehr bewegen. Ich möchte auch betonen, dass die Kooperation mit DB Cargo und Kombiverkehr offen ist für alle interessierten Verbände und Organisationen, die sich ihr anschließen möchten.

Zu den Personen

  • Dr. Sigrid Nikutta, Jahrgang 1969, ist seit Januar 2020 im Bahn-Vorstand für den Güterverkehr verantwortlich, zugleich ist sie die Vorstandsvorsitzende von DB Cargo. Zuvor war sie zehn Jahre Vorstandschefin der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG).Verschiedene Stationen bei der Bahn hatte Nikutta zuvor ab 1996 absolviert.
  • Prof. Dirk Engelhardt, Jahrgang 1973, leitet seit Januar 2017 die Geschicke des Bundesverbands Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL), erst als Hauptgeschäftsführer, später als Vorstandssprecher. Von 2003 bis 2016 leitete er den Geschäftsbereich Logistik/Fuhrpark der Genossenschaft RWZ Rhein-Main. Als Student verdiente er sein Geld mit Lkw-Fahren.