Es ist ein bisschen wie ein Familienausflug, um gemeinsam die allseits geliebte und geschätze Oma im Altenheim abzugeben – nur eben deutlich glanzvoller. Der Schweizer Heinz Dysli, Jahrgang 1949 und Busunternehmer aus vollem Schrot und Korn, der sich selbst demütig als "etwas Setra-lastig" beschreibt, wird "seinen" S 328 DT aus dem Baujahr 1996 am nächsten Tag in die Obhut seines Herstellers und dessen historischer Sammlung geben. "Wir denken, dass er es hier sehr gut haben wird und sein langes Busleben einen würdigen Abschluss findet wo er auch geboren wurde", wird der Seniorchef auf der Messe Retro-Classic in Stuttgart sagen, der in seinem Unternehmer-Leben rund 45 Setra Busse sein eigen nennen konnte.
Heute sind es im Dysli Fuhrpark noch zehn Busse der Ulmer Marke, die 2021 ihr 70-Jahr-Marken- sowie das 40-Jahr-Doppeldecker- Jubiläum feiern durfte. Der Ulmer Hersteller war mit wohlbedachter Verspätung gegenüber dem Stuttgarter Erzrivalen Neoplan 1981 in den Doppeldeckermarkt eingestiegen und präsentierte 1993 dann die zweite Generation des Wagens, die dann im komplett neuen Werk in Neu-Ulm produziert wurde. Dort werden noch heute Setra-Reisebusse auf Kiel gelegt, wenn auch die Covid-19-Pandemie den Stückzahlen arg zu schaffen gemacht hat. In den 90er Jahren waren die so genannten "Zielfahrten" nach Spanien und anderen Urlaubsorten nicht mehr so en vogue, der Doppeldecker tat sich eher schwer.
Setra S 328 DT wird feierlich an die Setra-Historienabteilung übergeben

Heute darf der Beinahe-Pensionär aus Neu-Ulm aber nochmal voll auf seine Kosten kommen, und natürlich auch seine illustren Fahrgäste, die aus Setra- und Evobus-Mitarbeitern, der gesamten Familie Dysli mit Unternehmersgattin Lotti und den drei Söhnen Patrik, Marc und Roland besteht. Diese wollten zwar eigentlich alle einen anderen Lebensweg einschlagen, sind aber nach und nach doch alle der Busfaszination anheimgefallen und führen das Unternehmen heute gemeinschaftlich mit viel Busbegeisterung. Vom beschaulichen Konstanz aus (die Schweizer Zollgesetze ließen eine finale Überführung über die eidgenössische Grenze trotz langer Planung nicht ohne Weiteres zu) macht sich die Feiergemeinde auf den Weg nach Stuttgart, wo der farbenfroh lackierte, zwölf Meter lange Bus mit über 650.000 Kilometern auf der Uhr auf der Messe Retro Classics feierlich an die Setra-Historienabteilung übergeben werden soll.
Das Wetter ist gut, die Laune gehoben, und die Presse klemmt sich frohgemut hinters Steuer, um sogleich eine seltene Begegnung mit einem teilautomatisierten Achtgang-Vorwahlgetriebe 8S-180 von ZF, das auch unter der Bezeichnung AVS berühmt wurde, zu erleben. Es war sozusagen der frühe Vorläufer des modernen, hauseigenen PowerShift 8-Getriebes GO 250-8, das sich immer noch mit acht Gangstufen begnügt, und die mit der 300er Baureihe 1991 begonnene "Elektronisierung" des Busbaus mutwillig auf die Spitze getrieben hat mit PPC und allem Pipapo. Das Ganze funktioniert vergleichsweise prächtig, einfach den gewünschten Gang vorwählen (im Rahmen der Physik) dann die Kupplung beherzt betätigen, und flugs wechseln die Zahnräder vom Bodensee, der sich im Rückspiegel immer deutlicher von uns verabschiedet.

Ach diese Spiegel überhaupt! Heute fallen sie kaum noch auf, 1991 waren sie irgendwo zwischen Sensation und kleinem Skandal zu verorten, wie auch schon lastauto omnibus in Heft 12/93 zu berichten weiß: "Die äußere Form des S 328 DT weist auch die markanten Merkmale dieser Baureihe auf, die sich als schlicht und elegant beschreiben lässt: mit der typischen seitlichen Schwinge und den inzwischen berühmten Außenspiegeln. Während erste Stimmen in Kortrijk es noch als gelungen bezeichneten, dass die Schwinge auf den Doppeldecker übernommen wurde, war man hinsichtlich der Maikäferfühler oft anderer Meinung." Wie das so ist mit den bahnbrechenden Neuerungen – heute fremdeln viele Fahrer wiederum mit den elektronischen Spiegelersatzsystemen, die sicher bald auch wiederum völlig normal sein werden!
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